Auf neun Bühnen mit 100 Shows fand zum Abschluss der letzten Septemberwoche 2018 die neunte Auflage des „Waves Vienna“, Wiens wohl bekanntestem Showcasefestival, im „WUK“ statt. Dort soll unter anderem auch weniger prominenten Bands und KünstlerInnen eine Bühne geboten werden. Mit seinen teils versteckten Räumlichkeiten, verschiedenen Außenbereichen und verträumt/vernachlässigtem Dekor ist das „WUK“ eine tolle Location für ein dreitägiges Mini-Festival in Wien. Obwohl auf dem „Waves“ eigentlich mehr Indie, Pop und Alternative gespielt wird, haben wir uns auf die Suche nach Acts mit HipHop- und Urban-Groove-Einflüssen gemacht. Gute Nachricht: Wir wurden fündig.
Jamie Isaac
Der sympatische Brite brachte im Juni dieses Jahres sein zweites, selbst produziertes Album „(4.30) Idler“ auf den Markt. Die Stimmung seiner Lieder passt zu seinem Arbeitsplatz, dem Schlafzimmer. Mit ruhiger Stimme schwebt sein Gesang über sanfte Klavier-Instrumentals und Jazzklängen und nimmt einen dabei auf eine Art luziden Traum mit, auf den man sich nur einlassen muss.
Überzeugt sein jüngster Release schon mit echten Drums und viel Energie, gelingt es Jamie, live sogar noch einen drauf zu setzen. Mit seiner Band, bestehend aus Schlagzeuger, Bassist, Gitarrist und einem Beatmischer, läuft die Kommunikation auf der Stage im „WUK Foyer“ wie geschmiert. Teils improvisiert Jamie auf seinem Keyboard und streckt dabei leicht eine Hand Richtung Schlagzeuger. Der versteht sofort. was Jamie von ihm verlangt. Alle auf der Bühne verbinden Musik mit einer Menge Spaß und Freude. Ein Jazz-Auftritt, wie man ihn sich wünscht.
Das Licht im „WUK“ wechselt von blau über lila zu pink und taucht Jamie, dessen Gesichtsausdruck erahnen lässt, wie sehr er in der Musik vertieft ist, in neblige Atmosphäre. Das Foyer mit seiner gemütlichen Atmosphäre war die perfekte Wahl für seinen Auftritt. Mit schläfrigem Tonfall bedankt sich Jamie ein paar Mal beim buntgemischten Publikum und scheint sich sehr bewusst zu sein, dass das Publikum mindestens genau so viel Spaß hatte wie er.
Blond
Blond ist kein HipHop, sondern Indie mit teils energischem Sprechgesang. Für die Show in der „WUK Halle“ muss die Band, die sich selbst als „das Aufstoßen nach dem Genuss eines grellfarbenen Energydrinks“ beschreibt, hier aber kurz erwähnt werden. Die beiden Schwestern Lotta und Nina Kummer (Ja, die kleinen Schwestern der Kraftkluber Felix und Till Kummer) und Bassist Johann aus Chemnitz fragen nämlich spitzbübisch von der Bühne herab, was richtiger HipHop denn eigentlich sei.
Ihre Auflösung: Eine Eigeninterpretation von Jason Derulos „Swalla“, inklusive Mitmach-Performance. Die Choreo, ein Mix aus Hände- und Kniewippen, wirkte zwar holprig, dafür überzeugen die beiden Mädels mit lyrischem Witz und einwandfreiem Flow. „I have no idea who that was but i had the best time of my life„, lautet das Fazit eines Konzertbesuchers aus der ersten Reihe. Auf jeden Fall ein sympathischer Gig und wer weiß, vielleicht beehren uns Blond einmal mit einem richtigen Rap-Song?
Tsar B
Tsar B (ausgesprochen Tschar B), die ihre Musik in ihrem Schlafzimmer selbst produziert, müsste eigentlich eine One-Man-Show mimen. Da Geige spielen, Singen und Beats machen gleichzeitig etwas schwierig erscheint, werden letztere Aufgaben von einem unbekannten Helfer übernommen. Es ist 2:00 Uhr, Donnerstag Nacht. Eigentlich eine Zeit, die zu Tsar Bs mystischer, bassgeladener Tanzmusik passt. Doch im „WUK“ ist beim letzten Act nicht mehr allzu viel los.
Die Show beginnt mit einem Geigensolo, bevor Tsar B mit ihrer klaren, durchdringenden Stimme in höchsten Tönen nachlegt. Das „WUK Foyer“ ist zwar relativ spärlich beleuchtet, aber auf Grund der fehlenden Fans, der temperaturbedingten Kleiderwahl und einer kahl wirkenden Bühne kommt keine richtige Tanzstimmung auf. Tsar B passt wohl besser in einen Underground-Club als in ein Alternative-Showcase.
Noah Kwaku
Im Februar kam Noah Kwakus Debüt-EP „Too Late“ raus, heute spielt der junge Stuttgarter das erste Mal in Wien. Wobei das nicht ganz stimmt. In unserem Interview vor dem Auftritt erzählte er davon, bereits am Abend zuvor ein Wohnzimmer-Konzert bei Freunden gespielt zu haben. Das passt zu ihm und seiner Band. Seine Musik lässt sich im Soul, Pop und HipHop verorten und entpuppt sich auf der „Ottakringer Stage“ im „WUK“ als richtig groovy. Vor der Bühne wie auf der Bühne wird geshakt und den Musikern sieht man an, dass sie ihr Set mir größtmöglicher Freude durchziehen.
All zu viele Lieder hat Noah leider noch nicht, dafür füllen sie die Zeit mit erstklassigen Jazz-Solos, die die Menge zum Kreischen bringen. Und neue Songs werden kommen, verrät uns Noah, bevor er „Dania“ spielt, einen unveröffentlichten Song „über einen feuchtfröhlichen Abend in Mallorca„. Es ist eigentlich gar nicht so voll in dem Raum, der mit weißen Luftballon-Girlanden ein wenig an einen Matura-Ball erinnert, aber die Stimmung ist locker und angeheitert. Noah Kwaku funktioniert live!
WWWater
Hier ging’s ab. Schon der erste Eindruck lässt Großes erkennen. Mit schwarzen Lackstiefeln tritt Charlotte Adigéry neben ihren Schlagzeuger, einen charismatisch aussehenden älteren Herrn mit sehnigen Armen und kantigem Gesicht. Zu ihrer Linken steht ein Typ vor seinen Keys, der für Karl Lagerfeld modeln könnte. Alle drei begrüßen uns auf der „Ottakringer Stage“ mit einem breiten Grinsen im Gesicht und einem spürbaren Kribbeln unter den Fingerkuppen. Sie fackeln nicht lange, mit zarten, fast zerbrechlich wirkendem Gesang beginnt das Konzert, geht dann über zu geflüstertem Sprechgesang und dunklen Synthesizer-Sounds und wandelt im weiteren Verlauf ständig zwischen verschiedensten Genre-Einflüssen; von Soul-Pop über rockigem Funk bis zu einer Hardcore-artigen Eskapade inklusive Moshpit vor der Bühne, angeleitet durch die quirlige Sängerin selbst.
Zwischendurch gibt es ein paar technische Probleme, aber mit viel Humor und Improvisationstalent wirkt alles nur passend zu dieser wirklich ungemein energiegeladenen Perfomance, die den ganzen Raum um mindestens fün Grad aufheizte. Dabei legt Charlotte eine gewaltige Tanzperfomance à la Beyoncé hin, sodass sie schließlich ihre feschen Stiefel ausziehen muss. Das Publikum gröhlt noch lauter als zuvor und bedankt sich zum Schluss teilweise sogar persönlich via Handshake bei der Sängerin, was diese sichtlich zu schätzen weiß. Diese experimentelle Sause ist nur weiter zu empfehlen!
Neneh Cherry
Headlinerin Neneh Cherry wurde in den 1980er-Jahren mit Songs wie „Buffalo Stance“ oder „Seven Seconds“ mit Youssou N’Dour als Rapperin und Sängerin bekannt. Zwar hat sie nie wirklich aufgehört Musik zu releasen – doch 2018 weht ein frischer Wind um Neneh, am 19. Oktober veröffentlicht sie ihr neues Album „Broken Politics“. Am Montag präsentierte sie mit „Shot Gun Shack“ nach „Kong“ auch die zweite neue Single in diesem Jahr. Man merkt gleich, dass ihre Themen sehr politisch gehalten sind und sich vor allem um Rassismus, Waffengewalt und den persönlichen Schmerz, der damit verbunden ist, drehen. Bei ihrem Auftritt in der „WUK Halle“ lässt sie aber gleich erkennen: So ernst diese Themen sind, „We need a lot of love right now„.
Die Show startet ruhig, die Atmosphäre ist fröhlich, doch eine euphorische Stimmung kommt nicht so richtig auf. Neneh performt neben ihren älteren Sachen auch einen unveröffentlichtes Track vom neuen Album „Poem Daddy“. Hier bleibt die Background-Musik aus, es geht um den Text. “Blessed are those who struggle/ Oppression is worse than the grave/ Better to die for a noble cause/ Than to live and die a slave”, rappt Neneh Cherry. Für sie selbst seien diese Worte lange ein Mantra gewesen, um sich eben nicht unterkriegen zu lassen. Die Texte haben Kraft und sind keineswegs nur beklagende Statements. Nein, Neneh möchte „soldiers“ ermutigen. Nämlich „soldiers of love„.
“Blessed are those who struggle/ Oppression is worse than the grave/ Better to die for a noble cause/ Than to live and die a slave”
Mit einem eher älteren Publikum, keinen Upbeat-Songs und einer ernsten Message kommt zwar keine Tanzstimmung auf. Ihr Pop-Soul gemischt mit HipHop-Einflüssen und traditionellen Instrumenten kommt aber an, ebenso wie ihre Botschaft. Das merkt man am Jubel.
Verschiedenste Stimmen und Stimmungen machen das „Waves“ zu einem durchaus interessanten Event im Festivalkalender der Stadt, der auch für HipHop-affine einiges Hörenswertes bietet. Man muss einfach nur suchen.
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