Was bei Musik zählt, ist die Qualität. Da das aber leider nicht immer so ist, highlighten wir hier diejenigen, die im übrigen Geschäft wenig oder schiefe Aufmerksamkeit bekommen. Dieses Round-up soll speziell Frauen und queeren Personen einen Platz bieten, die in den vergangenen Wochen releast haben. Und deren Musik von Qualität ist.
Bei den weiblichen Künstlerinnen ist dieses Mal einiges an Kampfgeist zu spüren. Einige vertrauen dabei auf harte Worte, andere auf ihre innere Stimme und manche auf ausgefallene Videoideen. Während Megan Thee Stallion gegen „Bitches“ wettert, kommen bei A-WA gesellschaftkritische Lyrics ins Spiel und bei Oshun oder Eryn Allen Kane Thematiken der afroamerikanischen Geschichte und Kultur.
MEGAN THEE STALLION – „Realer“
Megan Thee Stallion erinnert an Foxxy Cleopatra (gespielt von Beyoncé) aus der James-Bond-Parodie Austin Powers – ein überzogen sinnlicher und zugleich kämpferischer Charakter. Im knappen, goldenen Kostüm und mit Plastik-Pistole in der Hand kickt sie Richtung Kamera. Diese Art von Verführungs-Kämpferinnen gab es im Action-Fernsehen der 90er zur Genüge, doch waren sie oft nur Handlanger von irgendeinem großen Crime-Solver-Boss. Die Rapperin nimmt die Sache hingegen selbst in die Hand. “Houston has a problem. Megan Thee Stallion and Thee Hotties will solve it” lautet der Vorspann zum Video. Die Mission: Ill Will Jackson, einen bekannten Ungustl, zu Boden bringen. Die Kostüme der vier Frauen im 70er-Jahre-Stil sind knapp, die Blicke verführerisch. Während das Bild einen vielleicht täuschen könnte, lassen die Lyrics keine Fragen offen: “Fuck all them critics and fuck how they feel.” Schneller Rap, gefüllt mit Punchlines und einem Beat, der das Attribut „Gangster“ verdient.
WILL.I.AM ft. LADY LESHURR, LIONESS, MS. BANKS – „Pretty Little Things“
Will.i.am wurde bekannt mit The Black Eyed Peas. Während die dreiköpfige HipHop-Gruppe an einem neuen Album bastelt und Shows in Europa spielt, betätigt sich will.i.am auch solo als Produzent. Meistens sehen wir ihn bei den selbst produzierten Songs als Feature – oder mit Feature zu poppiger Musik tanzen, wie in “Scream & Shout” ft. Britney Spears. Der Sound fällt eher poppig aus. Mit “Pretty Little Thing” und der Hilfe von Lady Leshurr, Lioness und Ms. Banks gelingt ihm ein Stilwechsel. Drei energetische Grime-Rapperinnen geben dem Song die Energie, will.i.am den Beat und einen ziemlich faden Refrain. Der erste Part von Lioness stellt aber gleich klar: “I’m not a pretty little thing, I’m a problem.“ Mit einem wechselnden Beat wird übergeleitet zu Ms. Banks, die ebenfalls mit Charme und Flow überzeugt. Überraschend ist der fast niedlich wirkende Auftritt von Lady Leshurr, für die ein Afro-Beat unterlegt wird. Das Video ist mit Analogfoto-Rahmen, abgestimmten Outfits und aktiv performenden Rapperinnen ein wirklich schöner Anblick. Der Titel und der „Drei Engel für Charlie“-Effekt lässt sich hinterfragen. Will.i.am handelt hier drei “Pretty Big Things”. Mit “Pretty Little Thing” gibt er ihnen eine Bühne, auf der sie zeigen, dass sie eigentlich eh keine Unterstützung bräuchten. Übrigens auch interessant, dass der Track erst die Features, dann den Titel nennt.
OSHUN – Blessings on Blessings
Oshun ist der Name eines Flusses in Nigeria und der entsprechenden Flussgöttin. Auch in der Yoruba-Religion im lateinamerikanischen Raum ist Oshun die Göttin von Reichtum, Liebe und Fruchtbarkeit. Es ist auch der gemeinsame Künstlername von Niambi und Thandi. Inspiriert von der mächtigen und doch liebevollen Göttin kreieren die Musikerinnen ein Frauenbild geprägt von Spiritualität, „sweetness“ und geistiger Stärke. “I know I am the daughter of the river, of the moon blessed by Oshun.” Das Video zeigt dann die physikalische Stärke. Gekleidet in traditionell inspiriertes, buntes Gewand kämpfen die Frauen, sodass es Funken sprüht. Special Effects wie aus einem Video-Game!
A-WA – “Hana Mash Hu Al Yaman”
A-WA ist ein Schwestern-Trio aus Israel, das mit “Hana Mash Hu Al Yaman” Erlebnisse der Großmutter erzählt. Diese ist aus dem Jemen nach Israel geflohen und wurde dort mit vielen anderen jemenitischen Flüchtenden in Zeltstädten untergebracht. Die Lyrics sind zweigeteilt, denn sie ahmen ein Statement-Antwort-Szenario zwischen Zugereisten und Einheimischen nach. Diese Aufmachung, die dem Song “America” in der West-Side-Story sehr ähnelt, zeigt die Kluft zwischen den Erwartungen an die neue Heimat Israel und die bittere Enttäuschung nach der Flucht.
“Where will i stake a home?“ – “You have a tent for now”
Statt zu arbeiten, eine Familie zu gründen und ohne Angst zu leben, gehörten prekäre Lebensverhältnisse, schlechte Jobaussichten und Diskriminierung zur Realität. Das Video zeigt die drei Schwestern Tair, Liron und Tagel dabei in sandigen Kulissen auf den Straßen Israels, umgeben von zahlreichen Tänzern und Tänzerinnen. Ohne Kenntnis der arabischen Sprache und ohne die Subtitel des Videos, könnte man den Song fast als traditionell angehauchten Electrosong hören.
ERYN ALLEN KANE – „fragile“
Sehr stimmig macht Eryn Allen Kane konzeptuelle, audiovisuelle Kunst. Wie sie selbst den Song erklärt, ist er eine Hommage an die Verletzlichkeit, die speziell schwarze Frauen erleben. Es ist ein Song für die innere Stimme, die einen plagen kann, die man aber nicht ignorieren darf. Die Sängerin vollführt einen Ausdruckstanz im Zusammenspiel mit einer professionellen Tänzerin, während um beide herum Mauern heraufgezogen werden. Der ruhige Sound formt zusammen mit der ästhetischen Performance ein sehr emotionales Gesamtwerk.
GIANNI MAE – „Killin Em“
Geboren auf der karibischen Insel Curaçao über die Niederlande bis nach Berlin – Gianni Mae machte überall Musik. Mit dem Trio Diva Squad begann sie vor fünf Jahren auf ihrer Muttersprache Papiamento auf Trap zu rappen, danach kam das Duo Junglebae in den Niederlande. Heute ist Gianni mehr oder weniger solo. Alle drei bis dato hochgeladenen Tracks sind produziert von den Broke Boys, einem Produzentenduo aus Berlin. Die Trap-Macher sind auch für einige erflogreiche (doch älteren) Songs von Ufo361 erantwortlich. Das Konzept der jungen Gianni funktioniert gut. In der Interlude erklärt sie auf ihrer Muttersprache, dass sie sich selbst treu bleibt und solo voll Ordnung ist. Man könnte glauben, sie meint es ernst mit „Killin Em“, denn allein die Blicke in die Kamera könnten töten. Das Video funktioniert mit modernen Lichtelementen und altmodischen Paparrazi-Snippets gut. Das Konzept der gefährlichen Diva Gianni ist stimmig.
MIRAA MAY – „FWM“
Miraa macht stimmlich sehr souligen R’n’B, wird aber selten müde, diesen mit abwechslungsreichen Beats zu unterlegen. Dieses mal greift sie auf ein in den 2000er-Jahren populäres Genre aus den UK zurück, den UK-Garage-House (UKG). Sie mischt ihren sanften Gesang mit schnellen Beats, beeinflusst von Dubstep/Bassline-House. Passend zu den Retro-Beats trägt Miraa einen lila-türkisen Trainingsanzug, während sie durch leer stehende Hochhäuser läuft. Alles in allem ein frisches Sounderlebnis.
LOREDANA – „Labyrinth“
Loredana Zefi ist #1 Trending auf YouTube. Die gebürtige Schweizerin mit Wurzeln im Kosovo ist derzeit nicht unterrepräsentiert. Mit Lip-Syncs und Fashion-Inspiration schaffte sie es auf Instagram, Publikum zu generieren. So ist ihre Musik sehr zugeschnitten auf eben diese Instagram-Community. Es geht um die junge Mama (Loredana bekam 2018 eine Tochter), die ihr eigenes Geld verdient, und dabei den Promi-Glamour vermitteln kann. Inklusive Traumbeziehung mit Ehemann Mozzik, der ebenfalls Rapper ist und in einigen Songs Loredanas gefeaturt wird. Und um ihr Haus, das so groß ist, dass man „kein‘ Ausweg“ findet. Bald kommt das Album „King Lori“. Das Wichtigste sind King Lori die Klamotten. Und das nicht nur für Style: “Ich hab mich niemals ausgezogen für die Klicks.” Weder die Reime, noch die Aussagen sind originell, aber darum geht es bei dieser Partymusik wohl auch gar nicht.
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