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Kommentar: Vom „Don Murl“ zum alten Grantler

Kommentar: Vom „Don Murl“ zum alten Grantler

Im Schneidersitz und mit schmutzigen Sneakers sitzt Samir Köck auf einem Perserteppich, umringt von seiner riesigen Plattensammlung. Nur am Klo und im Bad gebe es keine Schallplatten, erzählt der DJ und Musikkritiker dem freizeit-Magazin. In der Hand hält er sein erstes Vinyl, Neil Diamond mit  „Song Sung Blue“ ist auf dem Cover aus den 70ern abgebildet. Daneben sieht man Tonträger von Trompeter Till Brönner, Wolfgang Ambros und Hildegard Knef. Auf seinen Facebook-Profilfotos posiert er auch schon mal für ein Selfie liegend auf dem Grab von Billie Holiday oder auf dem des Folk-Sängers Nick Drake. Generell zählt Samir Köck eher Rock aus den 70ern, Jazz und Soul zu seinen liebsten Musikgenres. Aber worauf beruht seine tiefe Abneigung gegenüber deutschsprachigem Rap? Ergründen sich doch so viele HipHop-Beats auch im deutschsprachigen Raum aus alten Soul- und Funk-Klassikern.

In der Konzertkritik zu Snoop Doggs Auftritt vergangenen Mittwoch hat Samir Köck in der Presse-Printausgabe klargemacht, wie sehr er deutschen Rap verachtet. Und wie unterschwelliger Rassismus funktioniert. Da einige seiner Argumente schlichtweg falsch oder nicht überprüfbar sind, ist es unsere Aufgabe als Österreichs HipHop und Rare Groove-Magazin – wie schon einmal – dazu Stellung zu beziehen.

 1. „Es gibt kaum Nervenderes als deutschen Hip-Hop.“ Klar, eine Konzertkritik ist ein Meinungs-Element, eine subjektive Wiedergabe der Show, der Musik und der Atmosphäre. Trotzdem sollte eine gewisse Objektivität nicht verloren gehen. Wenn Samir Köck behauptet, dass es kaum Nervenderes als deutschen HipHop gibt, dann ist das nicht etwas Wahrgenommenes beim Konzert, sondern eine Grundeinstellung, eine tief verankerte Abneigung gegen dieses Musikgenre. Egal wer gespielt hätte, mit dieser Voreingenommenheit hätte der Autor jeglichen Deutschrapper schlecht beurteilt. Und das hat nichts in einem Review zu suchen. Man geht auch nicht auf ein Heavy-Metal-Konzert und redet eine ganze Szene schlecht, weil einem die Musik grundsätzlich nicht gefällt. Zudem bezweifeln wir stark, dass kaum etwas nerviger ist als deutscher HipHop. Auf Facebook legt Samir Köck nach: „Deutscher Hip-Hop ist die Pest“. Wir kennen eine unendliche Liste an wirklich nervigen Dingen. Auszug gefällig: furzende Pensionisten in der Bim, den Geruch von Schweiß und Bier im Sommer in der U-Bahn auf dem Weg in die Arbeit, endlose Wartezeiten auf dem Amt und fast hätten wir es vergessen unreflektierte Meinungen österreichischer Musikjournalisten.

2. „Egal ob es sich bei den Rappern um Trademark-Piefke oder um Zugereiste aus dem Orient handelt, die am deutschen Wesen genesen wollen.“ Die Nazis bzw. deren Propagandaminister Goebbels haben immer wieder propagiert, dass die Welt „am deutschen Volk genesen soll“ – sprich: die Welt soll das deutsche Volk als Ideal nehmen und sich danach richten. Samir Köck meint wohl, dass sich Migranten und Migrantinnen – oder Zugereiste, wie er sie nennt – beim Werdegang zum Rapper „deutsch“ werden und ihre Wurzeln vergessen – und sich das eben in der Musik ausdrückt. Natürlich kompletter Blödsinn, waren es doch gerade die „Zugezogenen“, die der deutschen Sprache im Rap neue Facetten und Aspekte hinzufügten und sich nicht irgendeinem kulturellen Duktus unterwarfen. Aber das kann ja nicht jeder wissen.

3. „Zugezogen Maskulin und Motrip versuchten, mit inflationären „Wien!“-Rufen in die Kammer der geheimen patriotischen Gefühle einzudringen.“ Auch der langjährige deutsche Musikjournalist Falk ist auf den Artikel der Presse aufmerksam geworden und postet auf Facebook: „Ich fänd den Artikel als Zeugnis eines wahnsinnig hängengebliebenen 40-Something extrem lustig. Aber diese paradox wirkenden rassistischen Untertöne sind mehr als skuril.“ Skurrilität, gespickt mit Bildern, die im Kopf des Lesers nicht funktionieren, Hass gegen Deutschrap, Ignoranz und hochtrabende, auf Gscheitheit getrimmte Worthülsen – das macht den Artikel, wie an diesem Beispiel zu sehen, im Allgemeinen aus.

4. „Penetrant wie ein Fitnesstrainer hat er (MoTrip, Anm.) wieder und wieder verlangt, dass alle Hände hoch gehen mögen. Welch Elend! Das war um nichts besser als das, was den Leuten im Musikantenstadl an „Begeisterung“ abgerungen wird.“ Zur Verifizierung dieser Aussage läuft nebenbei gerade das „Musikantenstadl Best of“. Darin geht Andy Borg von Holzbank zu Holzbank, schüttelt den Kindern die Hände und lädt die Damen dazu ein, sich an seiner Hand im Kreis zu drehen. Unterlegt von makellosem Playback-Gesang vom Band. Während zwei kleine Buben musizieren, schunkeln die Stadlbesucher dicht gedrängt und ineinander verkettet mehr oder weniger zum Takt. Paralleln zu einem Konzert von MoTrip oder Zugezogen Maskulin können wir nicht entdecken.

5. „Seit Frank Sinatra hat kein amerikanischer Vokalist mehr den Rauch derart innig in seine Kunst integriert.“ Mag sein, aber zeigt das nicht auch die Irrelevanz der Snoop Dogg’schen Lyrik? Während sich die ach so nervigen Rapper von Zugezogen Maskulin mit Flüchtlingsströmen, verrohender Jugend und Homophobie auseinandersetzen, frönt Kollege Calvin Broadus den immer gleichen, nichtssagenden Themen. Natürlich ist das auch legitim, und Snoop Dogg setzte das in seiner Karriere phasenweise exzellent um („Doggystyle„, ein Höhepunkt der G-Funk-Ära). Aber das soll auch nicht über die fehlende Substanz der Snoop Dogg’schen Dichtkunst hinwegtäuschen (zumal der ein oder andere Ghostwriter sich dafür verantwortlich zeichnete). Wie gesagt: Eigentlich kein Thema. Wenn man sich aber über Deutschrap auskotzt und gleichzeitig eine derartige Heroisierung Snoop Doggs ohne jegliche Reflektion vornimmt, bekommt das mehr als einen fahlen Beigeschmack. Kein kritisches Wort über Snoops Pop-Hymnen – aber deutscher Rap ist im Umkehrschluss platt. Wir verstehen.

6. „Sinatra hat die Filterzigarette überhöht, Snoop Dogg wirbt für den fetten Spliff.“ Sorry, Samir Köck, es war ein  Blunt. Aber den Unterschied muss ein Musikredakteur auch wirklich nicht wissen. Hier das Beweisfoto:

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Foto: Niko Havranek

7. „Der recht einfach gestrickte Snoop Dogg stand schon als junger Mann knapp vor dem sozialen Aus.“ Haben Sie Snoop Dogg am Tag des Konzerts einem Intelligenztest unterzogen, oder warum maßen Sie sich an, dem Musiker einen minderen Verstand zu diagnostizieren?

8. „(…) marschierte Snoop Dogg durch einen Dschungel aus Hits: eigenen wie „Drop it Like it’s Hot“ und „Who Am I (What’s My Name)“ und annektierten wie 50 Cents „P.I.M.P.“, House of Pains „Jump Around“ und Katy Perrys „California Gurls““ Letztere Nummer kann gar nicht annektiert sein, denn Snoop Dogg ist Feature-Gast auf der 2010 veröffentlichten Nummer der US-Sängerin.

Trotz dieser Fehlbehauptungen regt es uns am meisten auf, dass ein Presse-Journalist es nötig hat, rassistische Andeutungen in seiner Kritik zu verorten. Samir Köck hat früher aufgrund seiner schwarzen Lockenpracht den Spitznamen „Don Murl“ erhalten und müsste eigentlich wissen, wie sich eine ausländerfeindliche, herabwürdigende Bezeichnung anfühlt. Wir wissen nicht, ob der Autor mit seiner Konzertkritik absichtlich provozieren will, um Klickzahlen zu generieren, oder ob der Text seine tief verankerte Meinung wiedergibt.

Der deutsche HipHop-Journalist Falk Schacht hat den Beitrag zum Anlass genommen, auf seinem Facebook- und Twitter-Account über den Text zu diskutieren. Er ist sich sicher, dass Zweiteres zutrifft: „Er hat das geschrieben, weil es seine hundertprozentige Meinung widerspiegelt. Deutscher HipHop ist für ihn eine Mimikry-Version von US-HipHop. Der Begriff beschreibt in der Biologie Tiere, die das Aussehen von gefährlichen Tieren imitieren, abr vollkommen harmlos sind. Das alles ist auch vollkommen okay. Und dass er ein trollendes Element in seine Texte einfließen lässt, finde ich sogar amüsant. Mein eigentlicher Antrieb, etwas dazu zu schreiben, ist aber tatsächlich der rassistische Unterton, den ich aus dem Zusammenhang von „Zugereisten aus dem Orient“ und dem „deutschen Wesen“, an dem die aus dem Orient genesen wollen. Sollte der Autor da etwas anderes gemeint haben, hätte er die Möglichkeit, das zu revidieren. Seine Kommentare dazu haben mich aber bisher eher in allem, was ich dazu geschrieben habe, bestätigt.“

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Egal was es ist, die Veröffentlichung dieses unsäglichen Konzertberichts ist ein weiteres Indiz für die schwache Qualitätskontrolle der Presse. Erst vor ein paar Monaten gab es einen Aufrschrei in der österreichischen Medienlandschaft, als ein Kommentar von Wolfgang Greber in der Presse erschienen ist, in dem Gewaltanwendung als „ultima ratio“ in der Kindererziehung bezeichnet wird. Eine Stellungnahme der Redaktion und Distanzierung von diesem Inhalt folgte. Weiters ist die Weise, wie Samir Köck auf Kritik reagiert, hochgradig unprofessionell und zeugt von Abgehobenheit. Falk Schacht etwa bezeichnet er offen als „nicht dicht“, einen Leser fordert er – angesprochen auf die rassistischen Anspielungen – auf, ihn mit diesem „weinerlichen, moralisierenden Unterton“ zu verschonen.

Mit dieser Überheblichkeit und dem Schlechtmachen von deutschsprachigem Rap ist Herr Köck allerdings nicht der Einzige in Österreich. Auch seine Kollegen Karl Fluch und Christian Schachinger von der Tageszeitung Der Standard äußern immer wieder ihre Ablehnung gegen weiße Rapper, die nicht aus den „Ghettos“ kommen. So geschehen bei Artikeln von Herrn Schachinger zu Haftbefehl (unsere Antwort) oder Left Boy (unsere Antwort). Da es in Österreich leider nur wenige Musikredakteure gibt, die für ihre journalistische Tätigkeiten bezahlt werden, sollten genau diese das Niveau hochhalten, jegliche Genres beachten und ihre ungezügelte Ablehnung gegen gewisse Musikrichtungen minimieren. Nur so kann eine ausgewogene Berichterstattung in einer auf Themenvielfalt abgezielten Tageszeitung gewährleistet werden. Und wenn Herr Köck das mit seiner Arroganz und seiner festgefahrenen Meinung nicht vereinbaren kann, haben wir nur eines für ihn übrig: Bitte treten Sie zurück und geben Sie jungen, toleranten und recherchierenden Musikjournalisten eine Chance, die Außenwahrnehmung von deutschen HipHop aus dem Dreck zu ziehen.

Die Redaktion

Anmerkung: Leider mussten wir den Titel ändern, da Samir Köck uns mit einer Anzeige gedroht hat und wir das als No-Budget-Plattform, bei der alle ehrenamtlich arbeiten, nicht riskieren wollen.

Der zitierte Presse-Artikel