I'm putting pistols in faces at random places. Free LX!
Im Oktober 2015 gastierten die Burschen der 187 Strassenbande anlässlich des ersten GZUZ–Albums „Ebbe & Flut“ zum ersten Mal in Wien. Damals noch ohne RAF Camora, noch ohne unzähligen Platin-Plaketten an der Wand und erst am Anfang des wohl größten Hypes, den wir im Deutschrap je erlebt haben. Nun, etwas über drei Jahre später, schließt sich der Kreis. Wiens verlorener Sohn RAF Camora gastiert als erster österreichischer Rapper gleich zweimal hintereinander mit seinem Palmen-aus-Plastik-Buddy Bonez MC in der ausverkauften Wiener Stadthalle.
Eine Erfolgs-Demonstration, die er bereits vergangenes Jahr bei seinem Gratis-Konzert in der Marx-Halle ankündigte. „Das nächste Mal sehen wir uns in der Stadthalle!“, ruft er damals. Recht sollte er behalten, denn wo sollte es anders hingehen, bei diesen Erfolgen. Rekorde und Rekorde pflastern den Weg des 1Raf7-Teams, sogar eine Diamant-Single („Ohne mein Team“) können sie für sich verbuchen. Die aufsehenerregende Regel-Änderung des österreichischen Chart-Systems aufgrund von „Palmen aus Plastik 2“ sei hier nur am Rande erwähnt.
Eine Geschichte, die journalistisches Interesse wecken muss. Die österreichische Tageszeitung Der Standard biss an und erläuterte das Phänomen etwas kurzsichtig. Liest sich der dort erschienene Artikel von Christian Schachinger wie ein HipHop-Schulaufsatz, gespickt mit bemühten Versuchen beißender Ironie: „In RAF Camoras Texten kommen viele Drogen vor. Teilweise auch harte. Immerhin ist RAF Camora der härteste deutschsprachige Rapper.“ Ach, Herr Schachinger, ach.
Natürlich will ich hier in keinster Weise Herrn Schachingers geschätztes Schreibtalent schmälern, doch zumindest aufzeigen, wie wenig er von dieser speziellen Deutschrap-Blase und der dazugehörigen Millionenschaft an Hörern zu verstehen scheint. Und daran trägt der zweite Artikel aus seiner Feder – ein frustriert wirkendes Konzert-Review – definitiv noch mehr Schuld. Das ist hart.
Dennoch will ich zu Beginn Herrn Schachinger in manchen Punkten recht geben: Ja, es ist die Masse an Streams und Verkäufen, die diese Musik relevant macht. Aber eben nur für die Menschen, für die es davor noch nicht relevant war (siehe: RAFs ORF-Line in „Vienna“). Und ebenfalls ja: Rap ist auch im Jahr 2019 viel zu oft frauenverachtend, gewalt- und drogenverherrlichend.
Dieser harten Wahrheit muss man ins Gesicht sehen. Anderseits gehört zu dieser Wahrheit auch, dass sich das ganze Genre seit jeher durch Rebellion und durch Grenzüberschreitungen auszeichnet. Sie versteht sich als Spiegel einer Gesellschaftsschicht, die nur selten gehört wird. Der Marginalisierten, die kein Adorno lesen können. Die gebrochen Deutsch sprechen. Rap braucht kein Abitur, wie Bass Sultan Hengzt einmal treffend formulierte. Rap ist für alle offen, mit allen positiven und negativen Aspekten.
Über all dem schwebt der Traum kapitalistischer Selbstverwirklichung, für dessen Verwirklichung nicht auf die Standards des Bürgertums Rücksicht genommen wird. In einer Welt, in der Geld, Statussymbole und vor allem Überlegenheit nicht nur in den sozialen Medien als Hauptwährung gehandelt wird, verkörpern RAF Camora und die 187 Strassenbande ein Ideal für jeden träumenden Jugendlichen. Und je kleiner die Perspektiven, umso größer der Traum. Das gilt auch für die Jungs am Dönerstand (Dönerstand? Wirklich, Herr Schachinger?), deren Identitätsproblem ein noch viel größeres ist. Diese Generation hat zwischen einer blau-schwarzen Regierung und veganen Bloggerinnen ihre eigenen Helden gefunden. Die „alles probiert“ haben und es schafften. Mit dem gleichen Duktus wie sie, mit den gleichen Träumen. Was wäre die österreichische Würstelstand-Alternative? Gabalier? Nein, danke (s/o Soap & Skin).
Gute Mafia-Filme/Serien fallen dadurch auf, dass sie authentisch wirken. Man denke nur an „Gomorrha“. Im Rap ist es nicht viel anders. Die Geschichten müssen nicht wahr sein, sie könnten dies aber. Dieser Authentizitätsanspruch erfüllt sich in der Sprache. Kann man scheiße finden, aber ist nun einmal die Realität.
Und die Musik? RAF Camora und Bonez MC haben das französische Afro-Trap Rezept à la MHD perfekt ins Deutsche adaptiert und damit einen Stein ins Rollen gebracht, der sich seither rastlos durch die „Modus Mio“- und „Shisha Club“-Spotify-Playlisten wühlt und Millionen akquiriert. Dass vieles dank dem Afro-Rhythmus gleich klingt, ist nicht abzustreiten. Aber: De gustibus non est disputandum. Dabei gab es sogar eine Halbzeitshow der restlichen 187ers LX, Maxwell, GZUZ und SA4, die auf klassischen Gangster-Synthie-Beats mit Tracks wie „10 Jahre“ oder „Was hast du gedacht“ ein bisschen Abwechslung fernab vom Afro-Trap mitbrachten.
Für Fans war das Konzert sicher ein besonders Erlebnis, für die mitgeschliffenen Eltern sicher weniger. Das trifft auch für den Großteil unserer nationalen Musik-Journalisten zu, die aus Begeisterung wohl nicht ihr T-Shirt ausgezogen haben, wie das einige im Saal vormachten. Aber schon mein Opa hat mit Sorge in den Augen die Beatles im Auto leiser gedreht, so wie es mein Vater mit Eminem gemacht hat. Was weniger ein Vergleich der Künstler sein soll, als eine Metapher für den immerwährenden Graben zwischen Generationen. Früher hat Falco auf den Partys von Koks gesungen, heute hauen die 187ers das „Natz auf den Tisch“. Beides, nüchtern betrachtet, gar nicht so unähnlich. Etwas zum Mitsingen halt. Da hat Samir Köck von der Presse auch gar nicht so unrecht: Das ist der Schlager einer neuen Generation. Auch wenn seine Intention für diese Wörter eine andere war.
Das Thema kann man im Falle Köcks und Schachingers aber auch ohne den merklichen Anflug von Xenophobie abhandeln – und sich in dieser Hinsicht eine Scheibe von RAF Camora abschneiden. Der hielt während des Konzertes eine Kroatien- und Bosnien-Fahne hoch und hieß Albaner, Serben, Tschetschenen, Christen, Moslems und Juden willkommen. Denn sie alle seien Wien. Das ist ein starkes Statement in Zeiten eines bröckelnden gesellschaftlichen Zusammenhalts. In Zeiten, in denen an allen Ecken gezündelt und Hass geschürt wird.
Das soll den Blick nicht verstellen, dass das Publikum Texte mitsingt, die voll mit „Weißem“ und „Bitches ficken“ gepackt sind. Und natürlich weist das Dargebotene Höhen und Tiefen auf, in musikalischer und thematischer Hinsicht. Aber eine neue Generation narzisstischer Messerstecher und Frauenschläger zieht sich die Gesellschaft auch ohne Plastikpalmen-Rapper heran. Das schaffen Pussy-grabbende Präsidenten, politischer Fremden- und Frauenhass sowie die grenzenlose Dummheit des Internets schon gut alleine. Vielleicht sollten sich Herr Schachinger und Herr Köck mal mit „Farido“ und „Murat“ am Dönerstand treffen und über die Probleme dieser Generation berichten. Vielleicht wird ihnen dann klar, aus welch privilegierter Position sie über jene urteilen, denen das Leben Zitronen schenkt.
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