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„Man exportiert Waffen und importiert Flüchtlinge“ // Aufstond Interview

„Man exportiert Waffen und importiert Flüchtlinge“ // Aufstond Interview

Aufstond
Aufstond
Aufstond: Son Griot (l.) & Nasihat (r.) // Fotos: Sayne One

Die beiden Salzburger Nasihat und Son Griot kennen sich seit vielen Jahren und haben bereits punktuell zusammen an Musik gearbeitet. Nun haben sie sich, angetrieben von gegenwärtigen politischen Zuständen und der gesellschaftlichen Lage, zum Duo Aufstond formiert, um ein käftiges Zeichen für Humanität und verbalen Widerstand zu leisten. Ihr gleichnamiges Album „Aufstond“ erscheint am 17. November über März Records. Mit Ausnahme von „Dagegn“ stammen sämtliche Beats von Nasihat, der dem Album einen klassischen BoomBap-Sound verleihen möchte. Als praktizierender Muslim ist Nasihat häufig selbst Diskriminierungen ausgesetzt. Son Griot ist hauptberuflich in der Flüchtlingshilfe tätig, bekommt die Stimmung im Land besonders gut mit. Wir haben den beiden vorab einige Fragen zu ihrem Projekt gestellt und darüber hinaus über Probleme im Integrationsbereich, den „politischen Islam“ sowie ein Telefonat mit Sebastian Kurz gesprochen.

Ihr wollt im Kontext des aktuellen politischen Geschehens ein verbales Statement für Humanität und Widerstand abgeben. Gab es ein bestimmtes Ereignis als Auslöser?
Son Griot:
Unter anderem der Präsidentschaftswahlkampf im vergangenen Jahr, da gab es teilweise arge Dispute in der eigenen Familie. Es ist zunehmend zum Anliegen geworden, das Schwierige anzugehen und verstärkt politische Sachen zu bringen. Das Mindset war, uns sichtbar zu positionieren. Wir können über alles reden, aber wir zeigen klar, dass wir auf dieser Seite stehen.
Nasihat: Wenn wir uns getroffen haben, haben wir uns oft über Politik in Österreich, Rassismus und aktuelle Geschehnisse unterhalten. Der Drang ist immer größer geworden, dass wir das, was wir dazu denken, in Rapform herausbringen.

Was wollt ihr konkret ansprechen?
Nasihat: Hauptthema ist, dass es aktuell so viele Kriege auf der Welt gibt. Viele europäische Länder stecken zum Beispiel mit Waffenlieferungen drin. Das verursacht, dass Menschen aus Kriegsländern flüchten und viele davon nach Europa kommen. Man exportiert Waffen und importiert Flüchtlinge. Wir thematisieren aber nicht nur das Flüchtlingsthema, sondern allgemein das Weltgeschehen, Ungerechtigkeiten und die Politik, die weltweit geführt wird. Was bringt das in Zukunft alles mit sich? Man hört fast immer nur Vorschläge, wie man am besten gegen Flüchtlinge vorgeht, aber kaum, wie man das Kriegsproblem an der Wurzel packen kann. Die Lösung kann nicht nur darin liegen, niemanden mehr nach Österreich bzw. Europa zu lassen. Klar kommen Menschen aus anderen Gebieten mit anderen Weltanschauungen hierher. Da entstehen Probleme, aber die werden durch Medien und Politiker noch einmal verschärft, auch durch Wahlplakate wie von der FPÖ: „Die Islamisierung gehört gestoppt.“ Die Leute sagen sich dann vielleicht: ‚Jo stimmt, wir müssen das stoppen!‘ Wenn man mit ihnen redet und fragt, was mit Islamisierung überhaupt gemeint ist, wissen die meisten nicht, worum es eigentlich geht. Medien und Politiker hetzen die Leute zum Teil gegeneinander auf, tragen zur Spaltung bei. Die Grund-Message ist, dass wir Frieden und ein friedliches Miteinander wollen.

Son Griot, du betreust seit einigen Jahren beruflich unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Derzeit stehen separate Deutschförderklassen für Schüler, deren Deutsch für den Unterricht nicht ausreicht, zur Debatte. Diese sollen ihnen rasch „das ausreichende Beherrschen der Sprache“ ermöglichen. Die Kinder und Jugendlichen würden dadurch allerdings erst spät mit gleichaltrigen Einheimischen in Kontakt kommen. Wie betrachtest du dieses Thema?
Son Griot: Wir haben tagtäglich das Problem, dass wir versuchen, die Jugendlichen in Schulen hineinzubringen. Die Schulen hatten diesbezüglich jahrelang kein Konzept, jetzt bessert es sich langsam. Unabhängig davon gibt es Schulen, die es besser hinbekommen, was an der Leitung und Direktion liegt. Andere sind komplett überfordert. Das wird sich irgendwann mal rächen.
Nasihat: Ich denke, dass es komplett sinnlos ist, die Leute so zu trennen. Wenn Flüchtlinge gemeinsam mit den anderen Schülern in gemischten Klassen sind, können alle Beteiligten voneinander lernen, auch die soziale Sprache weiterentwickeln. Ich war bis zum vergangenen Schuljahr selbst Lehrer und habe islamische Religion an der Handelsakademie unterrichtet.

Wieso hast du mit dem Unterrichten aufgehört?
Nasihat: Ich pausiere, weil ich mich momentan mehr auf die Musik konzentriere. Es stehen gerade einige Projekte in Österreich, Deutschland und der Türkei an und der Plan ist, dass ich Musik zu meinem Vollzeitjob mache. Es kann sein, dass ich in paar Jahren wieder unterrichte. Je nachdem, wie es läuft.

Im Sportbereich gibt es einige Organisationen, die gezielt Menschen mit Fluchthintergrund ansprechen und viel zur Integration beitragen können – z.B. der Fußballverein PlayTogetherNow. Viel passiert auf ehrenamtlicher Basis. Was kann man sich von solchen Freizeitvereinen abschauen?
Son Griot:
Man kann sich auf jeden Fall viel abschauen. Im Sport funktioniert das Integrationsthema seit Jahren um einiges reibungsloser als im alltäglichen Leben. Im Fußball hat deine Herkunft oder dein Pass relativ wenig Bedeutung. Es kommt ausschließlich darauf an, was du am Spielfeld drauf hast. Über Sport hat Integration immer schon sehr gut funktioniert, aber alleine reicht es natürlich nicht. Nasihat und ich haben zum Beispiel für längere Zeit gemeinsam in einem Jugendzentrum gearbeitet und Workshops gemacht.

Was habt ihr im Rahmen eurer Workshops vermittelt?
Nasihat: Unser Jugendzentrum war ein multikultureller Ort. Egal ob Sport-, Musik- oder Kreativ-Workshops, Jugendliche mit unterschiedlichen Backgrounds haben miteinander gearbeitet, gelernt und Spaß gehabt. Ohne dass Herkunft, Aussehen oder Religion eine Rolle spielten. Das war auch das Grundsätzliche, was wir vermitteln wollten.

Nasihat, du hast dich 2014 mit „Bitte Kurz Zuahean“ – deinem ersten auf Deutsch veröffentlichten Track – kritisch zum damals beschlossenen Islamgesetz geäußert. Wieso ist der Track nicht mehr verfügbar?
Nasihat:
Es gibt mehrere Gründe. Der Hauptgrund ist, dass ich den Track technisch nicht mehr gut gefunden habe. Inhaltlich stehe ich nach wie vor komplett dahinter, das war rein aus künstlerischer Perspektive. Nachdem sich außerdem meine Mundart-Rap-Skills um Welten verbessert haben, konnte ich den Track nicht mehr hören und habe ihn daher aus dem Netz genommen. Ich habe ja damals sogar einen Anruf von Sebastian Kurz bekommen. Er wollte mit mir über das neue Islamgesetz reden und wissen, warum es mich stört. Ich habe mit Kurz und am nächsten Tag auch über eine Stunde mit Markus Benesch telefoniert. Dass sie mich angerufen haben, fand ich zwar cool, aber im Endeffekt habe ich gemerkt, dass sie uns nur zeigen wollten: ‚Hey, wir hören dir eh zu.‘ Ich habe ihnen alle Punkte, die mich stören, aufgezählt und erklärt, warum es mich stört. Im Endeffekt wollten mir die beiden nur einreden, dass alles in Ordnung ist und ich mir keine Sorgen machen muss. Typisch. Nur um zu zeigen, dass es sie eh interessiert, was man sagt. Heute, kurz vor der Nationalratswahl, sehen wir, welche Politik die genannten Personen führen. Man hört nichts außer Islam, politischer Islam oder islamische Kindergärten. Ich denke, das zeigt, wie islamophob diese Menschen sind.
Son Griot: Es ist interessant, was das für Wellen geschlagen hat. Das zeigt, wie viel man mit Musik bewirken kann.

Der „politische Islam“ ist, wie bereits erwähnt, ein zentrales Wahlkampfthema. Einige islamische Vereine sollen gezielt Informations- und Beeinflussungsmechanismen auf Menschen türkischer Herkunft ausüben. Genannt werden etwa ATIB oder UETD, denen eine große Nähe zur AKP attestiert wird. Der Verfassungsschutz wurde bereits eingeschaltet, es gibt allerdings noch keine Anklage. Für Außenstehende ist die Situation schwer zu durchschauen. Wie sind derartige Vereine einzustufen?
Nasihat:
ATIB ist ein muslimischer, türkischstämmiger Verein in Österreich. Die ATIB-Moscheen sind Gotteshäuser für in Österreich lebende Muslime, in denen zum Beispiel die Freitagsgebete stattfinden. Es werden Feste, aber beispielweise auch Pilgerfahrten nach Mekka organisiert. Durch die türkischen Wurzeln ist klar, dass man gleich sagt, dass Erdogan drinsteckt, Geheimagenten Informationen sammeln und so weiter. Ich glaube, dass das alles ziemlich hochgepusht wird. Es ist wieder das Thema von vorhin. Man macht den Menschen Angst, signalisiert ihnen: ‚Da ist irgendetwas‘. In Österreich sollte und müsste man ganz andere Sachen thematisieren – das Bildungssystem zum Beispiel. Ich sag’s immer wieder, es ist Fakt. Aber man beschäftigt sich lieber mit solchen Dingen. Weil man eine Gefahr braucht, etwas, das den Leuten Angst macht. Schlussendlich ist dann gar nichts. In Österreich gibt es zig öffentlich zugängliche ATIB-Moscheen, man kann jederzeit hingehen und mit den Leuten reden.

Peter Pilz geht etwa von 500 aktiven „türkisch-islamistischen Spitzeln“ in Österreich aus. Diese sollen Erdogan-kritische Kommentare von türkischstämmigen Österreichern speichern und weiterleiten, was bei einer Einreise in die Türkei zu einer Festnahme führen können soll. Das sind ja filmreife Vorwürfe …
Son Griot: Die Frage ist, wie vielen Leuten das bei der Einreise in die Türkei wirklich passiert ist. Ich bin auch öfters in der Türkei und habe noch von keinem Österreicher gehört, der festgenommen wurde.
Nasihat: Selbst wenn es solche Fälle geben soll, wer kennt die wirklichen Hintergründe, was wirklich wahr und was erfunden ist? Es ist kein Geheimnis, dass Erdogan, auch wenn er in Europa zum Teil verflucht wird, viele Anhänger hat. Und ich denke, dass das Verteufeln seiner Person nicht dazu führen wird, dass die Anzahl seiner Anhänger zurückgeht. Begriffe wie politischer Islam funktionieren aktuell sehr gut, besonders in Kombination mit seinem Namen. Sie werden von fast allen Parteien, vor allem von der ÖVP, extrem oft genutzt, um Wahlkampf zu betreiben.

Themenwechsel: Son Griot, du hast 2014 gemeinsam mt Maylay Sparks das Projekt „Lehman Bros“ angekündigt. Die EP ist nie erschienen, er ist dafür mit zwei Parts auf „Aufstond“ vertreten. Was ist passiert?
Son Griot:
Maylay will das Album weiterhin machen – Shout-Out an ihn! Er ist ein cooler Typ, aber ein bisschen chaotisch. Ich freu‘ mich, wenn ich ihn das nächste mal sehe, es ist allerdings schwierig, mit ihm ein Album zu machen und zu promoten. Anfangs war die Überlegung, dass wir auf dem Projekt aufbauen, wir haben es dann aber sein lassen. Wir wollten etwas Internationales machen, das dennoch vorrangig deutschsprachige Hörer anspricht. „Lehman Bros“ wäre, wie es der Titel schon sagt, thematisch eher in eine andere Richtung gegangen, à la „Cash rules everything around me“.

Neben Maylay Sparks sind mit Akil The MC, Blak Twang, Mykill Miers, Rocc Spotz und Ockz einige weitere englischsprachige Rapper als Featuregäste auf „Aufstond“ vertreten. Wie sind ihre Parts thematisch eingegliedert?
Son Griot:
Es sind hauptsächlich Konzepttracks, also wir haben uns jedes Mal abgesprochen. Ausnahme ist eine Posse-Nummer, bei der wir das Thema ziemlich frei gehalten haben.
Nasihat: Das ist der Track, bei dem die meisten Features oben sind. Wir haben ihn „9 Milimeta“ genannt. Das hat wieder mit Gewalt und Krieg zu tun, aber wir beziehen das eher auf die Verse. Da wird alles gebattelt, es ist „Art of War“ im Sinne von Rap (lacht).
Son Griot: Der Track mit Blak Twang heißt „Außer Kontrolle“ und ist mehr auf Europa bezogen. Er ist Engländer, dort hat man ja gerade mit Terrorismus ähnliche Probleme wie schon länger in Deutschland oder Frankreich. Die Nummer mit Akil von Jurassic 5 dreht sich wiederrum ausschließlich um den Syrien-Konflikt.
Nasihat: Wir haben auf dem „Aufstond“-Remix auch Ockz oben. Ein Underground-Rapper aus Brooklyn, der gerade bisschen einen Aufstieg erlebt und mit Buckshot von Black Moon und Black Milk zusammenarbeitet. Er hat eine geniale Stimme und Flow – ein richtiger Brooklyn-MC. Ich habe ihm erklärt, worum es in dem Track geht, er hat sich dann auf Islamophobie in Amerika und in anderen Weltregionen bezogen.

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(c) Philip Pesic

Mit Yener Çevik ist zudem ein Rapper verteten, der im türkischsprachigen Raum sehr bekannt ist. Nasihat, du hast bereits ein Album für ihn produziert.
Nasihat:
Yener Çevik ist aus Istanbul und ein Freund von mir. Er war einer der ersten türkischen Rapper, hat Anfang/Mitte der 1990er-Jahre angefangen. Ich habe mir gedacht, wenn schon so viele österreichische und englischsprachige MCs oben sind, warum die Türkei nicht auch vertreten sein sollte. Haben wir wirklich niemanden aus Deutschland oben? Interessant, ist mir gerade aufgefallen (lacht).
Son Griot: Aus Österreich sind Leute vertreten, die wir schon lange kennen und die für sich sprechen.
Nasihat: Wir haben ihnen das Thema vom Album kurz erklärt und sie haben gleich ihre Parts geschrieben, weil sie eh genau wissen, worum’s geht. Wir kennen uns gut und haben eine ähnliche Denkweise bei diesen Themen, daher war das unkompliziert. Zu „Ongst“ habe ich mit Raptoar die Hook gemeinsam geschrieben. Def Ill ist gleich drei Mal oben, den haben die Tracks ziemlich ‚zaht. Du sagst ihm ein gewisses Thema und er schickt dir am gleichen Abend den Part zurück, extrem schnell und unkompliziert.
Son Griot: Es ist auch eine klare Positionierung, dass Rap Inhalt haben kann. Der Ursprung von Rap hatte ja bisschen mehr Gehalt als das Meiste, was derzeit rauskommt.

Wobei sich derzeit sehr viele Rapper zum politische Geschehen äußern …
Son Griot:
Jahrelang ist in Österreich kaum etwas in der Richtung rausgekommen, aber im Moment merkt man, dass sich die Leute wieder Gedanken machen, es trifft sie.
Nasihat: Uns ist es sehr wichtig, dass wir vor allem Jugendliche erreichen. Dass sie sich die Tracks anhören und über die Inhalte nachdenken. Vielleicht bewegt man dann wirklich etwas. Gerade bei Jugendlichen, die ein bisschen zu rechts im Denken sind. Dass sie draufkommen und erkennen: ‚Eigentlich ist das für’n Hugo!‘

Nasihat, du hast bisher vor allem auf Türkisch gerappt, was bei mir leider der Sprachbarriere zum Opfer fällt. Wie unterscheiden sich die Lyrics auf „Aufstond“ von deinen türkischen Texten?
Nasihat: Eigentlich ist der Unterschied nicht groß. Auf Türkisch habe ich aber neben politischen Sachen auch viel über den Sinn des Lebens gemacht. „Bitte Kurz Zuahean“ war der erste Text, den ich auf Mundart geschrieben habe. Der ist voll gut angekommen, Leute haben mich bestärkt und gesagt, dass ich mehr machen soll. Ich habe dann den Part zu „Die Wöd Spüt Varruckt“ geschrieben, das war mein erster Part für das „Aufstond“-Album. Ich habe mich von Part zu Part gesteigert und ich glaube, dass man das auch hört. Es hat mich voll ‚zaht. Die Meinungen von Leuten wie Def Ill oder Raptoar sind mit in Bezug auf Mundart-Rap sehr wichtig. Sie haben mir gutes Feedback gegeben, das hat mich noch mehr motiviert. Ich mache aber nach wie vor auch türkische Songs. „Aufstond“ bleibt wohl mein einziges Album auf Mundart. Außer, es kommt extrem gut an und die Nachfrage ist richtig groß. Die türkischen Sachen erreichen auf YouTube beispielweise viel mehr Leute.
Son Griot: Vor zehn Jahren hast du auch schon ein Album auf Hochdeutsch gemacht, oder?
Nasihat: 2005 herum habe ich an einem Album gearbeitet, da habe ich auf Hochdeutsch und Türkisch gerappt. Das hab‘ ich aber nie richtig rausgebracht. Hochdeutsch ist immer so ein Ding. Es passt nicht so recht, wenn man es im normalen Leben nicht spricht. Das hört man einfach raus.

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