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„Warum ich ungerne Interviews gebe? Wegen euch!“ // Taktloss Interview

„Warum ich ungerne Interviews gebe? Wegen euch!“ // Taktloss Interview

Zeichnung von Emi Shaked

Das Erstaunen war groß und nicht wenige Minuten vergingen, in denen ich intensiv nachdenken musste, wie ich auf diese Interviewanfrage reagieren sollte. Normalerweise fällt die Antwort schnell, da die journalistischen Kriterien ebenso klar sind wie mein Gespür, ob sich eine interessante Geschichte aus einem Interview ergeben kann. Ist der Künstler relevant? Gibt es genug Material, aus denen sich spannende Fragen ergießen lassen? Bei diesem Künstler war die Lage ganz klar, denn: Taktloss (bürgerlich Kingsly Defounga) ist relevant, viel relevantere Persönlichkeiten gibt es in dieser künstlerischen Ödnis, die sich Deutschrap schimpft, nicht.

Und Material gibt es zu Taktloss ebenfalls nicht zu knapp, ist der Berliner schließlich seit zwei Jahrzehnten in der Szene dabei, zunächst als sagenumwobener Bomber, dann als punchlinespuckender Anti-Rapper. Taktloss ist schlichtweg das Zentrum zahlreicher Mythen, manche so unglaublich, dass man nur vermuten kann, irgendjemand in Berlin würde seine Keta-geschwängerten Hallu-Filme rund um Taktloss ausleben. Nur: Man traut ihm eben fast alles zu.

Die Hand im Maul des Alligators 

Warum also die Zweifel? Weil Taktloss ein Ruf ereilt, den er mit vielen Künstlern der elaborierteren Art und Weise teilt. Taktloss gilt, nun ja, als schwieriger Typ. Ein Typ, der das Blatt bei Interviews oft wendet und seiner Ansicht nach „dumme“ Fragen gerne mit vielsagendem Schweigen straft. Wenn nicht sogar mehr, wie Jule Wasabi vergangenes Jahr erfahren musste, als Taktloss und Frauenarzt als Gäste bei „Schasabi“ fungierten. Schwierig nachzuprüfen, aber angeblich soll Taktloss Falks Podcast-Kollegin, die sich hörbar die ganze Sendung über nicht wohl fühlte, gewürgt haben. Das geht natürlich gar nicht. Andererseits darf man sich nicht wundern, dass die Hand ab ist, wenn selbige in das Maul des Alligators gelegt wird. Altbekannt, dass sich ein Taktloss-Interview ernüchternd gestalten kann und immer eine Herausforderung darstellt. Das machte aber den Reiz für mich aus, weswegen ich meine Zusage gab.

Nun ist Taktloss für mich kein Unbekannter, sondern begleitet mich seit meiner späten Teenagerzeit. Über eBay ersteigerte ich damals ein Exemplar der Westberlin-Maskulin-LP „Battlekings“, jener mysteriösen Platte, die Taktloss und ein gewisser Kool Savas im Jahr 2000 auf die Menschen losließen. Die Beats eine einzige Rumpelei, die Aufnahmequalität ein Graus, aber Power, Wut und Energie, die von beiden übergebracht wurden, sind bis heute unübertroffen. Ganz egal, wie miserabel die in ein 20DM-Mikrofon hineingerotzten Reime klingen: Der Entertainmentfaktor der Punchlines ist eine eigene Liga, vielleicht gerade aufgrund der Vielzahl an Schockmomenten.

„Battlekings“

Bei Taktloss dienten die irren Punchlines von Lord Finesse als primäre Inspirationsquelle, bei Savas spielte die unbefriedigende Situation bei der Bundeswehr eine wesentliche Rolle als kreative Triebfeder. Am Wochenende ging es für Savas zum Musikmachen stets nach Berlin, genauer gesagt in Taktloss‘ Einzimmerwohnung in Neukölln, liebevoll seine „Danger Zone“ genannt. Das Equipment? Dürftig. MPC 2000, 4-Spur-Recorder und besagtes Mikrofon. Aber genug, um damit zwei Scheiben für die Deutschrap-Annalen aufzunehmen. Vor „Battlekings“, das sich immerhin um die 20.000mal verkaufte, tischten die beiden bereits „Hoes, Flows, Moneytoes“ auf; Projekte mit großem Triggerfaktor, bei einigen Zeilen schüttelt man heute nur noch mit dem Kopf. Aber schon damals galt: Künstlerleben nicht mit dem Privatleben verwechseln, wie Taktloss in einem seiner wenigen Interviews erzählte. Musik eben als Plattform aller Kreativergüsse, ohne Rücksicht auf Verluste.

Als ähnlich faszinierend wie seine Westberlin-Maskulin-Sachen entpuppten sich seine Soloprojekte, insbesondere  „BRP56“ („BRP“ steht für „Battlereimpriorität“). Das Equipment wurde besser, die Musik blieb auf einem ähnlich abgedrehten Level. Wurde ja immer noch alles in der „Danger Zone“ aufgenommen. Doch Taktloss war nie einer, der sich als stubenhockender Misanthrop, der die Konfrontation lediglich auf Platte sucht, präsentiert. Im Gegenteil. Schräge Live-Auftritte gehören seit Anbeginn zum Mann mit den tausenden Pseudonymen.

Unvergessen sein Auftritt bei Falks „Supreme“ (2001), in dessen Vorfeld Falk höflich nach seiner Telefonnummer fragte, er trocken „Nein“ sagte und dann einfach vor dem VIVA-Studio erschien – um dann die ganze Sendung durchzurappen und Samy Deluxe zu dissen. Am deutlichsten mit dem Track „Ich bin nicht weniger als du dir wünscht zu sein“, in dem es heißt: „In meiner nächsten Strophe möchte ich euch Samy Deluxe etwas näherbringen/Und nebenbei bemerkt: Samy, deine Mutter hat immer noch den gleichen Beruf – du bist immer noch ein Hurensohn“. Autsch.

„Was macht mein Label? Es fickt die Biatch!“

Eine aggressive Verschrobenheit, die wohl auch auf die Royal-Bunker-Sozialisation zurückzuführen ist, die sich auch in einer weiteren bekannten Episode aus Taktloss‘ Künstlerleben äußert, nämlich dem bekannten Freestyle-Battle, das heute auf YouTube unter „Taktloss rastet aus“ vorzufinden ist und einen Rapper zeigt, der sich nicht ganz an die Battle-Regeln hält. „Im Battle muss man sich streng an die Regeln halten! Mein Verhalten im Battle ist göttlich!“, rappt er zwar auf „Battlekings“. Von diesem „göttlichen Verhalten“ ist hier jedoch wenig zu sehen, schlägt er schließlich seinem Kontrahenten das Mic aus der Hand. Dass sich Taktloss nicht nur bei Rapbattles seine Freiheiten herausnimmt, beweisen seine Konzerte, die in einem ganz eigenen Universum angesiedelt sind und mehr Performance-Kunst als öde Akrobatik mit Lippensynchronisation bieten.

Zwei Shows von „Takti der Blonde“ brannten sich in mein Gedächtnis, wobei ich die erste nur als Erzählungen kenne, bei der zweiten hingegen live vor Ort war. 2013 spielte Taktloss in der Friedrichshainer Theatherkapelle eine Show mit den Tänzerinnen Renate Graziadei und Naama Ityel, die ganz dem Credo der Improvisation folgte, aber doch nicht unstrukturiert ablief. Keine amorphe Anordnung an Klängen und Bewegung, sondern durchaus choreografiert. So begann die Show mit einem viertelstündigen Gestöhne, das aus den Boxen dem Publikum entgegengeballert wurde. Währenddessen las Taktloss aus dem Playboy vor, die Tänzerinnen standen regungslos auf der Bühne. Natürlich war das nicht alles, wie gewohnt rastete Taktloss irgendwann aus und kippte Wasserflaschen ins Publikum, ohne dabei auf sein Motto „Was macht mein Label? Es fickt die Biatch“ zu verzichten. Klingt nach meinen Erfahrungen mit Taktloss alles sehr glaubwürdig, schließlich sah ich ihn ein Jahr zuvor infolge des tschechischen „Hip Hop Kemp“, wo ein Taktloss, ein gefälschtes Jersey des FC Barcelona rockend, die Sexgeräusche eigentlich nur durch den Sound von Maschinengewehren ersetzte und sonst auf die gleichen Grundkomponenten vertraute.

Anzunehmen, dass die Verantwortlichen von „Hyperreality“ wissen, was sie tun, als sie die Entscheidung fällten, den „Wack-MC-Mörder“ für ihr Festival im Mai nach Wien zu holen. In der Vergangenheit war ein Taktloss-Booking nämlich nicht immer frei von Kontroversen. 2011 stornierte der Allgemeine Studierendenausschuss der Uni Kassel ein Konzert. „Zu keiner Zeit war es das Anliegen, Diskriminerung oder Jugendgefährdung ein Forum zu bieten“, hieß es in der Stellungnahme. Ähnliches darf man sich für Wien nicht erwarten. Auch, weil Taktloss nicht als Taktloss auftreten wird, sondern als Real Geizt. Dass Real Geizt aber nicht nur ein Alter Ego ist, erklärt Taktloss mit felsenfester Überzeugung in unserem Interview.

Die  Suche nach „Real Geizt“

Der Ort des Interviews hätte treffender kaum sein können. Eine Pizzeria im 8. Bezirk dient als Lokalität. Treffend deswegen, weil eine der vielen Mythen um Taktloss davon handelt, dass dieser einst als Pizzabäcker sein Geld verdiente. Umgeben vom Duft frischer Pizza sitzt er also, in Begleitung von Justus Jonas aka Splidttercrist, in diesem italienischen Restaurant, wider aller Rapperklischees sogar überpünktlich. Angezogen streng nach Normcore-Style mit braunem Pullover, dunkler Hose und unauffälligen Büroschuhen, stellt sich Taktloss durchaus freundlich vor.

Zum Interview ordern beide Tee. Als der Kellner die durchsichtige Tasse serviert, fällt ihm sofort ins Auge, dass jene seines Kollegen mehr Flüssigkeit enthält. „Solange keiner vor Ihnen aus dem Glas getrunken hat, ist das halb so schlimm“, versuche ich zu beruhigen. Er nimmt mich in seinen Blick und lässt mich wissen, dass aus diesem Gefäß schon Tausende getrunken haben. Sofort wird klar, dass er auf jedes Wort, jede Bewegung achtet. Wie ein Alligator, der dann im günstigen Moment zuschnappt. Immerhin bietet er sofort das „Du-Wort“ an, was sich für die Atmosphäre des Interviews nur positiv auswirken sollte.

Ohne Umschweife also gleich „in medias res“ und die Frage, was und wer nun dieser Real Geizt ist. Taktloss, der noch einmal wissen will, ob ich zu ihm als Taktloss oder Real Geizt spreche, atmet kurz ein und setzt zu einer Rede an, bei der stellenweise der Eindruck erweckt wird, er wisse selbst nicht, von was er hier gerade schwadroniert: „Man spricht es „Real Geist“ aus. Das ist alles nebulös, mysteriös, „allig“, „weltallig“. Ich bin total begeistert, von dem, was ich gehört habe. Es wurde meine Stimme benutzt, ohne, dass ich es weiß oder mitbekommen habe. Das ist ein starkes Stück. Ich hab keine Erinnerung daran. Ich kann dazu nichts weiter berichten. Ich höre mir nur das Produkt an und sage ‚Wow, schön, dass ich davon ein Teil sein durfte.‘“

Kurze Pause, ein Moment der Ruhe, die Espressomaschine reizt im Hintergrund den Kellner, der ein paar italienische Schimpfwörter dem Gerät entgegenschießt, bis dieses wieder seine Funktionen aufnimmt. Taktloss, kurz abgelenkt, blickt mir wieder ins Gesicht und fährt fort: „So, wie ich das mitbekommen habe, hat Real Geizt die Kontrolle über alles. Er kann vielleicht ein Naturell eins zu eins Klon von mir angefertigt haben, der irgendwo wieder ein neues Lied für ihn aufnimmt und nach der Aufnahme löst er sich in Staub auf und wir reden währenddessen hier, während ich in einer anderen Hülle aufnehme.“ Aber wer ist dieses er? Ein transzendentes Wesen? „Darüber kann ich nur spekulieren. Journalisten spekulieren auch gerne. Nein, die spekulieren nicht, die lügen.“

„Eine Lüge ist eine Lüge“ 

Das ist ein drastischer Vorwurf, der so nicht im Raum stehen darf. Lüge verlangt nach einem Vorsatz, der findet in den viel kritisierten Mainstream-Medien nicht statt. Schlampigkeiten aufgrund des Zeitdrucks und Durchschimmern der jeweiligen Blattlinie, klar. Aber Lüge? Doch Taktloss will nichts von den Differenzierungen wissen und schmettert meine Ausführungen mit „Eine Lüge bleibt eine Lüge! Vieles, von dem die Klatschpresse berichtet, stellt sich hinterher als das Gegenteil von Wahrheit heraus“. In diesem Moment grätscht Splidttercrist dazwischen, der einen Wortschwall über die Großartigkeit der inTouch mit der Conclusio beendet, dass die besten Geschichten einfach frei erfunden sind. Weil Standard-Interviews im Regelfall eine total langweilige Textgattung darstellen.

Doch was würde er sagen, wenn ich mir für diesen Text alles aus den Fingern saugen würde? Wenn ich aus der Pizzeria eine Bodybuilder-Messe, wo Taktloss alle zum Körpervergleich auffordert, mache? „Erfindungsreichtum ist doch etwas Gutes. Wenn du das hast, dann spiel‘ es doch aus!“ Sicher? „Wo ist das Problem? Hättest du ein Problem damit? Ich habe kein Problem damit!“, sagt Taktloss, ohne den Hauch einer Miene zu verziehen. Innerlich reagiere ich erstaunt, nichtwissend, ob das Interview nach fünf Minuten endet. Aber scheinbar war das alles kein Spaß, fährt er mit „Dann sind wir ja schon fertig. Es liegt alles in deinem Erfindungsreichtum“ fort. Schweigen setzt ein, aber so schnell und vor allem so billig will ich mich nicht abspeisen lassen. Mit  „Du gibst nicht gerne Interviews, warum eigentlich?“, versuche ich, das Interview doch noch zu retten.

Und es wirkt, wenngleich anders als gedacht. „Warum ich nicht gerne Interviews gebe? Wegen euch!“ Wer ist euch? „Die ganze Journallie!“ Den Einwand, dass eine solche Sichtweise doch sehr generalisierend ist, erwidert Taktloss dann mit „Ich generalisiere nicht. Journalisten sind die Ausnahme!“ Wobei sich auch das nur als halbe Wahrheit herausstellt: Angesprochen auf sein 11-Freunde-Interview, bemüht sich Taktloss um eine weitere Ausnahme, die sein Anfangsstatement entkräftet: „Da ging es ja um Fußball. Und Fußball ist mein Leben!

 Der Ball ist rund 

Tatsächlich verändert sich die Tonart sofort, als das Gespräch auf Fußball fällt. Dass Taktloss eine große Leidenschaft für das Gebolze ums runde Leder hegt, ist hinlänglich bekannt. Auch hier finden sich zahlreiche Anekdoten, deren Wahrheitsgehalt zwar nicht immer bestätigt werden kann, die aber nur allzu gut ins Bild passen. Als gesichert gilt, dass Taktloss in den frühen 90er-Jahren gemeinsam mit der Hertha-Legende Andreas „Zecke“ Neuendorf  im Verein Stern 1900 in Steglitz und, ganz der Straßen-Kicker, auf dem Spielplatz kickte. Die Spielweise von Taktloss imponierte Neuendorf, der bei Hertha BSC schließlich auch den Boateng-Brüdern erzählte, dass er jemanden kenne, der krasser sei als die beiden. Natürlich handelte es sich dabei um Taktloss.

Fußballspielen ist schön und darüber sprechen ist auch nett. Aber ich spiele zurzeit keinen Fußball mehr. Ich will wieder, aber man wird nicht jünger“, sagt Taktloss – und ich bekomme zum ersten Mal im Interview den Eindruck, dass diese Worte dem üblichen Sarkasmus entbehren. Während im Hintergrund Gianna Nannini ihr „Bello e impossibilie“ schmettert, kramt Taktloss in seinem Gedächtnis. „Es blitzen immer wieder Szenen auf, in denen ich besonders gut war, das muss ich schon so sagen“, sagt er und nimmt einen Schluck vom Tee, bevor er ohne Umschweife wieder zur Rede ansetzt. Gewinnen sei wichtig, schließlich wolle er jedes Spiel gewinnen; gleichzeitig ist Gewinnen doch nicht so wichtig, wenn er das Gefühl hat, dass bei einer Niederlage alles gegeben wurde. Verlieren sei allerdings trotzdem immer „scheiße“. „Ich habe viele Gesichter auf dem Fußballplatz“, so Taktloss, „es hängt davon ab, mit wem ich zusammenspiele. Ich bin der Motivator. Ich habe kein Diplom darin, aber ich versuche, mitzureißen und alles zu geben – damit die anderen sagen: ‚Okay, den will ich nicht hängenlassen‘. Ich schreie nicht immer, ist das psychologisch gesehen doch nicht das produktivste Mittel. Aber wenn es notwendig ist, schreie ich“

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Ich hake mit „Wie Olli Kahn?“ ein, Taktloss schweigt. Für Sekunden geschieht nichts, er fixiert wieder mein Gesicht. „Ja“, sagt er, um danach wieder in den Schweigemodus überzugehen. Wieder Pause, ein Schluck wird vom Tee, der mittlerweile kalt sein müsste, genommen. Taktloss wiederholt meine Frage, wartet erneut kurz und setzt dann zum Sprechen an: „Oliver Kahn ist ein Ausnahmespieler, ich habe ihn sehr bewundert für seinen Ehrgeiz und wie er den auf dem Platz gezeigt hat. Wie er sich und andere motivieren konnte, habe ich schon sehr bewundert. Momentan kommt da keiner an sein Level ran“. Meine halblustige Frage, ob es heute an Typen im Fußball fehle, erwidert er mit „Aha. Den Satz hast du doch von Sport1 geklaut!“ Themenkomplex abgehandelt.

Die Rolling Stones, aber nur die neuen Sachen 

Kurzer Blick auf die Uhr, die Zeit wird knapp, aber eine Sache will ich noch unbedingt wissen: Vor zwei Jahren erzählte Project-Blowed-Member Busdriver im The-Message-Interview von wilden Zeiten, die er gemeinsam mit Taktloss erlebte. „We spent a lot of time, Taktloss got into fights, beat people up“, sagte Busdriver damals mit einem versichernden Unterton. Kann sich auch Taktloss an diese Zeiten erinnern? Immerhin sind einige Jahre in der Zwischenzeit vergangen. „Aha. Ja“, antwortet er knapp, pausiert wieder für wenige Sekunden und schiebt ein „Ich war selbst nicht an Schlägereien beteiligt, ich erinnere mich an ein, zwei Handgreiflichkeiten. Freut mich aber, dass er sich daran erinnern kann. Ich erinnere mich … auch noch.

Das Interview ist an dieser Stelle fast zu Ende, als schließlich die Journalistin von FM4 erscheint, die nachfolgend ein Interview mit Taktloss führen soll. „Quatschen wir ruhig weiter, wir können die warten lassen“, meint dieser anschließend. In den nächsten Minuten kreist das Gesprächsthema um das Wetter, sowohl meteorologisch als auch medial. Taktloss beschwert sich über einen Artikel im gleichnamigen Magazin, wenngleich er einräumt, dass es schwierig sei, etwas Aufregendes über ihn zu schreiben. Er sei einfach viel zu uninteressant.

Spannender hingegen sei Real Geizt, auf dessen Show in Wien man sich definitiv freuen kann. Diese sei nämlich sehr aufwendig gestaltet, „selbst für Hollywoodverhältnisse“. inTouch werde sich dem sicherlich widmen, so Taktloss, der seinen Tee mittlerweile fast ausgetrunken hat. Taktloss und Splidttercrist malen ein sprachliches Bild von der Show, die sehr weit weg vom üblichen „Hände hoch!“-Trara im Deutschrap entfernt zu sein scheint. Man denkt vielmehr an unbequemen Bombast in der Nähe der Schostakowitsch-Oper „Lady Macbeth von Mzensk“, mit Lärm als künstlerisches Expressionsmittel. Ein Gefilde, das Real Geizt alles andere als fremd ist. Mehr Details über Real Geizt kann man Taktloss aber immer noch nicht entlocken, er bleibt seiner Linie treu: „Ich kann nix über Real Geizt sagen, ich höre nur die Musik und sage: ‚Schön, dass es das gibt, endlich mal etwas anderes, ist interessant.‘ Und danach höre ich wieder die Rolling Stones. Aber nur die neuen LPs, die sind gut.

Faktencheck

Die abschließende Bitte meines fotografierenden Kollegen nach einem Porträt entgegnet Taktloss mit einem „Kannst du Google verwenden, dort findest du viele Fotos.“ Aber wenn die nichts taugen? „Dann nimm‘ Photoshop, damit kannst du die gut machen!“ Wir einigen uns darauf, dass die Tochter meines Kollegen sich künstlerisch für die Illustrationen betätigen darf. „Soll einfach malen, wie sie sich Real Geizt vorstellt. Das ist mir wurscht, wie man auf Berlinerisch sagt. Aber wir sind in Wien. Wien. Wiener Würschtel“, sagt er und bricht dabei in Gelächter aus. Vor dem obligatorischen Shakehands zum Schluss erinnert Taktloss daran, ja nicht auf einen Faktencheck zu vergessen. Es soll schließlich alles seine Richtigkeit haben. Die Tasse ist leer, im Hintergrund läuft immer noch ein Gianna-Nannini-Song (nun „Profumo“). Taktloss schüttelt sich kurz, setzt sich wenige Sekunden später wieder und gibt danach das nächste Interview.

Welche Erkenntnis konnte ich also durch dieses Interview gewinnen? Vorher hatte ich den Eindruck, dass es sich bei Taktloss um einen Künstler mit verschiedenen, aber jeweils von starker Megalomanie gekennzeichneten Facetten handelt. Eine Ausprägung davon ist jene als promethischer Rapper, eine andere als dem Irrsinn naher Schauspieler, der diese Passion in der deutschen Version von „Hostel“ („Sadistikum“) oder in Hartz-IV-Theatheraufführungen von Shakespeare auslebt. Dass dabei eine strikte Trennung zwischen Kingsly Defounga und Taktloss besteht, hat er schon zuvor erklärt, was wiederum zu einer weiteren Mythologisierung seiner Person führt. Das Spannende ist der Blick hinter diese Fassade, den Taktloss aber mit allen Mitteln zu verhindern versucht.

Nach dem Interview musste ich an den britischen Künstler David Shrigley denken, der gewisse Parallelen zu Taktloss aufweist. Seine düster-morbiden Zeichnungen charakterisierte Shrigley gegenüber Edition 46 als Katharsis seiner Ängste, was so viel bedeutet, dass er es vorzieht, jemanden zu malen, der einem anderen den Kopf abschlägt, anstatt jenes selbst zu tun. Shrigley bezeichnet sich als durch und durch „normaler“ Mensch, der eben die Kunst zum Ausleben dieser Gefühle nutzt. Das Interview verschaffte mir den Eindruck, dass sich auch hinter dem Wahnsinn, den Taktlo$$ seit Jahrzehnten auftischt, ein großes Maß an Normalität befindet. Aber die hat er für sich ganz alleine gepachtet, und es ist nur verständlich, dass wir keinen Einblick davon bekommen. Vielleicht ist es aber auch ganz anders, ich kann nur spekulieren (macht man als Journalist ja gerne) – und das abschließende Fazit ziehen, dass es wirklich eine gute Idee war, dieses Interview zu machen.

 

 

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