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„Money Boy ist der König der Subversion“ // Falk Schacht Interview

„Money Boy ist der König der Subversion“ // Falk Schacht Interview

Falk Schacht by Daniel Shaked © 2016-7506
Unter Gelehrten: Falk Schacht im Arkadenhof der Universität Wien

Rapper kommen, Rapper gehen, Falk Schacht bleibt: Seit fast drei Jahrzehnten schreibt sich der Hannoveraner über Deutschrapper und ihre Macken die Finger wund — sein Status als Koryphäe der deutschsprachigen Rap-Berichterstattung kommt nicht von ungefähr. Abseits seiner Journalistentätigkeit, die ihn 2008 auch zu The Message führte, berät er die Bundeszentrale für politische Bildung in jugendkulturellen Fragen oder tritt als CEO seines Labels „Catch the Beat“ in Erscheinung. Im Beisein eines Bauernomlettes mit zwei Eiern führten wir mit Falk ein Gespräch über die Distanz zwischen Rapper und Journalist, homosexuelle Punchlines, Money Boy als König der Subversion und Pantera.

Interview: Julia Gschmeidler & Thomas Kiebl
Fotos: Daniel Shaked

The Message: Wer deinen Social-Media-Beiträgen folgt, erkennt, dass du der „Swag-Rap“-Bewegung sehr positiv gesinnt bist. Was feierst du daran?
Falk Schacht: Dieser „Swag-Rap“ ist neu und anders, so etwas gab es auf Deutsch noch nicht. Das finde ich sehr aufregend und faszinierend. Ich finde neue Entwicklungen immer spannend. Das kann von der Stimme oder von der Art der Präsentation sein. Bei LGoony habe ich zum Beispiel den Eindruck, dass der eine 90er-Jahre-Battle-Rap-Kool-Savas-Attitüde in dieses Cloud-Rap-Schema reinbringt. Dann hat er noch das Politische und Medienkritische dabei …

Inwiefern medienkritisch?
Es gibt Tracks wie „Lüge der Medien“, die sarkastisch und satirisch gemeint sind. Dort erzählt er, dass Schwerkraft eine Lüge der Presse ist. Aber er ist einer von den Guten, da muss man sich keine Sorgen machen von wegen Lügenpresse oder so. Und mit dieser Medienkritik verfolgt er einen Ansatz, der ihn vom amerikanischen Cloud-Rap unterscheidet. Wenn das nur stumpf kopiert wäre, fände ich das langweilig. Aber die Jungs haben eigene Facetten und Sichtweisen hineingebracht. Und dann finde ich es gut.

Wie findest du dann „Choices“ von Money Boy, hinsichtlich der Eigenständigkeit?
Zunächst könnte man den Track als eine Parodie einordnen, was an sich keine schlechte Sache ist. Aber vor allem entscheidend finde ich, dass der Original-Song von E-40 schlecht ist. Der flowt nicht gut auf seinem eigenen Song. Money Boy flowt viel besser darauf. Im Endeffekt ist es aber Geschmackssache. E-40-Fans werden das anders sehen. Nur haben sie nicht recht.

Wenn man als Journalist gleichzeitig Fan ist: Wie schwierig ist es, eine kritische Distanz zu wahren?
Vielen Menschen fällt das schwer, mir glücklicherweise nicht. Ich gehe eher kritisch mit Leuten um, die ich gut finde. Wenn es jemand wert ist, beschäftige ich mich intensiv mit ihm. Und nehme ihn dann härter ran. Man merkt also: Wenn ich jemanden richtig beschissen behandle, dann mag ich den.

Wie lässt sich das mit deinen Social-Media-Aktivitäten vereinbaren, wenn du regelmäßig Selfies mit Rappern postest?
Ich würde keinen Rapper einen Freund nennen. Das wäre zu hoch gegriffen als Definition. Aber sehr gute Bekannte vielleicht. ich begleite sehr viele bereits seit Jahrzehnten. Und da ist natürlich eine Vertrautheit, die wächst. Man hat ja auch Geschichte und Erfahrungen miteinander. Und natürlich macht man dann auch mal Fotos. Das gehört zu diesem modernen Social-Media-Zeitalter. Aber ich mache zum Beispiel viel weniger Fotos als ich könnte. Ich habe schon sehr vieles einfach nicht fotografiert, weil ich es hier und da selber auch affig finde. Was man auf den Social-Media-Seiten sieht, ist auch nicht die Realität. Wenn ich da ein Foto hochlade, dann ist das ein Moment aus meinem Leben. Aber ich schleppe ja auch die Einkaufstasche aus dem Supermarkt, oder pumpe mein Fahrrad auf. Und diese mehrheitlich vorkommenden Momente poste ich ja nicht.

Die Botschaft nach außen ist allerdings eine andere.
Deshalb finde ich, dass es in der Schule dringend ein Medienkunde-Fach geben muss. Über Jahre hinweg. Dort müsste man lernen, wie Medien entstehen. Wie arbeitet eine Redaktion? Welche Entscheidungsprozesse führen zur Auswahl von Nachrichten? Wie funktioniert die Wahrnehmung von Medien und wie ändert diese sich durch den Druck der Digitalisierung. Nur so könnte man garantieren, dass man verantwortungsbewusste Mediennutzer heranzieht, die nicht als Erstes „Lügenpresse“ brüllen, wenn ihnen was nicht passt. Sie wüssten das dann auch, dass man die Fotos, die ich poste, nicht überbewerten sollte. Wenn ich ein Foto mit jemandem mache, heißt das nicht, dass ich alle seine Texte gut finde. Oder seine ganze Musik. Bei Money Boy gibt es viele Lieder, die sind für mich Schrott, die kann ich nicht hören und die interessieren mich nicht. Und trotzdem finde ich ihn als Figur gut. Er ist so was wie der Torch der jetzt 20-Jährigen. Klingt verrückt, aber es kommt seiner Swag-Pionier-Rolle recht nahe.

Wie stehst du zum Vorwurf, Kritik in den Deutschrap-Medien komme zu kurz?
Ich kann das auf eine Weise nachvollziehen. Das liegt an neuen Refinanzierungsprozessen, die den Journalismus insgesamt verändern. Und an neuen Spielern, wie RapUpDate, die einen anderen Ansatz verfolgen und damit Erfolg haben. Das hat viele Medien zum Nachdenken über ihre eigenen Formate gebracht. Viele überarbeiteten ihr Angebot und passen sich dem RapUpDate-Druck an. Die Frage ist, inwiefern sich diese neuen Spieler selbst als Journalisten sehen. Ich habe kürzlich einen Podcast von den RapIST.net-Leuten gehört. Da meinten sie, sie würden keinen Journalismus betreiben, weil sie den Begriff zu wertvoll finden.

Falk Schacht by Daniel Shaked © 2016-7528Wie stehst du zu Clickbaiting – also dem Prozess, höhere Zugriffszahlen und damit mehr Werbeeinnahmen durch Internetwerbung zu erzielen?
Das ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits finde ich es extrem ekelhaft. Andererseits bin ich selber Nutzer und merke, wie diese Schlagzeilen in mir einen Klickwunsch auslösen. Es herrscht ein wahnsinniger Refinanzierungsdruck. Die Kollegen müssen von irgendetwas leben. Durch diese digitale und mediale Entwicklung wurden die Entscheidungsprozesse einer Redaktion in das Wohnzimmer der Nutzer verschoben. Ohne dass diese sich darüber im Klaren sind. Wenn die Nutzer die ganze Zeit Katzenfotos liken, lernt das Medium: Katzenfotos sind super! Dann postet das Medium immer mehr Katzenfotos. Wenn das Medium Texte, die kritisch und komplex sind postet und dann bemerkt, dass es dafür viel weniger Likes bekommt, dann lernt das Medium folgendes: Poste inhaltslosen Dreck und du hast Erfolg. Die Entscheidungsgewalt ist durch die Digitalisierung jetzt zu 100 Prozent bei den Usern. Die entscheiden, wo die Geldflüsse hingehen. Absurd wird es dann, wenn diese „Lügenpresse“-Vorwürfe kommen. Das ist alles sehr verrückt. Die einzig sinnvolle Lösung wäre nicht nur Radio und TV, sondern auch andere Medien gebührenfinanziert erstellen zu lassen.

„Poste inhaltslosen Dreck und du hast Erfolg“

Wie sollten Internet-User diesen Mechanismen gegenüber sensibilisiert werden?
Wenn es in der Schule das Medienkunde-Fach gebe. Dort müssten die Bürger über ihre Verantwortung sensibilisiert werden. Ich merke sehr oft in Diskussionen, dass der Großteil null Ahnung hat. Aber immer ganz weit vorne dabei mit der Klappe am Kritisieren. Woher sollen sie es jetzt auch wissen?

Im vergangenen Sommer schrieb der Journalist Samir Köck von der Tageszeitung Die Presse eine fragwürdige Kritik zu einem HipHop-Festival in Wien. Du hast dich damals dazu geäußert. Wäre eine Kritik, wie die von Köck, in einer solchen Tonart im medialen Mainstream Deutschlands denkbar?
In dem Extrem und mit der nationalistischen Note nicht. Allerdings existieren abwertende Beurteilungen von Rap in deutschen Medien. Für den Spiegel war Rap lange Zeit ein Schmuddelkind, Kritikpunkte wie explizite Sprache wurden immer betont. Mit dem Absurdum, dass bei Heavy Metal und Death Metal, wo die Sprache genauso wenig zimperlich ist, das alles kein Problem war. Nur konnten sie mit Metal etwas anfangen, im Gegensatz zu Rap. Das erleichterte die Kritik. Von diesem Jeannée (Krone-Kolumnist, Anm.) habe ich ebenfalls einige Sachen gelesen. Solche Texte würde es in Deutschland nicht geben, die sind zu hart.

Was ist mit Franz Josef Wagner von der Bild?
Okay, aber der schreibt nicht über Rap.

Michael Jeannée auch nicht.
Gut, der ist einfach nur Braindead. Auf den deutschen Musikjournalismus bezogen, sind Texte wie von Köck undenkbar. Du hast in Deutschland auch das Phänomen, dass mediale Plätze blockiert sind. In Österreich ist das nicht anders: Du hast die alten Medienfürze, die sich überhaupt nicht auseinandersetzen mit moderner, zeitgenössischer Kultur. Die einfach nur „anti“ sind und ihren Anti-Rotz in die Welt pusten. Die können das machen, weil sie sehr stark in ihren Netzwerken eingebunden sind und keine Konsequenzen fürchten müssen. Es fällt mir schwer zu glauben, dass so was in Deutschland auf Dauer funktionieren würde.

Die letzten Wochen standen im Zeichen des berühmt-berüchtigten Fler-Backspin-Interviews. Du hast einen Kommentar dazu verfasst, bei dem Stimmen laut wurden, dass du die Situation zur Selbst-Promo ausnützen würdest. Wie stehst du dazu?
Kann ich nachvollziehen, aber: Fler erwähnte mich im Interview mehrfach und meinte, dass ich seinen Punkt verstanden hätte. Daraus haben viele Nutzer interpretiert, dass ich seiner Meinung wäre. Ich wurde dann bombardiert mit Anfragen, wie ich zu Fler stehe und wovon er eigentlich erzählt. Bevor ich jedem Einzelnen persönlich antwortete, entschied ich mich, dieses Statement zu schreiben. Eigentlich hatte ich nicht Lust, mich einzumischen. Weil diese Diskussion uralt ist. Die gibt es im HipHop seit 1979, seit „Rapper’s Delight“ von der Sugar Hill Gang. Was ich in meinem Statement nicht hineingeschrieben habe, war die zentrale Frage, warum das nicht aufhört und seit bald 40 Jahren in jeder Generation als Streitpunkt auftaucht. Ich bin davon überzeugt, dass die Grundlage eine Gerechtigkeitsdebatte ist. Damals wie heute bei Fler: Das sind Leute, die sich ungerecht behandelt fühlen, weil Pop gepusht wird und nicht ihre „reale“ Musik. Das finden die nicht gerecht. Und dann haben die Popper sogar noch Erfolg. Das finden die erst recht nicht gerecht. Deswegen taucht das immer wieder auf, weil Pop-Inhalte es immer einfacher haben werden als Hardcore-Inhalte. Pop ist das Katzenfoto der Musikindustrie.

„Pop ist das Katzenfoto der Musikindustrie“

Sollte in Interviews mit Rappern kritischer nachgehakt werden?
Ich habe ein zwiespältiges Verhältnis dazu. Bei einem Fler-Interview wurde mir vorgeworfen, dass ich unkommentiert Flers Aussage, er würde Böhmermann schlagen, stehen gelassen habe. Stefan Niggemeier (dt. Medienjournalist, Anm.) meinte, so dürfe man nicht vorgehen, man müsse etwas dagegen sagen. Aber warum? Weiß Fler nicht, was er da tut? Weiß Jan Böhmermann nicht, was er da tut? Weiß die Redaktion, die es veröffentlicht hat, nicht was sie da tun? Du hast diese Leute plus die Anwälte dahinter, die sich um die rechtlichen Belange kümmern, sowie den Leser, der wahrscheinlich weiß, dass es nicht okay ist – warum muss dann das Offensichtliche von mir als Journalist noch mal extra erklärt werden?

Was ist deine präferierte Vorgehensweise bei Interviews?
Ich verfolge den Ansatz, dass ich unvoreingenommen wissen will, was jemand zu sagen hat. Ich will mehr davon wissen. Und meine eigene Meinung auslassen, weil ich seine Sichtweise zu dem Thema hören will. Es geht um ihn, nicht um mich.

Kommt nicht zuletzt auf das Medium und die Zielgruppe an. Wenn du überwiegend Teenager bedienst und dann Hirngespinste über ein angebliches Hausverbot von Massiv in Tel Aviv, um ein Beispiel zu nennen, stehen lässt, halte ich das für gefährlich.
Ja, aber wenn sich der Ansatz ändert, ändert sich auch dein Publikum. Ich glaube nicht, dass ein Medium wie TV Strassensound, wenn die einen kritischeren Weg einschlagen würden, die gleichen Leute bedienen würden. Dann würden die Älteren kommen, und die Teenies gehen weg, weil die das langweilig finden. Zudem ist das alles kein richtiger Journalismus. Das sind einfach Leute, die Bock haben, etwas zu machen. Die machen Gesprächsformate. Geben die selber zu.Falk Schacht by Daniel Shaked © 2016-7531

Die Grenze zwischen Unterhaltung und Journalismus ist bei den Deutschrap-Medien eine zunehmend fließende.
Stimmt, aber das ist Musikjournalismus. Und nicht Politikjournalismus. Da würde ich komplett andere Standards und Erwartungen ansetzen. Aber ich befürchte, ich habe da eine sehr persönliche und wahrscheinlich eher seltene Sichtweise. Am liebsten würde ich nur dokumentarisch sehen, was passiert. Ich brauche und will niemanden, der mir etwas einordnet. Ich mache das selber. Du hast auch noch das Problem, dass viele Rapper nicht selber über sich lachen können. Und dann kann es dir passieren, dass einfach kein Rapper mehr zu dir ins Interview kommen will.

Dann müssten die Musiker lernen, dass sie mitmachen müssen, obwohl es nicht so angenehm ist.
Bin ganz bei dir, dass sie das lernen müssten. Aber am Ende sitzen die am längeren Hebel. Da kannst du so viele Erziehungsmaßnahmen setzen wie du willst.

Bushido hat in seinem Buch „Auch wir sind Deutschland“ geschrieben, dass die deutsche HipHop-Szene in den 90er-Jahren keinen Bock auf Ausländer hatte und du klipp und klar gesagt hast, dass du keinen Bock auf ihn hattest.
(lacht) Habe ich gelesen und mit ihm darüber gesprochen. Das ist eine sehr verkürzte Darstellung, die er in dem Buch verwendet hat. Das bezieht sich auf dasselbe, was ich bei diesem Fler-Ding geschrieben habe: Als Aggro Berlin ins Spiel kam, hatte ich ein Problem damit. Ich fand das scheiße, ich hatte keinen Bock darauf. Ich habe tatsächlich ein Jahr lang immer wieder Angebote bekommen, die in die Sendung einzuladen. Ich habe abgelehnt, weil ich die Relevanz und das Thema nicht sehen wollte. Ich begriff nicht, dass ich Unrecht habe und Mist baute. Es gibt dieses berühmte erste Interview von Fler, Bushido und mir, wo man ganz klar merkt: Wir finden uns gegenseitig scheiße. Erst im Verlauf der folgenden Jahre habe ich angefangen zu realisieren, dass ich Unrecht hatte.

Wie kamen die Rapper von Aggro Berlin darauf, dass du keinen Bock auf Ausländer gehabt haben sollst?
Das ist kompletter Bullshit. Ich hatte keinen Bock auf diese Typen. Das hatte aber nichts mit Nationalitäten zu tun. Es ging mir darum, dass diese Form von HipHop meinen HipHop gefickt hat. Das ist eine Tatsache. Ich begriff damals nur nicht, dass es nicht nur eine Form von HipHop gibt.

Wenn du all die Jahre betrachtest: Welchen Stellenwert würdest du HipHop in der deutschen Gesellschaft zuschreiben?
Einen enorm starken und immer stärker werdenden. Du hast die Kids, die in den 90er-Jahren HipHop gehört haben, heute im Beruf stehen und Verantwortung tragen. Wenn ich einen Marketingleiter von irgendeiner Firma kennenlerne, der dann Texte von den Beginnern zitieren kann, merke ich das. Der verfolgt HipHop vielleicht nicht mehr aktiv, ist aber gegenüber den neuen Sachen nicht abgeneigt – beziehungsweise weniger abgeneigt als die Death-Metal-Hörer vom Spiegel. Solche Situationen zeigen mir, wie krass HipHop in die Gesellschaft hineingewachsen ist. HipHop ist in Deutschland momentan so groß wie nie zuvor.

„HipHop ist in Deutschland momentan so groß wie nie zuvor“

Denkst du, dass diese HipHop-Blase in Deutschland einmal platzen könnte?
Nein. Es wird eine Phase geben, wo sich Kids mehr für andere Sachen interessieren werden, aber HipHop wird immer weiterwachsen. Deutschrap ist nach dreißig Jahren immer noch da. Durch dieses Social-Media-Ding werden Qualitäten von Rappern nach vorne gespült, die vorher keine Spielfläche hatten. Wie Frauenarzt meinte, dass er von vielen Rappern die Interviews guckt, aber deren Musik nicht hört. Dieses Seifenopern-Ding ist eine Form von Unterhaltung, die es in keinem anderen Genre so gibt. Im Techno willst du nur feiern, dort gibt es nicht dieses Dauerentertainment, wo sich Leute gegenseitig dissen.

Ein Beispiel für die kritische Beziehung zwischen Deutschrap und dem Establishment war die Verleihung des Integrations–Bambis an Bushido.
Kritisch war, wie man mit ihm umgegangen ist. Die Motivation dieses Verlages muss man überhaupt erst infrage stellen: Die wollten keinen für Integration auszeichnen, denen ging es nur um Reichweite. Dann holt man den und merkt, dass das komplette Establishment keinen Bock auf Bushido hat. Mit der Konsequenz, dass man ihn alleine im Regen stehen lässt. Das sagt viel, viel mehr über den Verlag und das Establishment aus als über Bushido. Er hat an der Stelle gesehen, dass er sich zwar bemühen kann, Teil dieser Gesellschaft zu sein, er aber nie akzeptiert wird. Als Folge daraus ging er in den „Sonny–Black–Modus“ zurück und ist heute erfolgreicher als je zuvor. Da muss man sagen: Das ist ein gescheitertes Zeichen von Integration. Die ganzen Medien haben Bushido kritisiert, sind aber nicht besser als er. Ihm andauernd zehn Jahre alte Textstellen vorzuwerfen, ist nicht gerecht. Und wenn sein Bemühen nicht anerkannt wird, sagt er erst recht: „Fickt euch doch!“. Wenn die Gesellschaft jemanden erziehen will, haben sie in diesem Fall versagt.

Hast du kein Verständnis dafür, dass manche Leute Bushido reservierter begegnen, wenn du etwa an seinen kontroversiellen Twitter-Avatar („Free Palestine“) denkst?
Okay, aber man kann sich mit ihm auseinandersetzen und zuhören, was er zu dem Thema zu sagen hat. Aber das ist eine ganz andere Baustelle. Zudem: Die verleihen ihm den Preis für Integration, gleichzeitig versagt man bei der Integration. Das ist absurd.

Wenn ein „Everybody’s Darling“ wie Peter Maffay dann noch gegen Bushido Stellung bezieht, ist klar, wo die Sympathien verteilt sind.
Richtig, wobei Peter Maffay ein besonderer Fall ist. Der hätte einfach zu Bushido stehen können. Nur hatte er Schiss, dass Eltern mit ihren Kindern nicht mehr zu seinem Tabaluga-Theater gehen, wenn er sich zu Bushido bekennt. Das ist eine rein wirtschaftliche Entscheidung gewesen. Wenn er wirklich der Rocker wäre, den er immer verkörpern wollte, hätte er sagen können: „Ey, vor dreißig Jahren habt ihr mich ausgebuht, weil ich Rocker war und konntet mich nicht leiden – lasst mal die Kinder in Ruhe!“. Gerade er als arrivierter Künstler hätte die Möglichkeit gehabt, zur Entspannung aufzurufen. Er hat das sogar für einige Zeit probiert. Aber er hat gemerkt, dass der Widerstand sehr groß ist und knickte ein.

War dieser Vorfall Deutschland-spezifisch?
Nein, das ist menschlich und kann in jedem Land der Welt so vor sich gehen. Da sind wir wieder bei diesem Gerechtigkeitsding: Diese Leute haben keinen Bock auf Leute, die von unten kommen und sich hocharbeiten – wie so häufig mit Ellenbogen und Kanten, um die Aufmerksamkeit zu bekommen. Und so groß ist der Unterschied zu ihnen selber auch nicht. Das ist das Ekelhafte für mich: Die arbeiten genauso mit Ellenbogen, Egoismus, Neoliberalität und „Mach doch deinen Scheiß!“. Da sind wir ganz schnell bei Sozialrassismus und Rassismus. Die wollen vom „Ausländer“ in Ruhe gelassen werden.

Wobei Bushido gar kein Ausländer ist.
Das ist der Gag dabei. Ich habe das letztens in einem anderen Interview „Neo-Deutsch“ genannt. Als ich gefragt wurde, ob Haftbefehl deutscher Rap sei. Natürlich, der ist doch Deutscher. Die meinten dann, dass er kein reines Deutsch spreche. Wo ist das Problem? Er spricht ein neues Deutsch, er bringt seine eigene Sprache mit und erweitert die. Ich finde das super. Sollen sich nicht alle einkacken.

Wenn man Haftbefehl und seinen Azzlackz-Kollegen abspricht, kein Deutsch zu sprechen: Inwiefern ist das rassistisch?
Das ist rassistisch, aber die Frage war unüberlegt gestellt. Der Reporter wollte nicht rassistisch sein. Dennoch existieren Menschen, die unüberlegt rassistisch sind. Das ist ein bisschen menschlich. Der Mensch an sich ist dumm.

„Der Mensch an sich ist dumm“

Andererseits sehen sich viele Straßenrapper selbst als Afghane, Libanese oder Kurde und weniger als Deutscher.
Es wird aber nicht belohnt, wenn er sagen würde, er wäre Deutscher. Würden die Deutschen sagen: „Voll geil, dass du dich als Deutscher siehst!“. Nein. Die würden ihn weiterhin als „Kanacken“ abstempeln. Dadurch wird etwas verfestigt. Wenn man das anerkennen würde, dass jemand in Deutschland lebt, die Sprache spricht, in dieser rappt und seine Steuern in Deutschland zahlt, wäre es etwas anderes. Aber das findet nicht statt.

Auf welche Weise unterscheidet sich das vom Fußball? Özil, Khedira oder Klose werden als Deutsche gesehen.
Oberflächlich haben die Leute kein Problem. Aber selbst dort findest du Leute, die sagen „Özil, du sollst für die Türkei spielen!“. Hinzu kommt: Fußballer sind in der Gesellschaft anders angesehen als Rapper. Wenn der die Weltmeisterschaft holt, klopfst du sogar dem Türken auf die Schulter. Doppelmoralisten halt.

Wie stehst du zum Vorwurf, Straßenrapper würden das negative Bild von Migranten erst verstärken?
Ja, natürlich tut es das, wenn ein Haftbefehl vom Drogenverkauf rappt. Da gibt es kein richtig oder falsch, das eine kommt mit dem anderen, man kann es nicht trennen. Wenn das in seinem Alltag vorkommt, soll er darüber rappen. Dass solche Texte bei manchen Menschen Vorurteile bestärken, kann ich nachvollziehen. Wenn Menschen mit etwas ein Problem haben, sollten sie es aber nicht pauschal schlecht abstempeln. Sondern sich fragen, woher das kommt? Warum existiert dieser Drogenhandel, von dem Hafti rappt? Und dann sollten sie reflektieren, welchen Anteil sie selbst daran haben, dass so etwas existiert. Aber leider wird zu gerne sofort verurteilt. Da schließt sich ein bisschen der Kreis zu meiner Form von Journalismus: Ich könnte den übelsten Diktator und Verbrecher interviewen, weil ich seine Motivation verstehen will. Und natürlich könnte ich dem die ganze Zeit sagen, was für ein Huso er ist. Aber mein Ansatz, den ich als viel spannender erachte, ist die Frage nach dem „Warum“. Ich möchte verstehen, wie der tickt. Nur dann finde ich einen Weg, wie man dagegen vorgehen kann.

Falk Schacht by Daniel Shaked © 2016-7504

Wie erklärst du dir deine Entwicklung hin zu einer Koryphäe des Deutschrap-Journalismus?
Bin ich das? Keine Ahnung. Ich stamme aus einer Zeit, in der ich medial fast alleine gewirkt habe. Ich habe 2001 zwei Fernsehsendungen gemacht, als es nur Fernsehen gab. YouTube kam erst um 2006. Da habe ich definitiv ein bis zwei Generationen geprägt. Ich war auch der Erste, der HipHop-Internet-TV gemacht hat. 2006 haben wir damit angefangen. Damals gab es niemand anderen, der jede Woche zwei Videointerviews veröffentlicht hat. Heute kannst du Binge Watching machen, weil es 14-Jährige gibt, die von ihren Eltern zu Interviews mit Rappern gefahren werden. Und eventuell merken die Leute auch, dass ich ein bisschen was weiß von diesem ganzen HipHop-Kram. Ich stehe auch als Vermittler zwischen den Generationen. Auf meinen Deutschrap-Partys läuft Advanced Chemistry und Too Strong gleichberechtigt neben Haftbefehl und Yung Hurn. Ich bin mehr als eins.

Welchen Tipp würdest du heute Musikjournalisten geben, die einen ähnlichen Ansatz wie deinen verfolgen wollen?
Lass es sein, mach etwas Anständiges, geh BWL studieren oder spiel Lotto. Ich selber mache auch viel mehr als Journalismus. Das hat auch viel mit Spaß an der Freude zu tun. Ich will ein Label führen, ich will auflegen, ich will Kunst bewegen. Aber wenn du nur seriösen Journalismus machen willst oder nichts anderes kannst: Vergiss es.

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Lässt sich auf den generellen Journalismus übertragen.
Journalismus hat ein generelles Problem. Deshalb die These, dass wir bald GEZ-artige Gebühren für geschriebenen Journalismus brauchen, damit der überhaupt überleben kann. Denn mit den Werbeeinahmen geht nur Entertainment, Entertainment, Entertainment.

Wie stehst du zum Vice-Journalismus?
Ich habe Vice 2001 in New York das erste Mal gelesen. Ich fand die ganze Aufmachung sehr cool, es war anders: provokante Fotos und Storys abseits des Mainstreams. Dafür schätze ich Vice sehr. Ich kann zwar nicht jeden Artikel auf Vice unterschreiben, aber finde die immer noch gut. Jedes Medium schreibt mal Scheiß-Artikel. Auch ich.

„Jedes Medium schreibt mal Scheiß-Artikel. Auch ich“

Wie viel Musik aus Österreich bekommst du mit?
Sehr wenig. Liegt an der Medienlandschaft, wo ihr von The Message die Einzigen auf weiter Flur seid. Wenn du etwas über österreichische Musik in Deutschland erfährst, hat das bereits Relevanz. Da sind wir ganz schnell bei Leuten, die in Österreich gar nicht respektiert sind. Das mag sich mittlerweile gewandelt haben. Aber früher hieß es bei RAF Camora, Nazar oder Chakuza, dass die in Österreich nicht den größten Respekt genießen. Eure Mainstream-Medien haben die Pflicht, eure Künstler darzustellen. Oder ihr müsst eigene Medien etablieren. Das ist kompliziert, aber ein wichtiger Bestandteil, warum deutscher Rap nie untergegangen ist: Weil es eigene Medien gab, die in der schwierigen Phase weiterhin über Deutschrap berichtet haben. Man brauchte die etablierten Medien nicht. Ich habe gehört, dass in Österreich FM4 und der ORF immer mehr Bock auf HipHop haben und etwas darüber machen. Zunächst international, aber längerfristig wird das Einflüsse auf österreichischen Rap haben. Ösi-Rap muss dann nachziehen, denn mit einem 90er-Jahre-Boom-Bap-Sound wird es schwer werden. Nicht Pop, aber bisschen moderner und dem Zeitgeist entsprechend. Wenn in Österreich etwas erfolgreich ist, landet es sofort in Deutschland. Zum Beispiel Yung Hurn. Der hat automatisch Resonanz in Deutschland bekommen.

Wie bist du auf Yung Hurn gekommen?
Ich habe das „Nein“-Video gesehen und mir gedacht: krass, übergeil. Das eine Wort „Nein“ bringt wunderbar das Lebensgefühl dieser Zeit auf den Punkt. Da ist dieser „Coming-of-Age“-Lifestyle und dieser Wiener Schmäh drinnen, was ich gerne mag. Das ist eine Kodierung, die es noch toller macht. Die Reduzierung des Textes ist super. Nach all den Doubletime-Raps, Achtfach-Reimen und Flow-Variationen sind technisch kaum noch Innovationen möglich. Und Yung Hurn spielt da nicht mit, sondern reduziert das Ganze. Das ist zugleich die Kritik daran, dass textlich wenig Substanz vorhanden ist. Aber mit Absicht! Das ist progressive Musik, es tritt Ärsche und Eier. Finde ich super.

„(Yung Hurn) tritt Ärsche und Eier“

Hinkt die deutsche Rapszene in der Akzeptanz solcher Sachen noch hinterher, wenn man dies mit den USA vergleicht, wo ein Future zu den gehyptesten Rappern der Gegenwart gehört?
Das ist vor allem ein Generationenkonflikt. Die „Alten“ sagen: „Sorry, dafür habe ich jetzt nicht zehn Jahre an meiner Technik gefeilt. Dass jetzt ein Typ kommt, dreimal „Nein“ sagt und einen Hit landet“. Die verstehen das nicht und haben keine Akzeptanz dafür. Aber heute kann alles parallel existieren! Ich kann Hulk Hodn genauso feiern wie Yung Hurn. Ich würde es saugeil finden, wenn die sich alle gegenseitig feiern würden. Yung Hurn feiert auf jeden Fall Retrogott. Ob Retrogott damit klarkommt, ist die Frage. Aber das ist ein Aspekt, den ich an den ganzen Swag-Rappern so geil finde: Die haben alle Backpack-Rap gemacht. Jetzt machen die etwas anderes und für sie ist das kein Widerspruch, Backpack zu feiern und ihre Art von Musik zu machen. Nur die Alten finden das schlimm. Diese Jungs sind deswegen mit das Tollste, was es im Rap gibt. Weil die so unfassbar reif und erwachsen sind, für das alte und das aktuelle Liebe empfinden zu können. Während die Alten nur sich selbst lieben können. Das ist so stumpf, eindimensional, borniert und nicht erwachsen. Die Kids sind einfach gute Menschen. Von ihrer Attitüde her, die haben keine Probleme: kein Problem mit Gangsta-Rap, mit Backpack-Rap, mit Schwulen. Die sind in weiten Teilen tolerant. Niemand stört sich in dieser Szene an Juicy Gay. Die feiern den und nehmen den für voll. Da soll das Ganze hin, denn das ist Normalität.

Ist es für dich etwas Außergewöhnliches, wenn ein Rapper wie Juicy Gay offen seine Sexualität thematisiert?
Mir ist das erst mal egal, wo der seinen Penis reinstecken möchte. Was ich spannend finde ist, wie andere darauf reagieren. Und wie er es in Battles einsetzen kann, um andere damit zu schocken. Das finde ich reizvoll.

Wo ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Sextext eines Homosexuellen und einem Battlerap-Text, in dem Beischlaf mit dem Vater des Kontrahenten vollzogen wird?
Das ist ein Schwachpunkt von bisherigem Battlerap, in den Juicy Gay perfekt reinspringt. Wenn er in einem Battle sagt „Ich ficke dich in den Arsch“ hat das eine unfassbar krassere Punchline-Qualität als bei jedem heterosexuellen Battle-Rapper. Weil er nicht nur könnte, sondern es wirklich gerne umsetzten würde. Währenddessen es der größte Alptraum seines Gegners wäre. Deswegen finde ich das todesamüsant, wenn er mit seiner Sexualität auf eine solche Weise spielt.

Du hast in einem Interview ein Sick-Of-It-All-T-Shirt getragen. Wie ist deine Verbindung zur Hardcore-Szene?
Ich hatte relativ lange keinen intensiven Kontakt zur Szene. Wirklich Intensiv war das in den frühen 90er-Jahren. Ich arbeite jetzt aber an drei Mixtapes, wo ich alle meine Rocksachen mixe, die ich cool finde. Geht von Alternative zu Hardcore zu Punk zu Metal und so weiter. Ich war in dieser Szene unterwegs, weil es in meiner Jugend keine HipHop-Szene gab, in der ich sein hätte können. Meine Freunde waren alle in der Hardcore-Szene. Ich bin mit denen auf die Konzerte gegangen und habe meine Lieblingsbands gefunden. Mein Einblick in die Kultur war aber niemals annährend so tief wie in HipHop.

Gibt es bei dir Zeiten, in denen du keinen HipHop hören kannst?
Schon, aber ich höre eigentlich immer Beats. Selbst „Walk“ von Pantera ist für mich ein HipHop-Beat, wenn du dir den Drummer anhörst. Ob da Gitarren dabei sind, ist eigentlich unerheblich. Dieser Modus ist immer bedient. Sogar wenn ich Psychedelic-Rock höre. Entweder sind die Melodien super und ich will sie samplen, oder es ist ein fetter Drum-Groove, der HipHop-mäßig ist. Was ich häufig nicht brauche, ist Rap. Wenn ich arbeite, brauche ich keine Stimme. Dann brauche ich nur Beats.

Weil du jetzt Pantera angesprochen hast: Deren Sänger Phil Anselmo stand zuletzt in der Kritik, weil er bei einem Konzert den Hitlergruß gemacht sowie „White Power“ gerufen hat. Hat das irgendwelche Auswirkungen, wie man selbst die Musik dann betrachtet?
Ich habe auf Staigers Hochzeit ein Rock-Set gespielt und wollte auch Pantera spielen. Also habe ich ihn vorher gefragt, ob er als Antifaschist ein Problem damit hätte. Er meinte, es juckt ihn nicht. Und mich auch nicht. Ich packe das auch auf mein Mixtape drauf. Phil Anselmo ist ein Arschloch, aber ich kann Kunst vom Kunst-Erschaffer trennen. Der Song ist gut und fertig. Wenn das Lied gewinnt, ist mir die Person dahinter egal. Die Musik nicht zu hören, weil der Erschaffer schlecht ist, fände ich übertrieben. Außer wenn jetzt im Songtext Nazi-Inhalte zu hören wären. Ich kann verstehen, wenn ein öffentliches Medium sagt, dass sie das nicht wollen, weil sie sich nicht damit identifizieren können. Das ist okay. Genauso wenn Festivals bei Vorfällen Künstler ausladen. Wie Ten Walls, der gegen Schwule gehetzt hat und dann ausgeladen wurde. Wenn die Musik cool ist, kann ich mir die trotzdem privat anhören. Es betrifft nicht meinen Alltag: Der Künstler kann Schwule hassen, ich hasse sie aber nicht. Es geht mir immer nur um den Song. Der Song gewinnt immer gegen die Dummheit des Künstlers.

„Phil Anselmo ist ein Arschloch“

Welche Meinung vertrittst du zur aufkommenden Popularität des Hakenkreuzes im US-Rap?
Ich verstehe, dass Leute sich darüber aufregen. Ich rege mich nicht darüber auf. Weil ich weiß, dass das nur bloße Pose ist. Es gibt einen Film aus den 70er-Jahren namens „Black Gestapo“. Die Leute verstehen bis heute nicht, warum es diesen Film gibt. Dabei ist es ganz einfach: Die wollen provozieren. Genau das soll Kunst machen: provozieren, anecken und eine Auseinandersetzung anregen. Die Reaktionen darauf finde ich interessant.

Wie ordnest du dahingehend Favorites Video zu „Europas wichtigster Mann“ ein?
Die Frage ist immer, wie man mit Hitler provoziert. Favorite wollte provozieren und keine rechtsextreme Message verbreiten. Ich fand die Grundidee witzig, aber über die ganze Länge hinweg war es dann doch langweilig. Generell ist es wichtig, Adolf Hitler immer wieder zu verbraten. Es sollte aber deutlich werden, wie man zu Hitler steht. Wenn du positiv zu ihm stehst, sollte man merken, was für ein Pappenheimer du bist.

Sein Labelkollege Kollegah hat den Begriff „Untermensch“ populär gemacht, den man mittlerweile auf allen Schulhöfen antrifft. Fehlt es an Aufklärungsarbeit, dass es sich dabei eigentlich um einen Nazi-Begriff handelt?
Kompliziertes Thema. Ich verstehe, dass man das nicht haben will und nicht benutzen sollte. Aber genau an der Stelle sollte man das doch im Unterricht aufgreifen. Auch „Jude“, „Zigeuner“ und „Nigger“ werden ja benutzt. Also sollte man darüber sprechen. Woher kommen diese Begriffe? Was bedeuten sie? Und warum setzen sie Kids als Schimpfwörter ein?

Welche Verantwortung haben die Künstler?
Jeder Künstler sollte das machen, was er für richtig hält. Die Verantwortung hat er zunächst sich selber gegenüber. Dass allerdings Künstler und Menschen hierbei versagen, sehen wir jeden Tag. Dann muss man aufeinander zugehen und fragen, ob das unbedingt sein muss. Das funktioniert, wenn man an die „Nigger“-Diskussion Anfang dieses Jahrtausends denkt. Das Wort wurde dann zehn Jahre nicht mehr benutzt und kam dann plötzlich in einigen VBT-Battles 2012 zurück. Erneut entstand eine Diskussion um den Begriff, die sich über einige Monate hinzog. Und dann verschwand er auch wieder – mit einer Ausnahme: den Cloud-Rappern.

Money Boy benützt den Begriff gerne.
Wobei Money Boy bei mir ein solches Narrenfreiheits-Meta-Level freigespielt hat, bei dem er mittlerweile alles darf. Er (Money Boy) ist für mich der größte Hofnarr des HipHops in der Gesellschaft. Ich glaube, er ist sich der Dimension dabei auch nicht bewusst. Und vieles ist wahrscheinlich auch gar nicht als Kritik von ihm geplant. Aber anhand der Tabubrüche, mit denen er arbeitet, kann man wunderbar die Gesellschaft kritisieren. Zum Beispiel diese German-Wings-Witze. Das muss man ihm ganz groß anrechnen, so stumpf und geschmacklos es auch ist. Irgendwann machen Komiker Witze über den Absturz. Das steht außer Frage. Und die Leute werden dann auch darüber lachen. Aber Why SL Know Plug macht diese Witze am Tag des Absturzes, und alle sind empört. Die Frage, ab wenn es okay ist, Witze zu machen, muss gestellt werden. Und wenn man das kategorisch ausschließt, darf man niemals Witze darüber machen. Dabei ist Humor ein gesellschaftlicher Kitt. Deswegen ist Kunst in totalitären Systemen immer unterdrückt, weil Ideen den Tod eines totalitären Regimes bedeuten. Kunst weckt Ideen und Kreativität. Kunst ist aus diesem Grund subversiv und hat die Aufgabe, subversiv zu sein. Money Boy ist der König der Subversion: Weil er uns vor Fragen stellt, mit denen wir uns eigentlich nicht auseinandersetzen wollen. Weil die Antworten wehtun.

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