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„Für mich sind alle Leute Halbgötter“ // Amewu Interview

„Für mich sind alle Leute Halbgötter“ // Amewu Interview

Nach einem Ausflug in die Dubstep- und Grime Szene hat es den Berliner Rapper Amewu wieder zu seinen HipHop Wurzeln verschlagen und er hat letztes Jahr sein zweites Album „Leidkultur“ veröffentlicht. Neben der Musik engagiert sich der Musiker vor allem bei Musikworkshops auf der ganzen Welt, beteiligt sich an Demos und Solidaritäts-Jams und will dabei einfach nur Mensch sein. Über seine Tätigkeiten am Goethe-Institut, sein politisches Interesse, zunehmenden Zynismus im Rap und sein zweites Ego „Halbgott“ mehr im Interview mit The Message.

TM: Du arbeitest unter anderem mit Gris und Nico Hartung gemeinsam beim Tuned-Jugendprojekt, aber auch mit Migranten und behinderten Kindern zusammen. Was bedeuten dir diese Projekte?
Amewu: Ich hab halt sehr früh den Wunsch gehabt das zu machen, weil ich gemerkt habe, dass Rap mir sehr viel gegeben hat in meinem Leben. Also dass ich sehr viele Dinge damit verarbeiten konnte, ich wollte das einfach schon sehr lange an Jugendliche und Kinder weitergeben als Werkzeug, weil ich denke, dass man damit Probleme lösen kann.

Du kannst ja auch was weitergeben, indem du deine Social Media Seiten nutzt, was du ja auch regelmäßig machst. Denkst du, dass du die Leute dadurch auch mit deinem Gedankengut beeinflussen kannst?
Klar. Ich würde das aber nicht von mir abhängig machen, jeder der irgendwas schreibt oder sagt, beeinflusst Leute.

Du warst im Rahmen des Translating HipHop-Projekts mit Chefket in Manila und hast einen Text von der einheimischen Gruppe Tondo Tribe übersetzt. Hast du dabei gefühlt, was die dortigen Rapper mit ihren Zeilen ausdrücken wollten?
Also speziell kann ich es nur zu dem Track sagen, den ich übersetzt habe. Da war das eigentlich relativ simpel zu verstehen, weil die Leute einfach von der Gesellschaft ausgeschlossen sind, entweder durch Armut, fehlende Bildung oder ihre Knastvergangenheit. Also das sind für mich schon Dinge, die man hier in Deutschland jetzt auch nachvollziehen könnte. Deswegen war das für mich relativ einfach nachzuempfinden.

Vor kurzem warst du über das Goethe Institut in Mosambik und Dhaka. Was hast du dort gemacht? Immerhin hast du gepostet, dass du dort fast von der Freundlichkeit getötet worden bist.
Also in Mosambik war ich wie gesagt wegen diesem Festival. Es war auf jeden Fall interessant, ich war ja komplett alleine da, nicht wie in Bangladesch. Und ja, in Mosambik war’s auf jeden Fall eine coole Erfahrung, besonders der Workshop, der jetzt nicht so ein Workshop war „Ich bin der Workshop-Leiter und erklär euch jetzt was über Rap“. Sondern da kamen sehr viele MCs hin in meinem Alter, wir haben uns eher so ein bisschen ausgetauscht. Die Gastfreundschaft in Dhaka ist auf jeden Fall auf einem anderen Level, als ich es bis jetzt erlebt habe. Die Leute erzählen sie würden für dich sterben, du darfst nie irgendetwas selbst bezahlen, das war schon eine sehr intensive Erfahrung.

Und was hast du am Goethe-Institut gemacht?
In Bangladesch haben die Festivals veranstaltet, bei denen es darum ging, seine Meinung zu äußern. Es ging darum, herauszufinden welche Meinung die Jungen zu bestimmten Themen haben und dass sie sich trauen, irgendwie ihre Meinung auzusprechen und dass das ein Ort ist, wo sie ihre Meinung frei sagen können. Wir haben dann mit Musikern von dort zusammengearbeitet, das war ein wenig Crossover-mäßig, also es waren eine Rockband und ein paar MCs da, mit denen wir dann auch einen Song aufgenommen haben. Das hat jetzt sogar noch Wellen geschlagen. Die hatten einen Unabhängigkeitskrieg und da haben sehr viele Kriegsverbrechen stattgefunden. Und die haben immer wieder versucht, die Leute vor Gericht zu bringen. Jetzt wurde einer lebenslänglich verurteilt und die haben sich dann bei uns gemeldet. Denn es gibt da gerade so eine Bewegung, die auch sehr von jungen Leuten geprägt ist. Dann hat sich die Band bei uns gemeldet, ob sie den Song für diese Bewegung benutzen können, weil es in dem Song auch um das Thema des Festivals ging, für seine Meinung einzustehen. Mein erster Impuls war so ja klar, aber dann habe ich mir das alles einmal durchgelesen und dann meinen die: nur damit du’s weißt, wir fordern die Todesstrafe für ihn, ich weiß nicht, wie du dazu stehst. Das Goethe-Institut lässt sich halt wirklich außen vor, weil sie ja wissen, was deren Meinung dazu ist. Da meinte ich halt: ja, da müsst ihr mich auch rausnehmen, ich kann nicht auf der einen Seite gegen die Todesstrafe sein und auf der anderen Seite sagen: benutzt meinen Song dafür. Wenn ich mir angucke, dass der Typ lebenslang dafür bekommen hat…Wenn man die Todesstrafe ausspricht, die härteste Strafe, die du jemanden geben kannst. Ich dachte zuerst er hätte einen Freispruch bekommen, oder eine sehr milde Strafe. Da meinten die zu mir: ja, das verstehen sie schon so, das Problem ist aber, jedes Mal wenn Wahlen sind und jemand anders an die Macht kommt, werden die Leute begnadigt. Das heißt es macht überhaupt keinen Unterschied, ob jemand lebenslänglich bekommt oder nicht. Weil der dann kurz in den Knast geht und demnächst wieder draußen ist und dass sie halt deswegen übergegangen sind, die Todesstrafe zu fordern. Was mich dann natürlich in den Konflikt bringt, weil ich das schon verstehen kann, wie man auf die Idee kommen kann die Todesstrafe zu fordern, aber ich finde es auch schlimm, dass es überhaupt notwendig ist. Dass das System so korrupt ist, dass du die Todesstrafe für jemanden fordern musst, weil er sonst immer wieder rauskommt aus dem Knast.

Das heißt sie wollten mit dem Song auch ein Zeichen setzen?
Ich schätze mal, dass die nicht nur einen Kriegsverbrecher da haben, sondern dass es nach so einem langen Krieg sehr viele Leute gibt und sie dieses Prozedere mit sehr vielen Leuten durch haben. Also dass die verurteilt werden und die die Strafe nie absitzen müssen. Ich kann mir vorstellen, dass sie das für sehr viele Letue da fordern, nicht nur für ihn. Ich konnte da jetzt nicht mein Okay geben. Trotzdem ist es halt ein bisschen schwierig, man merkt in so einem Momemt, dass alles nicht so einfach ist mit den Einstellungen und Meinungen.

Haben die vielen Reisen und unterschiedlichen Kulturen auch einen Einfluss auf deine Musik und deine Texte?
Es kommt halt immer drauf an, wohin ich reise. Einen Einfluss den es hat, ist, dass es mich auf jeden Fall mehr politisiert. Es ist ja nicht so, dass ich mich davor nicht für Poltik interessiert habe, aber manche Orte führen einen dann doch schon vor Augen, was alles nicht so okay ist. Wie wir schon global vernetzt sind und was das für Auswirkungen hat auf andere Länder. In Mosambik kommst du hin und siehst die Nachwirkungen von einem ziemlich langen Bürgerkrieg, der mit Kolonialismus zu tun hat. In Manila waren wir auch in Slums irgendwann. Dhaka ist nochmal ein ganz anderer Film, da sieht das Leben auf jeden Fall noch ganz anders aus. Da bekommt man einen Antrieb, man kommt zurück und will irgendwas verändern. Manchmal läuft es in die Leere, manchmal findet man direkt danach was, wie man sich engagieren kann. Die Reise nach Bangladesch hat mich sehr weit weggebracht vom Rapbusiness in der Form. Das kannst du in dem Moment überhaupt nicht mehr ernst nehmen.

Goethe war damals Mitglied der Illuminaten. Unter deinem Video zu “Demut” kann man über Verschwörungstheorien lesen und dass das Illuminaten-Newschool-Musik sei. Warum verbinden manche Zuhörer deine Texte damit?
Naja, ich hab ja mit meinen Videos bis jetzt noch relativ Glück. Da steht jetzt nicht immer der gleiche Schwachsinn drunter wie bei allen möglichen Rapvideos. Es gab da ein paar einzelne verwirrte Menschen. Ich hab auch so schon Leute in meinem Leben kennengelernt, die überall die Illuminaten sehen und auf Nummern und Zeichen hängen geblieben sind. Ich glaube, wenn man da irgendwas finden möchte, findet man’s auch. Manche Leute spielen ja auch damit. Wenn du dir das „23“ Album von Sido und Bushido reinziehst, ich mein es heißt 23 aber auf dem Cover und im Video sind überall irgendwelche komischen Zeichen, das ist dann spannend, wie viele sich das dann reinziehen und sich einen Kram auszudenken. Aber meine Musik hat da jetzt nicht sehr viel damit zu tun, ich setz mich auch nicht wirklich damit auseinander.

Du warst auch Gastjuror bei Raputation. Ein Wiener Rapper meinte letztens, dass Castingshows Faschismus im Mantel der Demokratie sind, bei denen anscheinend demokratisch über das Schicksal eines Menschen bestimmt wird, was ein Widerspruch in sich ist. Würdest du das auch so sehen?
Also ich bin jetzt nicht Castingshowexperte, ich würde mir das weder im Fernsehen, noch im Internet reinziehen. Wenn ich mir jetzt Raputation angucke, kommt es mir jetzt nicht wie eine krasse Castingshow vor im eigentlichen Sinne. Es geht da jetzt nicht darum, dass du eine große Karriere machst. Selbst wenn da steht „Wir suchen den besten politischen Rapper“ oder sonst was finde ich persönlich, dass es nicht darum geht. Sondern ich denke es geht einmal darum, politischen Rap eine Plattform zu bieten. Wenn du jetzt Castingshows im Fernsehen ansiehst, dann geht es um Einschaltquoten, meist noch mit einer herzzereißenden Story dazu, dass du mal obdachlos warst und dich jemand auf der Straße singen gehört hat oder du bist Waisenkind und das wird dann halt ausgeschlachtet. Dann müssen alle anrufen und dann wird mit den Anrufen krass Kohle gemacht, das ist ein ganz anderes Ding. Der eine Punkt ist, dass dadurch politischem Rap eine Plattform gegeben wird, dass Jugendlichen, die sich das reinziehen, Politik näher gebracht wird. In dem Sinne hat das für mich relativ wenig mit einer Standard Fernsehcastingshow zu tun. Ich kann natürlich diesen Reflex verstehen, wenn man den Begriff hört und über das Format stolpert, ohne sich großartig damit auseinanderzusetzen, und dann sagt: oh Gott, ist ja voll schlimm. Der Ansatz ist denke ich ein ganz anderer.

Du meintest, dass es eine Entwicklung des zunehmenden Zynismus im Rap gibt und die Leute zu wenig über ihre Emotionen preisgeben. Wie macht sich das bemerkbar für dich?
Einmal durch die Texte, die ich mitbekomme von Leuten. Je krasser man sich über etwas lustig macht oder etwas nicht ernst nimmt, je kriminieller und härter du bist, desto krasser bist du. Und je mieser die Jokes sind, die du machst, je weniger du alles ernst nimmst, desto cooler bist. Das ist einfach eine Entwicklung, die eingesetzt hat durch die Unfähigkeit der Leute damit umzugehen, was alles abgeht auf der Welt, in welcher kaputten Gesellschaft wir leben. Da kannst du damit umgehen, indem du abschaltest und so tust als ob es nicht so wäre. Oder indem du dich da irgendwie drüberstellst mit einem Zynismus und die ganze Zeit irgendwelche bescheuerten Jokes darüber machst. Ich bin jetzt auch kein Feind von Ironie, ich finde das auf jeden Fall ein gutes Mittel und in vielerlei Hinsicht auch angebracht, aber man kann’s halt auch übertreiben. Das findet stark statt, es gibt da Youtube-Formate, die da sehr weit über’s Ziel hinausschießen. Das ist eine Form intelligent Schwachsinn zu vertreiben. Wobei Intelligenz und Weisheit sehr unterschiedliche Dinge sind. Intelligente Leute können sehr dumme Dinge tun, wenn man Intelligenz falsch einsetzt. Ich glaube, dass Leute die sehr zynische Musik machen innerlich zerfressen sind und fertig mit der Welt. Wenn’s einen bestimmten Grad erreicht, tun mir die Leute auch ein bisschen leid.

Wie denkst du über Polizeigewalt bei friedlichen Demonstrationen? Immerhin ist es ja auch beim Refugee Protestmarch in Berlin zu Festnahmen gekommen, worüber du auch berichtet hast?
Ich meine es kann viele Gründe haben, der blödeste Grund ist glaube ich, dass man bei friedlichen Demonstrationen Strategien ausprobieren kann, ohne sich dabei selbst großartig in Gefahr zu bringen. Das andere ist, du kannst klar machen, wer das Sagen hat. Das kannst du auch besonders gut machen, wenn du nicht befürchten musst, dass Gewalt zurückkommt. Ich war jetzt auch vor kurzem bei einer Zwangsräumung in Kreuzberg. Eine Familie, die da schon ewig gewohnt hat, wurde wegen eines Rechtsstreits vom Vermieter rausgeschmissen. Die erste Zwangsräumung wurde verhindert, bei der zweiten kamen die um 7 Uhr an, um 9 sollte die Gerichtsvollzieherin da sein. Da war so krass viel Polizei, die waren mit Hubschraubern da, was auch unglaublich viel Geld kostet, ein absoluter Overkill. Die Polizei hat dann auch irgendwie mit Pfefferspray rumgespielt und da auch Leute festgenommen. Extrem übertrieben, es ist eh grad sehr viel Polizei in Kreuzberg am Start, keine Ahnung was die da gerade machen. Ich bin auf Demos aufgewachsen sozusagen, dadurch dass meine Mutter sehr politisch aktiv war. Ich hab immer wieder mitgekriegt, wie die Polizei ausrastet. Zu einem großen Teil ist es das Ding von „Wir haben das Sagen“. Auch grad bei sowas wie ’ner Zwangsräumung, da wird von der Zeitung festgesetzt , dass das wahnsinnige Extreme sind, die einfach nur Bock auf Stress haben. Da waren halt auch sehr viele Anwohner dabei, die es einfach nicht eingesagehen haben und nicht okay fanden, was da passiert. Ich glaub es ist einfach ein Weg dafür zu sorgen, dass Leute sich nicht trauen für ihre Meinung einzustehen.

Wenn du sagst, dass deine Mutter politisch aktiv war. In einem Interview meintest du, dass du auch bald aktiv wirst. Was hast du vor?
Da ging’s darum, dass ich meinte ich bin nicht wirklich so ein politischer Rapper und dass es für mich Leute gibt, die wirklich aktiv sind und ich versuche, auch aktiver zu werden. Vor einiger Zeit war auch diese Sache mit den Refugees und ich habe versucht, das irgendwie zu supporten. Ich versuch auch, wenn’s mir möglich ist, diese ganzen Benefizveranstaltungen mitzunehmen, bei denen Gelder gesammelt werden oder Leute aufmerksam gemacht werden auf Dinge. Ich versuch mich auf der einen Seite weiter zu informieren und zu den Aktionen hinzugehen. Das ist manchmal ein bisschen anstrengend und ich musste sehr mit mir kämpfen, mich um sieben Uhr morgens draußen auf die Straße zu setzen, aber es lohnt sich auch. Ich find es halt wichtig, dass man für seine Meinung einsteht. Auch wenn sie es letztendlich geschafft haben die Wohnung zwangszuräumen, finde ich es trotzdem wichtig ein Zeichen zu setzen. Ich denke auch, dass es bei der Polizei angekommen ist, sonst wären die nicht mit so unglaublich vielen Leuten angerückt.

Letztens bist du am Kottbusser Tor bei einer Solidaritäts HipHop Jam aufgetreten, es ging um soziale Verdrängung und rassistische & ausgrenzende Stadtentwicklungspoltik. Gibt es Unterschiede bei diesen Auftritten im Gegensatz zu anderen Jams?
Es kann sein, dass ich von der Songauswahl eher Dinge nehme, die jetzt weniger einfach nur mit Rap zu tun haben, sondern eher welche mit einer mir wichtigen Aussage. Weil ich schon merke, dass Leute bei solchen Veranstaltungen sehr viel mehr auf die Texte achten. Dann ist es gerade bei der Veranstaltung komplett anders, weil sich das Publikum aus Leuten, die da auch einfach auf der Straße entlanglaufen und stehen bleiben, zusammensetzt. Das sind dann Leute, die bei einem Konzert nie da wären. Sonst ist es für mich nicht so unterschiedlich von der Herangehensweise, weil ich sowieso Musik auf eine Art und Weise machen will, mit der ich Leute meine Wahrnehmung der Welt darstellen kann. Da ändert sich für mich nicht so viel, nur weil ich bei einer politischen Veranstaltung bin. Was ich bei HipHop Veranstaltungen mache, ist auch oft politisch.

Wie kann es sein, dass es in einem so entwickelten Land wie Deutschland noch immer zu Polizeigewalt gegenüber Immigranten kommen kann, wie man am Beispiel der rassistischen Misshandlungen bei der Besetzung der nigerianischen Botschaft gesehen hat?
Ich will jetzt nicht die Entwicklung Deutschlands schlechter machen, als sie ist, wenn ich nach dem Titel des ersten Albums „Entwicklungshilfe“ gefragt worden bin. Aber ich denke, dass Deutschland an sich auch ein Entwicklungsland ist. Es wäre arrogant zu behaupten, wir müssten uns nicht entwickeln, weil Dinge schon oft zusammenhängen und Deutschland sich auf Kosten von anderen so entwickelt hat, wie es jetzt ist. Ich hab eine Freundin, die für den ehemaligen UN Sonderberichterstatter gearbeitet hat. Die untersuchen auch zu einem Großteil was für Schutzmechanismen in Ländern vorher schon vorhanden sind, um zu verhindern, dass es zu solchen Situationen kommt, in denen per Staatsgewalt gefoltert wird oder Menschenrechte verletzt werden. Sie meinte, dass Deutschland da ziemlich schlecht abschneidet, was Vorsichtsmaßnahmen angeht. Hochentwickelt wie wir sind, haben wir das anscheinend noch nicht hinbekommen, das ist einfach nur ein Zeichen dafür. Wenn die da Leute verprügeln und ihnen erzählen: „Wir können euch jetzt auch fertig machen, es würde keinen interessieren, weil euch hier sowieso niemand haben will“, das geht einfach nicht klar. Auch wenn man sich hier die Geschichten reinzieht, die man aus Bayern mitbekommt die ganze Zeit, da drehen wir völlig am Zeiger. Irgendwelche Frauen in Handschellen verprügeln. Wenn man ein wenig gräbt, findet man so viele Dinge, die in Deutschland abgehen und überhaupt nicht klargehen. Da sollte man sich glaube ich nicht darauf ausruhen, dass wir so toll entwickelt sind. Die Polizei wird ja dann auch immer gedeckt, am Ende wird nie jemand verurteilt. Da merkt man schon, dass irgendwas nicht stimmt.

Du sagtest einmal, dass du weder Ausländer, noch Deutscher wärst. Willst du hauptsächlich Mensch sein, weil du nichts von Kategorisierungen hältst?
Das hört sich jetzt so klischeemäßig an, dass ich einfach Mensch sein will. Ich hätte mich sicherlich nicht mit gewissen Dingen beschäftigt, wenn ich nicht von außen dazu gezwungen worden wäre, mich damit zu beschäftigen. Ich glaube, dass es viele auch nicht verstehen oder nachvollziehen können. Das ist einfach das Ding, gerade als Kind, wenn du irgendwo aufwächst und dir unterschwellig oder direkt klar gemacht wird, dass du da eigentlich nicht hingehörst. Ich merke, dass mich das schon sehr geprägt hat, dass ich in der Kindheit oft Erfahrungen gemacht habe, die mir klargemacht haben, dass ich entweder nicht erwünscht bin oder dass irgendetwas komisch an mir ist und ich hier nicht so ganz hingehöre. Es gibt auf jeden Fall Leute, die noch sehr viel beschissenere Erfahrungen gemacht haben als ich, aber es bleibt einfach so ein merkwürdiges Gefühl zurück. Ich glaube das Schlimme daran ist wirklich, was man als Kind für Erfahrungen macht. Das sind auch nicht die Dinge, über die man dauernd nachdenkt, sondern die sich einfach festsetzen und so ein bisschen das Denken, Fühlen und Handeln immer wieder beeinflussen. Auch in einer Form, in der man dann manchmal gar nicht schaltet, dass es davon kommt. Dann ist es schwierig mit Leuten irgendwas zu diskutieren, die das einfach nie erlebt haben und das auch nicht verstehen. Natürlich kann man das nicht immer als Argument nehmen und damit erklären „Ja, du verstehst das nicht, weil du hast das nicht erlebt“. Aber es gibt diverse Situationen, in denen mir das aufgefallen ist.

Die  Plattensammlung deines Stiefvaters hat dich erstmal zu HipHop gebracht. Glaubst du, du würdest jetzt andere Musik machen, wenn er z.B. nur Rockplatten gehabt hätte?
Die  erste Platte, die ich hatte, war von Queen. Das war auch meine eigene Platte. Ich hab mir das letztens wieder angehört, den Song den ich damals unbedingt haben wollte. Dabei ist mir aufgefallen, dass das was in dem Song erzählt wird, worum es da inhaltlich geht, schon auch zu einem großen Teil charakterisiert, was ich jetzt mache. Vielleicht wär’s dann eine andere Musikrichtung gewesen, ich hab ja auch viele andere Sachen gehört. Mein Bruder macht komplett andere Musik. Wer weiß, vielleicht würd ich das dann auch, aber es war nicht nur mein Stiefvater, sondern auch die Leute aus der Schule und was die gehört haben. Dann hat der eine angefangen aufzulegen und dann wollte ich das auch machen und haben angefangen zusammen mit ihnen zu freestylen. Hätte was anderes dabei rauskommen können, ist aber so gelaufen. Die ersten musikalischen Einflüsse waren bei mir auf jeden Fall HipHop.

Du hast angefangen auf Deutsch zu freestylen und auf Englisch zu texten. Warum bist du schlussendlich ganz auf die deutsche Sprache umgestiegen?
Ich glaube, weil’s einfach schon so viele englische Sachen gab und mich das nicht mehr gereizt hat. Ich habe ja ganz lange behauptet, ich würde niemals anfangen auf Deutsch zu rappen und es meinten immer alle so: jaja, warte mal, das hab ich auch mal gesagt. Irgendwann war’s dann halt einfach durch und jetzt könnte ichs mir auch gar nicht mehr anders vorstellen. Ich hab manchmal noch Probleme beim Freestylen, weil ich solange auf Englisch gerappt habe und auch sehr viel mehr englische als deutsche Sachen höre, dass ich dann einfach sehr viele englische Wörter im Kopf habe. Aber ich kann mich auf Deutsch einfach besser ausdrücken und es gibt auch nicht so viel davon, da hast du nicht so einen krassen Overkill, besonders zu der Zeit, in der ich angefangen habe.

Du meinst, dass man sich mit guter Technik und Schnelligkeit die Aufmerksamkeit der Leute sichern kann. Warum funktioniert dies nicht über die Texte?
Man kann das schon über die Texte machen, es tun ja auch viele, indem sie krass provozieren oder sonst was machen. Aber wenn du irgendwie Texte hast, die leicht anstrengend sind, dann geschieht die Aufmerksamkeitserzeugung eher über Technik.

Du meintest einmal, dass man dich schlagen wollte, weil dein Künstlername Halbgott war. Wie kannst du dir das erklären?
Ich wurde nicht fast geschlagen, es kamen immer nur wieder Leute, die Stress mit mir haben wollten wegen des Namens. Es waren eigentlich meistens Leute, die meinten ich würde ihre Religion beleidigen. Die erzählen wollten, dass das nicht klargeht, manche waren auch schon ein bisschen aggressiv und ich dachte die wollen mich jetzt schlagen. Ich hab denen das dann erklärt und ihnen auch ein paar Fragen ihre Religion betreffend gestellt und es kam meistens dabei raus, dass sie sehr wenig Ahnung von ihrer eigenen Religion hatten und auch nicht erklären konnten, was jetzt eigentlich genau das Problem ist. Ihr solltet euch vielleicht auch fragen, ob ihr euch nicht ein bisschen mehr mit eurer Religion auseinandersetzen und wissen solltet, warum ihr jemanden kritisiert. Ich hab damit kein Problem, wenn jemand kommt und sagt: was du gerade gemacht hast ist beleidigend und ich seh das als Disrespect meinem Glauben gegenüber. Dann kann man sich darüber unterhalten, wenn mir dies jemand verständlich machen kann. Dann kann ich auch darüber nachdenken, okay dann sorry, das war ein Fehler meinerseits, ich hab da kein Problem damit, auf jemanden einzugehen. Aber dann sollte man zumindest wissen, was eigentlich das Problem ist und nicht so einen Effekt von jemanden verlangen: Du musst jetzt dein Leben ändern, weil ich einen bestimmten Glauben habe. Das geht halt nicht klar.

Nennst du dich noch immer so?
Wenn ich mich mal lustig bin, nenn ich mich auch Halbgott, aber die meiste Zeit bin ich schon mit dem anderen Namen unterwegs. Ich hab dann mitbekommen, dass Leute in der Gegend herumrennen und erzählen, sie wären dafür verantwortlich, dass ich meinen Namen geändert habe. Wo ich mich dann nicht mal mehr an die Gespräche erinnern kann. Die Leute, die mir da so auf die Nerven gegangen sind, die waren dann gar nicht der ausschlaggebende Grund. Mit denen hab ich mich nachdem ich mit ihnen geredet habe, auch gut verstanden. Was mich mehr genervt hat, waren die Leute, die den Namen gehört haben und dann dachten ich wär so ein wahnsinniger Battle-MC, der sich unglaublich krass selbst überschätzt und sich deswegen Halbgott nennt, das hat mich genervt.

Was wolltest du dann damit aussagen?
Für mich sind alle Leute Halbgötter, das ist für mich nichts Besonderes. Wir haben halt mehrere Seiten an uns, man muss jetzt auch nicht unbedingt religiös sein, um sich mit dem Konzept Gott auseinanderzusetzen. Ich glaube das ist eine bestimmte Seite, die wir alle haben. Die Songs, die ich unter dem Namen rausgebracht habe, gehen auch in eine bestimmte Richtung, so als ob sich ein Teil von mir abspaltet und ich mich dadurch ein bisschen mehr von außen betrachten kann. Weil’s halt ein bisschen das menschliche individuelle Dasein verlässt. Insofern ist es eine besondere Seite von einem Menschen, die ich damit beschreibe, aber es ist nicht etwas Besonderes in der Form, dass es nur bestimmte Menschen haben. Meiner Meinung nach hat das jeder, deswegen ist das auch nicht arrogant gemeint. Außerdem hatte ich den Namen auch einfach irgendwann, ich kann mich nicht erinnern, dass ich ihn angenommen habe.

Du bist auch manchmal als DJ unterwegs, u.a. gemeinsam mit DJ Werd beim Turntable Tutorial in Berlin. Dort soll Raum für Musik geschaffen werden, die aufgrund der kommerziellen Ausbeutung der HipHop-Kultur zu kurz kommt. Was spielt ihr dort?
Also ich würd’s jetzt weniger mit Namedropping beantworten. Dass es eine Mainstreamkultur gibt, in der nur gewisse Musik gespielt wird, ist klar. Ich glaube wir spielen einfach die Musik, die wir spielen wollen. Ich kenn auch viele DJs, bei denen ich weiß, dass die viel interessante Musik haben und auflegen könnten. Aber sie können es halt nicht, weil sie in Clubs gebucht werden, wo es dann heißt: spiel mehr das und das. Wir sind da im Café Wendel gelandet und der Typ, der das macht, dem geht es nur um Musik und nicht darum, wie viele Leute hinkommen. Es ist auch mehr eine Bar als ein Club, nicht so dieses Clubding von „Wir brauchen jetzt so und so viele Leute und da muss jetzt krass Party sein“. Dadurch waren wir absolut frei und das ist die beste Antwort, die ich darauf geben kann. Unabhängig von irgendeinem Druck, können wir was leisten. Wir müssen nicht abhängig von Partymomenten und Hörgewohnheiten Musik auflegen, sondern die, die wir auflegen wollen. Ich hab z.B. am Anfang nur Beats aufgelegt, das ist jetzt auch nicht unbedingt, was man von einer HipHop Party erwartet. Dass man da hinkommt, irgendjemand legt Beats auf, jemand anders scratcht dazu und dann spielt jemand Drums. Wir machen halt einfach, was wir wollen. Das sagen wahrscheinlich viele Leute, aber ich glaube dass man da schon oft von einem Leistungsdruck beeinflusst wird und den haben wir da nicht. Das Feedback, das wir bekommen haben war dann: „Krass, dass es solche Partys noch gibt. Ich geh eigentlich gar nicht auf HipHop Partys, aber hier ist es irgendwie anders. Krass, den Song hab ich noch nie auf einer Party gehört“. Daran merken wir einfach, irgendwas scheinen wir richtig gemacht zu haben. Wir haben auch nie Werbung dafür gemacht und es ist immer voll. Teilweise haben wir schon nicht Bescheid gesagt, weil’s zu voll geworden ist irgendwann.

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Inwieweit hat dich das Project Blowed damals beeinflusst? Warst du jemals im Royal Bunker?
Project Blowed hat mich auf jeden Fall beeinflusst, ich hab auch mit diversen Leuten von denen Songs gemacht. Aber im Bunker war ich jetzt nicht wirklich, das war nicht meine Zeit sozusagen, da hab ich noch sehr für mich geschrieben.

Warum meintest du, dass die Menschen bei Dubstep und Grime Konzerten viel unvoreingenommener sind als bei Hip Hop Veranstaltungen?
Ich würde das jetzt widerrufen, wenn ich das so gesagt habe. Es gab einfache eine Zeit, in der ich überhaupt keine Shows hatte, was die HipHop Szene angeht. Da hab ich Leute aus der Dubstep und D’n’Bass-Szene getroffen, die Keep it Rollin-Leute, die Freak Camp – Leute, die waren einfach offen. Es war auch in einer Zeit, wo Dubstep krass am Start war. Da gab’s die Leute, die auf den Zug aufgesprungen sind und wie’s vorbei war wieder auf den nächsten. Aber die Freak Camp – Leute, denen ging’s nur um Mucke, die krasseste Anlage haben und dann waren die zufrieden. Ich hab halt Glück gehabt, die zu diesem Zeitpunkt zu treffen. Dann kamen aber auch wieder die HipHop Leute an, weil die meinen Namen auf irgendwelchen Flyern gesehen haben und dann war das so: Oh, jetzt können wir ja Amewu auch mal wieder fragen, ob er was für uns macht. Sowas vergess ich halt auch nicht. Mir brauchen da Leute später auch nicht erzählen, dass sie mich immer supported hätten. Ich weiß schon, wer das war und wer nicht. Und wer aus welchen Gründen wieder auf mich zugekommen ist. Aber generell sind die Szenen, sobald es um so eine große Szene im Allgemeinen geht, eh immer gleich. Es gibt Leute, die sagen wie es sein soll, Leute, die’s aus Liebe machen, Leute, die’s wegen Kohle machen. Leute, die nett sind, Leute, die scheiße sind. Deswegen fühl ich mich auch nicht wirklich in irgendeiner Szene zu Hause, sondern kenn halt Leute, die cool sind und mit denen ich klarkomme.

Das Wort “Leitkultur” bekam durch CDU – Mitglied Friedrich Merz eine neue Bedeutung, da er sich im Sinne einer deutschen Leitkultur gegen Multikulturalismus und für Regeln für Einwanderung und Integration einsetzte. Hat dein Albumtitel “Leidkultur” etwas mit dieser Diskussion zu tun?
Ja klar, ich hab damit auch ein bisschen gespielt. Aber es ist natürlich so ähnlich wie bei dem Albumtitel davor, es ist einer der Aspekte, warum das Album so heißt. Das spielt auf jeden Fall auch mit rein.

Dein Album wurde im Studio von Kraatz, ein Mitglied von Herr von Grau, aufgenommen. Dieser spielte früher in einer Hardcore-Band namens “Nihilist” – du bist bekennender Atheist. Gab es diesbezüglich Berührungspunkte zwischen euch?
Die Zeile, aus der man das rausgenommen hat, heißt „der stark religiöse Gesamtatheist“, das heißt ich hab die Aussage sozusagen nie wirklich gemacht. Ich hab einfach eine paradoxe Aussage über Religion und Atheismus gemacht. Ich hab mich mit Kraatz glaub ich nie über dieses Thema unterhalten, weil’s für mich nicht so ein krasser Punkt ist. Ich krieg ja dann auch mit, wie Leute sich dann fragen, mir haben auch schon Leute geschrieben.

Bei dem Künstlerkollektiv “Long Lost Relative” von DJ Werd, bei dem du auch aktiv bist, fanden ein Label beim Wiener Goalgetter. Waren dies deine ersten Berührungspunkte zu Österreich?
Jein, also da hatte ich noch überhaupt nichts mit dem zu tun, aber ich hab halt über DJ Werd auf jeden Fall sehr viele Leute in Österreich kennengelernt. Die ganzen Connections mit Trishes, Wisdom, Chrisfader und Testa, ich könnte da jetzt noch sehr viele andere Leute aufzählen. Die kamen auf jeden Fall über Andrew (DJ Werd, Anmerk.) zustande. Insofern um ein paar Ecken hat es mit Long Lost Relative zu tun. Andrew hatte ein Sitpendium, das man im Museumsquartier bekommt „Artist in Residence“ oder so, da sollte er verschiedene Projekte machen, hat dann Mystic eingeladen, diese Rapperin aus den Staaten, und wollte, dass ich als Support spiele und hat mich mitgenommen. Dann war ich da und hab alle möglichen Leute kennengelernt.

Wusstest du, dass das Millie Jackson-Sample von Leidkultur auch schon von Kamp in “Ohne Zukunft” verwendet wurde?
Selbst wenn ich es davor nicht gewusst hätte, wird es einem dann sofort auf die Nase gebunden. Wenn man dann auf whosampled.com geht, dann ist ja eh alles vorbei, dann hat man auch keinen Bock mehr Beats zu machen. Weil jedes Sample in jeglicher Form schon verwendet wurde, obwohl ich das teilweise sogar schade finde, dass Leute immer sagen, woher das Sample ist heutzutage, dass es da so einen krassen Katalog gibt, damit jeder nachgucken kann, wo welches Sample her ist. Aber ja, ich erinner mich auf jeden Fall, dass Chris zu mir meinte, dass er das eine Sample nicht so lange einbauen will, weil das auch schon in vielen anderen Songs verwendet wurde. Inzwischen weiß ich, dass es einen Kamp Song damit gibt, ich kannte zwischendurch auch noch ein paar andere Songs, in denen das drinnen ist.

Worauf wirst du dich in Zukunft fokussieren – gibt es Pläne für ein weiteres Album?
Ich werd auf jeden Fall weiter an Songs arbeiten, ich hab jetzt auch ein paar Feature-Sachen gemacht mit den Project Blowed Leuten, auf dem neuen The Riddlore Album bin ich drauf. Dann gab’s einen Song, auf dem ich mitgelandet bin, ohne zu wissen, was das eigentlich ist, der „Word wide choppers“ Track, da bin ich irgendwie auch dabei, ich hab allerdings kein Problem mit Tech N9ne, das war mir auch nicht klar, dass es so aufgezogen werden sollte. Ich war halt einfach froh, dass ich mit den ganzen Leuten, die ich cool finde, auf einem Album bin. Ich hab auch sehr viele Featureparts in letzter Zeit gemacht und arbeite auch an neuem Kram. Mal sehen, was als Erstes kommt, bin ich noch nicht sicher.

 

 

Interview: Julia Gschmeidler
Fotos: Daniel Shaked