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„Mikrokosmos an Schmutz, Gewalt und Ehrlosigkeit“ // Mortis Interview

„Mikrokosmos an Schmutz, Gewalt und Ehrlosigkeit“ // Mortis Interview

Max Winter
Max Winter

Mortis steht für extrovertierte Hyperaktivität, gepaart mit lausbübischer Feinsinnigkeit. Auf seiner aktuellen EP „Der Goldene Käfig“ gibt er sich nachdenklich und tiefgründig. Auf Facebook sieht man ihn jedoch vor pinken Duschvorhängen Interviews geben, nach durchzechten Nächten neben Verkehrsschildern und Baustellenfahrzeugen posieren oder schreiend durch den Club laufen. Mit The Message sprach Mortis über den ländlichen Moloch und die urbane Ehrlosigkeit, den Prototyp der Antifrau, den Polit-Thriller um die Arbeitlosenquote und die Mitglieder seiner idealen Rap-Supergroup.

Interview: Julia Gschmeidler

In tape.tv hat man dich mit Morlockk Dilemma, Yassin und Haftbefehl Wer bin ich spielen lassen …
War auf jeden Fall ein ganz lustiger Tag. Solche Gesellschaftsspielchen um zehn Uhr morgens zu spielen, ist dann doch etwas komisch. Das ist man dann nicht so in Spaßlaune, vor allem wenn man sonst um 10 Uhr erst aufsteht.

Hast du bei dieser Gelegenheit Haftbefehl gleich deinen Remix von „Gestern Gallus heute Charts“ vorgespielt?
Nein, das nicht. Ich weiß nicht, wie aktuell die Sache jetzt ist, aber ich hab Anfang des Jahres zusammen mit Melbeatz einen Beat gemacht, den er für sein neues Album gepickt hat. Er hat so einen Song mit J-Luv, also Julian Williams drauf gemacht. Wir haben über Rap gesprochen, dann waren wir auch den ganzen Tag gemeinsam unterwegs. Darauf hab ich Feedback bekommen, das mit dem Remix hat er gar nicht gepeilt. Wobei ja sein Management meinen Remix jetzt als offizielles Video noch mal rausgehauen hat, ohne mir Credits zu geben. Irgendwie kriegen die das immer noch nicht hin. Was will man machen.

Nachdem du „Zu Hause“ veröffentlicht hast, kritisierten viele deinen neuen Stil. Warum bist du jetzt doch in eine andere Richtung gegangen?
Es ist ja nicht so eine riesen andere Richtung. Ich rappe immer noch wie ich rappe und die Beats haben noch immer diesen Boombap-Ansatz. Das ist alles nur musikalischer geworden, aber das ist das, was ich seit zehn Jahren mache. Ich hab genau so eine Musik seit fünf, sechs Jahren in meinem Beat-Ordner. Jetzt habe ich mich mal nur darauf konzentriert, was zu machen, was mich zufriedenstellt und nicht irgendwelche Nebenbei-Projekte zu machen. Das ist eigentlich ein ganz normaler Prozess. Für mich ist es nicht fremd, und für die Leute in meinem Umfeld auch nicht. Die Leute kriegen ja leider nur Videos mit und das waren ja nur Boombap-Sachen. Deswegen müssen sie sich jetzt an das Neue gewöhnen.

Das heißt du warst mit deinen bisherigen Sachen nicht immer zufrieden?
Nö, das war aus der Laune heraus, einfach machen. 2010 hab ich zwei Mixtapes gemacht und das hat jeweils ’ne Woche gedauert, das fertigzustellen. Einfach präsent sein. Alleine an der EP haben wir jetzt ein halbes Jahr gesessen. Das ist eine ganz andere Arbeitsweise und schlägt sich auch im Sound nieder. Wenn die Leute offene Ohren haben, ist gut, wenn nicht, ist mir das auch egal.

Mit dem Video zu „Zu Hause“ schürst du schon Vorurteile gegenüber der ländlichen Gegend …
Natürlich, ich komm ja da her. Ich hab mich erst dieses Jahr wieder mit meiner Heimat versöhnt, in der ich jetzt seit zehn Jahren nicht mehr wohne. Ich bin damals raus in die Welt und wollte alles miterleben und einfach HipHop machen. Und keine engstirnigen Menschen um mich haben. Letztes Jahr hab ich mich zwei Wochen bei meinen Eltern eingeschlossen, um aus diesem Berlin-Sumpf rauszukommen und Texte zu schreiben. Da hab ich halt den Song als einen der ersten geschrieben. Die zweite Strophe war ursprünglich sehr, sehr abrechnend und verachtend. Dann irgendwann, als wir angefangen haben das auszuproduzieren, ist mir nach der Hookline aufgefallen: Nein, eigentlich muss das so weitergehen, weil in der Hookline ist es genau das Gefühl; du kommst nach Hause und egal wie scheiße oder gut du es findest, es ist halt ein Teil von dir. Ab einem bestimmten Alter, lernt man es auch wieder zu schätzen. Sonst wär man ja nicht so, sonst hätte man ja nicht diese gewisse Antihaltung, wenn man von dort wegkommt.

Hören zwischendurch Lanser, J.B.O. und dann wieder Tupac und DMX

Warum sind die Leute am Land denn überhaupt engstirniger? Sie haben immerhin genauso Zugang zu Medien und Nachrichten?
Ja okay, aber das Hauptmedium war bis vor einigen Jahren der Fernseher. Wenn du etwas verhältnißmäßig Nischiges machst, wie es vor zehn, 15 Jahren HipHop war, oder wenn du harter Rock-Fan bist, dann musst du das irgendwie diggen. Das geht heute anders, aber bei diesem Dorf-Ding hast du den Fernseher und all die Tradition und Gewohnheiten deiner Väter und Großväter. Das sind alles Gewohnheitstiere und bricht auch gerade erst auf. Ich merk jetzt auch, wenn ich nach Hause in den Harz komme, da hat jetzt jeder Facebook und da weiß jetzt jeder, was ich mache. Da wird jetzt alles ein wenig offener. Aber die wissen es ja alle nicht besser. Wenn du an der Tankstelle chillst und da trinken die Leute Mixery, fahren besoffen durch die Gegend und haben 14-jährige Freundinnen, hören sie zwischendurch Lanser, J.B.O. und dann wieder Tupac und DMX, weil es gerade in den Charts und in den Jugendräumen lief – so ist das leider. Ich bin ja kein Psychologe …

Das klingt ein wenig danach, als ob die ländliche Jugend einfältig wäre.
Ich hab ja nicht meine letzten zehn Jahre dort verbracht. In der Pubertät trägst du eine Riesen-Arroganz mit, eigentlich denkt dann jeder Mensch, dass der andere dumm ist, vor allem wenn du Künstler bist, oder dir anmaßt, Rapper zu sein. Da erschlägt sich das dann, dass man denkt: „Hey, seid ihr alle bescheuert, ich bin besser als ihr.“ Ich war zwei Jahre vor meinem Umzug extrem arrogant, natürlich sind die für mich alle bescheuert und dumm gewesen. Sind sie vielleicht zum größten Teil noch, ich kenn die alle nicht mehr. Ich hab ein anderes Leben geführt. Die leben halt das Leben da – für mich ist es keine Option, auf Privatgymnasien zu sein, dann im Ausland zu studieren, um dann wieder zurückzukommen und eine Bankkaufmannslehre zu machen. Das ist schon bescheuert. Oder irgendwelche Betriebe der Eltern zu übernehmen und dafür jahrelang studieren müssen … Die Leute erzählen dann, was für ein Kosmopolit du nicht bist, wenn du sowieso wieder in deinem Dorf landest.

Prinz Pi sagt auf seinem neuen Album, er wäre so gerne dumm, weil er dann endlich glücklich wäre …
Ja, das ist ja ein alter Spruch. Da hat der Friedrich natürlich wieder ein bisschen in der Sprüchekiste herumgekramt, der junge Herr, während er einen Kompressor zusammengelötet hat. Ich kann das alte Sprichwort aber auch unterschreiben, da machst du dir ja keine Gedanken. Ich wär auch voll gerne kein Mensch, der sich mit Frauen auseinandersetzt und ich würde auch gerne jedes Wochenende in Großraumdiskotheken gehen und einfach nur Spaß haben. Ich würde auch gerne einfach Menschen ins Gesicht lügen, wie die das bei mir machen. Aber leider macht man sich zu viele Gedanken, je mehr Intelligenz man hat – auch wenn ich nicht glaube, dass ich sehr intelligent bin.

Überall ist ein Moloch

Auch wenn du vom Land in die Stadt geflüchtet bist, kommt Berlin in „Engelsstaub“ nicht so gut weg. Ist es wirklich so schrecklich, wie du darin erzählst?
Berlin ist mein Wohnsitz, aber ich komme nicht von hier, genauso wenig wie ich aus Hannover komme. Der Song ist ehrlich gesagt schon vor drei Jahren bei ’nem Feature entstanden. Man sollte den Song jetzt nicht so auf eine Stadt beziehen, das ist das generelle Großstadt-Ding. Ich war in vielen Großstädten und es ist überall dasselbe: es gibt überall diesen Mikrokosmos an Schmutz, Gewalt und Ehrlosigkeit. Überall ist so ein Moloch. Ich hab da ein Auge für und das macht mich leicht paranoid.

Im Großstadtdschungel Wien warst du auch schon …
An dem Abend im Viper Room hab ich Kamp kennengelernt. Dann haben wir 20 Minuten später schon voll besoffen vor der Polizei mit runtergelassenen Hosen gestanden. Aber das ist echt lange her.

Du hast auf Facebook diese Doku namens „Berlin Kidz“ gepostet. Hast du da irgendwie mitgewirkt?
Leider nicht. Meine Sozialisation ist ja das Malen, ich komm ja da her. Ich hab jetzt lange nichts gemacht, aber ich bin generell an Action interessiert. Ich liebe auch die 1Up-Doku, natürlich kennt man hier und da ein paar Menschen davon, aber es ist nicht so, dass ich da drinnen bin. Das Ding ist, es juckt einen immer wieder mal, wenn man das sieht. Das ist wie ein Motivationsschub, man hat Lust sich wieder Dosen zu besorgen und was total Bescheuertes zu machen, irgendeine Aktion ohne vorher was zu scouten, einfach irgendwo eingebend malen. Naja, Graffiti, sind wir alle zu alt für.

Marteria redet in „Abgrund“ auch vom S-Bahn Surfen.
Ich muss ehrlich sein, meine derzeitige körperliche Verfassung lässt das gar nicht zu. Ich muss endlich wieder Sport treiben, ich war jetzt ein halbes Jahr nur im Studio und hab es nur ein paar Mal zwischendurch geschafft zu laufen und alibimäßig mal zu Mc Fit zu gehen, damit ich nicht ganz auseinanderfalle, aber ich glaube ich bräuchte davor mal ein Jahr Kardiotraining, bevor ich auf ‘ne S-Bahn springen kann.

Wo hast du eigentlich Karate Andi kennengelernt und wie ist dein Verhältnis zu ihm?
Wir haben ein sehr, sehr liebes, sexuelles Verhältnis. Bei der Fusion sind wir zusammen abgestürzt. Eigentlich müsste ich jetzt eine ganz wirre Geschichte erzählen, das würde auch zu Andi passen. Wir haben uns tatsächlich bei Rap am Mittwoch kennengelernt. Alle haben ihn nur seines Namens wegen gefeiert, bevor er überhaupt eine Zeile gerappt hat. Dann hat er irgendeine Scheiße geredet von wegen „10 Jahre Hartz IV“. Hab ich ihn sofort gefeiert und ins Herz geschlossen. Als ich ihn rappen gehört habe, fand ich es überkrass. Wenn ich Leute mag, dann geb ich ihnen auch Props, dann bin ich so hin und hab ihn voll gefeiert dafür. Und er so: „Krass, du bist ja Mortis!“ Dann sind wir ins Gespräch gekommen und dann haben wir gleich ein paar Pfandbecher geklaut und uns Bier besorgt und eigentlich den ganzen Abend miteinander verbracht.

Währenddessen ist rausgekommen, dass er aus Göttingen kommt und ich aus dem Südharz, das ist eine Dreiviertelstunde mit dem Auto entfernt. Dann ist uns ausgefallen, dass wir dieselben Jams besucht haben und dieselben Freestyle-Taps aus der Region besitzen. Dann haben wir uns direkt mal getroffen, gefreestylt, und Songs angefangen. Seitdem hängen wir sehr, sehr, sehr viel miteinander ab und er ist ein guter Freund geworden. Und wir werden ein Album machen. Nach meiner EP und seinem Album „Pilsator Platin“ mach ich im Sommer wahrscheinlich mein Album „Hollywood Psychose“ fertig und währenddessen machen wir die ganze Zeit Skizzen und so. Aber eigentlich wollen wir uns zwei Wochen einsperren und besaufen. Unser Album wird heißen „SGB 2“.

Der schwarze Balken to go!

Ihr zeigt euch gerne mit zwei Fingern vor den Augen. Was hat es damit auf sich?
Eigentlich ist ja sein Move, die Hand vor den Mund zu nehmen. Ich muss ja auch sagen dieser Sierra Kid und tausend Leute, die das machen: Das ist mein Move, ich hab den schon vor drei oder vier Jahren gemacht, einfach weil ich soo fertig aussah. Dann hat sich das so durchgezogen und das ist das Beste, weil du musst dir auf keinem Foto mehr Gedanken machen, ob du gut oder scheiße aussiehst. Der schwarze Balken to go! Ich hasse dieses affektierte Fotos miteinander Machen – dieses „Hey, wir müssen jetzt voll nett lächeln und so tun, als würden wir uns mögen“. Dann den Balken davor. Ich bin ja auch nur ein Mensch, ich kann ja auch nicht immer lieb oder nüchtern sein. Was ja in den meisten Fällen der Fall ist, dass ich nicht nüchtern bin. Das bewahrt einem dann vor einem Silberblick oder sehr roten Augen, oder was man gerade hat.

Wie stehst du eigentlich zu deinem Labelkollegen Shawn The Savage Kid? Kennt ihr euch schon länger?
Ich komm ja aus der Provinz und östlichen Region, ich kann ja mit so HipHop nichts anfangen, nur weil’s Trend ist. Nein, also Shawn ein guter Junge, er hat ’ne geile Art und Weise Geschichten zu erzählen. Und er hat ein sehr homogenes Soundbild, auch ein netter Junge.

Weißt du ob noch jemand in Planung für euer Label Showdown Records ist?
Ich weiß jetzt von niemanden, aber ich weiß, dass sie auf jeden Fall noch suchen und aufstocken. Ich glaub ein, zwei Menschen werden noch dazukommen. Ich sag denen immer nur so, wenn ich grad wieder Videos sehe: „Die Leute sind nicht gesignt, die müssen sich bei euch bewerben und wenn die da hinkommen, dann mach ich nichts mehr.“ Ich drohe aus Spaß und tu immer so, als wär ich voll der einflussreiche Mensch, dabei bin ich das gar nicht.

Max Winter
Max Winter

Dafür hast du aber einen einflussreichen Musiker-Freundeskreis.
Ja, so ein bisschen Mafia-mäßig, ich hab mir das seit Jahren erarbeitet. Wenn ich mit dem Finger schnippse und die Industrie mir kein Geld gibt, dann gibt es keine Industrie mehr, mit der sie Geld machen können. Ha! Darüber denkt mal alle nach, kannst du so schreiben. (lacht) Nein, ich bin gestern auch erst mit Julian Williams gesessen und haben uns sehr lange unterhalten. Er hat mich gefragt: „Warum findest du da und da nicht statt, warum wollen die jetzt noch kein Interview mit dir und warum hast du so wenig Klicks…“. Da meinte ich: „Irgendwie ist es Sitzfleisch. Man macht seit Jahren Musik, weil man es machen muss.“ Alleine dadurch, und das ist für mich ein Riesen-Privileg, bin ich auf Menschen getroffen, zu denen ich musikalisch schon immer aufgeschaut habe. Man begegnet sich mittlerweile mit so viel Menschen auf Augenhöhe und ja, ich finde diese Art der Bekanntheit war mir immer am wichtigsten. Ich glaub, das kommt auch vom Malen.

Beim Malen geht es darum, dass du unter deinen Kollegen akzeptiert wirst und nicht, dass du herumrennst und irgendwelchen Weibern Skizzen mit coolen Herzchen malst und alle Frauen klarmachst, sondern dass du Probs kriegst und all city bist. Genauso ist das auch mit Mucke. Ich kann mit einigen der krassesten Musiker Deutschlands auf Augenhöhe Musik machen oder sie fragen mich nach Ratschlägen. Darauf hat man natürlich hingearbeitet und darauf bin ich auch stolz.

Sie ist genau der Prototyp der Antifrau

Aber eine, die du definitiv nicht magst, ist Lena Mayer Landruth. Was hast du denn gegen sie?
Die kommt aus Hannover, die wollte sich sogar mal mit meinem Grafiker Sascha daten, als sie 17 war, so viel mal zum Gossip. Ganz ehrlich, das ist genau dieser Typ Frau, ich kenn sie ja nur aus dem Fernsehen und „Durch die Nacht„. Genau diesen Typ Frau hab ich in Hannover in den Indie-Schuppen soo viele kennengelernt. So eine riesengroße Fresse und gefährliches Halbwissen und einfach nur vorlaut – ich mag keine vorlauten Menschen, die kein Charisma oder irgendwas besitzen und einfach nur vorlaut sind, weil sie’s geil finden. Irgendwie hab ich die dann gefressen. Sie verkörpert für mich all das, was ich an Frauen nicht mag. Sie ist genau der Prototyp der Antifrau.

Casper hat sich wirklich sehr bemüht bei „Durch die Nacht“ …
Benni (Casper, Anm.) ist ja anscheinend der liebste, schüchternste Mensch der Welt. Dann hast du so ’ne Olle. Die kommt in deine Wohnung – und alleine das ist so eine Sache, da ist es bei mir wirklich vorbei, weil ich hab viel mit Menschen mit Migrationshintergrund zu tun – und alleine du kommst zu jemanden nachhause und fängst an so rumzumosern. Selbst wenn ein Riesenscheißhaufen auf dem Wohnzimmertisch drapiert wäre, würde ich sagen: „Oh, der ist aber schön“. Aber lass uns nicht weiter über Lena reden, da könnte ich mich in Rage reden, ich hab schon drei Essays verfasst und werde Vorlesungen halten an Universitäten.

Ein anderes Thema, denen du dich öfters in deinen Tracks annimmst ist die Arbeitslosigkeit. Wie problematisch findest du derzeit die Lage in Deutschland? Die deutsche Arbeitslosenrate ist ja gerade niedriger als die in Österreich.
Ja, die Rate. Das ist ja die Statistik. Ich kann nur so viel sagen, ich hab sehr viel Erfahrung selbst damit gemacht. Trotzdem sind noch mehr arbeitslos als zuvor, sie sind halt nur nicht mehr in der Statistik. Sie werden dazu getrieben, irgendwelche 400-Euro-Minijobs zu machen oder werden an Zeitarbeitsfirmen vermittelt, dann sind sie auch raus aus der Statistik, aber haben immer noch kein Geld und kriegen immer noch Geld vom Staat. De facto ist es einfach so, dass nicht viel weniger arbeitslos sind, sondern viel mehr Leute für viel zu wenig Geld arbeiten. Das ist dann auch kein Wunder, wenn die Leute schwarz arbeiten gehen.

Ich kenn so viele Familienväter, die zehn Stunden auf dem Bau arbeiten und dann nochmal fünf Stunden schwarz arbeiten gehen – und das fünf, sechs Tage die Woche. Das einfach nur, damit die irgendwo im Dorf ein Haus abbezahlen können. Ich hab jetzt nicht das krasseste Politikverständnis, aber man unterhält sich und das ist keine Lösung, die Leute für geringe Löhne aus der Statistik zu streichen und die Leute müssen dann drei, vier Jobs annehmen, damit sie halbwegs am Stadtrand in einer immer noch überteuerten Wohnung leben können.

Das Leben in der Entertainment-Blase

Max Winter
Max Winter

Was wollen die Politiker mit dieser Senkung der Quote deiner Meinung nach erreichen?
Generell denke ich auch immer es geht um die Außenwirkung und die innere Stimmung. Natürlich kannst du mit als Regierung damit werben, es geht ja immer um Wahlkämpfe. Natürlich werden dann die Arbeitslosenzahlen auf den Tisch gepackt und die eine Fraktion sagt: „Ihr habt es so und so schlechte gemacht und die andere so und so gut gemacht.“ Das ist auch für die Grundstimmung in einem Land sehr förderlich, wenn man sagen kann: „Hey, die Arbeitslosenzahlen steigen und steigen und ihr braucht euch alle keine Gedanken um euren Job machen.“ Denn es gibt natürlich noch immer mehr als genug Menschen, die davon nicht betroffen sind oder davon gar nichts wissen. Es gibt sehr viele Mikrokosmen, die in Deutschland aneinander vorbeireden, auch jobmäßig. Ich kann mir politisch aber auch nicht so viel anmaßen, weil ich leider ein wenig zu ignorant dafür bin und zu sehr in meiner eigenen kleinen Entertainment-Blase lebe.

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Na dann hoffen wir mal, dass diese nicht platzt.
Ich hoff schon, dass sie mal platzt und ich mich um wichtigere Dinge kümmere, als darum, eine geilere Bassdrum zu bekommen oder ein Sample schneide oder eine coolen Doppelreimkette finde. Irgendwann sollte man sich doch ein bisschen mit seiner Umwelt befassen.

Du rappst in einem Text, dass unsere Generation keinen Martin Luther King besitzt. Warum ist das so?
Oh, kein Raum für Zuversicht. Jetzt ganz weit ausgeholt: Ich komme halt vom Ami-Rap. Da hörst du halt nur schwarze Referenzen. Soulmusik-Samples nehmen Bezug auf alte, revolutionäre und geschichtsträchtige Dinge, die in der schwarzen Geschichte, die sehr krass ist, passiert sind. Da geht’s sehr viel um Stolz und Unabhängigkeit und Freiheit. Sowas haben wir hier überhaupt nicht. Martin Luther King ist jetzt das Sinnbild dafür. Auf jeden Fall haben wir keine Leitperson in dem Sinn. Wir haben ja auch nicht diese Sorgen. Das Einzige, was wir Deutschen mit uns tragen, ist der Zweite Weltkrieg und diese Schuld. Und dann gibt’s diese Riesendebatten darüber: Die einen sagen, das kann uns doch egal sein, die anderen meinen, das darf nie wieder passieren und jeder trägt das in sich. Aber das ist auch das Einzige, sonst gab’s noch die 68er. Aber die 68er-Kinder sind jetzt auch Lehrer – wie auch die Kinder der 68er-Kinder. Es gibt keinen großen Aufstand – das passiert jetzt alles erst, wie man im Hamburg oder Stuttgart sieht.

Zu deinen Ami-Rap Hörgewohnheiten: Du hast vor ein paar Jahren in einem Interview von Kendrick Lamar erzählt …
… bevor er berühmt war! Muss man auch mal sagen.

Und dass er der neue Tupac gemischt mit Kanye wäre.
Ja, und das ist er jetzt.

Hättest du damals damit gerechnet, dass da noch sein ein Hype kommt?
Natürlich. Das „Section.80“ Album, von dem ich damals gesprochen habe, ist sogar viel krasser als das Album, das er jetzt rausgehauen hat. Aber das wissen die Leute leider nicht, weil man muss ja erst einen Hype generieren und dann wird das nächste Album das krasseste, egal was es ist. Auf dem ersten Album hatte er alle Anlagen schon drauf, alle Patterns, alle krassen Hooklines, so ein bisschen soulig einfach. Er ist ein Wahnsinns-Techniker und weiß, wie man einen geilen Song macht beziehungsweise wie man auf die richtigen Beats kickt. Von daher: Ja.

Kannst du uns sagen, was du jetzt gerade hörst, um einen Trend prognostizieren zu können?
Da gibt’s so einige. Das sind auch immer so ganz komische und wahnsinnige Namen. Natürlich A$ap Rocky, sowas hör ich sehr gern. Auch Drake, dann natürlich auch Kanye West, von den bekannten Sachen. Ansonsten Action Bronson, aber ich glaube nicht, dass der Typ jemals über das hinaus berühmt wird.

Warum nicht?
Der Typ rappt einerseits ein bisschen zu stressig und zu rappidirap-mäßig. Und andererseits würdest du ihm keinen Hit abnehmen. Keiner, der ein internationaler Hit wäre. Der ist halt sehr limitiert, was ich auch geil finde. Sonst noch auf jeden Fall Schoolboy Q, alles aus dem Black Hippy-Umfeld. Und der von Top Dawg Entertainment gesignt wurde, Isaiah Rashad. Es wurde beim Label von Kendrick gesignt, der ist auch wahnsinnig. Chance The Rapper, den musst du checken!

Du wurdest auch mal gefragt, aus welchen Rappern deine Supergroup bestehen würde. Deine Antwort war Antihelden, Morlockk Dilemma und Kamp. Und du hast erwähnt, dass du versuchst, auf deinem Album ein Kamp-Feature zu bekommen. Hat das geklappt?
Der Idiot, der Idiooot. Wir haben ein paar Gin-To getrunken – ich bin ja jetzt auch offiziell VOZ-Member – und der Idiot, man muss ja mal sagen. Ja, wir werden auf jeden Fall was machen. Bei ihm ist es ja immer etwas schwierig, an einen Verse zu kommen, hab ich bei einigen Leuten mitbekommen, manchmal kann so ein 16er zwei Jahre in Anspruch nehmen. Auf jeden Fall ist er bald wieder in Berlin und da werde ich mal checken, ob er das hinkriegt, sonst werde ich jetzt mal nach Wien fahren. Ich will unbedingt mal einen Song mit ihm haben. Ich kenn ihn jetzt so lange und wir haben so wahnsinnig besoffene Actions hinter uns, da muss man ja mal ein Lied machen.

Ein Lied darüber vielleicht.
Handelt nicht jedes Lied nur davon? Wie man bei der Fashion Week in Berlin morgens um acht voll besoffen einen armen Praktikanten zulabert, bis er einem die Karte für ein fremdes Zimmer gibt und man bei fremden Leuten vorm Bett steht und raucht mit einem Getränk und sagt: „Macht euch raus, das ist unser Zimmer. Wir sind von Esprit.“ (lacht)

Ich bin wohl auch ein Teil dieses musikalischen Niederganges dieses Landes

Max Winter
Max Winter

In deinem Pressetext steht übrigens, dass du auch Schlager-Techno-Rap verarbeitest. Was kann man darunter verstehen?
Im Endeffekt hab ich 2005 schon mit Johnny zusammengewohnt, er hat viel für Die Atzen geschrieben und produziert und auch „Strobopop“ geschrieben. Wir haben 2006 bereits ein Projekt namens „Mallemark und Ballerbocke“ und wir waren einfach besoffen und haben innerhalb von einem Tag 15 total bescheuerte Schlager-Techno-Lieder gemacht und gesungen und fanden es lustig. Aus diesem Projekt ist dann seine Passion herausgekommen, einfach Industrie-Sachen zu machen. Bin ich wohl auch ein Teil dieses musikalischen Niederganges dieses Landes.

Hättest du auch mal Lust auf ein reines Produzenten-Album von dir?
Ja, das wollte ich vor sieben Jahren schon, aber es ist einfach unglaublich schwierig … Es ist halt HipHop, da muss man immer warten auf alles und jenen. Es ist ja generell schon schwierig, für ein Album Features unter Dach und Fach zu bringen. Jetzt hätte ich keine Lust mehr drauf. Komplette Alben für Künstler zu produzieren, da hätte ich schon voll Bock drauf und da bin ich auch schon dabei, aber jetzt so ein reines Produzentenalbum von wegen ich hol jetzt 20 Rapper und ich produzier jetzt 13 Songs, das find ich auch überhaupt nicht interessant, um ehrlich zu sein. Das ist played out. Wenn dann für einzelne Künstler oder mit Sängeren wär’s geil, was ganz Abgedrehtes wie ein Country-Folk Album zu machen.

Wird dein Album „Hollywood Psychose“ so ähnlich wie die EP klingen?
Ja, nur ein bisschen heller. Das ist jetzt alles, sehr dunkel, obwohl alles im Sommer entstanden ist – sehr paradox. Die Grundstimmung ist ziemlich paranoid und bittersüß, das Album wird genauso, nur nicht permanent so runterziehend sondern heller und fluffiger.

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