Text: Jan Braula
Mitarbeit: Julia Gschmeidler
Elke Lichtenegger ist nur ein Rädchen im Ö3-System, dennoch ist die 31-jährige Moderatorin auch unabhängig von ihrer quasi berühmt gewordenen Verwechslungsgeschichte ein gutes Beispiel für die im Radiosender herrschenden Prioritäten: Die Selbstvermarktung kommt vor dem musikalischem Interesse. Altbekanntes vor Unentdecktem und Neuem. Der Plausch vor dem Interview. Nachdem Lichtenegger das aussprach, was sich viele ihrer Ö3-KollegInnen über österreichische Musik denken werden, sah sie sich mit einem Shitstorm konfrontiert. Über Facebook folgten Entschuldigungen und Beteuerungen, im tatsächlichen Radioprogramm blieb der Vorfall jedoch unkommentiert.
Bis vor Kurzem lief es für Elke Lichtenegger wie geschmiert: seit 2007 als Moderatorin beim größten österreichischen Radiosender, durfte sie vor ein paar Wochen auch die Ö3 Top 40 übernehmen. Mehr Leute erreicht man mit einer Radiosendung in Österreich wahrscheinlich nicht. Doch nun wurde ihr die Öffentlichkeit selbst zum vermeintlichen Verhängnis. Fast kann man aber von einer guten Tat sprechen – denn unbeabsichtigterweise – fachte sie damit die Diskussion rund um die mangelnde Förderung österreichischen Musikschaffens sehr stark an.
In einer Fernsehsendung von www.mediaandmore.at, einem Arbeitsprojekt für junge Erwachsene mit Behinderung, wurde Elke Lichtenegger eigentlich schon vor einiger Zeit interviewt. Ursprünglich wurde die Sendung auf Okto TV ausgestrahlt. Im Internet ist sie auch zu finden. Hier zeigt sie sich mehrmals verbal äußerst unbeholfen und abgehoben. So fragt sie beispielsweise den Interviewer Stefan Jaindl, ob er wisse was „Licht ins Dunkel“ sei, um dann von einer ihrer Triathlon-Werbekooperationen zu erzählen. Als Hauptgrund für ihren 2007 vorgenommenen Arbeitsplatzwechsel von KroneHit zu Ö3 gibt sie an, dass Zweiterer nunmal der größte Sender sei. Auf die Frage, was sie privat für Musik höre, fällt ihr „Alles mögliche“ ein. All das blieb bis vorgestern von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt. Unter dem markigen Titel „So denkt man bei Ö3 über österreichische Musiker“ machte dann aber ein Video-Ausschnitt der ursprünglichen Sendung überraschend viele Social Media-Runden. Nach 200.000 Klicks war aber Schluss: da ein „Mediaandmore“-Redaktionsmitglied den Urheberrechtsanspruch einforderte, wurde das Video von YouTube entfernt. Wirklich aus dem Zusammenhang gerissen, wie der ORF in der ZIB24 behauptete, war die Erzählung Lichteneggers aber nicht. Ursprünglich hatte sie damit nämlich auf die Frage nach ihren persönlichen Arbeitserfahrungen als Radiomoderatorin mit Prominenten geantwortet.
Lukas Plöchl, der ja schließlich selbst über ein ORF-Format bekannt wurde, hat auf Facebook kundgetan, dass er sich sogar finanziell daran beteiligt, dass dieses Video weit gestreut wird und somit viele Menschen erreicht.
Als wir Lichteneggers „Ich dachte das ist irgendsoeine österreichische, vollkommen unbekannte Band, die halt irgendwie versuchen uns ein Lied zu verkaufen, das wir aber nicht wollen, weil es wahrscheinlich ganz schlecht ist (…)“-Aussage auf der The Message-Facebookseite zitierten, hielt das mittlerweile entfernte Video noch bei ein paar hundert Klicks. Innerhalb der nächsten paar Stunden kommunizierten es dermaßen viele über Twitter und Facebook mit Entrüstung weiter, dass es zumindest auf Facebook etwas ungemütlich für Ö3 wurde. Schließlich entschuldigte sich Ö3-Chef Georg Spatt noch am selben Tag für die Aussagen Lichteneggers, freilich auch über Facebook:
„(…) ich verstehe den Ärger und die Entrüstung über das Interview von Elke Lichtenegger. Es tut mir sehr leid, dass sich viele Musiker und Interessierte durch dieses Interview in ihrer kritischen Meinung gegenüber Ö3 bestätigt sehen. Ich entschuldige mich für die in diesem Interview augenscheinliche Gedanken- und Respektlosigkeit, die nicht der Einstellung von Ö3 und seiner Redaktionen entspricht. Selbstverständlich ist mir die kritische Einstellung vieler Interessierter zum Thema Österreichische Musik im Zusammenhang mit Ö3 bekannt und ich stehe dazu auch in einem ständigen, für viele leider unbefriedigendem Austausch. Und diese Diskussion muss auch fortgeführt werden und wir sind gefordert, bessere Bedingungen und eine Atmosphäre der Wertschätzung und des Miteinander zu schaffen. Und dieses Interview von Elke Lichtenegger hat leider, aus welchen unüberlegten Motiven auch immer, eine Verletzung der sowieso angespannten Gesprächssituation bewirkt, für die ich mich „nur“ entschuldigen kann. „Nein“, Ö3 denkt nicht so!“
Spatts Entschuldigung hatte aber wohl auch einen anderen Grund. Laut dem Standard war nämlich ausgerechnet für den gestrigen Dienstag eine lang geplante Aussprache von ORF-Radiodirektor Karl Amon und Georg Spatt mit österreichischen Musikproduzenten anberaumt gewesen. Es sollte über den Anteil österreichischer Musik im öffentlich-rechtlichen Rundfunk diskutiert werden. Konkrete Ergebnisse gab es aber anscheinend keine. Der Standard berichtete bereits gestern, dass ein Teilnehmer nur die Auskunft geben konnte, dass man sich in zwei Wochen wieder treffen wolle.
Lichtenegger selbst entschuldigte sich gestern Mittag ebenso über Facebook für eine ihrer im „Mediaandmore“-Interview getätigten Aussagen. Dies tat sie noch vor dem Beginn ihrer Ö3 Sendung um 14 Uhr:
„Liebe Hitradio Ö3 Gemeinde, wenn man Mist baut, muss man auch sagen: „Ja, was ich da in diesem Interview vor einem Jahr gesagt habe, war falsch und dafür möchte ich mich in aller Form entschuldigen!“ Es war nicht meine Intention Musiker, Musikschaffende oder Musikinteressierte zu beleidigen. So denke ich nicht als Privatperson und auch nicht als Ö3-Moderatorin. Es war ein Fehler, dieser Fehler ist mir passiert und dem stelle ich mich auch. Für alle, die ich mit dieser Aussage unbewusst angegriffen habe, möchte ich hiermit eine große Entschuldigung aussprechen!“
Wie es unabhängig von der sehr unterschiedlichen sprachlichen Qualität der beiden Entschuldigungen um die inhaltliche Nachhaltigkeit bestellt war, zeigte sich dann zwei Stunden nach Lichteneggers Facebook-Statement. In der von ihr moderierten „Playlist“-Sendung auf Ö3 verlor sie nämlich kein Wort darüber. Eigentlich nicht weiter verwunderlich, denn 200.000 YouTube Clicks für das entblößende Video schön und gut, aber Ö3 erreicht angeblich täglich rund drei Millionen Zuhörer. Auch sonst sagte Lichtenegger in der gestrigen Sendung nicht viel. Über Musik fast gar nichts. Einen Österreich-Beitrag gab es auch: Conchita Wurst. Wofür auch noch Zeit blieb, war die Vermarktung der Moderatorin. So ließ eine Einspielung wissen: „Ich bin Cro und ihr hört Ö3 mit Elke Lichtenegger“. Dann noch eine Frauenstimme: „An den Turntables: Ö3 DJ Elke Lichtenegger!“ Als sie vor ein paar Wochen die Moderation der Ö3 Top 40 übernahm, wurde auf der Homepage des Senders prompt vom „schönsten Neueinstieg“ und seinem Aussehen berichtet. Nach ihrer gestrigen nachmittaglichen Sendung soll sie allerdings Medienberichten zufolge einen Nervenzusammenbruch erlitten haben.
Das Namedropping scheint sich zumindest virtuell auszuzahlen: Elke Lichtenegger hält bei mittlerweile knapp 30.000 Facebook Fans. Diese werden regelmäßig mit Selfies und Fitnessvideos versorgt. Eine weitere Episode aus Lichteneggers Ö3-Karriere: Anfang 2013 vesprach sie beim Erreichen von 20.000 Likes eines Facebook-Kommentars eine Sendungsmoderation im Bikini. Das passierte dann auch tatsächlich. Außerdem kann man sie als Moderatorin für diverse Veranstaltungen buchen. Spar, Miele, Ford, A1 und Raiffeisen zählten bereits zu ihren Auftraggebern. Sie ist damit eine von vielen Rundfunk MitarbeiterInnen, die ihre durch ein öffentlich-rechtliches Medium gewonnene Aufmerksamkeit für private Firmen- und Werbekooperationen nutzt.
Die Positionierung der Ö3 Moderatoren als wiedererkennbare Marken und Gesichter hat bereits Geschichte. Man denke nur an Robert Kratky, Matthias Euler-Rolle, Hary Raithofer oder Martina Rupp. Gleichzeitig gibt es auf diesem Sender aber keinen Raum für eine inhaltlich fundierte Auseinandersetzung mit Musik oder anderen Kunstformen. Das widerspricht in mehrfacher Weise dem ORF-Gesetz. In diesem heißt es beispielsweise:
„§ 4. (1) Der Österreichische Rundfunk hat durch die Gesamtheit seiner gemäß § 3 verbreiteten Programme und Angebote zu sorgen für: (…)
5. die Vermittlung und Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft;
6. die angemessene Berücksichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion;
7. die Vermittlung eines vielfältigen kulturellen Angebots;„
Jene Aufgaben scheinen vielleicht noch dehnbar und auf FM4 beziehungsweise Ö1 abwälzbar, an späterer Stelle heißt es in den Programmgrundsätzen aber:
„(8) Als Kultursender soll der Österreichische Rundfunk sowohl Berichterstatter wie eigenständiger Produzent sein und vor allem Auftraggeber, Arbeitgeber und Forum österreichischer Kreativität und Gegenwartskunst.„
Die Frage ist also, womit Ö3 dieser Aufgabe nachkommt. Musikmanager Hannes Eder spricht im ORF-Interview sogar davon, dass es seit dem Gründungstag von Ö3 am 1. Oktober 1967 noch nie so eine niedrige Österreichquote gab, wie jetzt. Dabei haben der ORF und Vertreter der österreichischen Musikwirtschaft erst im letzten Jahr die Musikcharta verlängert, deren Ziel es ist, einen durchschnittlichen Anteil von rund 33 Prozent in den drei nationalen und neun regionalen ORF-Radios zu erreichen. Zum Vergleich: In Frankreich wurde vereinbart, mindestens 60 Prozent der Sendezeit mit Produktionen europäischer Künstler, 40 Produzent mit den Produktionen französischer Interpreten auszufüllen. Um eine Zahl aus Österreich zu nennen: Ö3 sendete im Jahr 2011 gerade einmal 7,5 Prozent Musik von hier lebenden KomponistInnen, FM4 hingegen lag damals bei 18,2 Prozent. Ein Aufwärtstrend über die letzten Jahre ist leider nicht ersichtlich.
Dass die Ö3-Redaktion durchaus junge österreichische Künstler am Radar hat und trotzdem ignoriert, beweist folgende Aussage des Wiener Rappers N.I.K.O. in einem kürzlichen Interview mit The Message: „Witzigerweise hat Ö3 sofort eine CD haben wollen, ins Archiv, aber machen tun’s nix.“ Ob es für österreichische Musiker, die durchaus einem größeren Publikum zuträglich wären, überhaupt erstrebenswert ist, im derzeitigen Ö3 zu laufen, erscheint fraglich. Es bräuchte schon mehr als die Einführung einer Inländer-Quote, nämlich auch eine inhaltliche Neuorientierung. Ob diese aber jemals wirklich kommen wird, oder ob nicht vielmehr das bisher ziemlich erfolgreiche Ö3 System der Selbstvermarktung der letzten zwei Jahrzehnte prolongiert wird, bleibt abzuwarten. Zu befürchten ist jedenfalls auch aufgrund der Vorgehensweise in der Lichtenegger-Causa Zweiteres.
Average und Url bringet den Medienumgang mit österreichischer Musik in ihrem neuen Track „Unten halten“ auf den Punkt. Die abschließenden Worte überlassen wir trotzdem „Irgendsoeiner österreichischen vollkommen unbekannten Band“:
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