Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute…
Ahzumjot sitzt mit uns an der Bar im B72, es dauert nicht mehr lange, bis zu seinem ersten Solo-Konzert in Wien. Höflich fragt er uns, ob es uns stören würde, wenn er während des Interviews eine Zigarette raucht. Er schneidet noch eine Ingwerknolle für seinen Tee, am Tresen liegt der zuvor benutzte Afrokamm. Entspannt erzählt der Hamburger über die Schwierigkeit, Erwartungen nicht zu erfüllen, erklärt Oberflächlichkeit zu einem Resultat des Konsums und verurteilt die seiner Meinung nach Promo-Aktionen mancher US-Rapper in Ferguson. Beim anschließenden Konzert werden nur wenige Fans erscheinen. Und doch erfreut sich ein strahlender Ahzumjot äußerst glaubwürdig über die auswendig gelernten Texte und die Zuhörer, die nur seinetwegen gekommen sind. Genau diese Stärken sind es, die einen Star ausmachen.
Interview: Julia Gschmeidler
Fotos: Alexander Gotter
TM: Du hast gerade davon erzählt, dass dich Leute immer mit anderen dunkelhäutigen Promis verwechseln. Stimmt es, dass du selbst mal Schauspieler werden wolltest?
Ahzumjot: Ja, ich wollte als kleiner Junge unbedingt Schauspieler werden, als ich großer Fan von „Prince of Bel-Air“ war. Ich wollte schon immer etwas Künstlerisches machen. Irgendwann kam dann noch Journalismus dazu. Ich hab schon immer das Schreiben geliebt, so bin ich dann auch zum Rappen gekommen. Irgendwann hat man sich ein billiges Headset gekauft und angefangen, aufzunehmen.
Du warst letztens bei „Inas Nacht“ auf ARD, wo auch Tobias Moretti zu Gast war. Hattest du die Gelegenheit, dich mit ihm auszutauschen?
Ganz kurz, wir haben uns beim Soundcheck begrüßt. Da hat Ina Müller uns vorgestellt und sie meinte, ob ich ihn überhaupt noch kennen würde und das noch meine Generation sei. Ich so: „Ja klar, als kleiner Junge war ich totaler Fan von ‚Kommissar Rex‘.“ Das fand er gar nicht geil, dass ich das gesagt habe. Irgendwie hab ich das Gefühl, dass er gar nicht mehr so viel damit zu tun haben will, weil er darauf reduziert wird. Das ist wie ein Musiker, der so einen Riesenhit hatte und darauf reduziert wird. Bei Kate Perry wird das immer „I kissed a Girl“ sein.
Ein anderer Österreicher, über den du schon öfters erzählt hast, ist Gerard. Wie hast du ihn kennen gelernt?
Oh, das war 2011. Da war ich bei „Beatfight“ in Köln, das ist ein HipHop-Produzenten Battle. Da war Gerard im Publikum. Wir haben danach was gesoffen, der trinkt ganz gerne mal und dann auch ganz gut. Dann hingen wir den ganzen Abend zusammen herum, er hat die Beats auch ganz geil gefunden, die wir gemacht haben. Da ist dann gleich eine Connection gewesen.
Kommt da auch noch was Gemeinsames?
Ich hätte wahnsinnig Bock drauf und könnte es mir auch tatsächlich vorstellen – in gar nicht allzu weit entfernter Zukunft zusammen was zu machen. Ob ich jetzt einen Song für ihn produziere, oder er mal einen Song mit mir als Feature macht. Wir haben schon mal einen mit Olson gemacht, der ist aber etwas älter und war ein Side-Project. Aber jetzt einen richtigen Song mit Gerald, hätte ich mal richtig Bock drauf.
2011 wurdet ihr beide zur „Neuen Reimgeneration“ gezählt. Wer gehört deiner Meinung nach 2014 dazu?
Es gibt wahnsinnig viel, das neu ist und interessant. Allein schon Sierra Kidd oder Nanoo. Der ist noch nicht wirklich bekannt, aus Aschaffenburg und hat mit Rockstah ein paar Songs gemacht. Der hat neulich eine EP rausgebracht, die ist ziemlich geil geworden. Sonst gibt es fast schon zu viele.
In einem Interview sagtest du, dass wenn die Leute die Musik verstehen würden, Tua einer der größten Künstler in Deutschland wäre …
Das kann ich heute noch so unterschreiben.
Du meintest auch, dass dein Album „Nix mehr egal“ die Rollenverteilung ändern würde und nicht nur Cro im Radio gespielt werden würde.
Damit meinte ich, dass meine Musik zugänglicher ist als die von Tua, aber trotzdem nicht so „easy“ wie die Themen von Cro. Meine Themen sind trotzdem bestimmt und ich spreche ernsthafte Dinge an und mache nicht wie Cro Musik zur Berieselung, das ist ja pures Entertainment. Dennoch ist es nicht ganz so düster und ganz so in die Magengrube wie bei Tua. Ich bin halt ein riesengroßer Tua-Fan und ich würd’s ihm gönnen, dass ihn ein breiteres Publikum wahrnehmen würde. Auch wenn er bekannter ist als ich selber.
Auch Gerard gehört dazu. Das sind alles Künstler, die ernsthafte Themen haben und deswegen von einer breiten Masse noch nicht ganz angenommen werden können, weil der Sound noch zu speziell ist. Vielleicht ist das mal anders, wenn die Leute mehr auf den Inhalt achten und nicht darauf, ob das einen Ohrwurmcharakter hat.
Nikolai Potthoff, einer der zwei Produzenten deines Albums, meinte, dass er davor keine Ahnung von HipHop hatte. Wie hat sich das auf das Endprodukt ausgewirkt?
Das war ganz lustig. Beim ersten Treffen wollten wir uns Musik zeigen, die wir gut finden. Ich dachte, ich muss ihm HipHop richtig beibringen und hab ihm Kanye West und Jay-Z gezeigt – und er kannte alles. Dann hat er mir Theophilus London gezeigt, den man nicht kennt, wenn man gar nichts mit HipHop zu tun hat. Dann hat er mir Zebra Katz gezeigt, das ich selbst nicht kannte. Da meinte ich: „Hey, du hast aber ganz schön tiefgestapelt, als du meintest, du hast keine Ahnung von HipHop.“ Dabei meinte er, dass er ihn nur noch nicht produziert hat. Bei ihm zu Hause waren so viele Klassiker-Platten, LL Cool J, die alten Badboy Records Platten, Mase … Natürlich war’s ein wichtiger Einfluss fürs Album, dass es nicht ein straighter HipHop-Produzent war.
Bei „Nix mehr egal“ geht es viel darum, dass die „Oberflächlichkeit ein scheiß Ding“ sei. Glaubst du, dass diese in Zukunft eher zu- oder abnehmen wird?
Ich glaube, sie nimmt gerade stetig zu. Wir leben in einer Konsumgesellschaft, wie wir sie noch nie hatten, alleine durch das Internet. Wir werden mit Werbung zugeknallt bis zum Gehtnichtmehr. Auch ich bin ein Kind der Konsumgeneration, ich selber steh auf gute Klamotten und gehe gerne gut essen, gucke gerne gute Filme. Du kannst dich dem schon gar nicht mehr entziehen, vor allem wenn du in einer Großstadt wie Berlin oder Wien wohnst. Oberflächlichkeit ist ein Resultat aus Konsum, deswegen wird es durch das steigende Angebot immer mehr zunehmen. Wenn wir sehen, wo sich die Technik gerade hinbewegt, mit der ganzen Google-Geschichte, die da gerade passiert, mit Google-Glasses, das wird immer schlimmer. Mittlerweile gibt’s eine App für jeden Scheiß.
Du meintest auch einmal, dass du deinen Kindern einmal nicht nur erzählen willst, wie du feiern warst, sondern auch tiefergreifende Erlebnisse. Was zählst du zu diesen?
Wow, schwierig zu sagen. Das, was ich mit meiner Musik mache – zu versuchen, seinen Traum zu leben – das hat alles seine Höhen und Tiefen. Das werde und würde ich meinen Kindern definitiv gerne mitgeben. Cro hat zum Beispiel ein Video gemacht und war ein Star. Ich finde es ganz gut bei mir, dass es diese Höhen und Tiefen gibt. Dass es eine Zeit gab, wo es hieß „Der Typ wird der nächste Star“ – und mit dem neuen Album bin ich noch nicht der nächste Star geworden. Das kann aber immer noch kommen, weiß man ja nicht. Kann aber auch scheitern. Dann fällt man auf die Fresse und muss wieder aufstehen. Ich würde ihnen mitgeben, an etwas festzuhalten und immer an etwas zu glauben, sich definitiv nichts ausreden zu lassen. Lieber die eigenen Erfahrungen machen, als groß etwas weiterzugeben, davon handelt auch das Album sehr viel.
Du prangerst an, dass sich die Leute über Politik beschweren, ohne sich mit ihr auseinanderzusetzen oder auf Demos zu gehen, ohne hinter deren Forderung zu stehen. Aber warum machen sie es dann? Ist es in Mode?
Anti-Sein ist immer in Mode. Es ist immer cooler, gegen etwas zu sein, als für etwas. Wenn du mitreden willst, musst du auch gegen bestimmte Themen sein. Die ganze Geschichte mit Ferguson, wo Mike Brown von einem Polizisten erschossen wurde … Wenn man einmal guckt, was medial in Amerika passiert und wie viele Rapper sich dafür interessieren, plötzlich auf die Straße gehen und sich „zufällig“ dabei fotografieren lassen. Das mag ich nicht so gerne, sich für Themen zu interessieren, nur weil das die breite Masse tut. Entweder dich interessiert es wirklich, dann ist es auch schön und gut. Aber man sollte das nicht an die große Glocke hängen. Sobald du spendest, ist bei einem Star die Frage, ob man das für sich behalten soll, damit’s nicht wie ein Promo-Gag rüberkommt, oder es an die große Glocke zu hängen. Wie viele setzen sich auf Demos wirklich mit dem Thema auseinander, wegen dem sie auf der Demo sind? Vielleicht 20 Prozent, wenn nicht noch weniger. Das ist eine schwierige Sache, dieses gefährliche Halbwissen.
Würde das dann nicht bedeuten, dass man nur protestieren darf, wenn man eine Alternative hat oder sich auskennt?
Das nicht, es darf ja jeder machen was er will. Aber ich finde es für mich selbst wichtig. Ich fände es heuchlerisch, wenn ich mich mit dem Thema überhaupt nicht auseinandersetze, aber dafür jetzt kämpfe.
In dem Track „Zu Gast“ sagst du, dass ‚Willkommen‘ auf unserer Fußmatte steht, aber dass es auch noch das Kleingedruckte gibt. Was ist das?
Das sind die Bedingungen, die dem Willkommen hinterhergestellt werden. Nach dem Motto „Willkommen, du darfst dich auf dieser Welt frei entfalten“. Ich als Künstler weiß aber, dass da immer irgendwo ein Haken dabei ist. Dass du dich zwar frei entfalten darfst, aber allein das Geldverdienen ist nicht einfach.
Ich habe beim Hören eher die deutsche Einwanderungspolitik damit in Verbindung gebracht.
Damit hat es nichts zu tun, aber ich find’s gut, wenn Leute auch mal was anderes hineininterpretieren. Ich glaube, da liefert meine Musik oft einen doppelten Boden, was sie dadurch wieder weniger zugänglich und radiotauglich macht.
Aber welche Kunst bringt schon nur eine Meinung hervor?
Hör dir das Radio an! Wo ist der doppelte Boden, wenn Enrique Iglesias singt „I wanna fuck with you tonight“? Ist relativ deutlich, was der Mann will. Eine Message und das war’s. Auch in den Charts. Bei Helene Fischer, erfolgreichste deutsche Künstlerin, finde ich die Texte auch ziemlich eindeutig …
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Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute verbessert sie, hievt Beistriche wieder auf ihren richtigen Platz und hält die ganze Bande mit liebevoller Strenge zusammen. Nach dem Dienst im KURIER-Newsroom hört sie dann eine Zugezogen-Maskulin-Platte zum Einschlafen.