"The hardest thing to do is something that is close…
Fünf Jahre nach Awesome Tapes of Africa nahm sich das deutsche Label Analog Africa der herausfordernden Aufgabe an, Material der somalischen Dur-Dur Band neu zu veröffentlichen. Herausfordernd, weil große Teile des einst reichen Kassettenfundus somalischer Populärmusik zu Opfern der Wirren des Bürgerkriegs wurden. Aber wie die amerikanischen Kollegen war Analog Africa bei der Suche nach Schätzen der Dur-Dur Band erfolgreich. Das Resultat nennt sich „Dur Dur of Somalia – Volume 1, Volume 2 & Previously Unreleased Tracks“, eine Compilation, die neben den beiden Longplayern aus den Jahren 1986 und 1987 zwei unveröffentlichte Tracks enthält.
Komponiert wurde diese Musik zu einer Zeit, in der sich in Somalia große politische Umbrüche ankündigten. Das Erodieren der Militärdiktatur Siad Barres, der 1969 durch einen Putsch an die Macht kam und sich am kontextfernen Konzept des „Wissenschaftlichen Sozialismus“ versuchte, war in den 80ern unübersehbar. Somalia war zu diesem Zeitpunkt längst zu einer Kleptokratie verkommen, die Korruption nahm immense Züge an. Die Machtsicherung der Regierung erfolgte durch das kalkulierte Ausspielen der Clanidentität. Eine perfide Taktik, die das Land für Generationen ins Unglück stürzen sollte.
Schwierige Umstände also, von denen man auf „Volume 1“ und „Volume 2“ jedoch nichts mitbekommt. Die Beschwingtheit der Band wirkt vielmehr wie eine Form des Eskapismus, wie das letzte große Festmahl der Belegschaft eines Schiffs, auf dem alle wissen, dass der Untergang bevorsteht. Anderseits war die Dur-Dur Band in ein System eingebettet, in dem Kunstschaffende kaum Möglichkeiten hatten, ohne Gefährdung der eigenen Person kritische Töne zu äußern.
In weiser Voraussicht verschaffte die Barre-Regierung Musikern Anstellungen an staatlichen Schulen, Akademien oder Ensembles, wodurch sich eine Situation der ökonomischen Abhängigkeit ergab. Und selbst wenn sich jemand davon nicht beeindrucken ließ und Kritik äußerte: Die Zensur- und Sicherheitsbehörden arbeiteten besonders in den 70er-Jahren rigoros. Widerspenstige Kunstschaffende wurden inhaftiert oder mussten, wie die populäre Sängerin Magool, zumindest zeitweise den Weg ins Exil antreten. Nur wenige, wie der enttäuschte Sozialist und Waaberi-Mitglied Abdi Muhumud Amin im Jahr 1979, brachten unter diesen Umständen den Mut auf, gegen das Regime zu revoltieren.
Trotz etlicher Maßnahmen, darunter das Nichtverlängern von Lizenzen für Musiklabels, scheiterte das Barre-Regime aber an einer Nationalisierung der Musiklandschaft. Paradoxerweise blühten gerade in den Zeiten der Diktatur private Bands, die einen Konterpart zu regierungsunterstützten Ensembles bildeten, regelrecht auf. Eine der bekanntesten privaten Bands war eben die Dur-Dur Band („Dur-Dur“ bedeutet Quelle auf Somali), die um 1980 vom stadtbekannten Keyboarder Isse Dahir in der Hauptstadt Mogadischu gegründet wurde. Sein Renommee verdankte Dahir einer Beteiligung bei der Theatertruppe Isbahaysiga Fannaniinta Banaadir („Allianz der Künstler von Banaadir“). Diese Popularität erleichterte das Rekrutieren von Personal für Dur-Dur, das eine Reihe von Größen der somalischen Musikszene aufweisen konnte.
Dazu zählen Bassist Ujeeri, der sich zuvor bei der Band Somali Jazz einen Namen machte, Drummer Handal von der Bakaka Band und drei verschiedene Vokalisten, die auf „Volume 1“ und „Volume 2“ in Erscheinung treten: Shimaali, ebenfalls von der Bakaka Band, sowie Sahra Dawo und Baastow von Waaberi. Namen, von denen man sich im Zusammenspiel große Kunst erwarten durfte. Und die fabrizierte Dur-Dur, deren Club-Gigs höchste Reputation hatten.
Als Heimstätte fungierte das damals mondäne Hotel Juba, das heute nur noch als Ruine unweit der türkischen Botschaft besteht. Allerdings erlebte sie dort nur eine Handvoll der Einwohner Mogadischus: Die überwiegend in Hotels integrierten Nacht-Clubs, wie Juba, Jazira und Uruba, waren für die große Mehrheit der lokalen Bevölkerung schier unerschwinglich. Das bekam die Dur-Dur Band auch vor Augen geführt, die nicht selten in einer halbleeren Location auftreten musste.
Ein großes Publikum erreichte die Dur-Dur Band aber mittels Radio und Kassetten. Über dieses Medium veröffentlichte sie einst „Volume 1“ und „Volume 2“, auf denen die Band ihre Live-Power in ein Albumformat transferierte. Mit „Yabaal“ und „Diinleeya“ landete die Dur-Dur Band regelrechte Hits, die eine große Karriere versprachen. Dann brach der Krieg aus, der schlagartig alle Karrierepläne beendete. Die Band geriet in Vergessenheit.
Warum dieses Schicksal so tragisch ist, zeigte schon der exzellente 2013er Re-Release von „Volume 5“. Ein Kurs, der mit der Compilation „Dur Dur of Somalia“ erneut eingeschlagen wird. Dass der Sound auf dem Album nicht einheitlich klingt, sondern eine große Variation aufweist, spielt hier gar keine Rolle. Die verblüffende Wirkung der Songs wird durch die mitunter bescheidene Soundqualität nicht gemindert. Superlässige Wah-Wah-Gitarren, die so klingen, dass sie einen Melvin Ragin stolz gemacht hätten, der immer stimmige Einsatz von Bläsern, die hypnotisierenden Drums oder die charakterstarke Stimme der zur Melismatik neigenden Sahra Dawo sind ohne Zweifel wichtige Zutaten, die dafür sorgen, dass die Dur-Dur Band musikalisch auftrumpft. Der entscheidende Faktor ist jedoch ein anderer. „Volume 1“ und „Volume 2“ erstaunen, weil die Band schlichtweg jene Eigenschaften aufgesogen hat, die stellvertretend für somalische Popmusik ab den 60er-Jahren stehen.
Der gelang es vorzüglich, traditionelle somalische Poesie und Klangwelten mit (nicht nur, aber vor allem) westlicher Popmusik zu verbinden. Die Grenzen wurden verwischt, wie sich auch auf „Volume 1“ und „Volume 2“ zeigt. Das beste Beispiel dafür der Hit „Diinleeya“, der nicht aus eigener Feder stammt. „Diinleeya“, das von den grundsätzlichen, kniffeligen Fragen des Lebens handelt („Diinleeya“ bedeutet, grob übersetzt, Frage), ist die Neuauflage eines alten somalischen Volksliedes. Gesungen wird der Song im Dialekt (oder der Sprache, darüber streiten Linguisten) des Af-Maay, der überwiegend im Süden Somalias, vom Clan der Rahanweyn, gesprochen wird.
Das musikalische Gewand auf „Diinleeya“ erinnert an Reggae; der Dur-Dur Band aber ein Schielen gen Jamaika zu attestieren, wäre ein Trugschluss. Tatsächlich beruft sich die Band hier auf den jahrhundertealten, somalischen „Dhaanto“, der in den 1970er-Jahren durch Bands wie die genannten Waaberi einen neuen Anstrich bekam. In ähnlichen Gefilden bewegen sich die rhythmischen Elemente aus dem rituellen Saar, die ebenfalls von der Dur-Dur Band inkorporiert und so adaptiert werden, dass sie in den Ohren westlicher Hörender nur allzu vertraut klingen.
Für diese Vertrautheit sorgen auch die anderen musikalischen Einflüsse, denen es „Volume 1“ und „Volume 2“ schließlich nicht mangelt. Der Opener „Ohiyee“ übernimmt ein paar Akkorde aus „New Bell“ der kamerunischen Jazz-Größe Manu Dibango, „Jaajumoow Jees“ zog seine Inspirationen wohl aus dem Schaffen eines Carlos Santana. „Jaceyl Mirahiis“ ist eine pulsierende Disco-Nummer, während „Saafiyeey Makaa Saraayeey“ sich als soulige Veranstaltung präsentiert. Geprägt wird die Compilation von funkigen Tönen, die etwa auf dem mit einem Call-Response-Muster ausgestatteten „Hiyeeley“ oder „Dab“ zu hören sind. Für den passenden Abschluss von „Volume 2“ sowie der Compilation sorgt das bluesig-folkige „Aduun Hawli Kama Dhamaato“, ein weiterer Beleg für das breite musikalische Spektrum der Dur-Dur Band.
Fazit: „Dur Dur of Somalia“ ist ein faszinierender Blick in die somalische Musikszene der 80er-Jahre. Der Sound der Dur-Dur Band besticht durch Funkyness und ein geschmackssicheres Vermengen unterschiedlicher Stile. Da das alles so fabelhaft klingt, ist die Sprachbarriere, die durch das Verwenden verschiedener Dialekte selbst für Kundige des Somali besteht, zu vernachlässigen. Nach dem Hören der Platte besteht nur der Wunsch, dass noch weitere Schätze der Dur-Dur Band, deren Mitglieder heute verstreut über den Globus leben, geborgen werden.
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