"The hardest thing to do is something that is close…
Abseits von Zugezogen Maskulin hat grim104 (36) in seiner Solo-Karriere eine Vielzahl an Songs produziert, die den Hörenden viele nachdenkliche Stunden bescheren: „Crystal Meth aus Brandenburg“ aus seinem selbstbetitelten Solo-Debüt (2013) gehört hier ebenso dazu wie „Juri Gagarin“ aus „Das Grauen, das Grauen“ (2019), „Komm und Sieh“ aus „Imperium“ (2022) oder „Sterne“ und „Stirb nicht heute“, die beide auf seinem aktuellen Album „Ende der Nacht“ (2023) zu finden sind. grim104 steht für intelligente Texte über Themen fernab des Deutschrap-Mainstreams, manchmal schmerzhaft ironisch, manchmal brutal ernst, manchmal beides zur gleichen Zeit. Wir trafen den Rapper anlässlich seines Wien-Konzerts im Flex Café und sprachen mit ihm über Ernstes und weniger Ernstes – ein Interview über Kontinuitäten, tragische Jugend-Idole, ein Leben ohne Spotify und Fler.
The Message: Unser letztes Interview im Jahr 2015 endete damit, dass du das Buch „Nacht“ von Edgar Hilsenrath empfohlen hast. Das ist insofern spannend, als dein aktuelles Album „Ende der Nacht“ heißt. Hast du aus diesem Buch Einflüsse für die Musik mitgenommen, die du in der Zeit danach gemacht hast?
grim104: Vielleicht für den Song „Komm und Sieh“, wo es um den Holocaust geht. Aber diese Nacht, die ich in „Ende der Nacht“ beschreibe, ist eine ganz andere Nacht als die ewige Dunkelheit, die bei Edgar Hilsenrath gezeichnet wird: „Nacht“ ist ein Roman aus der Sicht eines Menschen, der im fiktiven Prokow das Ghetto erlebt hat. Aber das für mich wichtigste Buch von Edgar Hilsenrath ist „Der Nazi und der Friseur“. Das ist mir auch noch viel präsenter.
Ich habe das Buch auch gelesen, es hat mich noch lange danach beschäftigt. Ähnlich ging es mir mit den Büchern von Cormac McCarthy. Hast du etwas von ihm gelesen?
Der hat doch „The Road“ geschrieben … und „No Country for Old Men“?
Ja, genau.
Achtung, neues grim104-Album: „No Country for Old grim“. Ich denke die ganze Zeit, dass es das werden sollte. Aber nee, von dem habe ich nichts gelesen. Ich habe „The Road“ geguckt und fand ihn unfassbar beklemmend. Das ist ein Film, den ich nicht noch einmal gucken werde, weil er mir so schlechte Laune gemacht hat. Im Moment kann ich eh nicht mehr so gut mit dystopischen Stoffen umgehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Buch ähnlich bedrückend ausfällt.
„Komm und Sieh“ aus deinem 2022 veröffentlichten Album „Imperium“ ist einer der besten Deutschrap-Tracks der jüngeren Vergangenheit. Darin behandelst du ein Thema, das man im Deutschrap selten vorfindet: Was hat dich dazu bewogen, dich in diesem Song mit den gegenwärtigen Relikten des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen?
Ich habe eine Affinität zu Geschichtskrams. Was mich beschäftigt hat, waren Kontinuitäten, und das nicht immer im explizit politischen Sinne. Ich habe darüber nachgedacht, wie absurd das ist, wenn man über einen deutschen Friedhof läuft und dort steht, dass jemand im Jahr 1912 geboren worden und im Jahr 1998 gestorben ist. Den Satz habe ich schon öfter gesagt, aber der lässt mich nicht los: Dieses Gedankenspiel, dass die Eltern dieses Menschen vielleicht noch vom Untergang der Titanic gehört haben, dass die Person in einem Kaiserreich geboren wurde, dann die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, die DDR oder die BRD erlebt hat und sich dann im Altenheim rein theoretisch ein Tupac-Album anhören kann – dass all das in dieses ewige 20. Jahrhundert, in ein Menschenleben passt, finde ich total interessant.
Dann hat mich auch aus biografischen Gründen interessiert, wie diese Dinge in uns fortleben. Es gibt dieses Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ (geschrieben von der NS-Erziehungsideologin Johanna Haarer, Anm. d. Red.) – ich fühl’ mich jetzt schon wie Lemmy mit seinem Nazi-Krams (Lemmy Kilmister, Sänger von Motörhead, war Sammler von NS-Memorabilia, Anm. d. Red.) – und in diesem Buch kommt dieses Ganze zur Härte erziehen, also etwa die Kinder schreien lassen, weil das die Lungen stärkt, vor. Das war neben „Mein Kampf“ der große Bestseller im Dritten Reich. Die Kontinuität, dass dieses Buch auf die Großeltern und damit die Eltern und dann in Teilen auch auf uns Auswirkungen hatte, hat mich beschäftigt.
Dann sind es noch die stofflichen Kontinuitäten: Als ich diesen Song geschrieben habe, hatte ich das Gefühl, dass ich gejagt werde von bestimmen Dingen. Ich wohne im Berliner Bezirk Wedding. Da gibt es eine Fahrradwerkstatt, wo Menschen mit Behinderung Fahrräder reparieren. Dort habe ich mein Fahrrad abgegeben. Ich gucke dann an die große Tafel, die im Eingang ein bisschen versteckt ist. Dort lese ich, dass hier früher eine Fahnenfabrik war, in der die „Judensterne“ für die Ghettos und später Konzentrationslager für die ganzen von Nazi-Deutschland besetzten Gebiete in Osteuropa produziert wurden. Dieses Gefühl, dass egal wo ich hingucke, ich solche Dinge sehe, hatte ich die ganze Zeit: Ich gehe zum Baden nach Brandenburg und das erste, was ich sehe, ist das in der DDR-Zeit errichtete Denkmal mit der Inschrift „Hier ging der Todesmarsch 1945 lang“.
Hat dieses „Seine Kinder zu Stärke erziehen“ in den vergangenen Jahren wieder an Bedeutung gewonnen? Stichwort Alpha-Mindset.
Das sind Bubble-Dinge, von denen ich nichts mitkriege. Es gibt diese Eltern, die ihre Kinder mit dem Alpha-Mindset erziehen. Im Gegenzug gibt es Leute, wo die Kinder erstmal noch kein biologisches Geschlecht annehmen. Auf der anderen Seite: Vor 10, 20 Jahren war es okay für mich als Jungen, dass ich traurig sein, dass ich weinen und dass ich verletzlich sein darf. Ich kenne aber auch genug Klassenkameraden, bei denen ich weiß, dass das bei deren Eltern nicht Teil des Programms gewesen wäre. Ich weiß also nicht, ob dieses „zur Härte erziehen“ an Bedeutung gewonnen hat. Ich denke sogar im Gegenteil, dass sich das gebessert hat; dass es als okay angesehen wird, als Junge Gefühle zu zeigen. Ich hänge aber nicht mit irgendwelchen Hooligans ab, die ihr erstes Kind kriegen.
Gibt es hier Unterschiede zwischen Stadt und Land?
Ganz bestimmt. Auf dem Land wird die „Gender Reveal Party“ noch eher in Blau oder Rosa gemacht, da gibt es keine Zwischentöne. Ich habe das Gefühl, dass die eher im städtischen Milieu ein Thema sind. Was nicht heißen soll, dass es nicht auch Leute auf dem Dorf gibt, die anders ticken … und auch da habe ich das Gefühl, dass es sich ein bisschen aufweicht, durch Instagram und so weiter. Gott, ich klinge so alt (lacht). Es gleicht sich schon ein bisschen an. Es ist nicht mehr so, dass es diese ganz explizite Stadtkultur gibt, wo die Bohème-Leute leben – und die Landbevölkerung fährt das Heu ein und betet.
Die auf Papier gemalten Szenen aus dem Video zu „Komm und Sieh“ konnten käuflich erworben werden. Ein Teil des Erlöses ging an das GröschlerHaus in Jever, das die Erinnerung an das jüdische Friesland lebendig hält und die jüdische Geschichte vor Ort aufarbeitet. Wie bist du auf die Idee gekommen, diesen Verein zu unterstützen?
Als ich 16 Jahre alt war, entdeckte ich einen jüdischen Friedhof in Neustadtgödens. Die ersten Gräber wurden dort im 18. Jahrhundert angelegt, die letzte Person 1982 beerdigt. Damals wusste ich nicht, dass man jüdische Friedhöfe so belässt: In meiner Vorstellung war er verwildert und verwuchert. Mittlerweile kümmert sich jemand darum und zwar wohl in einem Kontext, in dem es mit der Religion vereinbar ist.
Aufgrund des Auferstehungsglaubens dürfen die Gräber auf einem jüdischen Friedhof nicht verlegt werden. Es werden auch keine Gräber aufgegeben, sondern übereinander gelegt. Nach der Shoah gab es das Problem, dass man riesige Gemeinden hatte, aber die Überlebenden waren so wenige, dass es einfach nicht möglich war, diese Friedhöfe zu pflegen. Deshalb sind sie verwildert. In Österreich etwa gibt es Vereinbarungen mit Landgemeinden, wo man sagt, dass diese Friedhöfe nicht mehr belegt werden und die Landgemeinden sich dann darum kümmern. Aber das sind dann keine aktiven Friedhöfe mehr.
Genau, das wusste ich nicht. Soweit ich weiß, gab es in meiner Jugend im Umkreis von 20 Kilometern meines Heimatdorfes keine Juden – vielleicht ändert sich das jetzt mit den ukrainischen Flüchtlingen. Ich wusste also nichts von diesem jüdischen Friedhof, ich habe auch bei Wikipedia nichts darüber gefunden. Dann erfuhr ich, dass es im Ort auch eine Synagoge gegeben haben soll, die nach 1945 als Farbenlager oder Feuerwerkshütte genutzt wurde. Später habe ich dann das GröschlerHaus in Jever entdeckt. Dort kümmert man sich darum, dass die Erinnerung an das jüdische Leben lebendig bleibt. Deshalb habe ich mir gedacht: Es ist schön, wenn man jemandem die Möglichkeit gibt, mit ein bisschen Kohle die Arbeit zu machen, die ich mit 16, 17 Jahren total gut gefunden hätte.
„Da fehlt mir der Anspruch als Vermittler“
Was mir bei „Komm und Sieh“ noch durch den Kopf gegangen ist: Es gibt in Deutschland nur noch 14.000 Überlebende der Shoah, die meisten davon sind „Child Survivor“, also waren bei Kriegsende unter 18 Jahre alt. Das weltweit durchschnittliche Alter der Shoah-Überlebenden ist 86 Jahre, es wird also bald keine Zeitzeug*innen mehr geben. Kann dann ein Song wie „Komm und Sieh“ eine Vermittlungstätigkeit einnehmen?
Da fehlt mir der Anspruch als Vermittler. Ich kann einen Rap-Song darüber schreiben; mir war bei „Komm und Sieh“ wichtig, dass dieser Rap-Song ein Rap-Song ist und kein rumpeliges Geschichtsreferat. Ich wollte auch – und das macht den Song ein bisschen zwiegespalten – dass er schon konsumierbar ist. Dass der Song einen Beat von Ahzumjot hat und nicht so klingt, als wäre er im örtlichen Antifa-Jugendzentrum entstanden. Ich wollte das gerne mit dem GröschlerHaus machen, weil ich das richtig finde. Aber dass ich jetzt als grim104 in irgendeine Schulklasse gehe und einen Vortrag über den Nationalsozialismus halte, darin sehe ich mich nicht.
Bräuchte es mehr Rap-Artists in Deutschland, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen?
Trettmann hat das mit „Stolpersteine“ gemacht.
Retrogott auch, mit dem Song über die Deutsche Bahn.
Ja, „Der Urlaub war so schön“. Das ist aus seiner persönlichen Sicht total interessant, aber ich finde das so kryptisch formuliert, dass ich es erst gar nicht verstanden habe. Erst jetzt, wo du es sagst, peile ich es.
Aber alleine, dass wir jetzt nur auf drei Tracks kommen …
Das ist natürlich ein Thema, bei dem ich vollstes Verständnis für jeden habe, der sagt: ‚Boah Alter, da kriege ich keinen musikalischen Zugang hin, ohne dass es so platt ist.‘ „Komm und Sieh“ ist auch ein Song, an dem ich wahnsinnig lange gearbeitet habe. Ich mag es eigentlich, wenn Songs flutschen. Aber da war es so, dass ich oft gedacht habe: ‚Boah, nee, das kann ich nicht schreiben. Das ist irgendwie doof.‘
Die Frage ist, wenn die Zeitzeug*innen verstummen: Wie kann man den nachfolgenden Generationen vermitteln, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist?
Das ist die (betont) große Frage. Und je mehr Zeit vergeht, desto abstrakter wird es. Es wird historisch. Das wird in etwa so, wie ich heute auf das Römische Reich oder Napoleon reagiere. Ich habe hier auch kein Konzept. Es wird ja wahnsinnig viel getan und ich befürchte auch … also zum Beispiel das Thema Nationalsozialismus in der Schule. Ich bin ein geschichtsinteressierter Typ, aber ich hatte das Gefühl, dass ich in der Schule bei dem Thema irgendwann abgewinkt habe. Vielleicht ist es dieser Overkill, der dazu geführt hat, dass ich mir noch 20 Jahre später denke: ‚Macht das Thema etwas mit mir?‘ Diese Frage finde ich nach wie vor richtig. Ich habe keine schlaue Antwort darauf, was der richtige Weg wäre, um das als mahnende Erzählung weiterzugeben. Man wird dagegenhalten müssen, dass Leute sagen: ‚Ist halt nur Geschichte und jetzt ist auch mal gut.‘ Aber wie man das macht, vor allem, wenn die letzten Zeitzeug*innen weg sind, also dass wirklich Menschen, die das erlebt haben, darüber sprechen, das kann ich nicht sagen.
„Dann werde ich die Leute wieder bei Napster und Deezer begeistern können“
Du hast 2010 ein Praktikum bei rap.de gemacht. Hast du Wehmut verspürt, als die Seite geschlossen wurde?
Schon. Ich bin vor allem wehmütig, dass ich niemandem mehr irgendwelche cringy Reviews und Artikel zeigen kann, die ich geschrieben habe (lacht). Es sind schon Sachen, die für mich „Culture“ waren und dass das so verschwindet … ich finde es jetzt nicht schlimm, dass der Betrieb eingestellt wurde. Die Seite hatte schon vor Ewigkeiten an Relevanz verloren, das dümpelte nur noch so vor sich hin. Dann ist es in Ordnung, das Leiden zu beenden. Es ist das gleiche wie bei der Juice: Dass man die Artikel dann runternimmt, so ist das bei einer Verlags- oder Eignergruppe. Denen ist das egal. Die juckt es nicht, ob du noch einmal die Review von der MF-Doom-B-Seite bekommst. Es juckt mich jetzt auch nicht sehr, aber ich sehe schon, dass das ein Verlust ist. Das ist halt das Problem, wenn man alles ins Digitale auslagert. Wenn wirklich jemand sagt: ‚Das ist jetzt weg‘, dann ist es mit etwas Pech wirklich weg.
Das kann auch eine schöne Analogie zum Musikgeschäft sein. Wenn Spotify weg wäre, wäre für viele Musik an sich weg.
Dann werde ich die Leute wieder bei Napster und Deezer begeistern können (lacht). Aber ich stelle immer wieder fest, dass Musik, die es nicht auf Spotify gibt, für mich gar nicht existiert. Ich versuche immer wieder das Eins-Zwo-Album „Gefährliches Halbwissen“ zu hören. Ich habe keinen Bock mehr, das auf Platte oder auf CD zu kaufen. Ich habe auch keinen Plattenspieler. Meine Ambition, noch einmal ein Vinyl-Sammler zu werden, endete leider in einem großen Beziehungsstreit, bei dem die drei Schätze, die ich hatte, zu Bruch gegangen sind …
Welche waren das?
Von Roots Manuva, eine Cover-Version von einem Beatles-Song (zu „Yellow Submarine“, Anm. der Red.). Das war der größte Schatz. Ich habe bei Discogs geguckt und dann erfahren, dass ich jetzt 400 Euro mehr hätte. Dann noch ein paar Def-Jux-Sachen, irgendwelche Aesop-Rock-Geschichten.
Ich merke das eben bei Eins Zwo und „Gefährliches Halbwissen“, wie ich das manchmal hören will und dann checke, dass man das nicht so einfach zu hören bekommt. Das ist aber auch wieder der Weg zurück ins Geheimnisvolle: Dass man sich mal wieder Mühe machen muss, Musik zu bekommen.
Du hast bei rap.de Deso Dogg interviewt. Wie hast du dich gefühlt, als du mitbekommen hast, dass er sich zum Terroristen wandelte?
Als ich Deso Dogg interviewt habe, hat er schon nicht mehr aktiv Musik gemacht. Er war schon auf dem Weg, immer gläubiger zu werden. Er hatte dann ein Interview gemeinsam mit Hasan Abdallah. Der ist jetzt Sex-Podcaster, damals machte er New-York-Rap mit Hisbollah-Verherrlichung. Aber ich war denen auch gar nicht gewachsen. Ich war Anfang 20 – und dort hast du diese zwei ausgewachsenen Männer gegenüber, die so ideologisch geschult sind. Ich konnte auch nicht so gut Englisch. Das war alles fürchterlich. Es ist nur absurd, dass es in diesen aneinander vorbeirasenden Zeitsträngen einmal diesen Moment gab, wo Deso Dogg und ich im selben Raum gesessen haben. Ich hätte ihn nur rütteln sollen: ‚Mensch Denis, komm zu dir!‘
„Ich habe einen Softspot für Wanda“
Bei einem Ask Me Anything auf Reddit hast du auf eine Frage geantwortet, dass du gerne mit Voodoo Jürgens zusammenarbeiten wollen würdest. Warum?
Weil ich den einfach gut finde. Ich fand dieses „Ansa Woar“ toll. Was heißt das eigentlich?
Einser Ware, also die beste Ware.
Ah toll, das wusste ich gar nicht. Das habe ich geliebt. Als wir einmal im B72 waren, lief „Heite grob ma Tote aus“. Das fand ich total toll. Diese Halbwelt-Geschichten wie die „3 Geschichtn ausn Café Fesch“ finde ich super geil. Der ist auch als Person cool. Ich muss mir einmal „Rickerl“, den Film mit ihm, angucken.
Hast du Verständnisprobleme gehabt? Voodoo Jürgens singt doch sehr im Wienerischen Dialekt.
Ich habe es sehr, sehr oft gehört. Manche Sachen wie „Hiniche Viecher“ habe ich mir hergeleitet. Ich habe sonst keinen großen Bezug zu österreichischer Musik. Mein Vater hat mir einmal Erste Allgemeine Verunsicherung gezeigt, das hatten wir. Ansonsten haben meine Eltern nur Schlechtes über Österreich zu berichten gehabt (lacht). Das Interesse kam erst später mit den drei großen Bands, die einem einfallen, wenn man an Österreich denkt. Aber wir haben einmal Falco gecovert! (lacht) („Junge Roemer“ für den Sampler „Sterben um zu leben“, Anm. d. Red.).
Was sind für dich die drei großen österreichischen Bands?
Bilderbuch, Wanda, Voodoo Jürgens. Ich habe einen Softspot für Wanda. Das ist nicht so en vogue, aber ich liebe die.
Als ich zum ersten Mal „Bam Margera“ auf „Imperium“ hörte, fühlte ich mich in die Zeit zurückversetzt, in der ich meine Nachmittage auch mit MTV verbracht habe. Beim Hören des Songs habe ich mich gefragt, was aus meinen „Idolen“ von damals geworden ist – und das hat mich in dem einen oder anderen Fall ein bisschen traurig gemacht.
Bam Margera ist ein Extrembeispiel für ein verpfuschtes Leben; dafür, dass dieses Peter-Pan-mäßige „Nie erwachsen werden“ erschreckende Züge tragen kann und dass das nichts ist, was man sich uneingeschränkt als Lebenscredo setzen sollte. Es ist schon gut, wenn man ein gewisses Maß an Erwachsensein erlangt. Es steht mir aber gar nicht zu, über die Lebenswege von Leuten zu urteilen. Natürlich mache ich das, weil es mir Spaß macht, über Leute abzuhaten, was aus denen geworden ist. Wenn es über Musik-Idole geht, dann denke ich mir schon: ‚Ja gut, diese Entscheidung hätte ich nicht getroffen.‘ Aber ich denke mir gleichzeitig, dass ich nicht in deren Schuhe laufe.
„Realness schützt nicht davor, dass deine Musik Dreck ist“
Auf „Ende der Nacht“ gibt es einen Song, der von den „Nepo-Babys“ handelt, also den Kindern von Prominenten und gut vernetzten Familien, die dieses Kapital für ihre eigene Karriere nutzen. Oft ist es nicht offensichtlich, dass jemand ein „Nepo-Baby“ ist. Wenn du das herausfindest, hat das dann Auswirkungen auf die Beurteilung der künstlerischen Fähigkeiten der Person?
Am liebsten würde ich nein sagen. Aber wenn ich irgendwelche krassen Newcomer sehe, die aus dem Nichts kommen und ich dann feststelle: ‚Ach, das ist die Tochter oder der Sohn von einem Tagesschau-Sprecher oder von einer bekannten deutschen Schauspielerin‘ – dann macht das schon was mit mir insofern, als ich mir denke: ‚Vielleicht war der Weg zu diesem Buzz und zu den Möglichkeiten, den Buzz zu kreieren, ein bisschen leichter als für Leute, deren Eltern Krankenpfleger oder Versicherungsangestellte sind.‘
Es ist auch Neid. Ich mache nicht alles aus marxistischer Klassentheorie, aber manchmal denke ich mir einfach: Ich hätte das auch gerne, dass es so buzzt und dass du gleich die richtigen Leute an der Hand hast. Aber eigentlich will ich solche Gedanken gar nicht haben! Ich kenne auch ganz tolle Kinder von reichen Eltern, die aus den besten Familien kommen. Was können die dafür? Und: Wenn das mit der Karriere so weitergeht, was wird dann aus meiner Tochter? Ich werde auch einen krasseren Zugang zu Kulturmach-Möglichkeiten haben, als es meine Eltern für mich hatten. Dann ist es vielleicht einfach ein bisschen dumm und ungerecht, darauf rumzuhacken.
Wenn man so schaut, welche Leute an den Kunstakademien sind, ist das doch immer etwas Elitäreres. Ist dann Rap das Gegengewicht dazu?
Ja, das hätte Rap gerne (lacht). Nur weil jemand Eltern hat, die Krankenpfleger oder Sozialarbeiter sind, heißt das nicht, dass die Musik dann besonders wahrhaftig, gut oder authentisch ist. Ich gucke im Endeffekt darauf, was geil ist. Und dann zu sagen, dass etwas schlechter oder uncooler ist, weil es von elitäreren Leuten kommt … gerade im Rap gibt es viel Schrott. Realness schützt nicht davor, dass deine Musik Dreck ist.
Ein Fler würde dir jetzt Kontra geben und meinen, dass es genau auf diese Realness und Authentizität ankommt.
Worauf sich Fler immer beruft, ist, dass es Regeln im Rap gibt, wie bei einem Vereinsbuch. Das finde ich alles ein bisschen hängengeblieben. Auf der anderen Seite muss ich aber Fler lassen, dass ich diese reelle Liebe für die HipHop-Kultur cool finde, dass das von jemandem mit diesem Kaliber und mit dieser Relevanz kommt. Das mag ich an dem. Ob er damit glücklich wird, diese Realness einzufordern, das weiß ich nicht – das wird nichts mehr werden, auch wenn er sich da beschwert.
Gibt es eine HipHop-Szene überhaupt noch? Oder haben sich die Subkulturen mittlerweile alle aufgelöst?
Das habe ich letztens tatsächlich bei TikTok gesehen, diese „Death of Subcultures“, dass jetzt alles nur noch Core und Remix-Culture ist. Das fand ich interessant. Ich befürchte, dass es so ist. Es ist natürlich schade, weil ich aus einer Zeit komme, wo diese Subkulturen so lebendig waren. Da gab es Punks, HipHopper, Metalheads und Techno-Freaks, die man anhand der Kleidung klar zuordnen konnte. Ich erkenne bis heute jemanden an den Turnschuhen, ob der HipHop-Bezüge hat. Das finde ich manchmal so schön, wenn ich mit anderen Menschen in meinem Alter zu tun habe, mit denen ich sonst nichts zu tun hätte und dann an der Art des Sprechens und der Bewegungen erkenne, dass das ein HipHop-Typ ist. Und selbst wenn das schon etwas verschüttet geht unter der Uniform des Alltags, dass ich das in Details erkenne, das finde ich schön.
Gleichzeitig geht das Leben weiter und es ist auch toll, dass Sachen nicht mehr so elitär sind wie früher, dass ich mir anziehen kann was ich möchte. Das ist auch Teil dieser Remix-Culture. Ich habe mir wieder eine Pelle-Pelle-Jacke geholt, weil ich die so geil fand – das ist dann innerhalb der Kultur geremixt. Wer weiß, vielleicht hole ich mir auch ein Westernhemd mit Intarsien. Das finde ich total hübsch. Ich hätte mir das mit 13, 14, 15 Jahren, als alles von Eckō oder zumindest irgendwie schlabberig hätte sein müssen, nicht getraut. Ich bin schon froh, dass das alles ein wenig lockerer geworden ist.
Letzte Frage: Martine Rose oder Wales Bonner?
Von Martin Rose habe ich mir letztens noch von der Supreme-Kollabo einen Schal geholt. Bei der Lederjacke bin ich eingeknickt. Die war mir dann doch zu teuer. Wales Bonner hat diese Adidas-Sachen, die sehr hübsch sind, aber ich würde trotzdem sagen: Martine Rose.
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