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Vom Droogieboy zum Schmetterling // Guilty Interview

Vom Droogieboy zum Schmetterling // Guilty Interview

„Ich will niemanden anprangern. Ich kehr‘ lediglich vor meiner eigenen Tür.“ Sätze wie diese sagt Guilty wiederholt. Mit seinem am 20. Oktober erschienenen Album „Schmetterling“ geht er neue Wege und distanziert sich von alten Sichtweisen. Die titelgebende Metapher weist auf Guiltys persönliche Reflexionen, aber auch seine künstlerische Entwicklung hin. Zum Interview treffen wir ihn im Studio von Doni Balkan. Jenem Produzenten, mit dem der Wiener Singer-Songwriter, der früher als Rapper der Crew Droogieboyz sowie solo in Erscheinung getreten ist, intensiv an Tracks arbeitet.

The Message: Du hast im Zuge deines Albums „Schmetterling“ vieles umgekrempelt. Du singst anstatt zu rappen, die Tracks sind sehr persönlich. Welche Gedanken hast du dir vorab gemacht?
Guilty:
Ich habe mir einige Fragen gestellt. Was bedeute ich als Künstler? Was kann ich geben? Wer bin ich? Ist das, was ich mache, wichtig? Was habe ich, das andere nicht haben? Ich habe mich selbst kennengelernt, alles umgedreht und hinterfragt. Mit dem Album ist ein großer Reflexionsprozess einhergegangen. Du kriegst auf einmal ein neues Werkzeug in die Hand. Früher waren meine Emotionen meine Stolpersteine, es hat immer geheißen: „Der hat sich nicht im Griff.” Es fühlt sich so an, als hätte ich meinen größten Dämon in mein Instrument umgewandelt. Ich bin ein Lehrling damit, aber ich habe gelernt, wie ich meine Emotionen rüberbringe. Diese Energie kann ich nicht mit meinem Rap vergleichen. 

Wann hat diese Auseinandersetzung begonnen?
Ziemlich genau nach der Droogieboyz-Trennung. Darüber mag ich ehrlich gesagt nicht viel sprechen. Aber für mich sind lauter positive Sachen daraus entstanden. Am Anfang war es schwer, zu erkennen, dass ich justieren muss. Ich bin meinem neuen Management LKMTV und Apple sehr dankbar. Ich habe ihm meine Sachen vorgespielt und er war der erste, der sofort gesagt hat: „Du musst singen!” Ich habe davor schon mit Doni daran zu basteln begonnen, es aber niemandem gezeigt. Du machst etwas, das es in der Art nicht gibt. Du kannst es von niemandem abschauen. Aber du spürst es. Ich nehme es auf und kriege eine Gänsehaut.

„Ich hab nie viel hinterfragt und wollte provozieren. Das ist jetzt anders“

Kannst du dich erinnern, wie das gekommen ist?
Der erste Track war „Nie mehr“. Der einzige Sprechgesangs-Song am Album, ich will es nicht Rap nennen. Wir haben viele Songs gestrichen und das wäre auch ein Kandidat gewesen. Nur ist das der erste Song, den ich gesanglich-melodisch performt habe. Ich will, dass die Leute im Album diese Entwicklung mit mir durchmachen. Deswegen ist der krasseste Song ganz am Ende, „Der Letzte bleibt über“. Das ist die Richtung, in die ich in Zukunft hingehen will. Der erste Track ist ein Abschluss mit dem alten Leben. Ich habe oft übers Eingesperrt sein und düstere Sachen gesprochen und gerappt. Es war gut, gleich am Anfang zu sagen: „Nie mehr“.

Wie ist es zu diesem Bruch mit dem Alten gekommen? War das schleichend?
Es war nicht so der Bruch. Ich habe gemerkt, dass ich es besser machen kann, noch einen Schritt gehen kann. Ich habe in meiner Zeit als Footballer viel über Einstellung, Teamgeist und so weiter gelernt. Das ist erst später in die Musik übergegangen. Ich habe meinem Coach vieles, was er mir an meinem sportlichen Zenit gesagt hat, übelgenommen. “Hör auf, stehen zu bleiben. Du musst dich weiterbewegen!” Was glaubt er? Später habe ich es verstanden. Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, jemand zu werden. Der erste Schritt meiner Reflexion war, zu erkennen, dass ich mindestens zehn Jahre lang als Künstler stillgestanden bin. Ich will nicht sagen, dass ich es falsch gemacht habe. Ich habe Musik immer nebenbei gemacht. Früher habe ich viel Sport gemacht – und nebenbei Musik. Ich habe nie viel hinterfragt und ich wollte provozieren. Das ist jetzt anders. Ich habe zwei Kinder. Meine Tochter ist 14, besucht eine höhere Schule und ich will, dass dieser Mensch stolz auf mich ist. Sie soll in die Schule gehen können, ohne dass sie Probleme wegen mir bekommt. Sie soll sich aufs Herz greifen können und sagen: “Das ist mein Papa.” Ich will überall das nächste Level erreichen. Als Künstler und als Mensch. Wir brauchen Vorbilder. Es bedarf einiger mehr, als zurzeit herumlaufen. Ich sehe viele Menschen, die ein Problem haben, aber wenige Menschen, die eine Lösung geben.

Guilty vorm Auslöser. Fotos: Daniel Shaked

Was sollen deine Tracks den Leuten bieten?
Sie soll ihnen Kraft geben. Alles, was ich durchlebe, durchlebt jemand anderer genauso. Ich bin älter und reflektierter geworden. Ich hoffe, dass die Menschen, die damals mit mir waren, auch gewachsen sind. Ich wünsche es ihnen wirklich. Ich will niemanden anprangern oder angreifen. Ich kehr‘ lediglich vor meiner eigenen Tür.

Eine Frage, die auf der Hand liegt: Ist „Baba und foi ned“ eine Richy-Abschiedsnummer?
Nein, es ist eine liebevolle Ode an den Abschied. Wir alle durchleben unsere Abschiede und haben unsere Päckchen zu tragen. Ich nehme Bezug auf meine, weil es mein Anspruch ist, ehrliche Musik zu machen. Aber das ist aus meinem ganzen Leben bedient. Ganz allgemein gesagt muss nicht jeder ein Freund für dein ganzes Leben sein. Manche begleiten dich nur für einen Abschnitt – und das ist okay. Ich bin dankbar für alles und stolz, ein Droogieboy gewesen zu sein. Es gehört zu meiner Geschichte. Wäre ich nicht der Droogieboy gewesen, dann könnte ich jetzt nicht der Schmetterling sein. Das ist meine Geschichte, mein Leben.

„Das Schlimmste war, vor dem Spiegel zu stehen und zu erkennen, dass das nicht stimmt“

Früher hast du das Image des harten Typen nach außen getragen, jetzt zeigst du dich offen, verletzlich. Ist das der Punkt, an dem es kein Zurück gibt?
Ehrlich gesagt hat sich das nicht so angefühlt. Ich bin jetzt 40 Jahre alt. Manchmal fragen mich Leute, wann ich wieder Musik wie früher mache. Ich hoffe nie! Es wäre traurig und würde bedeuten, dass ich mich null weiterentwickelt habe. Ich sag heute nichts mehr, nur weil es sich cool oder böse anhört. Es geht mir auch nicht darum, zurückzuschlagen oder Probleme aufzuzählen, ohne eine Lösung in der Hand zu haben. Das Schlimmste war, vor dem Spiegel zu stehen und zu erkennen, dass das nicht stimmt. Meine Einstellung, mein Impuls. Ich habe durch den Sport gelernt, dass ich anderen die Kraft geben kann, was zu bewirken. Als ich als Spieler verletzt war, habe ich gecoacht und es ist ur viel aufgegangen. Du sagst einem jungen Menschen: “Geh da rein, mach den Schritt, es wird funktionieren.” Und so kommt es. Bei 80 Leuten im Kader ist der eine oder andere nicht auf Knopfdruck da. Wenn du die Menschen kennst, lernst du, wann du einen Knopf drücken musst. Ich habe allen vor jedem Match in die Augen geschaut, auch wenn wir acht Stunden am Weg waren. Ich wollte sichergehen und habe gefragt: „Wir sind schon zum Gewinnen da, oder?” Ich habe diese Energien. Das, was du rausschickst, wirst du zurückbekommen. Und ich weiß heute mit meinen guten Impulsen, dass aus allem Guten wieder Gutes entsteht. Ich will nicht egoistisch meine Sicht der Dinge auf das Leben erzählen. Sobald ich meine Tracks abgebe, gehören sie den Leuten.

Guilty fällt es heute einfacher, in den Spiegel zu blicken.

„Nie mehr“ blickt auf die Anfänge deines „wilden Lebens“ zurück. Das hat bei dir sehr früh begonnen. Was waren die einschneidendsten Erlebnisse?
Dieses Leben hat mit elf Jahren begonnen. Alles war happy peppy, mittelständische Familie und so weiter. Dann hat sich mein Opa umgebracht – der Track „Schiffskapitän“ ist für ihn. Im selben Jahr haben sich meine Eltern getrennt und ein Jahr später hat sich meine Oma umgebracht. Es war ein schwieriger Schritt, das in Tracks zu thematisieren. Doni hat das von mir verlangt, ich habe mich am Anfang wie ein Kind dagegen gewehrt und es ist mir übel aufgestoßen. Ich kann auch nicht lange über das Thema reden, weil es mich dann zu Tränen rührt. Aber mit dem Song und der Energie, die er freimacht, habe ich gemerkt, dass es mir guttut, dass meine Emotionen auch was Positives bewirken können. Mein Opa war mein Kumpel. Ich bin mir sicher, er würde heute – nach dem ganzen Weg, den ich gegangen bin – nicht mehr mit mir reden. Dafür wäre er zu streng gewesen.

War er ein Korrektiv für dich?
Nein, einfach mein erster Freund. Der erste Mensch, der wirklich an mich geglaubt hat. Du machst drei Striche mit Wasserfarben, er macht einen Rahmen drum und es hängt ewig in seinem Wohnzimmer. Nach seinem Tod habe ich immer geglaubt, ich wäre ein Erwachsener. Ich muss alles schon gesehen haben. Ich war nie das Kind, das sagt: „Was ist das? Das kenne ich nicht.“ Nein, ich habe gelogen und gesagt, dass ich es eh kenne. Ich habe negative Situationen heraufbeschworen, ohne großartig darüber nachzudenken. Mein Klassenvorstand hat zu meiner Mutter gesagt, als ich 13 war: „Er wird seinen Weg gehen, aber der Weg wird sehr steinig.“

Da hattest du schon eine Vorgeschichte, oder? Also mehr als das Gfrast in der Klasse.
Ich war außer Rand und Band. Ich war in der Sporthauptschule, am Anfang im Gymnasium. Mit Elf war meine erste Überdosis wegen Rohypnol. Ich habe mir beim Schule stangeln mit einem Freund Räuperln reingehaut. Dann habe ich zwei Tage durchgepennt, bin daheim aufgewacht und ich habe mir gedacht, dass das bei der Mutter reingeht und habe gesagt: “Ich geh’ jetzt in die Schule!” Sie nur: „Nein, in die Schule brauchst du nicht mehr gehen.“ Ich bin von der Schule verwiesen worden und habe als Strafe von meinen Eltern in Wien nicht mehr in die Schule gehen dürfen. Sie haben gesagt, dass Wien nicht gut für mich ist und mich in die Sporthauptschule nach Tulln geschickt. Das Wort Mobbing hat es damals nicht so geben – und ich habe mich auch nicht gemobbt gefühlt, weil ich mich immer gewehrt habe. Ich bin natürlich schwer zu handeln gewesen. Dann habe ich am ersten Schultag viermal gerauft, weil ich der einzige Wiener war. Eine Attraktion.

Ein eingeschworenes Duo: Doni und Guilty.

War Football für dich, als du begonnen hast, als Aggressionsbewältigung gedacht?
Am Anfang schon. Aber sie haben mich so liebevoll aufgenommen und an den Sport herangeführt. Wenn du so lange eingesperrt warst, dann in sowas reinkommst und merkst, dass die Menschen an dich glauben, ist das extrem schön. In meinem ersten Jahr bei den Danube Dragons sind wir aufgestiegen. Beim ersten Spiel in der Bundesliga haben sie mich zum Ehrenkapitän gemacht. Da habe ich noch nicht einmal gewusst, wie ein Footballspiel wirklich aussieht. Ich habe dann einen Preis als Most Improved Player bekommen und war in meiner zweiten Saison, obwohl ich lange verletzt war, schon für das Nationalteam nominiert. In meinem dritten Jahr sind wir Meister geworden. Mich hat schnell der Ehrgeiz gepackt. Wenn ich fünf, sechs Mal pro Woche trainieren gehe, ist es mehr als ein Ausgleich – wir sprechen eigentlich von Leistungssport. Ich habe zehn Jahre Bundesliga gespielt, war fünf Jahre im Nationalteam – auch bei der Europa- und Weltmeisterschaft dabei. Ich habe in diesem Sport eigentlich alles gesehen, was man sehen kann.

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„Ich will keine Politik machen, keine Streitereien hervorrufen und keine Lager spalten“

Ist der Fußball erst später über die Fankurve und die Droogieboyz-Zeit dazugekommen?
Einem Kollegen im Gefängnis hat es gefallen, wie ich drauf bin. Er wollte dann unbedingt, dass ich zum Fußballplatz mitgehe. Ich war nicht auf unzähligen Fußballspielen. Das wurde höher gehandelt, als es tatsächlich war. Wenn du zehn Matchbesuche als in der Kurve rechnen willst. Mein Bezug zum Fußball, zu Rapid, ist ein anderer. Ich habe mit acht Jahren bei Rapid gespielt. Mein Vater war Fußballer, wir kennen Hans Krankl persönlich. Er war damals Cheftrainer bei Rapid. Krankls Töchter haben im Schubert-Konservatorium mit meiner Schwester zusammen Ballett getanzt. Im Urlaub in Jesolo hat er mich irgendwann am Strand laufen sehen. Er hat meinem Vater gesagt: “Der Bua muss Fußball spielen!“ Ich bin dann mit null Ballkönnen zu Rapid kommen, aber allen davongerannt. Als Junge bin ich immer mit meiner weißen Rapid-Ledertasche stolz mit der U-Bahn zum Training gefahren. Das sind meine ersten Eindrücke. Im Stadion, das ich später besucht habe, bin ich als Junge nach dem Training auf die Fresse gefallen und habe mir mein Gesicht aufgeschunden, weil die Converse zu groß waren (lacht). Irgendwann hat es Streitereien mit dem Trainer geben, dann war es vorbei. Aber ich würde nach wie vor sagen, dass ich mehr Bezug zur anderen Seite des Zauns als zur Tribüne habe.

Guilty kommt bei manchen Anekdoten das Grinsen.

War es für dich an der Zeit, dich aus dieser Welt wegzubewegen?
Gar nicht. Ich werde Rapid auf keinen Fall den Rücken kehren. Ich will Rapid aber genauso wenig für meine Sachen benutzen. Ich prangere niemanden an. Mir war wichtig, dass es diesmal um die Musik geht. Ich will keine Politik machen, keine Streitereien hervorrufen und keine Lager spalten. Das machen genug andere Leute. Ich will Menschen zu mir ziehen, denen die Musik wirklich gefällt und ihnen eine coole Zeit mit energiegeladener Musik bescheren. Ich kriege viele Nachrichten von Menschen, die am Boden sind und die sich bedanken, weil es ihnen Kraft gibt. Das ist das, was ich geben kann. Wenn alles um dich herum oasch ist, darfst du selbst nie anfangen, ein Oasch zu werden, sondern du musst bei dir bleiben. Mir ist aufgefallen, dass das viel wichtiger ist als alles andere.

„Ich weiß selbst, dass ich kein Goldkehlchen bin“

Welche Rolle haben Zweifel in diesem Prozess gespielt?
Ich glaube, der Zweifel ist der Freund von Selbstreflexion: Ohne Anklage kein Prozess, kein Vorwärtsgehen. In „8 Mile“, wo sie in der Früh am Weg zur Arbeit im Auto sitzen, sagt Eminem zu seinem Freund: „Findest du nicht auch, dass man manchmal aufhören muss, hier oben zu leben und wieder anfangen muss, hier unten zu leben?“ Und sein Freund sagt: „Es ist noch zu früh für sowas.“ Aber Eminem hat recht. Das sagt jemand, der reflektiert. Und jemand, der schon mal reflektiert hat, erkennt das sofort. Der erkennt auch das, was ich mache. Es war der Moment, wo ich kapiert habe, dass ich mindestens zehn Jahre stillgestanden bin. Der Einzige, der mir das gesagt hat, war mein Trainer – und das habe ich erst viel später verstanden. Aber es ist, wie es ist. Wenn du es endlich weißt, kannst du von diesem Punkt weitergehen und dir selbst beweisen, was du wert bist.

Wie war der musikalische Prozess? Du hast eine kratzige Rap-Stimme gehabt, jetzt tauchst du in Gesangswelten ein. Wie viel hast du dir antrainiert?
Ich mache das so, wie ich das fühle. Das Einzige, was ich bekommen habe, waren simple Atemtipps – Luft einatmen, Bauch anspannen und die Luft langsam mit dem Ton ablassen. Das hat mich durchs Album gebracht. Ich habe aber vor, Gesangsunterricht zu nehmen. Ich weiß selbst, dass ich kein Goldkehlchen bin. Es ist das, was passiert, wenn meine Stimme auf diesen Effekt trifft. 

Im Vorfeld hast du auf Instagram alles Mögliche gecovert. Ostbahn Kurti, Stefanie Werger, Hits aus den USA und Deutschland. Was flasht dich musikalisch am meisten?
Mich flashen Leute, die ich gar nicht am Schirm habe. James Blunt hat mich zum Beispiel mit dem Track „Monsters“ voll erwischt. Mein Vater und ich busseln uns jetzt nicht ab, aber er war immer da, auch in schwierigen Zeiten. Ich kriege Gänsehaut, wenn sich James Blunt von seinem Vater verabschiedet und ihm sagt, es ist jetzt seine Zeit, die Monster unter dem Bett zu verscheuchen.

Hat dir dein Vater viel Musik gezeigt?
Er ist damals schon immer mit den Schallplatten daheim gesessen. Als ich klein war, hat er mir die ärgsten Sachen vorgespielt. Rolling Stones, Beatles, aber ich habe im Italien-Urlaub auch mal EAV rauf und runterhören müssen (lacht). Es hat nicht nur gute Sachen gegeben. Das ist mir später bewusst geworden und auch ein Grund dafür, dass ich meine Musik verändern wollte.