Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute…
Er wirkt schon etwas müde und angeschlagen, als er uns als eines der letzten Medien an diesem Promotag in Wien ein Interview gibt. Trotzdem bleibt der in ein farbenfrohes Hemd gekleidete Patrice stets gut gelaunt und höflich. Sympathischer geht es kaum. Mit seinem bereits zehnten Album „Life’s Blood“ thematisiert der gebürtige Deutsche mit Wurzeln in Sierra Leone die turbulenten Zeiten, in denen Wasser eine kostbare Ressource darstellt, und das Blut, das den Körper aufstehen lässt. Dabei bleibt der Reggae’n’Soul-Sänger seinem musikalischen Stil treu: tanzbare afro-karibische Rhythmen versieht er mit gechoppten Vocalparts. Textlich behandelt Patrice unter anderem Sehnsucht nach der Geliebten, aber auch Kolonialisierung und damit einhergehende Armut. Dabei bleibt es nicht nur bei Worten. Gemeinsam mit seiner Schwester setzt er sich derzeit für ethischen Minenabbau in Sierra Leone ein. Im Interview erzählt Patrice über seine Zeit als Problemkind im Elite-Internat, sein Treffen mit Barack Obama und seine Teilnahme am umstrittenen Band-Aid-Projekt von Campino.
The Message: Du meintest einmal, dass du mit HipHop groß geworden bist und vom Skaten über Breaken und Graffiti alles ausprobiert hast. Welche Art von Rap hast du damals gehört?
Patrice: Oh, es fing mit 2 Live Crew an, also Miami Bass. Das kam mehr aus dem Skateboarding heraus. Danach eher Conscious-Sachen wie Public Enemy, Oldschooliges wie Boogie Down Productions, KRS One ging dann voll ab, Jazzmatazz. Irgendwann dann auch Gangster wie Wu-Tang und Biggie. Das war die Krönung. Das erste Fugees-Album war für mich ein Schlüsselerlebnis, weil bei dem Lied „Vocab“ Rap mit akustischer Gitarre gepaart wurde. Das war früher das Unding und krass für mich, darauf habe ich schon sehr viel aufgebaut.
Deutschrap war nie ein Thema?
Doch. Irgendwann kam Advanced Chemistry mit „Grüner Pass“ („Fremd im eigenen Land„, Anm.) Wow, das war das erste Mal, dass ich Deutschrap gefeiert habe. Meine Schwester kannte auch DJ Suicide und darüber kam ich an meine ersten Menschen im Musikbusiness, die mir ein bisschen weitergeholfen haben.
War HipHop auch ein Thema in der Schule Schloss Salem, dem Elite-Internat, das du besucht hast?
Auf jeden Fall für mich. (lacht) Wir haben alle Disziplinen ausprobiert. Ich musste aufs Internat, weil ich ein bisschen einen schlechteren Umgang hatte, habe dann ein Stipendium bekommen und das war natürlich eine komplett andere Welt dort. In den Ferien bin ich immer wieder zu meinen Jungs und sonst war ich auf diesem Internat – das sehr international ist und man ganz andere Einflüsse bekommt. Wäre ich nur in der Kölner Vorstadt groß geworden, wäre das eventuell in die falsche Richtung gegangen. (lacht)
„Ich war die Blutgrätsche“
Wie war das für dich, diese Parallelwelt – Rich Kids anstatt der Kölner Vorstadt-Rowdies?
Da waren eigentlich nur Rich Kids und Stipendiaten. Ein Elite-Internat eben: Du stehst auf, machst Morgenlauf um das Schloss …
Angeblich ist der Schulleitung auch die Charakterbildung ein Anliegen?
Die Ansätze vom Gründer Kurt Hahn sind schon sehr gut. Er will, dass man sich sozial engagiert und man muss zum Beispiel im Altersheim arbeiten. Das soll den Charakter bilden. Man macht auch viel Sport. Natürlich ist es nicht so, dass es von allen so gelebt wird. Weil in erster Linie Rich Kids da sind und da sind andere Werte wichtiger.
Welche zum Beispiel?
In jeder Szene sind andere Dinge cool. Bei denen gibt es einen Dresscode, Geld zu haben ist cool. Und zu zeigen, dass man Geld hat, ist auch cool. Oldmoney wie Adelige, die naserümpfend auf Newmoney, schauen, die vor Kurzem zu Geld gekommen sind. Aber mir war das egal, ich war die Blutgrätsche.
Warum durftest du nach deiner Suspendierung nach ein paar Jahren wieder an die Schule zurückkehren?
Ich habe die komplette Unterstufe gemacht, kam dann auf die Mittelstufe in Salem, habe übertrieben, hatte keinen Bock mehr. Die Leute haben gemerkt, der ist einfach frustriert, weil er zu lange da ist und lassen wir ihn mal eine Pause machen. Es haben sich auch Leute für mich eingesetzt. Ich war ein bisschen ein soziales Projekt für Menschen. Ich kam hin, mein Vater war gerade gestorben und ich war das Problemkind, dem sich die Leute angenommen haben.
Das Internatleben und wieder Heimkommen in den Ferien: Jetzt lebst du auch an unterschiedlichen Orten, in Köln, Paris und New York. Was sind die größten kulturellen und gesellschaftlichen Unterschiede zwischen USA, Deutschland und Frankreich?
Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben: Ich vermittle nicht nur zwischen den Stilen, sondern auch zwischen Welten wie Europa und Afrika oder Salem und zuhause. Ich habe immer versucht, ich selbst sein zu können, egal wo ich mich aufhalte. Das führt sich in der Musik fort. Die Kultur macht den Unterschied: Amerika ist voll krass, Brooklyn ist Bad Style und da entstehen die Sachen, die die ganze Welt feiert. Man hat das Gefühl, man ist wirklich am Puls dessen, was den Takt angibt, direkt im Geschehen. Kultur und Musik haben einen direkten Einfluss auf das Leben und umgekehrt und das ist nicht so losgelöst.
Paris hat für mich einen Charme. Ich lebe im 18., da hast du das alte Paris mit Montmartre. Aber auch das afrikanische Viertel Château Rouge. Für mich das perfekte Viertel. Auch da ist eine superinteressante Kultur direkt vor der Tür. In Köln wohne ich nicht mehr direkt in der Stadt, sondern in einem Vorort mit 5000 Einwohnern. Das ist ein richtiges Kontrastprogramm zum Rest. Aber das Tolle ist, dass mir alles so vertraut ist und mich jeder Nachbar kennt seit ich klein bin. Alles so schön unaufgeregt und ungehypt.
Ich bin auch viel in London, weil London die Geburtsstätte von vielen der coolsten Trends überhaupt ist. Vor allem für das, was ich mache. Bands wie Police, wo Reggae auf weiße Musik trifft, und das unaufgesetzt was Eigenes macht, das hat man in London. Das Karibische ist dort ein Teil der Musikkultur.
Du hast in London auch ein Studio mit restaurierten Instrumenten aufgrund deiner Faszination für Altes. Was ist da das Außergewöhnlichste?
Ich habe ein EMI-Mischpult gekauft Abbey-Road EQ, ein sehr seltenes Beatles-Zeug. Der ging letztens auf Ebay für 60.000 bis 70.000 kanadische Dollar (ca. 40.600 bis 47.000 Euro, Anm.) weg. Das ist krass. Da hatte ich ein Schnäppchen damals dagegen erstanden. Einen Fairchild Compressor, mehr so Beatles-Zeug habe ich, alte Bandmaschinen, ein altes Drumset aus den 50ern, alte Mikros, alles sehr ausgefallen und selten. In wirklich guten Studios hast du das aber auch.
Du nimmst auch zuhause in Brooklyn auf. Wie wichtig ist für dich die vertraute Umgebung, um Emotionen in deiner Musik wiedergeben zu können?
Das ist im Schlafzimmer, halb im Kleiderschrank. Wenn die Idee kommt, kann ich sie sofort aufnehmen. Das ist super. Ansonsten ist es immer so ein Akt, in Studios zu gehen, aufzubauen, viel Geld zu bezahlen. Wenn ich dasselbe Equipment habe, nehme ich das einfach mit und bau das im Schlafzimmer auf.
„Obama ist supersmart mit allen“
Du hast 2008 vor Baracks Obama Auftritt in Berlin am Brandenburger Tor gespielt. Dabei ist auch ein Foto von euch beiden entstanden. Wie ist der Mensch hinter dem Politiker?
Er ist ein sehr guter Politiker, er weiß genau, wie er mit mir reden soll. Wenn er eine gediegene, ältere Frau sieht, dann switcht er. Aber das ist nicht unnatürlich, sondern alles in ihm drinnen. Er ist supersmart mit allen und alle finden ihn sympathisch. Das ist das Showgeschäft in der Politik. Das ist sein Job.
Und er hat sich dich angeblich explizit als „Voract“ ausgesucht?
Ich schätze, ihm wurden ein paar Sachen vorgelegt und dann traf die Wahl auf mich. Für mich war das eher so: Ich kann vor 200.000 Leuten spielen. (lacht) Es war ja kein Wahlkampf, ich würde auch für keine Partei spielen. Aber er kam aus einem anderen Land, hat in Berlin geredet und war total der Hoffnungsträger, der erste schwarze Präsidenschaftskandidat der Vereinigten Staaten – historisch. Nach der Präsidentschaft und den Drohnen würde ich es vielleicht nicht machen, aber ich bereue es nicht. Es war eine Erfahrung und er ist nett.
„Krieg ist veraltet seit dem Kalten Krieg“
Zu Beginn seiner ersten Amtsperiode meintest du noch, dass es nur besser werden könne unter Obama. Wie siehst du das jetzt rückblickend?
Ja, ist es auf jeden Fall. Bush war eine wirkliche Katastrophe. Alles, womit wir heute zu kämpfen haben, wie der Terror, ist sehr stark auf Bushs Mist gewachsen. Dass er diesen Krieg gegen Terror angefangen hat. Er hat alles sehr viel schlechter gemacht. Statistisch kann man das klar nachvollziehen. Obama hat viel Gutes und ein paar schlechte Dinge gemacht. Egal wie viel gute Dinge du machst, ein paar schlechte heben das einfach nicht auf. Ich kann es einfach nicht respektieren, wenn Menschen Kriege machen.
Was waren diese schlechten Dinge deiner Meinung nach?
Die ganzen Drohnen-Attacken. Der Syrien-Krieg geht gar nicht klar. Wir kriegen hier nur ein bisschen was mit, aber wie die Realität dort aussieht, ist, dass die alles zerbomben und es unglaublich viele unschuldige Menschen, Kinder trifft. Das hat aber keinerlei Wirkung, ich glaube nicht, dass das ein guter Weg ist. Ich finde Krieg immer schlimm. Krieg ist veraltet seit dem Kalten Krieg, da muss man keine Kriege mehr führen. Man führt Wirtschaftskriege und keine, wo Menschen sterben müssen. Auch die ganzen Schwarzen, die erschossen werden von Polizisten in Amerika unter Obama: Die schwarze Community hat nie so wenig von einem Präsidenten gehabt, obwohl sie sich so über einen schwarzen Präsidenten gefreut hat. Aber ich bin jetzt nicht so tief in der Materie. Ich rede auch ein bisschen das, was Freunde erzählen.
Aber du hast damals schon kritisiert, dass Bush jegliche UN-Charta missachten konnte und alle haben nur zugesehen. Da hat sich nicht wirklich was in der weltpolitischen Vorgehensweise geändert, oder?
Ne. Das Ding ist: Richtig und Falsch hängt von deiner Macht ab. Etliche Zustände waren legal zu ihrer Zeit. Holocaust war legal. Sklaverei war legal. Wenn die Regierung machtvoll genug ist, werden totale Unrechtszustände legal. Und alle gucken zu. Das hat nichts mit Richtig oder Falsch zu tun. Das ist leider die Welt, in der wir leben.
„Wollt ihr mich verarschen? Das ist Charity-Porn“
Das ist auch so wie bei dem Band-Aid-Projekt, wo du meintest, dass es schon zeigt, wie unsere Gesellschaft drauf ist. Niemand regt sich über das Video auf, in dem ein Ebola-Opfer bloßgestellt wird.
Zu dem Video kann ich nichts sagen. (lacht) Dass ich diese Diskussion mit Leuten haben musste … Wie absurd ist das? Eine Frau wird in ihren Exkrementen gefilmt, wie sie gerade stirbt und mit so übertriebenen Atemgeräuschen von den Gasmasken der Leute in Ganzkörper-Anzügen, die sie rausholen. Dann gibt es einen Cut und dann siehst du die ganze lachende Musikindustrie Deutschlands. Merkt das keiner, dass hier gerade was richtig faul ist? (Der umstrittene Part des Videos wurde nach der öffentlichen Diskussion rausgeschnitten, Anm.)
Warum hast du dann mitgemacht?
Ich werde von Max (Herre, Anm.) angegangen, dass ich mitmache. Er ist ein sehr guter Freund von mir und da hinterfrage ich nicht mehr ganz so viel wie sonst. Dann gehe ich da hin, mache mit und habe mich nicht genug mit der Person Bob Geldof auseinandergesetzt. Da macht man fünf Minuten, wo eine Kamera auf einen gehalten wird, und am nächsten Tag ist das Lied online, ohne dass du kurz gefragt wirst, ob das gut ist oder ein Vertragswerk bestanden hätte. Es wurde einfach rausgehauen.
Was ich sagen möchte: Es ging einfach super Holterdiepolter. Nicht wie sonst, wo du noch etwas sehen kannst, woran du teilnimmst. Außerdem wurde mir versichert, dass es auf keinen Fall so eine Art von Video wird. Ich wollte auf keinen Fall ein Kind-mit-großem-Bauch-Video. Und dann kommt etwas, das noch viel schlimmer ist als das. Wollt ihr mich verarschen? Das ist Charity-Porn. Viele haben sich darüber aufgeregt, aber kein Künstler sagt was. Max hat ein Statement gemacht, aber alle anderen haben sich bedeckt gehalten, weil sie das für politisch unklug gehalten hätten, etwas zu sagen. Ich komm aber aus Sierra Leone und einem Haushalt mit einem afrikanischen Intellektuellen und einer Schwester, die TED-Talks führt. Meine eigene Familie reißt mir den Kopf ab für solche Geschichten, das haben andere Leute nicht. (lacht) Ich muss dann dazu was sagen, weil ich aus einem anderen Camp komme. Im nächsten Moment wird einem dann unterstellt, dass man eine Effekt-Hascherei oder einen Vorteil verschaffen will.
Jan Böhmermann hat das Projekt dann auch noch einmal zerlegt und meinte, dass du nur mitgemacht hast, um eine anstehende Tournee zu promoten.
Eben nicht! Das ist falsch. Es gab ein Konzert, das eh schon ausverkauft war, in Köln in der Philharmonie. Ich war weder bei Universal zu dem Zeitpunkt, noch hatte ich eine Tournee. Das ist einfach falsch recherchiert. Da sind wir bei Böhmermann. Alles schön und gut, aber Böhmermann will natürlich auch Einschaltquoten, wenn er so etwas macht. Da muss man schon richtig recherchieren und kann nicht alle über einen Kamm scheren und so tun, als wäre das seriöser Journalismus. Es wird als Satire dargestellt und als seien die Fakten seriös. Und das sind sie nicht. Aber ich fand es auch witzig. Ich habe übertrieben Terror bekommen von den Leuten und vom Hauptprotagonisten (Campino von Die Toten Hosen, Anm.) einen Anruf bekommen, wo ich dachte: Was denkt der? Er meinte ich soll den Text runternehmen. Aber so denke ich.
„Künstler machen alles nur für Likes“
Du bist ja auch einer von nicht ganz so vielen Künstlern, die versuchen, eine politische Botschaft in ihren Texten zu transportieren.
Künstler machen alles nur für Likes. Man will nicht anecken, etwas gefährden oder sich zu weit aus dem Fenster lehnen. Lieber nichts sagen als das Falsche sagen. Das ist repräsentativ für die Mitte unserer Gesellschaft.
Ihm Zuge seiner „Life’s Blood“-Tour spielt Patrice am 23. November in der Wiener Arena und am 24. November im Posthof Linz.
Ähnliche Posts
- "Ich bin nicht nur Rapper, ich bin ein Promi" // Eko Fresh Interview
Als Eko Fresh für einen Tourstopp in Wien ankommt, postet er gleich ein Video von…
- "Ich bin noch nicht der nächste Star" // Ahzumjot Interview
Ahzumjot sitzt mit uns an der Bar im B72, es dauert nicht mehr lange, bis…
- "Ich bin inzwischen Kunstrap" // RAF Camora Interview
Mit seinem soeben veröffentlichten Album "Ghøst" versucht Raf, seine Alter Egos 3.0 und Camora zusammenzuführen,…
Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute verbessert sie, hievt Beistriche wieder auf ihren richtigen Platz und hält die ganze Bande mit liebevoller Strenge zusammen. Nach dem Dienst im KURIER-Newsroom hört sie dann eine Zugezogen-Maskulin-Platte zum Einschlafen.