"The hardest thing to do is something that is close…
Wer die Musikindustrie der 90er-Jahre beschreiben will, kann auf die Namen Lou Pearlman und Jerry Heller nicht verzichten. Beide erlangten als Manager mit zweifelhaften Methoden popkulturelle Reputation. Während Lou Pearlman sich durch die Backstreet Boys bereicherte, fand Jerry Heller mit einer der ersten Gangstarap-Gruppen, N.W.A., seine persönliche Geldquelle vor. Dabei bewies er ein überragendes Gespür für Trends – ein Gespür, das er schon früh zu seinem persönlichen Erfolg ummünzen konnte, wie seine Prä-HipHop-Tätigkeiten für Elton John, Pink Floyd oder Marvin Gaye beweisen. Wie sehr ihm die Musik selbst am Herzen lag, gilt je nach Quelle als umstritten. Jerry Heller inszenierte sich schließlich nicht – branchenüblich – als der Mann im Hintergrund, sondern suchte selbst das Scheinwerferlicht. Das Leben eines Rockstars zog ihn magisch an. So magisch, dass er dafür nicht nur einmal metaphorisch über Leichen ging. Eine weitere Parallele zu Lou Pearlman.
Jerry Hellers Gangsta-Rap-Karriere
Neben N.W.A. steht der Name Jerry Heller vor allem mit „Ruthless Records“ in Verbindung. Gemeinsam mit Eazy-E gründete Heller das Label 1987, als sich bereits ein bevorstehender Boom des Westcoast-Gangsta-Raps abzeichnete. In den Folgejahren verbuchte „Ruthless Records“ sechs Platinauszeichnungen, darunter eine für „Straight Outta Compton“ von N.W.A. Trotz (oder gerade wegen) der großen kommerziellen Erfolge entwickelten sich Spannungen innerhalb des Labels. Federführend dafür Ice Cube, der sich von Eazy-E und Jerry Heller finanziell hintergangen fühlte. 1991 trennten sich N.W.A., die Schuldigen waren schnell mit Jerry Heller und Eazy-E ausgemacht. Resultierend daraus attackierte Dr. Dre die beiden im Video zu „Fuck Wit Dre Day (and Everybody’s Celebratin‘)“, Ice Cube legte mit dem Disstrack „No Vaseline“ nach, der eindeutige Zeilen wie „Cause you can’t be a niggaz 4 life crew, with a white jew tellin‘ you what to do“ und „It’s a case of divide and conquer, ‚cause you let a Jew break up my crew“ beinhaltete. Im Endeffekt schadete sich Ice Cube mit diesen antisemitischen Ausbrüchen selbst mehr als seinem Ziel Jerry Heller. Der sah sich abseits dieser Fehde zusehends von einem anderen aufstrebenden HipHop-Mogul unter Druck gesetzt: Mit Suge Knight trat ein neuer Spieler im Rapgeschäft ein, dessen Methoden die Brachialität eines Jerry Heller locker überbieten konnten. Während Heller auf – aus seiner Sicht – geschicktes Vertragswerk vertraute und den gleichen Zugang wie Lou Pearlman wählte, ranken sich bei Suge Knight dutzende, mafia-ähnliche Geschichten über dessen Verhandlungspraktiken. In den frühen 90er-Jahren wurden Morddrohungen von Suge Knight an Eazy-E publik, die zu einem Naheverhältnis zwischen Heller/Ruthless Records und der Jewish Defense League, die sich fortan um den Schutz des Rappers kümmerten, führten.
„I’ve always been a nigga 4 life (…) I was a nigga for life in my whole life in music business, representing some of the biggest acts in the world, because I was always squarely in the camp of the little guy, the underdog, the artist“ – Jerry Heller in seiner Autobiografie „Ruthless: A Memoir“, 2006
Die 110-Millionen-Klage – ohne Abschluss
Mit Eazy-E blieb Jerry Heller – nach eigenen Aussagen, wohlgemerkt – auch in dieser turbulenten Zeit in gutem Kontakt. Welche besondere Rolle Eazy-E für Jerry Heller einnahm, wird anhand seiner Autobiografie deutlich. Verständlich, dass seine Reaktion nicht gerade überschwänglich ausfiel, als er die Charakterisierung seiner Person im N.W.A.-Bio-Pic „Straight Outta Compton“ zu Gesicht bekam. Raffgierig, gerissen, lediglich auf seinen eigenen Vorteil bedacht (auch gegenüber Eazy-E) – so fällt die Rolle des Jerry Hellers, der von Paul Giamatti gemimt wird, im Film aus. Bis auf eine Klage wurden Hellers juristische Einwände gegen „Straight Outta Compton“, die ein Ausmaß von 110 Millionen US-Dollar einnahmen, jedoch alle abgewiesen.
„I have a certain reputation, and that reputation certainly doesn’t entail the things that they said about me. It was very hurtful. I thought ‚No Vaseline‘ was hurtful. But actually, this was more hurtful. Look, I am what I am, but I’m not a thief. And I’m not scandalous. I did more for N.W.A … I mean, it was just incredible, the success that we had. So for them to call me a thief is just terrible“ – Jerry Heller über die Darstellung seiner Person in „Straight Outta Compton“, 2015
Das Ergebnis dieser letzten Klage erlebte Jerry Heller nicht mehr. Am Freitag erlag Heller im kalifornischen Thousand Oaks während einer Autofahrt einem Herzinfarkt. Wenige Tage nach Lou Pearlman, der im Gefängnis in Miami an den Folgen eines Schlaganfalls verstarb. Die Musikindustrie verliert im Sommer 2016 zwei seiner umstrittensten Manager. Die Trauer darüber hält sich in der Öffentlichkeit, wie ein Blick auf diverse Social-Media-Kanäle zeigt, in Grenzen. Das ist wohl das Los kontroverser Persönlichkeiten.
Literatur: Heller, Jerry/Reavill, Gil: Ruthless. A Memoir. New York: Simon Spotlight Entertainment, 2006.
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