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Heiliger Zorn um den Hals: Eminem mit „Kamikaze“ // Review

Heiliger Zorn um den Hals: Eminem mit „Kamikaze“ // Review

(Aftermath/Interscope/Shady/Goliath Records/ VÖ: 31.08.2018)

In den Tagen und Wochen nach dem Release von „Revival“ hätte Eminem verschiedene Aktivitäten zur Entspannung ausüben können. Zum Beispiel in einem Pool voller Dollarscheine baden, irgendeine tropische Insel fernab der Zivilisation aufsuchen und bei Gefallen gleich kaufen oder sonst irgendeines dieser ausgefallenen Hobbys betreiben, die man sich nur als Multimillionär leisten kann. Oder, noch ausgefallener: sich um das Debütalbum von Boogie kümmern, den sie bei Shady Records irgendwie vergessen haben.

Die Möglichkeiten für einen Eminem erscheinen schier endlos. Umso erstaunlicher, dass er seine Zeit dazu verwendete, das Internet nach Kritiken zu „Revival“ durchzuscannen. Kritiken, die im Gros vernichtend ausfielen. Sollte ihn aber nicht weiter beschäftigen, denkt man sich. Aber darin liegt ein Fehlschluss, die negativen Worte nagten an Eminem. Noch dazu nicht ein bisschen, sondern so stark, dass er sich wieder in die Booth begab und „Kamikaze“ aufnahm – ein wütendes, 13 Nummern umfassendes Album mit Beastie-Boys-Anspielung im Artwork, das ohne Vorankündigung veröffentlicht wurde.

Für Eminem ist „Kamikaze“ der Ort, an dem er sich den ganzen Ärger der Post-„Revival“-Phase vom Leib rappen kann. Dabei verschwendet er keine Zeit, sondern legt gleich im Opener „The Ringer“ voller Zorn los. „I wanna punch the world in the fuckin‘ face right now“, sagt er im Intro des Songs. Danach läuft er zur Höchstleistung auf, kritisiert den gegenwärtigen Zustand im US-Rap und diejenigen, die sein „Revival“ nicht wirklich hörenswert fanden (also eigentlich alle).

So kann er Mumble-Rap von Lil Xan, Lil Pump oder Lil Yachty nichts abgewinnen, Vince Staples bekommt für seine Kritik am „BET Freestyle“ sein Fett weg. Auf eine Hook wird verzichtet, der Song brilliert durch gekonnte Flowwechsel und mehrsilbige Reime, wie von Eminem bekannt, aber in den vergangenen Jahren selten so kraftvoll wie hier ins Mic gerappt. Einen fahlen Beigeschmack gibt es dennoch, und der ist grundsätzlicher Natur: Warum regt sich Eminem über Kritiken zu einem Album auf, das er im Nachhinein selbst nicht als sonderlich gelungen erachtet? Darf Kritik an seiner Kunst nur er selbst üben? Ein seltsames Kritikverständnis, das sich auf dem Album einige Male wiederholt.

Wie viel Eminem an der gegenwärtigen Rapszene auszusetzen hat, zeigt sich auch in der Kollabo mit Royce Da 5’9″, „Not Alike“. Flowpassagen gegenwärtig zelebrierter Rapper werden auf spöttische Art imitiert, ein lautes „Ich kann genauso rappen wie eure momentanen Favoriten, und zwar ganz locker!“ kommt einem entgegen. Das wirkt allerdings ungemein frustriert und erscheint wie eine Trotzreaktion angesichts eines ausgemachten Fehlens von szeneinternem Respekt.

Respekt ist ein gutes Stichwort, dreht sich die andere Rapper-Kollabo der Platte, „Lucky You“ mit Joyner Lucas, um dieses Thema. Auf der alles passt: Joyner Lucas legt bereits einen starken Part hin, den Eminem sogar noch übertrumpfen kann. Im Competition-Modus funktioniert der Detroiter nach wie vor gut. Zudem geht das Konzept, in dem Joyner Lucas davon erzählt, wie er keine Awards bekommt, aber in der Szene Respekt, und Eminem genau von Gegenteiligem berichtet, voll auf. Mit Zeilen wie „They’re askin‘ me, ‘What the fuck happened to hip-hop?‘/I said, ‘I don’t have any answers.‘/’Cause I took an L when I dropped my last album/It hurt me like hell but I’m back on these rappers“ lässt er relativ tief blicken. Alles gute Gründe, warum „Lucky You“ neben „The Ringer“ das Highlight der Platte ist.

Die aber nicht nur Höhenflüge bietet, sondern sich auch in der Nähe von manch Bruchlandung begibt: Auf dem Beziehungstrack „Normal“ verliert Eminem im Laufe des Songs den roten Faden seiner Erzählung, „Stepping Stone“ fällt als Entschuldigungstrack (beziehungsweise Abschiedstrack) an die Kumpels von D12 zwar inhaltlich spannend aus, büßt aber durch Eminems Vorliebe für wirre Songstrukturen viel an Wirkung ein. „Nice Guy“ und „Good Guy“ mit Unterstützung von Jessie Reyez, die diesmal die Skylar Grey mimt, sind weitere Beziehungssongs, die zwar aufeinander aufbauen und einen in der Theorie interessant erscheinenden Plot aufweisen, in der Praxis aber doch stark unter den Möglichkeiten bleiben.

Auf „Fall“ mit Justin-Vernon-Hook hat Eminem dann wieder einmal einen seiner homophoben Ausfälle – und liefert beim Diss gegen Tyler, the Creator das schlechteste Wortspiel der Platte: „Tyler create nothin‘, I see why you called yourself a (faggot) bitch/It’s not just ‚cause you lack attention/It’s because you workshop D12’s balls, you’re sack-religious“. Ziemlich peinliche Angelegenheit. Aber glücklicherweise für Eminem hält sich auf „Kamikaze“ die Anzahl an misslungenen Wortspielen in Grenzen, und auch die Punchlines zünden mehrheitlich. Es geht ja doch, wenngleich die misogynen und homophoben Lines nur noch für Mitleid sorgen. Traurig, einfach traurig.

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Besser als zuletzt glückte auch die Auswahl der Beats, nur der Crossover-Krach des Titeltracks fällt leistungsmäßig stark ab und erinnert an dunkle Rick-Rubin-Zeiten. „Kamikaze“ baut auf zurückhaltende Instrumentals, akzentuiert mit prasselnden Hi-Hats und eisigen Synthies, für die sich Input von momentan gefeierten Produzenten wie Mike Will Made It oder Ronny J geholt wurde. Ein ordentliches Qualitätslevel, wobei keiner der Beats für sich alleine stehen kann. Diese dienen lediglich zur Untermalung von Eminems Wortakrobatik. Das war in seinen Glanzzeiten, als er mit den Bass Brothers zusammenarbeitete, anders.

Eine Rückkehr zu alten Zeiten bieten aber die Skits mit Paul Rosenberg auf, die zuletzt auf „Relapse“ vorhanden waren. In einem dieser Skits, „Em Calls Paul“, kündigt Eminem an, einen „Yahoo motherfucker“, der nicht verstand, dass Eminem nicht nur „ryhmes with chymes“, sondern die gesamte Zeile reimte, einen Hausbesuch abzustatten. Auf diese Weise begegnet man also Kritik im Hause Eminem. Das dickste Fell dürfte er nicht haben, wenn er sich von einem „Yahoo motherfucker“, und sei es nur fiktional für einen Skit, zur Weißglut treiben lässt.

Fazit: Mit „Kamikaze“ zeigt sich Eminem deutlich verbessert, von der Makellosigkeit ist das Album trotzdem weit entfernt. An Musikalität mangelt es Eminem, was witzigerweise auf die vielen Mumble-Rapper, die er hier so stark kritisiert, nicht zutrifft. Die liefern heutzutage oft hörbarere Songs als Eminem ab, dessen Technikfilm doch ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt. Was aber nicht heißen soll, dass das Skillfeuerwerk nicht auch beeindruckende Stellen beinhaltet. Die Punchlines und Wortspiele funktionieren auf „Kamikaze“ weitaus häufiger als auf den letzten Alben, die Features und die Beats sind diesmal ebenfalls deutlich besser gewählt. Ein Schritt in die richtige Richtung. An seinem Umgang mit Kritik sollte er trotzdem arbeiten. Auch wenn wir dann auf ein Album wie „Kamikaze“ verzichten müssten.

3 von 5 Ananas