"The hardest thing to do is something that is close…
Der HipHop-Festival-Sommer in Mitteleuropa steht stets im Zeichen eines Giganten-Duells: Auf der einen Seite das Openair Frauenfeld in der schönen Schweiz, das gerne mit den ganz großen Namen lockt (2010 traten unter anderem Eminem, JAY-Z und Nas an einem Wochenende auf), auf der anderen das Splash! im gemütlichen Gräfenhainichen, bei dem das Motto gilt: Weniger ganz großer internationaler Bombast, sondern mehr Förderung der deutschen Szene. Zwei verschiedene Zugangsweisen, beide auf ihre spezifische Weise verlockend. Da ich mittlerweile aber kein großer Fan des Zeltens mehr bin (entweder es ist zu nass oder zu kalt), den typischen Rap-Cyphern bei den Splash!-Dixie-Klos auch gerne fernbleibe und meine Begeisterung für den Teenietreff beim Openair Frauenfeld sich in engen Grenzen hält, wählte ich dieses Jahr die beste Kompromisslösung und verfolgte beide Festivals via Stream. Tja, was das Internet im 21. Jahrhundert so alles ermöglicht.
Und als wäre ich vor Ort gewesen, zeigte ich mich bei der Auswahl der Streams äußerst wählerisch. Manches klickte ich nur an, um dann ganz schnell auf den „X“-Button meines Fensters zu hämmern, bei manchen Acts verweilte ich länger, fand es dann schrecklich langweilig und bedauerte meine Zeitverschwendung – wobei mich der Gedanke, dafür wenigstens kein Geld gezahlt zu haben, doch ein wenig aufmunterte. Aber genug der einleitenden Worte, diese drei Gigs auf beiden Festivals waren besonders bemerkenswert. In vielerlei Hinsicht.
Fler x Jalil @ Openair Frauenfeld
Ich kann’s nicht leugnen: Seinen Freitagabend mit einem Live-Stream eines Fler-Gigs zu verbringen, fühlt sich einfach nicht richtig an. Wie so vieles im Leben macht man’s aber trotzdem. Vor wenigen Jahren wäre ein solcher Slot für Fler auch denkunmöglich gewesen, doch man muss dem ehemaligen Aggro-Berliner schon zugestehen: Er hat die eindrucksvolle Entwicklung vollbracht, vom viel belächelten Interview-Kaspar (das Miami-Interview auf 16bars sei hier genannt) zu einem Liebling des Feuilletons zu werden; eine Entwicklung, die nur wenige prognostizierten. Und da Fler mittlerweile zu den großen Namen im Deutschrap gehört, darf er den zweiten offiziellen Tag des Openair Frauenfelds sogar abschließen.
Zumindest im Vorfeld zeigte sich Fler „ready“ für diese ehrenhafte Aufgabe, sollen schließlich ganze 80.000 Euro in den Gig investiert worden sein. Vor so viel Einsatz kann man schon den Hut ziehen, die großen Ankündigungen erhöhen natürlich die Spannung auf den Auftritt. Diesen beginnen Fler und „Epic“-Kollabo-Partner Jalil nach einer charmanten Anmoderation durch hiphop.de-Reporter Rooz mit der passenden Statement-Nummer „Vibe“. Schnell zeigt sich, wofür das meiste Geld in die Schweiz überwiesen wurde, umrahmt heftige Pyrotechnik die beiden Rapper und den DJ. Zwar nicht ganz so eindrucksvoll wie bei Flers Homie und Rammstein-Frontmann Till Lindemann, aber für HipHop-Verhältnisse definitiv in Ordnung. Bei so viel visueller Action könnte man aber fast vergessen, dass die Musik doch im Vordergrund stehen soll. Leider krankt es daran, ganz egal ob man nun den „Vibe“ fühlt oder nicht. Flers Mikrofon ist viel zu leise, folgerichtig muss er wie ein Sänger einer Hardcore-Punk-Band brüllen, um überhaupt verstanden zu werden. Sein Bühnenpartner machte vor wenigen Wochen beim Auftritt bei Jan Böhmermann eine ähnliche Erfahrung. Die Ton-Probleme werden im Folgenden nicht besser, Fler nur schneller heiser, das Playback im Hintergrund avanciert zum Rettungsanker.
Auch sonst bringt der Auftritt wenige Gründe für enthusiastische Lobeshymnen, wirkt Fler trotz Bühnenroutine einfach deplatziert. Zwar nicht ganz wie ein Kollegah, aber fast. Jalil hingegen strahlt wesentlich mehr Selbstsicherheit aus, mit seinen ständigen „Seid ihr noch da?“ „Habt ihr noch Power“ „Frauuuunfeld“ und „Lauter!“-Rufen versprüht er aber den Esprit eines Animateurs, der eine Gruppe Rentner bei der Unterwassergymnastik betreut. Für den negativen Höhepunkt sorgt jedoch ein Individuum aus dem Publikum mit dem ehrenlosen Ziel, Fler mit einer Flasche abzuschießen. Der Berliner reagiert darauf wenig überraschend (und verständlich) impulsiv, „Hurensohn“-Chöre in den ersten Reihen begleiten die kurze Ruhepause. Nicht die einzige Stelle, in der das Publikum Fler einen Strich durch die Rechnung macht: Bei „Unterwegs“ fordert er das Publikum auf, eine Gasse zu bilden, um damit Aufnahmen für ein imposantes Live-Video zu erhalten. Eine Aufgabe, die das Publikum aber nicht wirklich erfüllen kann, was jedoch spiegelbildlich für den gesamten Auftritt steht: Sehr ambitionierte Ziele, im Endeffekt aber eine etwas dürftige Performance.
SXTN @ Splash!
Anders als bei den Schweizer Kollegen überträgt nicht die Internet-Präsenz des Splash! direkt das Festival, sondern der deutsch-französische Kultursender arte. Erfreulich dabei, dass sich die ausgewählten Auftritte nicht nur live, sondern auch im Nachhinein begutachten lassen (sofern es die Rechte dafür gibt). Neben Ami-Acts wie Nas, Rae Sremmurd, Pusha T, Travis Scott wirbt das Splash! mit einer geballten Portion Deutschrap – und großen Teilen der Deutschrap-Elite. Wie der Zufall aber so will, schalte ich bei SXTN ein. Ohne Reue: Klar, JuJu und Nura haben einen gewissen TicTacToe-Charme in ihrer Musik, aber wie die beiden live performen, ist zugleich beeindruckend und bewunderswert; bewundernswert, weil das Duo ja gar nicht so lange existiert (gleiches gilt für viele im Publikum). Die Kommandos wirken routiniert, der Sound makellos, die Anmoderationen locker und erfrischend, die Twerk-Einlagen sorgen zumindest für ein lautes Gröhlen.
Zudem haben sie mit Ali As und Frauenarzt die passenden Überraschungsgäste auf der Bühne und bringen mit „Nein heißt Nein“, gesungen auf Opus‘ (Österreich-Beitrag!) „Live is Life“, sogar noch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Statement unter die Leute. Allesamt Elemente, die dem Publikum gefallen – die Aufnahmen in Vogelperspektive zeigen eine sich wild bewegende Menge, ähnlich wie vergangenes Jahr beim Gig von Frauenarzt. Nur einmal lässt sich Nura von der Stimmung mitreißen, indem sie „Wir sind friedlich“ mit einem provokanten „Allahu Ahkbar“ beendet. Etwas, was ihr im Nachhinein sichtlich peinlich ist, sie aber mit der Freiheit der Kunst rechtfertigt. Okay.
Bushido x Shindy @ Openair Frauenfeld
Nach dem Splash-Abstecher geht’s wieder in die Schweiz, wo am Samstag Bushido und Shindy den Schlusspunkt des diesjährigen Festivals setzen – wenige Wochen, nachdem Bushido mit seinem jüngsten Album „Black Friday“ jeweils den ersten Platz in den Albencharts der DACH-Region einnahm. Wenngleich der ganz große Hype mittlerweile passé ist: Bushido gehört immer noch zu den Big Playern im Deutschrap, sein Signing Shindy befindet sich auf dem besten Wege dazu. Also durchaus verständlich, warum Bushido und Shindy die große Ehre zukommt, als letzter Akt der 2017er-Ausgabe des Frauenfelds in die Historie einzugehen. Jedoch der einzige Grund, warum man sich an den Gig erinnern wird, der schließlich nicht viele denkwürdige Aspekte enthält.
Wie On-Off-Kumpel Fler am Freitag kämpfen Bushido und Shindy mit Tonproblemen – allerdings kämpft eigentlich nur Bushido, ergibt sich sein Kumpel Shindy schnell seinem Schicksal, taucht weitgehend unter und fällt nur durch seine rote Adidas-Jogginghose auf. Da wirkt Laas Abi, der von Kool Savas ins Ersguterjunge-Lager wechselte, weitaus agiler, obwohl er bei der Jobbeschreibung scheinbar nicht ganz aufgepasst hat. Die Aufgabe eines Back-ups liegt nämlich darin, den Main-Act zu unterstützen und nicht darin, jede Strophe mitzurappen. Da Laas das lauteste Mikrofron hat, stiehlt er damit dem Main Act gar die Show.
Neben dem Mikrofon spielt auch das andere Equipment den Protagonisten einen Streich. Bushido muss so seinen Track „Berlin“ abbrechen, sein Textfehler bei „Sonnenbank Flavour“ erweist sich aber frei von Fremdverschulden. Neben den Bushido-Klassikern, Shindy-Hits, einigen neuen Nummern aus „Black Friday“ und etlichem Material aus „Cla$$ic“ (an das sich keiner wirklich mehr erinnern kann), bietet Bushido auch Songs aus seinem zweifelsfrei schwächsten Album, „Zeiten ändern dich“, auf. Eine zweifelhafte Entscheidung. Gastauftritte gibt es ebenfalls zu bestaunen, Neo-EGJ-Künstler AK Ausserkontrolle darf beispielsweise für „Echte Berliner“ seinen Part zum Besten geben. Ärgerlich, dass diesen leider kaum jemand verstehen kann, da der Technik-Teufel auch bei ihm zuschlug. Dennoch merkt man Bushido an, welch kleine Herausforderung das Live-Game für ihn darstellt. Er besitzt einfach Entertainer-Qualitäten, von denen andere nur träumen können. Für das große musikalische Feuerwerk konnten Bushido, Shindy und Umfeld trotzdem nicht sorgen.
Fazit
Beide Festivals boten natürlich noch Dutzende weitere Auftritte, die an dieser Stelle durchaus berechtigterweise angeführt werden müssten – insbesondere Travis Scott, LGoony und Marteria – aber besonders, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, blieben mir die drei angeführten ins Gedächtnis. Schlossen Bushido und Shindy das Frauenfeld ab, übernahm in Ostdeutschland Sido diese Aufgabe. Dort nutzte er die Gelegenheit, gleich sein Kollaboalbum mit Savas anzukündigen und den ersten Track aus „Royal Bunker“ vorzustellen. Klang leider gar nicht mal so gut. Musikalisch habe ich auch am Bildschirm alles mitbekommen, vielleicht sogar mehr als direkt vor Ort. Aber dann gelangte ich zu einer anderen Erkenntnis: Das Faszinierende an Festivals war bisher eigentlich nie wirklich die Musik, sondern die soziale Komponente. Und die macht auch das Zelten erträglich. Irgendwie.
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