Tommy Genesis braucht kein großes Intro, keine Inszenierung, keine Gimmicks. Sie kommt einfach auf die Bühne des Café Leopolds, noch bevor ihr Intro zu hören ist und blickt auf ihr erwartungsvolles Publikum. Auf einmal ertönt „Hate Demon“ – alle Aufmerksamkeit richtet sich schlagartig auf die (überraschend) kleine und gänzlich in Barbarella-Rot gekleidete, selbst ernannte „Fetisch-Rapperin“. Der Mikrofonständer wird auf den Boden geworfen, ohne große Geste – es geht los. Innerhalb von Sekunden beschert sie den ersten Reihen intensive Bonding-Momente, kniet sich hin, blickt lasziv in die Augen ihrer Fans. Körperkontakt ist schnell hergestellt, erwünscht, aber nicht erzwungen. Die Grenzen zwischen Publikum und Performerin sind bereits beim zweiten Track komplett aufgehoben.
Die in Vancouver aufgewachsene Rapperin wurde von dazed digital zur „Internet’s most rebellious underground rap queen“ ernannt und sie macht ihrem Namen alle Ehre. Ihr DIY-Sound gepaart mit einer ordentlichen Punk-Attitüde funktioniert live sogar besser als auf SoundCloud. Der oberflächliche Blick auf ihren Instagram-Account lässt durchaus die Frage zu, ob das Spiel mit dem Lolita-Image nicht nur Marketing ist, um möglichst viele Zielgruppen zu erreichen. Aber das Konzert belehrt eines Besseren. Beim Track „Angelina“ ist in ihrer Präsenz und ihrer Verschmelzung aus Barbie und Riot Girl sowie ihrer direkten Emotionalität pures weibliches Empowerment zu sehen.
Wenig später, und eventuell etwas zu früh, ist ihr Hit „Execute“ zu hören, beweist aber, dass ihr erstes Release „World Vision“ trotz der Rohheit sehr präzise ausgearbeitet ist und dass Hits keine Videos brauchen, um live Turn-up zu garantieren. Bei der Bridge “You see there’s leaders and there’s masters, I’d rather be a snake than a ladder” ist ohnehin alles aus. Kanye Wests männlichkeitsfixierte Line („But I’d rather be a dick than a swallower„) aus „New Slaves“ wird in Komplizenschaft mit dem Publikum zum rebellischen Akt gegen Prüderie und Unterdrückung. Alle schreien lauter als die Anlage. Tommy Genesis schafft es, selbst aus denen, die noch keine Hardcore-Fans sind, alles rauszukitzeln und belohnt, indem sie sich in die Menge schmeißt, um später wieder auf der Bühne mit schulmädchenhafter Schüchternheit zu kokettieren.
„You never met a girl just like me – And I never met a muthafucker that I need“. Mit der Line verabschiedet sich Tommy Genesis von ihrem leider zu kurzen Konzert. Der Songkatalog ist trotz eines unveröffentlichten Features mit Aweful-Recors-Mastermind Father, das live zum Besten gegeben wird, noch etwas klein – dafür ist das Energielevel bei jedem Track mehr als intensiv. Am Ende tanzt Tommy – was übrigens für Tomgirl steht – Genesis anstatt einer Zugabe verspielt zum letzten Hit ihres Besties Abra „Crybaby“ und singt mit so einer Liebe mit, als wäre der Song von ihr. True Luv is Crewluv.
Und auf einmal ist sie wieder in der Menge verschwunden. Manchmal sieht man im Verlauf des Abends noch Girls mit ähnlich gelockten Haaren. Die Frau hat Spuren hinterlassen mit ihrer Mischung aus Tomb Raider, Sailor Saturn und feministischer Punkqueen mit Hang zum Eyefucking. Es war die letzte Veranstaltung von Canyoudigit im Café Leopold. Ein bisschen Wehmut ist schon zu spüren. Aber Tommy Genesis hat versprochen, dass sie wiederkommt. Man kann nur hoffen, dass Canyoudigit bis dahin eine neue Heimat gefunden hat, in der so viel „art hoe swag“ Platz haben kann.
Weitere Fotos vom Konzert:
Text & Fotos: Marlene Rosenthal
Mitarbeit: Lewon Hotline.Bling
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