Diesen Februar ist es 15 Jahre her, dass die schwarz-blaue ÖVP & FPÖ Regierung angelobt wurde. In den darauffolgenden Tagen, Monaten und Jahren formierte sich dagegen eine der größten Protestbewegungen in der Geschichte Österreichs. Auch von Seiten der HipHop-Szene kam es zu zahlreichen regierungskritischen Aktivitäten, wobei vor allem die Split-12“/CD „Brief an den Bundeskanzler“ zu erwähnen ist. Informatives rund um diesen Tonträger und darüber hinaus, gibt es hier als Vorgeschmack auf einen ausführlicheren Artikel, der auch 2015 erscheinen wird. Schon jetzt gibt es einige exklusive O-Töne zentraler Protagonisten des gerappten Widerstands von 2000 – mit Trishes, Kayo, Kroko Jack und Flip.
Text: Stefan Anwander & Jan Braula
Im Februar 2000 stand die erste Koalitionsregierung zwischen ÖVP und FPÖ fest. Die bei den Nationalratswahlen von 1999 drittplatzierte ÖVP stellte trotz ihrer historischen Wahlniederlage und gegen den Willen der meisten Wähler mit Wolfgang Schüssel den Bundeskanzler. Ermöglicht wurde ihm dies durch die Hilfe der FPÖ und Jörg Haider, der Speerspitze der europäischen und österreichischen Rechten. Markee alias Kroko Jack/Jack Untawega, auf der B-Seite vom „Brief an den Bundeskanzler“ als Gast vertreten und später einer der meistgeschätzesten Mundart- Rapper Österreichs, meint, dass es diese Regierung gar nicht anders verdient hätte, als mit Worten abgewatscht zu werden. So resümiert er heute gegenüber dem Message Magazin: „Schüssel, Haider, Strasser, Grasser…. Jeda hod gseng wo des higführt hod. Hob ma zwoa ned docht, dass se de Höfte darennt und de aundane Höfte im Häfn sitzt, oba eana Politik hod ma domois schau ned daugt.“ Sowohl international (EU-Sanktionen) als auch in Österreich dachten auch schon vor 15 Jahren viele ähnlich. Mit großer Eigendynamik entwickelte sich die breiteste Widerstandsbewegung der Nachkriegszeit. Zunächst wählte die Regierungsmannschaft von Wolfgang Schüssel auf dem Weg zur Angelobung bei Thomas Klestil nicht den Weg über den Ballhausplatz zur Hofburg, sondern einen unterirdischen Gang. Auch durch diesen symbolischen Erfolg angetrieben, sollten in den beiden folgenden Jahren wöchentlich friedliche „Donnerstagsdemonstrationen“ stattfinden. Vor allem anfangs waren einige Soundsysteme mit Wägen vertreten, zahlreiche Musikveranstaltungen gegen die schwarz-blaue Regierung fanden im Freien und auch Indoor statt. Dabei ist nicht zuletzt die „HipHop gegen Schwarz-Blau“-Open Air Reihe zu erwähnen. Ganz im Gegensatz zu dem von vielen Jugendforschern diagnostizierten Befund einer unpolitischen und unkritischen Jugend, engagierte sich ebenjene im politischen Protest.
Ein Tonträger, der dabei im Jahr der Angelobung für großes Aufsehen sorgte, war die Split-12“/CD „Brief an den Bundeskanzler“ von den Kaputtnicks. Auf der B-Seite waren Kayo&Phekt zusammen mit Markee und der Nummer „Wilde Geschichten“ vertreten. Die Entstehungsgeschichte der Split-12“ wird hier nun aufgrund der zeitlichen Distanz von zweien der Hauptprotagonisten wieder in Erinnerung gerufen. Kayo, der wie Markee nach wie vor rappt, berichtet dazu: „Unsere Nummer war schon fertig, als wir gefragt wurden, ob wir sie beisteuern würden. In ‚Wilde Geschichten‘ geht’s im Wesentlichen um Polizeigewalt beziehungsweise -willkür, sowohl im Makrokosmos (mein Part) als auch im Mikrokosmos (Markee‘s Part). Nachdem wir die Nummer damals im Linzer Posthof performt hatten, erzählte uns Georg Schneider (Organisator der „HipHop gegen Schwarz-Blau“ – Veranstaltungen, Anm.) von dem Release.“ Die drei überlegten nicht lange und sagten zu.
Der Refrain der A-Seite wollte „Alle Hände sehn, die gegen Schwarz-Blau wähln“, die graphische Gestaltung der Schallplatte war dazu passend vom „Gegen Schwarz-Blau“-Symbol adaptiert, dass sich vor allem in Button-Form bei den Donnerstagsdemos rasch verbreitete. Whizz Vienna, damaliges Kapputnicks-Mitglied, rappte pointiert Richtung Wolfgang Schüssel und Jörg Haider: „Sie sind machtgeil und er verharmlost die Nazizeit, das zeigt, dass ihr zwei geistige Nackerpazis seid.“ Trishes, damaliger Kaputtnick, heute FM4-Mitarbeiter und „Tribe Vibes“-Host, Beatproduzent, DJ und Kurator des Popfest Wien 2015 – erinnert sich noch ziemlich genau an diese Februartage. Auch daran, dass am 11. Februar 2000 die erste mit „HipHop gegen Schwarz-Blau“ titulierte Veranstaltung stattgefunden hat. Das war auch die eigentliche Initialzündung für den „Brief an den Bundeskanzler“: „Wir hatten auch für einen Auftritt zugesagt und ich dachte mir, dass man da nicht einfach das normale Programm spielen kann. Deshalb hab ich mich am Abend davor hingesetzt, und die erste Strophe, den Refrain und mehr als die Hälfte der zweiten Strophe quasi in einem Guss geschrieben. Am nächsten Tag traf ich mich dann mit meinem Kaputtnicks-Bandkollegen F.L.O. – das dritte Crewmitglied Whizz Vienna war damals gerade nicht in der Stadt. Wir haben das Instrumental von Eins Zwos „Tschuldigung“ ausgesucht und er hat noch seinen Vers geschrieben. Am Abend haben wir das dann live gerappt, und zwar tatsächlich noch vom Zettel runter, was der „Brief“-Form ja durchaus entsprach.“
Der Song „an den Herrn mit der Brille und der schnuckeligen Fliege“ verfehlte seine Wirkung nicht. Nicht nur dass die FPÖ erfolglos klagte, nach der erstmaligen Präsentation traten die Kaputtnicks darüber hinaus in den nächsten Wochen inklusive Whizz Viennas Beat und Raps auf vielen anderen Demonstrationen und Veranstaltungen auf. Wieder war es Georg Schneider, der die jungen Wiener Rapper im Zuge dessen mit dem leider viel zu früh verstorbenen Christoph Moser von Hoanzl in Verbindung setzte. Das Produktions- und Vertriebsunternehmen wollte den Song auch tatsächlich so schnell wie möglich veröffentlichen. Es war ebenso Moser, der für die letztliche Zusammenstellung verantwortlich zeichnete und auch den Titel „Brief an den Bundeskanzler“ kreierte, wie sich Trishes erinnert: „Der Song hieß für uns eigentlich „Aus aktuellem Anlass“. Christoph Moser hatte die Single dann aber in den Vorbestellungslisten schon „Brief an den Bundeskanzler“ getauft, also stand das dann auch fest.“
Hoanzl veröffentlichte den „Brief an den Bundeskanzler“ schließlich auch auf CD. Darauf ist weiters der bereits vom „Gediegen“ – Album (1997) bekannte Texta-Track „Globaler Respekt“ zu finden, laut Flip eine von Christoph Moser angeregte – und seiner Meinung nach recht hergeholte – Idee, um diesen Tonträger abzurunden. Denn Texta hätten eigentlich nicht nur jenes ältere Stück, sondern auch eine neue regierungskritische Nummer im Repertoire gehabt. Sie hieß so wie die häufigste und lautstärkste Parole auf den Donnerstagsdemonstrationen: „Widerstand“, und war auch sonst stark von ihnen inspiriert. Das dazugehörige Musikvideo fing die damalige Proteststimmung rund um die wöchentlichen Demonstrationen gegen Schwarz-Blau gut ein. Ursprünglich war die Nummer für ein AustroPop-Hits-Remake angedacht gewesen. Dafür stellten Texta ein Cover von Hansi Langs „Keine Angst“ bereits Ende 1999 fertig. Schlussendlich wurde die Nummer aber für dieses Projekt abgelehnt, „weil sie dann doch zu politisch war“, so Flip. So landete die Nummer, die nach wie vor „Keine Angst“-Elemente enthielt, dann auf dem im Jahre der Angelobung 2000 erschienenen HipHop Sampler „Fried Kutz“. Dieser war wiederum der eigentlich dritte Teil des ersten österreichischen HipHop Samplers „Austrian Flavors“. Die Initiatoren sahen sich jedoch aufgrund der politischen Lage außerstande, diesen Namen beizubehalten.
Auch die fünfte Print-Ausgabe des The Message Magazins stand im Zeichen des Protests gegen die neue Koalition: Davon zeugen nicht nur die farbliche Ausrichtung und viele Statements, sondern auch die Berichterstattung über die gut besuchten Konzerte, die nach der Angelobung regelmäßig am Heldenplatz und anderen öffentlichen Locations stattfanden und an denen fast die gesamte HipHop-Szene beteiligt war. Hier das damalige Vorwort des Message Magazins:
Mit dem Abstand von nun 15 Jahren wollen wir heuer die Ereignisse und Entwicklungen von 2000 und den Folgejahren genauer unter die Lupe nehmen und analysieren. Nicht zuletzt deswegen, weil nur sechs Jahre nach dem „Brief an den Bundeskanzler“ der erste HC Strache Rap veröffentlicht wurde und sich der Rechtspopulist bis heute bei punktuellen Anlässen als Rapper gibt. Weiters wurden Phänomene wie „Rechtsrap“ und „Nazirap“ zur oft negierten Realität, die das Message Magazin nichtsdestotrotz auch weiterhin kritisch thematisieren will. So stay tuned & watch out!
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