"The hardest thing to do is something that is close…
Für ihren Status als Lieblinge des Feuilletons benötigten die schottischen Young Fathers ganze zwei Alben. Alles beginnend mit dem Debüt „Dead“, dem gar Mercury-Prize-Ehren zuteil wurden (bei damaliger Konkurrenz wie FKA twigs keine Selbstverständlichkeit). Aber wer ein Album wie „Dead“ abliefert, der verdient jeden Begeisterungssturm. Auf dem 2014er-Album kreierten die Young Fathers schließlich einen rastlosen Genre-Misch-Masch, der zwar eine eindeutige Pop-Schlagseite aufweist, sich aber mit allen Mitteln und Kräften gegen eine solche Schubladisierung wehrt. Der üppige Umgang mit unterschiedlichen Musikstilen, mit Vorliebe dem ursprünglichen Kontext enthoben und in ein neues Gerüst eingesetzt, zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk. Das ist Musik, die zu Recht den Experimental-Stempel trägt – und mit dem das Alternative-Rap-Trio aus der „Trainspotting“-Stadt die Hürde für kommende Alben ungemein hoch legte.
Dieses hohe Niveau hielten sie aber auf ihrem nächsten Streich „White Men Are Black Men Too“ (2015) mit Leichtigkeit. Da kann man schon einmal klatschen, bei dieser beeindruckenden Leistung. Stilistisch galt erneut das Credo, ein Rapalbum zu schaffen, das aber möglichst wenig mit den traditionellen Zugangsweisen gemein hat. „White Men Are Black Men Too“ irritierte aber in seiner Konzeption und einem musikalischen Dickicht aus Krautrock, Soul, Indie-Rock, Electro-Pop und einer kräftigen Portion „Brit-Chic“. Der Geist der TripHop-Götter Tricky und Massive Attack ist ebenso auf „White Men Ae Black Men Too“ enthalten wie jene nonkonformistische Attitüde, die an Hochzeiten des britischen Punks erinnert. „White Men Are Black Men Too“ ging als immens spannendes Werk, das seine Anziehungskraft nicht zuletzt den bewusst gesetzten textlichen Unklarheiten und polymorphen Interpretationsmöglichkeiten verdankt, in die Bandgeschichte der Young Fathers ein. Ein Album, mit dem sie sich endgültig in der Welt des Feuilletons etablieren konnten.
Und nun also „Cocoa Sugar“, das direkt in eine Zeit fällt, in der künstlerische Antworten auf die politische Tristesse im Königreich gesucht werden. Stichwort „Brexit“. Eine präzise Replik dieser Umstände durfte man sich von den Young Fathers nicht erwarten, zu wenig konkret gestalten sie ihre Texte. Und Antworten lieferten sie bisher sowieso nicht ab, sondern begnügten sich dabei, stets neue Fragen aufzuwerfen – Fragen, die einen lautstark auffordern, die textliche Oberfläche abzukratzen und tiefer in die Materie einzutauchen. Dieser Linie bleiben sie auf „Cocoa Sugar“ treu. Die Texte fallen bekannt kryptisch aus, die Themenkomplexe mit Liebe, Sexualität, Religion, Migration und vor allem der Suche nach Identität scheinen trotzdem klar durch.
Dabei bewegen sie sich gerne in einem Universum zwischen Poetry-Slam-Poesie und hauseigener „Weirdness“, die sich anhand Zeilen wie „Good men are strange, bad men are obvious/Mama said the good men are strange/Bad men are obvious“ in „Picking You“ oder „Those who were humble, they stumble and crumble“ in „Holy Ghost“ ausdrückt; ganz zu schweigen vom Gospel-Track „Lord“, in dem die Young Fathers unter anderem auch auf das alte englische Sprichwort “If wishes were horses, beggars would ride” zurückgreifen und welches die spannende Outro-Zeile „While the government wants to control/Her culture will set you free“ enthält. Religion als Möglichkeit zum Ausbruch einer staatlichen 24/7-Kontrolle? Oder meinen Young Fathers mit „her culture“ etwas anderes? Dieses Rätsel lösen sie nicht auf. Natürlich nicht, mag man hier sagen.
Dieser seltsam-skurrile Charakter der Textschöpfung durchzieht das gesamte Album. Ganz egal, ob die Young Fathers politisch interpretierbare Inhalte in ihren Songs abliefern („Toy“) oder eine Ballade wie das fulminate „In My View“ darbieten, das nicht ohne ulkig-schräge Zeilen wie „So, when I leave, you’ll be dancing on my grave“ auskommt. Aus einer ähnlichen kreativen Ader entnehmen die Young Fathers auch die „Jack and the Beanstalk“-Referenz in „Fee Fi“ („Fee fi fo fum“), die sich aber als durchwegs geglückt erweist.
Ein ähnliches Fazit lässt sich bei der Instrumentalisierung auf „Cocoa Sugar“ ziehen, die erneut eine eintopfartige Konsistenz annimmt. Tracks mit klarem Afro-Beat-Einschlag („Turn“ respektive „Wire“), eine mysteriöse Mischung aus Doo-Wop und Drone-Punk auf „Wow“ und reichlich Gospel-Anleihen, die im Intro „See How“ (neben 8-Bit-Sounds) und eben „Lord“ zur Geltung kommen, sind Zutaten der diesmaligen musikalischen Ausrichtung.
Den LoFi-Pop-Charakter ihrer Musik haben die Young Fathers auf „Cocoa Sugar“ beibehalten, gerappt wird natürlich auch. Nur fügen sich neben den erwähnten Genre-Ausflügen diesmal immer wieder Grime-Spuren (seltener Jungle und Trance) und bitterböse Industrial-Synthies in das musikalische Gerüst ein. Das klingt in der Theorie alles reichlich unausgewogen, passt realiter aber enorm gut zusammen. „Cocoa Sugar“ mutet situativ fordernd an, enthält aber immer eine große Menge an Spannung, gar Magie. Tanzbar und ungeniert eingängig, das sind die meisten Tracks auf „Cocoa Sugar“. Und alles ohne Abstriche in den Lyrics. Wenngleich man eben nicht immer versteht, was die Young Fathers eigentlich genau sagen wollen.
Fazit: Mit ihrem dritten Album können die Young Fathers das hohe Qualitätslevel ihrer vorherigen Arbeiten mehr als nur bestätigen. Musikalisch absolut spannend und aufregend gestaltet, textlich wieder kryptisch-klug, mit viel Platz für Interpretationen. Ein furchtbar elegantes Pop-Album, das ist „Cocoa Sugar“. Mit diesem Album spricht eigentlich nichts gegen einen zweiten Mercury-Prize – die Suche nach Gegenkandidaten, die gegenwärtig auf einem ähnlichen hohen Niveau agieren, wird sich schwierig gestalten.
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