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Hip Hop Messages: Max Herre grüßt die Welt!

Hip Hop Messages: Max Herre grüßt die Welt!

Max Herre hat im Zuge seines neuen Albums „Hallo Welt“ zum Interview geladen. Auf dem Balkon der Hotel-Suite treffen wir den A.N.N.A-Rapper, der mal als das politische Gewissen der deutschen HipHop Szene galt und zuletzt als gemütlicher Singer-Songwriter unterwegs war. Trotz 16 Interviews an diesem Tag ist der Stuttgarter, seit zehn Jahren nun Wahlberliner, freundlich und entspannt. Mit fast vierzig und als Vater dreier Kinder bringt einen wohl so etwas nicht so schnell aus der Ruhe. Wir erfahren, dass er sich lange geweigert hat Bücher zu lesen, einen slowenischen Marxisten für einen großen Entertainer hält und sich nicht als Projektionsfläche einspannen lassen will. Ein politischer Rapper sei er nicht, politische Schriften kenne er wenige, die Zeile „Macht kaputt was euch kaputt macht“ sei nicht zwingend als Zitat der 68er Bewegung zu verstehen und außerdem ist er in erster Linie Musiker. Fünf Tage später postet Max Herre ein Video auf seiner Facebook-Seite: „Max im Gespräch mit Hannes Rockenbauch“. Rockenbauch kandidiert als Stuttgarter Bürgermeister. Es ist Wahlkampfzeit.

Das Interview in mittlerweile gewohnter „Hip Hop Messages“-Manier als Mischung aus Video und Text:

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Deine Mutter hatte eine Buchhandlung namens Ernst Thälmann, benannt nach einem bekannten Kommunisten in den 30ern. Hatte die linke Literatur einen Einfluss auf deine Texte oder deine politische Sozialisation?
Ganz bestimmt hatte es einen Einfluss auf meine Sozialisation, dass meine Mutter politisch war oder ist. Wie sehr sich die Schriften Thälmanns sich in meinen Texten wiederfinden ist spekulativ, denn ich habe ihn nie gelesen. Aber ja, das ist ein Teil meiner Sozialisation und meiner Kindheit und bestimmt prägt das auch mein Wertesystem und mein Weltbild.

Gibt es ein paar politische Autoren, die dich besonders beeinflusst haben?
Ne, ich kann nicht sagen, dass ich da viel belesener bin als andere. Es gibt Leute, die haben sich zumindest einmal die Mühe gemacht und „Das kommunistische Manifest“ gelesen, das habe ich natürlich auch getan. „Das Kapital“ von Marx oder Sonstiges kenne ich nicht, auch sonst nicht wahnsinnig viele politische Schriften.

Kam deine Haltung eher indirekt durch den Einfluss deiner Eltern? Laut einem Interview hast du mit ihnen einmal in einer 68er WG gewohnt?
Leute wollen immer irgendwelche Kategorisierungen. Ich habe tatsächlich als Kind in einer WG gewohnt, das war die Wohnung, in der meine Eltern heute noch leben. Das ist aber nicht das, was man sich vorstellt, nicht irgendwelche kiffenden Leute auf Luftmatratzen. Meine Eltern sind beide sehr klassisch erzogen worden und haben das auch bei uns so gemacht, aber natürlich in einer Zeit, die sehr politisch und für viele Sachen sehr offen war. Natürlich wird man von der Kindheit und dem Elternhaus geprägt. Ich glaube allerdings nicht, dass wir indoktriniert wurden, denn meiner Mutter war es immer sehr wichtig, dass sie Kinder erzieht, die ihren eigenen Kopf haben und sich der Welt auf ihre eigenen Art nähern. Übrigens habe ich mich bis ich 17 war geweigert, ein Buch in die Hand zu nehmen, das war meine Rebellion. Ich habe die Literatur also nicht mit der Muttermilch eingesaugt, ich habe mich dem auch erst irgendwann genähert. Irgendwann mit 17 oder 18 habe ich mich gefragt, was ich lesen soll und dann hat sie mir „Der Fänger im Roggen“ von Salinger in die Hand gedrückt, weil sie dachte das wäre vielleicht ein guter Einstieg für mich, um diesen Kriegsfuß mit der Literatur zu begraben und das war’s dann auch. Als nächstes habe ich mir jedes Bukowski Buch durchgelesen, das war also mein Weg in den Kanon der Weltliteratur.

Hat Bukowski auch geschrieben „Macht kaputt, was euch kaputt macht“?
Nein, das hat Rio Reiser, Sänger der Ton Steine Scherben geschrieben.

Der Song „Einstürzen Neubauen“, in dem diese Textzeile vorkommt, beinhaltet auch ein Sample von Slavoj Žižek, in dem er sagt „We are the 99 %“..
Joy hat das ganz viel geguckt auf Youtube und war ein richtiger Fan davon. Irgendwann habe ich mir das auch ein bisschen angeguckt. Ich finde ihn hochinteressant, er ist ein brillanter Rhetoriker und ein wahnsinniger Entertainer. Ich kenne seine Thesen zwar nicht so gut, aber es ist auf jeden Fall sehr unterhaltsam, ihm zuzuhören. Ich glaube er ist sehr streitbar, aber ich finde genau das sehr spannend. Gerade in einer Zeit, in der die Leute sehr bedacht sind, nichts Falsches zu sagen, jemanden zu hören, der sich einfach hinstellt und einfach irgendwas behauptet und damit auch eine Diskussion eröffnet, finde ich sehr spannend. Ich finde auch toll an ihm, dass er in jeder Sprache der Welt irgendwie zu Hause ist. Er macht das auf Deutsch, Französisch oder Englisch auf eine unglaubliche Art und Weise und ist dabei ein großer Selbstdarsteller. Er wird den Song gar nicht mögen, da er eigentlich diese These der 99 Prozent ad absurdum führen wollte. Im Sinne von: Das stimmt doch gar nicht, das erzählt ihr hier in der Occupy-Bewegung und das ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt. Ihr seid eben nicht die 99 Prozent, das sind eben nicht die Leute auf dem afrikanischen Kontinent, sondern ihr seid ein ganz kleiner Ausschnitt, der jetzt Teilhabe fordert.

Žižek malt nicht Schwarz/Weiß, mit den bösen Bänkern auf der einen und dem Rest auf der anderen Seite. Er personalisiert nicht – eben ein klassischer Marxist.
Ja, was auch immer das bedeuten soll. Ich weiß nicht, ob du diese Szene aus „Das Leben des Brian“ kennst, wo sie zu dritt im Kolosseum sitzen und die Judäische Volksfront sehen. 20 Meter weiter sitzt einer von dieser Einheitsfront und sie sagen: „Unsere größten Feinde sind die Römer, aber noch größere Feinde sind die Idioten von der Judäischen Volksfront“ – so ungefähr ist es mit den Marxisten auch, große Grabenkämpfe.

Hast du das Sample wegen des Slogans, oder auch wegen der Person, die es sagt, eingebaut?
Ich finde Žižek unterhaltsam und er stellt eine Figur dar. Natürlich wollte ich auf der Platte im Hier und Jetzt sein und kein Retroding machen. Er ist jemand, der mir jetzt begegnet ist. Ich habe mich gefragt, ob ich das bringen und so aus dem Kontext reißen kann, aber es hat gut genug in den Song gepasst, sodass ich die Frage mit Ja beantwortet habe.

Man gewinnt den Eindruck, dass die neue Platte an einigen Stellen politischer ist. Zum Beispiel in „Jeder Tag Zuviel“ rappst du „Hier fehlt es nicht an Reichtum, hier geht es um Verteilung“..
Ich glaube, dass die Zeit ein bisschen politischer ist und ich spiegle in meinen Texten eigentlich nur wider, was passiert. Die letzte Platte hatte genauso politische Momente. Es gab Songs wie „Wo rennen wir hin“, „Der Teufel & der Traum“ oder „Geschenkter Tag“. Die Songs sind vielleicht alle ein wenig kryptischer, aber sie sind deswegen nicht weniger politisch. Ich denke ein Song wie „Aufruhr“ ist nicht per se ein politisches Stück, sondern er ist ein Spiegel, ohne dass er so sehr eine Wertung besitzt. Das ist einfach, was das letzte Jahr so passiert ist für mich. Politisch war wahnsinnig viel los und das hat mich auch inspiriert. Ich denke es war eine sehr hoffnungsvolle Zeit, die gezeigt hat, dass Leute überall auf der Welt an den Punkt gekommen sind, wo sie bereit waren, sich der Frage zu stellen, wie wir weitermachen wollen. Ich glaube es gibt gerade wenig Antworten und viele Fragen, aber die Leute sind zumindest einmal mutig genug, diese Fragen aufzuwerfen und ich bin an einem ähnlichen Punkt. Ich versuche niemandem zu erzählen, dass ich auf irgendwas eine Antwort habe oder würde mir eine Deutungshoheit zuschreiben. Ich nehme nur wahr, spiegle es und setze mich in Bezug dazu. Zu „Aufruhr“ sage ich aber: Ja, ich sitz hier in Berlin und hier ist halt kein Frühling, ich habe ein anderes Leben und nicht diesen existenziellen Druck und all diese Sachen. Trotzdem ist es mir wichtig, alles zu spiegeln, was einen umgibt.

Apropos hochpolitische Zeit: du bist bei der 50-Jahr-Feier von Amnesty International aufgetreten, bei der es um die Schicksale von Künstlern ging, die kritische Texte publizieren. Engagierst du dich auch anderweitig politisch?
Wenig. Immer wieder werde ich gefragt und dann mach ich was, aber ich finde das nicht so der Rede wert, ich will mich hier nicht zu einem Charity-Guru aufschwingen. Ich finde es aber unterstützenswert was Amnesty macht, weil ich in einem Land lebe, in dem das nicht die Frage ist, ob ich sage, was ich sagen will, oder wie ich es sage. Ich finde das ist ein großes Gut, das es in den Ländern und Situationen zu verteidigen und einzufordern gilt, in denen es nicht so ist. Deshalb habe ich da mitgemacht.

Du sagst also, dass du dir keine Deutungshoheit zuschreiben willst. „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ ist aber schon eine Ansage..
Ja, aber am Ende ist es auch Rock’n’Roll und es ist ja nicht per se politisch, wenn man in seinem Leben an einen Punkt gekommen ist, an dem du herausgefunden hast, dass dir irgendwas nicht gut tut und dann machst du das halt anders und gehst einen anderen Weg. Natürlich kann man das alles in einen Kontext der Ton Steine Scherben und des Häuserkampfs in den frühen 80ern sehen. Es gibt einen Song von Nas, der heißt „Destroy and Rebuild“, da singt er über Queensbridge und dass diese Szene sich neu formieren muss. Also für mich gibt es da genauso viele HipHop-Bezüge, als dass es persönlich politische Bezüge gibt.

Wie denkst du über Rap als Ausdruck einer Gegenkultur, Stichwort Schwarzes CNN von Public Enemy?
Also Rap hat so viele Facetten, Leute machen das aus allen möglichen Beweggründen. Rap ist für mich erstmals aus einem Partygedanken entstanden. Da waren ein paar Jungs und die haben eine Blockparty gemacht, es gab ein Mikrofon und viele der Jungs hatten einen jamaikanischen Ursprung und kannten das aus dem Reggae und Dancehall und den Partys in Jamaica. Die haben dann einfach das Mic gegrabed und haben gesagt „hands in the air and left to right“.. Rap ist also nicht per se aus der Tradition der Last Poets oder Gil Scott-Herun entstanden. Dieser Bürgerrechtsfaible ist nur ein Arm oder eine Facette im Rap, ich wehre mich da immer ein bisschen gegen diese Aussage. Ich bin auch kein politischer Rapper, sondern ein Mensch, der Musik macht und all diese Facetten mag daran. Ich habe das Gefühl, dass man weder dieser Kultur, noch mir gerecht wird, wenn man alles immer nur unter einem Blickwinkel betrachtet. Ich denke da bin ich dann ein wenig eine Projektionsfläche für das, was dich interessiert an diesen Sachen und weil du politisch interessiert bist, ist das dein Ansatz und das was du darin suchst. Aber wir können über alles reden, wir haben zum Beispiel noch gar nicht über Musik geredet – ich bin vor allem Musiker. Ich bin kein Lyriker und ich bin kein Philosoph, ich bin Musiker und das, was mich am meisten interessiert, auch im Rap, ist die Musik.

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Im „King vom Prenzlauer Berg“ hast du damals Berlin als Hochburg der Hipster-Szene schon kritisch betrachtet. Gab es in letzter Zeit diesbezüglich Veränderungen?
Nö, es sind andere Bezirke, die jetzt befallen sind, aber ansonsten ist die Gentrifizierung in vollem Gange geblieben und natürlich bin ich auch ein Teil davon als Stuttgarter in Berlin. Nicht im Prenzlauer Berg, aber in anderen Teilen der Stadt, das ist etwas, was sich durchzieht.

Wie kam es zu den zwei Features mit Aloe Blacc auf „Hallo Welt“?
Wir haben uns vor fünf Jahren auf dem Splash kennen gelernt und kurz darauf kam er nach Berlin ins Kahedi Studio, welches Samon Kawamura, Roberto Di Gioia, Joy und ich gemeinsam haben. Samon macht seine Soloplatten auch bei meinem Label Nesola und für seine zweite Platte hat er mit Aloe für zwei Tracks zusammen gearbeitet, damals war Aloe noch MC bei Stones Throw und hat dieses Gesangsalbum noch nicht gemacht gehabt – das war so das erste Mal, dass wir uns kennen gelernt haben. Danach haben wir eben wegen „Hallo Welt“ gefragt und ihn angeschrieben. Irgendwann kam er nach Berlin und Samon hat sich mit ihm getroffen. Schließlich war er aber erst einmal eine Weile weg, weil er auf Tournee war und es war noch nicht klar, ob das Feature klappen würde. Dann hat er aber angerufen und gemeint: Ok, ich bin übermorgen in Düsseldorf, könnt ihr ein Studio klarmachen? Dann sind wir dahin gefahren und ich hatte dieses „Vida“-Ding in der Tasche, das er zuvor auch schon geschickt und den Text übersetzt bekommen hatte. Dann haben wir daran ein, zwei Stunden lang gearbeitet und irgendwann um eins haben wir „So beautiful“ herausgeholt und ich meinte: Hey, willst du nicht da auch drauf gehen? Da konnte er nicht Nein sagen und ist noch einmal in die Booth, hat eine viertel Stunde eingesungen und dann haben wir das Ganze mit nach Hause genommen und gechoppt. So kamen die zwei Features zustande.

Im Intro zu „So Wundervoll“ meinst du, dass dir dieses Lied Zuversicht geschenkt hat. Wieso war es so wichtig für dich?
Zuerst haben wir den Song immer mit jemand anders assoziiert. Wir alle dachten das ist Joe Cocker und es ist eigentlich so hmm.. Und dann hört man dieses Ding und es ist irgendwo zwischen Stevie und Herbie Hancock. Diese erste Generation an Synthesizern beherrscht Billy Preston eben auch. Man muss wissen, dass er der begnadetste Organist der Welt war. Ich meine, er hat gleichzeitig für die Beatles und die Stones gespielt – das zeigt auch irgendwie den Stellenwert, den er hatte. Darüber hinaus hat er wahnsinnige Nummern geschrieben und trotzdem ist er als Songwriter verkannt. Schlussendlich ist er ziemlich unglücklich und einsam gestorben. Auf Youtube gibt es dieses Format namens „Unsung“, da kann man das sehen. Da werden eben Lebensgeschichten von gefallenen Stars in Amerika nachgezeichnet und das hat mich sehr berührt und beeindruckt. Ich dachte mir, dass man ihm einmal dieses Denkmal setzen und ihm diese Gerechtigkeit zu Teil werden lassen muss, dass er eigentlich der Urheber dieses Songs ist. Wir haben ihn natürlich nicht gesampled, sondern in unserer Manie nachgebaut, Line für Line und Instrument für Instrument. Dabei haben wir erst gemerkt, wie kompliziert und komplex das ist, was er gemacht hat. Man konnte keinen Akkord greifen, man musste alles Spur für Spur und Ton für Ton aufbauen und die Akkorde schichten.

Wann hast du das letzte Mal „Erste Schritte“ gehört?
Wir spielen es ja live, insofern höre ich es gerade oft. Ich höre es aber nicht in der Aufnahme von 2004, sondern in der Interpretation, die wir jetzt spielen, also letzte Woche.

Am 19. Oktober 2012 ist Max Herre im Zuge seiner Hallo Welt!-Tournee live in der Wiener Arena zu sehen.

Interview: Alexander Gotter & Julia Gschmeidler
Kamera & Schnitt: Daniel Shaked