Al-Gear hat ein neues Feindbild: die Menstruation. Immerhin: Wie kann sich Frau anmaßen, öffentlich preiszugeben, sie verliere im Moment zwischen 30 und 60 ml Blut über einen durchschnittlichen Zeitraum von drei bis fünf Tagen hinweg. Das sei doch „ekelhaft“! Ja, Menstruation ist ekelhaft. Besser: Frau sperrt sich gleich zu Hause ein. Besser: „Das sollte eine anerkannte Krankheit sein“ und dann wird sie weggesperrt. Seit ein paar Tagen verbreitet der Düsseldorfer Rapper via Instagram ein Frauenbild, das sich bereits weit abseits des „salonfähigen“ Alltags-Sexismus ansiedelt. Es ist schlichtweg menschenverachtend. Vorzeige-Misogynie.
Wie kann eine Frau zu einem Mann sagen: „Ich habe meine Tage, ich kann heut‘ nicht“
Im ersten Video seiner Instagram-Storys wirft Al-Gear für seine 200.000 Follower zwei Badebomben in eine halbvolle Badewanne. Sprudelnd beginnen sie sich aufzulösen. Dies kommentiert er kurz mit „so appetitlich sieht das jetzt aber nicht aus„. Sehr investigativ und spannende Einleitung, ehe er zu seiner misogynen Meinung über die Periode ausholt: „Es gibt F*****, die gehen raus da draußen, auf dieser Welt. Diese dreckigen N***** mit ihren Tagen„. Also nicht falsch verstehen bitte. Schließlich habe er nichts dagegen, wenn menstruierendes Weib ebensolchen Umstand mit – in seinem Weltbild – Euphemismen, wie die Erdbeerwoche, darlegt. Aber „wie kann eine Frau zu einem Mann sagen ‚Ich habe meine Tage, ich kann heut‘ nicht‚ „. Ja, wie kann sie nur!
Wie viel der Rapper allgemein von Frauen hält, zeigt sich, als Anna Orlova, eine Moderatorin des Radiosenders JAM FM, auf seine Aussagen reagiert. Al-Gears Antwort darauf: „Hallo JAM FM, wie ich sehe, habt ihr eure kleine Nuttenmitarbeiterin nicht unter Kontrolle. Und an dich, du kleine pubertierende Hurentochter, ich leg‘ dafür meine Hand ins Feuer, dass du mal in den A**** gef**** worden bist, während du gleichzeitig einen ***** gelutscht hast„. Weiters erwarte er sich Konsequenzen von JAM FM oder werde selbst gegen den Radiosender vorgehen.
Neben unzähligen Reaktionen bezieht auch die Bloggerin Louisa Dellert sofort öffentlich Stellung gegen Al-Gear. Darin auch die direkte Bitte und Kritik an Instagram, die allgemeinen Richtlinien zu überdenken, genau zu screenen, wann auf der Plattform tatsächlich Grenzen überschritten werden und Inhalte dann dementsprechend zu sperren: „Das hat nichts mehr mit einem Content Creator zu tun. Das ist einfach nur dumm und frauenverachtend“.
Dellert spricht damit einen entscheidenden Punkt an. Für diese außer Diskussion stehenden toxischen, misogynen und gefährlichen Inhalte nutzt Al-Gear ausgerechnet Instagram als Distributionsmedium. Eine Social-Media-Plattform, die sich vorwiegend an ein junges Publikum richtet. Laut Statista sind fast 70 Prozent der User*innen in Österreich jünger als 35. Und Al-Gears Followerschaft bildet hier sicher keinen statistischen Ausreißer. Und wenn diese Followerschaft noch dazu 200k stark ist, versickern seine Botschaften auch nicht einfach so völlig unbeachtet im Internet. Mit den Richtlinien versucht Instagram grundsätzlich, die Verbreitung von pornografischen, gewaltverherrlichenden oder gewalttätigen Inhalten einzudämmen. In der Theorie gut, die Umsetzung allerdings eher naja. Wir wissen, der weibliche Nippel ist schon Inbegriff des satanistisch Bösen. Doch das, was Al-Gear seit mittlerweile mehreren Tagen völlig selbstverständlich predigt, scheint dagegen kein Problem darzustellen. Dass sein Account von unzähligen Menschen gemeldet wird, ändert auch nichts daran. Eher verstößt da wohl noch Vice-Chefredakteurin Alexandra Stanic‘ Post gegen die Richtlinien. Sie spricht sich öffentlich gegen Al-Gears Ansichten und für ein besseres Frauenbild aus, ABER DAS AUF IHRER HAND KÖNNTE JA BLUT SEIN! Die Redakteurin hat mittlerweile nochmals in einem Kommentar dazu Stellung genommen. Und wünscht sich, es möge Menstruationsblut auf sein Haupt regnen.
Al-Gear fordert, die Menstruation als richtige Krankheit anerkennen zu lassen. Bezieht sich damit nicht auf die Schmerzen, weder physisch noch psychisch, die bei vielen mit der Periode einhergehen. Es ist die alleinige Tatsache, dass es ihn ekelt. Ausgangssperre für Frauen während ihrer Menstruation – was übrigens gar nicht nötig wäre, Menstruationsschmerzen verhindern oft ohnehin jeglichen Kontakt mit der Außenwelt. Sicherlich, Al-Gear darf sagen, dass ihn Menstruationsblut ekelt, so wie jeder andere Mensch eine Körperflüssigkeit ekelig finden darf. Darin liegt nicht das Problem. Ekel ist natürlich und diesen zu kommunizieren nicht verwerflich. Aber eine komplette Bevölkerungsgruppe, ja sogar die halbe Menschheit, zu diskriminieren und diese in ihren Freiheiten einschränken zu wollen, hat nichts mehr mit reinem persönlichen Ekel oder freier Meinungsäußerung zu tun. Dahinter verbirgt sich die tief verankerte Ansicht, der weibliche Körper sei unrein und Frauen als solche minderwertig. Misogyner geht gar nicht.
Der Rapper vermittelt, Frauen – besonders junge Mädchen, die dies ohnehin schon viel zu oft tun – sollen sich noch mehr für ihren Körper schämen. Sich verstecken, bloß nichts thematisieren, was auch nur im Geringsten auf eine existierende Sexualität hinweisen könnte. Noch problematischer: Als öffentliche Person hat Al-Gear für so manchen Follower sicherlich eine Vorbildfunktion, der seine Meinung so auch durchaus unreflektiert übernimmt. Was wiederum zu einem völlig kranken und verschobenen Frauenbild bei allen Geschlechtern beiträgt und bei so manchen sogar noch verstärkt. Kleine Sprunghilfe aus dem Mittelalter: Die Menstruation ist weder Inbegriff des Sündenfalls, noch sind Frauen während ihrer Periode dümmer, weil es ihnen dann an Sauerstoff im Gehirn fehle. Und weibliche Sexualität hat nichts Verwerfliches. Und ja, so circa alle 28 Tage bluten Frauen, völlig ohne äußere Gewalteinwirkung. Das ist normal.
„ich wünsche jeder person, die ‚blut in der muschi‘ als widerlich empfindet, dass sie
einen tag lang die schmerzen durchmacht, die endometriose-erkrankte haben„
Vice-Chefredakteurin Alexandra Stanic via Instagram
Und wenn ich „Blut in der Muschi“ habe, hat das eher mäßige Einwirkungen auf meine Mitmenschen, immerhin menstruiere ich dann nicht automatisch auf alle mich Umgebenden. Auch sonst hat die weibliche Menstruation keine nennbaren negativen Einflüsse auf die globale Bevölkerung. Das, lieber Al-Gear, ist sogar wissenschaftlich bewiesen. Der Wiener Arzt Bela Schick glaubte nämlich, das schnelle Verwelken seiner Rosen läge an seiner menstruierenden Haushälterin. Folglich habe er im Blut und Schweiß von Frauen das „Menstruationsgift“ Menotoxin nachgewiesen. Das war im Jahr 1919. Aber Schick ist bisher der Einzige, der je die schädlichen Wirkungen oder überhaupt die Existenz von Menotoxin nachweisen konnte. Verwunderlich. Und seit 1958 ist das auch wissenschaftlich offiziell widerlegt.
Dass die Menstruation allerdings auch heute noch nicht als etwas Gewöhnliches, zum Leben einer Frau Gehörendem gezählt wird, hat vor Kurzem die Ankündigung eines Aktionsartikels beim Discounter Hofer vorgeführt. Für die Werbung der Menstruationstasse „Oliva“ bekam der Handelskonzern die volle Breitseite hinterwäldlerischer Männer ab, die die Tasse „voll eklig“ oder sogar „zum Kotzen“ fanden. Manche User wussten gleich gar nicht, welchen Nutzen die Tasse hat und verwechselten sie mit Verhütungsmitteln. Da spielt „Aufklärung“ à la Al-Gear natürlich eine wesentliche Rolle, wenn er seinen 200.000 Followern darlegt, was er von menstruierenden Frauen hält.
Selbstverständlich sage ich: „Ich kann heut nicht, ich habe meine Tage“. Wie erklär ich sonst, dass die einzige mir mögliche Stellung die Embryonalstellung ist? Oder warum genau da jetzt so viel Blut ist. Außerdem schütze ich damit doch nur andere, ist ja „Körperverletzung“, trotzdem mit wem zu schlafen. Nicht? Aber nein, ich bin dir nicht böse. Immerhin, du hast dich bereits entschuldigt, in Form von je einer Packung Tampons und Binden, die du vor eine Einrichtung für Frauen gestellt hat. Al-Gear, der barmherzige Samariter.
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