Now Reading
Tatort beißt sich an HipHop die Grillz aus // Kommentar

Tatort beißt sich an HipHop die Grillz aus // Kommentar

tatort

Kommentar: Wanja Bierbaum

Graue Blocks in Ludwigshafen, „Holocene“ von Bon Iver in der Schlussszene – der Tatort von gestern versuchte zwanghaft, mit einem Haufen Selfies, Tattoos und einem Anflug HipHop die Generation YouTube zu erreichen. Die magere Handlung: Ein tätowierter Latino-Rapper namens El Macho (Matthias Weidenhöfer) scheint seine Ballett-tanzende Liebe vergewaltigt und geschlagen zu haben. Im Endeffekt nur ein Teil des Puzzles, aber zumindest fehlt der Quoten-Bösewicht mit einer satten Prise missverstandener HipHop-Klischees nicht. Dass der böse Untergrund-Bube El Macho auch mal „Hurensohn“ sagen darf und Grillz trägt, steigert die Hoffnung des ARD, auch das jüngere Publikum mit „hippen“ Themen abzuholen. Der Focus schreibt: „Die Story selbst berührt und ist spannend“. Der Spiegel setzt dem ein „bemüht sich erfolglos um Modernität“ entgegen. Und ist damit deutlich näher an der Wahrheit dran.

Für Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) war das thematische Setting kein Neuland, mehr als ein Jahrzehnt zuvor unternahm sie einen ähnlich peinlichen Exkurs in Sachen HipHop: „Fette Krieger“ war ihr erster Einsatz ins Rappermilieu – ein Titel, der sich mit den zwei Tatort-Rappern Mc Fett und Mc Krieger erklären lässt. Mit dabei waren damals Mc Rene, Torch und Ferris Mc, der nicht nur derzeit mit Eko Fresh für die Serie „Blockbustaz“ vor der Linse steht, sondern zuletzt auch vom verfehlten Tatort-Visonär Til Schweiger nach Hamburg eingeladen wurde. Schon damals schoss man dezent am Ziel vorbei.

Im neuen Versuch aka „Du gehörst mir“ wurde Matthias Weidenhöfer zum Gangsta-Rapper El Macho. Kein Kommentar zu diesem Namen. Tattoos, Chainz und Grillz dürfen da natürlich nicht fehlen – was James Franco in „Spring Breakers“ auf ironische Weise gut gemacht hat, stellt bei Weidenhöfer eine lächerlich schwache Charakterisierung dar. Zwar erinnert er an Klischees, die ebenfalls an Riff Raff denken lassen. Seine Gefühlsausbrüche wirken jedoch hilflos und fehl am Platz. Die Szene, in der sich der Bad Boy nicht mehr hinter seinen Goldzähnen verstecken will und seine emotionale Seite zeigt, zieht dem Tatort den letzten Zahn. Der „vorbestrafte Rapper“ ist nicht „der Traum von einem Schwiegersohn“, aber für einen Zweizeiler-Freestyle vor der Kripo reicht es. In Weidenhöfers fünften Tatort – seines Zeichens Mitglied der Band Destitude Allstars – war wenig musikalisches Feingefühl seitens des Musikers zu bemerken. Das kann sogar dieser Jan Böhmermann besser.

Der chilenische Rapper, der Song und Video beigesteuert hat, ist unter dem Namen MC Sesman in der Reggaeton/Latino-Szene kein Unbekannter, als kleines Extra durfte er sich mit einer Gast-Rolle als Produzent von El Macho schmücken. Der Song „Eres tú“ (dt. „Du bist es“) trägt denselben Titel wie der 1973 erschienene Klassiker der Mocedades, die es bis zum zweiten Platz des Eurovision Song Contest geschafft haben. Für den Beat ist der Produzent Criss Tonino, der schon für Nelly, Lou Bega und Sarah Connor produziert hat, verantwortlich. Um den Song thematisch ins Bild zu rücken, findet man die Leitmelodie von TschaikowskisSchwanensee“ zwischen den spanischen Zeilen. Ein eingängiges Gesamtwerk, das im Wesentlichen nur durch die Peinlichkeit des Tatort-Settings geschmälert wird – der Rest ist reine Geschmacksache.

See Also

Fazit: Schlussendlich bleibt ein Tatort, der vollkommen verzweifelt versucht, jugendlich zu sein und sich mit like-geilen Nebenfiguren, inhaltslosen Selfie-Videos und einem gescheiterten Ausflug in die Welt des HipHops ins Aus manövriert. Die facettenlose Darstellung dessen, was als Jugendkultur falsch verstanden wurde, erreicht mit Sicherheit nicht die gewollte Zielgruppe – sie bestätigt nur ein weiteres Mal, dass lediglich ein verzerrtes Generationsbild zu den Machern Jürgen Werner und Jörg Hartmann durchgedrungen ist. Es bleibt ein brutal gescheiterter Versuch, an die Generation heranzutreten, die fließend Instagram und Internet spricht. Der HipHop kommt bei der ganzen Sache nur schlecht weg: Dem Genre wird Gewalt, Kriminalität und ein niedriger Bildungsgrad umgehängt, wobei das Künstlerische dem Reißerischen weichen musste. Aber wie der britische Schriftsteller William Somerset Maugham so schön sagte: „Jede Generation lächelt über die Väter, lacht über die Großväter und bewundert die Urgroßväter.“

Ich gehe jetzt ein Selfie machen und sehe zu, dass ich so schnell wie möglich eine coole Vorstrafe bekomme. Netter Versuch ARD, aber: no, gracias!