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Rap-Standardisierung im „Standard“ // Kommentar

Rap-Standardisierung im „Standard“ // Kommentar

Foto: cc by 2.0/bobby vie
Foto: cc by 2.0/bobby vie

Die Qualitätszeitung Der Standard hat ein Rap-Problem und steht damit alles andere als alleine da. Nicht nur weitere Medien, sondern auch die Geisteswissenschaften zeigen sich häufig uninformiert und bedienen für ihre Leserschaft legitimierend gängige Klischees. Ein aktuelles Beispiel liefert ein am Freitag erschienener Standard-Artikel: „Soziologen: „Männlichkeit zeigt sich im Rap über Abwertung„.  Um zu dieser Conclusio zu kommen, wurden Rosa Reitsamer und Rainer Prokop nach ihren Einschätzungen zur HipHop-Kultur befragt, die eines Kommentars bedürfen.

Kommentar: Jan Braula & Stefan Anwander

Die beiden an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien arbeitenden Soziologen werden als Experten für Rap in Österreich und für HipHop ganz im Allgemeinen interviewt. Die Assistenzprofessorin Rosa Reitsamer beschäftigte sich in der Vergangenheit mehrfach mit Geschlechterverhältnissen, beispielsweise in der DJ-Kultur, während Rainer Prokop derzeit an seiner Dissertation zu „Popmusikalischen Vergangenheiten in Österreich“ arbeitet, und Sänger einer Band namens Wedekind war.  2013 beschäftigte sich das Duo erstmals wissenschaftlich mit der Rapthematik, und griff sie zwei Jahre später nochmals im Artikel „Postmigrantischer HipHop in Österreich“ auf. Dafür interviewten sie fünf Rapper, analysierten einige Wiener Rapvideos und verwendeten den Begriff der „Ghetto Männlichkeit“ für ihre Analysen.

Vor diesem Hintergrund wurde der Standard-Artikel publiziert, der ein Paradebeispiel für die einseitig kategorisierende Verortung von Rappern darstellt. Reitsamer und Prokop legitimieren diese Verortung durch ihr symbolisches und kulturelles Kapital der Lehranstellung an einer Hochschule und bekommen im Gegensatz zu den Rappern selbst die Möglichkeit, sich im Standard zu äußern. Aufgrund ihres wissenschaftlichen Backgrounds wurden detailliertere Analysen erwartet, als sie HipHop Aktive liefern könnten.

Die Erwartungen wurden nicht erfüllt: Der ungenaue Umgang mit zentralen Begriffen und theoretischen Konzepten zieht sich durch das gesamte Interview. Das beginnt bereits mit der Einleitung, in der es heißt, dass es in  „der Musik“ im Allgemeinen zu einer immer stärkeren (Rück-) Besinnung auf traditionelle Rollenbilder kommen würde. Im Interview wird dennoch ausschließlich über HipHop bzw. Rap gesprochen. Der Anschein, dass auch Standard-Redakteurin Oona Kroisleitner thematisch nicht ganz sattelfest ist, wird weiters durch das fehlende Nachfragen und Konkretisieren erweckt. Wie schon gewöhnlich im Journalismus der sogenannten Qualitätsmedien wird zunächst nur auf Gangster-Rap eingegangen um dann später wieder Rückschlüsse auf die Idee einer globalen „HipHop-Community“ zu ziehen.

1. Männlichkeit in einer Männerdomäne

Seit einigen Jahrzehnten sind nicht nur die Medien und die Populärkultur, sondern auch die Sozial- und Kulturwissenschaften darum bemüht, Männlichkeit zu verstehen. Auch Prokop und Reitsamer bemühen sich um dieses Verständnis. Conscious-, Party-, Battle- und „Gangster“-Rapper seien „global zirkulierende Männlichkeitskonstruktionen“. In den weiteren Ausführungen werden trotz dieser Annahme, Männlichkeiten nicht im Plural verstanden, sondern Männlichkeit wird im Singular und vor allem als „Ghetto-Männlichkeit“ gedacht.

Dass Rap und HipHop vor allem von jungen Männern praktiziert und dominiert wird, ist weder in den Medien, noch in der Fachliteratur eine Neuigkeit. Auch wenn es mittlerweile eine Vielzahl prominenter HipHop-Aktivistinnen und Rapperinnen gab, blieben Frauen „etablierte Außenseiter“.  Die Zahl der Rapperinnen, die mit der Männerdominanz und gängigen Männlichkeitsbildern versiert spielt, wird größer und erfolgreicher. Frauenfeindlichkeit bleibt gleichzeitig nicht nur ein Problem von Gangsterrap, sondern von diversen Rap- und HipHop-Strömungen.

Es ist aber noch komplizierter, über Männlichkeitsbilder im Rap allgemeine Schlüsse zu ziehen: Denn auch männliche Rapper haben die Möglichkeit, mit ihrer Konstruktion von Männlichkeit differenziert bis karikierend umzugehen. Im Standard-Artikel wird dies nicht in Betracht gezogen. Sogar im österreichischen Mikrokosmos ließen sich Beispiele finden, wie zum Beispiel Skero, oder auch durch einen Blick in das eigene Archiv. Der Salzburger Rapper Scheibsta versuchte, aus der Perspektive eines schwarzen Gefängnisinsassen einen Liebesbrief an einen ganz besonderen Politiker zu schreiben: „Hey Heinz, vielleicht verstehst du es nie, aber in dich ist ein Neger verliebt.“ Jahre später schlüpfte selbiger Künstler rappend in die Rolle einer Prostituierten namens Jessica. Wie konstruiert Scheibsta hier seine Männlichkeit? Mit welchen theoretischen Konzepten lassen sich diese Fallbeispiele fassen?

2. Warum müssen Rapper authentisch sein?

„(…) egal, um welche Männlichkeitskonstruktion es sich gerade handelt, sie muss authentisch sein und das Publikum überzeugen. Es muss eine Konstruktion sein, die für das Publikum glaubhaft ist.“ Außerdem sollten tradierte Geschlechterstereotype im HipHop laut Reitsamer und Prokop „möglichst authentisch inszeniert werden“. Das Verschwimmen der Grenzen zwischen Realität und Fiktion ist in der Populärkultur seit jeher wichtiger Bestandteil. Im Rap sind dieser Spielraum und somit auch die Anfälligkeit für Fehlinterpretationen besonders groß. Nichtsdestotrotz wird ausgerechnet Rappern die künstlerische und intellektuelle Fähigkeit abgesprochen, in fremde Rollen zu schlüpfen, Kunstfiguren zu schaffen, oder Dinge nicht nur zu übertreiben, sondern auch ohne direkten Bezug zu ihrer tatsächlichen sozialen Umwelt zu erfinden. Manche Rapper sprechen sich diese Möglichkeiten selbst ab, dennoch kann Rap Kunst sein und hat in seiner Provokation keine Authentizitätsverpflichtung. Nicht nur gute Raptexte, sondern auch die Rapper selbst, bieten verschiedene Möglichkeiten der Interpretation. So sind beispielsweise Yung Hurn und K. Ronaldo ein und dieselbe reale Person – welche der beiden Figuren ist authentischer und gibt es wissenschaftliche Kriterien, die eine objektive Beantwortung zulassen? Wie lässt sich Authentizität messen? Kein anderer Wiener Rapper überzeugt momentan ein vielschichtigeres Publikum – obwohl oder gerade weil er im Billa-LKW vom Ferrarifahren träumt.

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3. Die willkürliche Auswahl und die Bedeutung von Räumen für die „erste Generation“

Das Duo definierte fünf österreichische Rapcrews als „erste Generation“: Aphrodelics, Fünfhaus Posse, Schönheitsfehler, Texta, Total Chaos und verglich sie mit fünf Rappern, die eine angebliche Wiener Rap-Generation „seit Mitte der 2000er-Jahre“ repräsentieren sollen. Vier Rapper und ein Sänger (Kid Pex, Spike, Nasihat Kartal, Esref, iBos) wurden für den anlassgebenden Artikel von 2015 interviewt. Nach welchen Kriterien diese Auswahl und der Vergleich der Crews mit den Solorappern erfolgte, wird nicht begründet. Das erstaunt unter anderem aufgrund der mittlerweile nicht mehr überblickbaren Masse an Rappern in Österreich. Und was ist eigentlich mit Wien X? Eigentlich hätte es auch schon in der Frühphase eine Wiener Gangster-Rap-Crew gegeben, die im Interview und in den Untersuchungen, aus welchen Gründen auch immer, ignoriert wurde – die Untergrund Poeten.

Stärker als in anderen Musikgenres thematisieren Rapper seit jeher ihre eigene nächste räumliche Umgebung. Das zeigt die gesamte HipHop-Geschichte. Nichtsdestotrotz würden laut Reitsamer und Prokop für die ersten Rapper in Österreich  „(…) räumliche oder geografische Bezüge eine eher untergeordnete Rolle spielen“. Die Untergrund Poeten bewiesen mit ihren ersten Zeilen vor einem Vierteljahrhundert das Gegenteil: „Aus Favoriten, ihr könnt mich nicht verbieten“ und „Fick alles, das Deutsch ist, das sich Deutsch nennt„. Davon lässt sich die Argumentation der beiden Wissenschafter nicht beirren – denn laut ihren Untersuchungen  inszenieren erst neuerdings „(…) zahlreiche Rapper der jüngeren Generation Wien und spezifische Wiener Gemeindebezirke als Heimat und homosoziale Männerwelt„. Das ist keine Neuentwicklung, sondern wie auch die Fünfhaus Posse beweist, bereits für die „erste Generation“ zutreffend. Außerhalb des Gürtels gibt es einen Bezirksteil namens Fünfhaus, der Teil eines Bezirkes namens Rudolfsheim-Fünfhaus ist. Ihre „Umwelt“ beschrieben sie vor zwanzig Jahren nach folgendem Chorus: „Wir feiern a Fest heid, in Fünfhaus auf da Westseid“.

4. Sprache ist kein Thema

Im gesamten Interview wird nicht ein einziges Mal auf die Rapsprache und ihre Entwicklung eingegangen, obwohl es sich um einen Hauptaspekt des wissenschaftlichen Artikels gehandelt hatte. Im Standard-Interview sind weder die Entstehung und Entwicklung von Dialektrap, noch Sprachvermischungen, wie etwa durch „Brudi und Abi“-Anleihen, ein Thema. Es wird kein einziges Rapzitat zur Bestätigung ihrer Thesen angeführt. Gerade an der Sprache könnte gezeigt werden, dass tradierte Bilder von geschlechtlichen, nationalen und ethnischen Zugehörigkeiten durch Raps nicht bestätigt werden müssen, sondern im Gegenteil auch hinterfragt und bloßgestellt werden können. Wer hat mehr Migrationshintergrund? Der Simmeringer Dialektrapper mit türkischen Wurzeln, oder der Favoritner Studentenrapper, der bei seiner angestammten Voralberger Mundart bleibt? Nicht jeder Rapper mit Migrationshintergrund ist Gangster-Rapper und nicht jeder Gangster-Rapper hat Migrationshintergrund. Dieser Schluss wird aber von den beiden Musiksoziologen das gesamte Interview lang nahegelegt. Durch das Aufkommen von Dialektrap ab den frühen 2000er-Jahren wurde die regionale Verbundenheit schon von Haus aus stärker artikuliert, als das mit dem zu Urzeiten gebräuchlichen Schulenglisch möglich war. Gangsterrap muss auch nichts  mit einer Diskrimierungserfahrung zu tun haben. Die Favoritner Rapcrew Pervers hatte auf die Frage „Gibt’s eigentlich österreichischen Gangsterrap?“ eine sehr gute Antwort parat:

Fazit

Die beiden Musiksoziologen und der Standard (aber nicht nur sie) machen es sich in ihren Beurteilungen zur HipHop-Kultur und Rap oft zu einfach, aufgrund kleiner ausschnitthafter Einblicke werden sehr weitreichende Schlüsse gezogen. Die Zeiten, in denen HipHop den Qualitätsmedien noch von Aktivistinnen und Fachjournalisten erklärt werden mussten, schienen überwunden.  Das ist aber nicht der Fall und es beginnt – wie auch das Standard-Interview zeigt – bei den Basics.  Einige der Einschätzungen erweisen sich alleine mit Blick auf die Literatur und Geschichte von HipHop und Rap in den USA, Österreich wie auch weltweit weder als innovativ, noch als richtig. Genauso wenig darf es überraschen, dass gewaltverherrlichende Texte nicht automatisch zu realer Gewaltausübung führen. Nicht alle Rapper, die gewalttätige Texte schreiben, sind gewalttätig. Rapper vermengen Fiktion und Realität – abseits jeglicher Authentizitätsverpflichtungen – nehmen für sich künstlerische Freiheit in Anspruch wie Filmproduzenten in Hollywood. (Gangsta-)Rap verfügt über ein weites Spektrum von Sub-Genres, Darstellungsformen und Männlichkeitsentwürfen. Es ist verkürzt zu behaupten, (Gangsta-)Rapper sind humor- und fantasiebefreite frauenfeindliche Gewalttäter. Die gibt es sicher auch, sind aber nicht repräsentativ für die gesamte Szene. Aber kaum jemand macht sich die Mühe, sich damit auseinanderzusetzen, wobei das Standard-Interview nur ein Beispiel von vielen ist. Für eine differenzierte Sicht auf HipHop und Rap wären die Qualitätsmedien in Zukunft sicher gut beraten, verstärkt Aktive und Fachmedienvertreter zu Wort kommen lassen, um ihren eigenen Ansprüchen auch gerecht zu werden.