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Austro Round-up (KW 42-43/20)

Austro Round-up (KW 42-43/20)

Auch abseits von Kinetical & P.tah, die kürzlich „Lift“ veröffentlicht haben, gab es in den vergangenen zwei Wochen jede Menge neuer Alben, EPs und Videosingles. Wir haben einiges davon wie gewohnt zusammengefasst.

Text: Simon Nowak, Chiara Sergi, Simon Huber, Mira Schneidereit & Michi Koffler

Releases

Parkwächter Harlekin – Der Vollständigkeit halber

Parkwächter Harlekin hat ausgedehnt auf sein neues Release „Der Vollständigkeit halber“ vorbereitet. Seit Anfang August erschien jeden Mittwoch ein neues (meist Lyric-)Video, bis das Album am 21. Oktober dann in voller Länge zu hören war. Auf dem mittlerweile vierten Album seit 2010 führt der Rapper seine Formel aus experimentellen Beats und meist gesellschaftskritischen Texten fort. Das Österreich der letzten Jahre, das er von seinem Badner Domizil aus beobachtet und „in dem aus einer Mischung aus Schwarz und Braun Türkis wird“ gab ihm zugegebenermaßen nicht wenige Steilvorlagen dazu. Für unerfahrene Hörer eher schwer zugänglich, aber wer sich darauf einlässt, bekommt durchaus interessante Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt des Harlekins.

Antrue – Anti

2020 ist für Antrue ein ganz schön produktives Jahr – der Linzer veröffentlichte im Jänner mit seiner Crew Da Staummtisch das Album „Zucker“, im Frühjahr folgte die „EP 2“ mit dem Nebenprojekt Salon Supa. Nun geht’s im Alleingang weiter, denn mit „Anti“ erschien kürzlich sein erstes Soloalbum. Auf organischen Produktionen von Chill-Ill, die zwischen starken Reggae-Einflüssen und souligem Schunkel-Sound im Boombapgewand pendeln, spult Antrue mit entspanntem Flow sein gewohntes Programm ab. Bedeutet: Antihaltung in mehrfacher Hinsicht. So inszeniert er sich als beharrlicher und trendresistenter Rap-Boomer, der einen stilistischen Gegenentwurf zu „belanglosen Düdeleien“ liefern möchte.

Seine lyrischen Seitenhiebe gehen wiederkehrend über die Rap-Ebene hinaus. Etwa auf dem Track „Amelie“, die sich gegen den Konsumwahn und Oberflächlichkeiten dieser Zeit richtet und zu mehr Auflehnung gegen politische Missstände animiert. Hervor sticht auch „Daktari“, wo Antrue Ausbeutung auf mehreren Ebenen anprangert: „Apostel der Moneten san Idole der Nation, Intellektuelle wern verfolgt von Rom bis Avignon / Uns beherrschen Missionare – und Millionäre, Maschinengwehre wern zur Billigware / A Hoch auf Alaba und Valentino Lazaro, aber Mufasa sendet SOS vom Kilimandjaro / Wir lieben die Savanne, tanzen Samba mitm Simba / Doch wo war da die Hilfe für ruandische Kinder?“

Verifiziert – Sonntag 17:00 EP // Höhenstraße

„Sonntag 17:00“ heißt die erste EP der Wiener Musikerin Verifiziert, bestehend aus fünf Tracks. Darunter die Single „Höhenstraße“. Eine traurig-schöne, tränenreiche Autofahrt entlang am Rande des Wienerwalds, während die Sonne scheint. Auf der Höhenstraße werden Gefühle rausgelassen. Verifiziert untermalt diese Melancholie mit ihrem prägnanten Lo-Fi-Sound. Sowohl dieser Sound, als auch die Melancholie zeichnen sich als durchgehend präsentes Stilmittel auf der EP ab. „Baby, es wird Zeit für ein paar Sad Vibes und es tut mir leid, wenn ich nicht bleib“, heißt es auf „Sad Vibes“. Verifiziert schafft es dabei, durch ihre Lyrics starke Stimmungsbilder zu projektieren, die sich irgendwo zwischen Summertime-Sadness und melancholischer Romantik ansiedeln.

Videos

Kimo – Wesh Wesh

„The Phrase means ‚what’s happening?‘ or ‚what’s up‘. The phrase is often used in arabic and french neighborhoods“, spuckt das Urban Dictionary zum Titel des jüngsten Songs von Kimo aus. Raptechnisch gut ausgestattet, liefert der Wiener mit Wurzeln in Tunesien entspannt gerappte Representer-Lines, der dazugehörige Beat von 2nsibeats fällt zeitlos-smooth aus. Die französischen Rap-Einflüsse sind dem Sound anzuhören, die Gangsta-Ästhetik schimmert auch im zwischen Wien und Berlin entstandenen Video hervor. Kimo und seine Crew Broke-MCs bewegen sich durch die Straßen und posieren mit von der Westcoast gebadelten Wien-Signs, der Spaß beim Drehen ist ihnen dabei anzusehen. Erster Eindruck: Feiner Sound, sympathische Truppe und ein Rapper mit viel Potenzial.

Diskoromantik – Früher war alles besser / 1 VS 1

Diskoromantik als Hochzeitsband? Das könnte perfekt passen, wie das jüngste Video des Heiße-Luft-Trios zeigt. Mit täuschend echten Hochzeitsbildern in 1980er-VHS-Ästhetik stimmen sie auf ihr Album „Besoffene Lover“ ein, das am 13. November erscheint. Dazu liefern HipHop Joshy, Jonas Herz-Kawall und Melonoid eine Doppelsingle, die eher weniger Hochzeitsmusikpotenzial aufweist, schließlich startet sie gleich mal mit den Kehrseiten der längerfristigen Zweisamkeit. Denn „Früher war alles besser“ und so bleibt nur noch das Zurückdenken an eine harmonischere Zeit. Wie es einst begonnen haben könnte, zeigt der zweite Teil „1 VS 1“, der von einer heißen Nacht und Balztänzen auf der Tanzfläche handelt – unterstützt durch einen feinen Disco-Beat.

EsRAP – Sabaha

Anfang Oktober releasten EsRAP ihren Song „Sabaha“. Die Kombo aus arabesken Hook-Lines und einem starken Rap-Part, unterlegt mit einem Beat von Testa, hat sofort überzeugt. Nun hat sich das Duo kurzfristig entschlossen, ein Video nachzuliefern. Gedreht im Burgenland bei untergehender Sonne, ist ein ausdrucksstarker One-Shot entstanden. In Slow-Motion laufen die Geschwister allen möglichen Hindernissen entgegen, am Ende lassen sie einen schlachtfeldartigen Feldweg zurück.

Wer türkisch versteht, wird sich vielleicht auf den ersten Blick wundern, denn der Track ist eigentlich ein klassisches Liebeslied, in dem es um Einsamkeit und ums Verlassenwerden geht. Die türkische Sprache liefert in diesem Fall die besseren Metaphern, die nicht einfach so ins Deutsche übertragen werden können. Das Video bezieht sich auf die Textzeile „tirnaklarla geldik bu yola“ – übersetzt heißt das in etwa „Wir haben uns mit den Fingernägeln hochgearbeitet“. Es zeigt also die poltische und persönliche Seite von EsRAP und soll die Widerstände darstellen, denen Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich ausgesetzt sind.

100 KG – Mit Dir

Statt auf großspurige Lines setzt 100 KG diesmal lieber auf Gefühle. Im neuen Track „Mit dir“ singt er über das Verliebtsein – am liebsten würde er mit seinem Girl in ein Auto steigen, einfach weit wegfahren und irgendwo auf den Sonnenaufgang warten. Im Video steht er im All-White-Look im Pflanzenhimmel, geblendet von Scheinwerfern. Wenn es dann um die unschönen Seiten des Verliebtseins geht, werden weiße Kulisse und Gewand gegen schwarzes getauscht: „Lieg wach, ruf an, kommt nur Mailbox.“ Der melodische Beat gibt dem Song einen starken Ohrwurmcharakter ­– ein Track, der einem schon beim ersten Anhören im Kopf hängen bleibt.  

Nora Mazu – Volatil

Auf „Volatil“ behandelt Nora Mazu genau das, was der Titel des Tracks verspricht: nämlich die menschliche Flüchtigkeit. Dabei stellt sie die Frage: „Wo endet das hier – sag es mir boy, wo endet das hier?“ Die Antwort lautet: in Explosionen und Gewitter. Es geht um Spannungen, Hochdruckgebiete und die Anziehungskraft zwischen Blitz und Donner. Der untermalende, leicht träumerische Beat stammt hierbei von Produzentin Spinelly, die am 30. Oktober auch ihre neue Beat-EP „Mirror“ veröffentlichte. Mit „Volatil“ schafft Nora Mazu einen kryptischen Track, der philosophisch angehaucht ist. „Du siehst es mon ami, ich bin so volatil“ 

RMZ – Apotheka

Wer kennt es nicht? Da hat man einen Stempel und kommt trotzdem nicht in den Club, oder ein Ticket und kann trotzdem nicht zum Match. Ähnlich perplex muss RMZ sein, als er mit seinem Rezept vor verschlossenen Apothekentüren steht – das „Bereitschaftsdienst um die Ecke“-Zeichen ist auch leicht zu übersehen. Wahrscheinlich ist da eh keiner. Sound und Auftreten strahlen ohnehin mehr Straßenapotheken-Vibes aus – da lässt sich bestimmt was machen, um alles herum drehen zu lassen. Der Track dient als Vorbote einer EP, die der in Wien lebende Rapper demnächst veröffentlichen möchte. Das dazugehörige Video ist über den Kanal von Hanuschplatzflow erschienen – wie bereits vor einigen Monaten die Single „Toter Winkel“ aus dem gleichnamigen Album mit DCone.

Pale Male – Shortcuts ft. Jahson the Scientist & Misses U

Mit „Shortcuts“ liefert Pale Male dank des Features mit Rapper Jahson the Scientist erstmals einen HipHop-Track. Normalerweise ist er meist solo auf diversen Saiteninstrumenten unterwegs. Diesmal unterstützt neben dem englischsprachigen Wiener Rapper auch Sängerin Misses U, die Stimme und Melodie der Hook liefert. Die drei harmonieren gut miteinander und schaffen zusammen einen energetischen Track mit Old-School Vibes. 

Snessia – Applaus

Vor einiger Zeit trat die Rapperin Snessia bei diversen Auftritten rund um K.S. Kopfsache und dessen Umfeld von C.O.C. erstmals die Bildfläche. Es folgte ein Mixtape Ende 2019, der die ersten Studioschritte der in Linz lebenden Salzburgerin protokollierte, auf dem unter anderem schon Kid Pex als Feature vertreten war. Nun steht die Debüt-EP „Intakt“ in den Startlöchern, die mittlerweile schon erschienen ist und in der nächsten Ausgabe des Round-ups näher beleuchtet wird. Auf dem Vorboten „Applaus“ fordert Snessia auf einem treibenden Beat von Def Ill selbigen und liefert einen durchaus gelungenen Representer-Track.

See Also

Jonny5, Pislik88 & LockeNumma19 – Kein Spaß

Die Favoritner OGs Jonny5 und Pislik88 sind mal wieder im Team mit den Jungs von Hutmacher Entertainment. Auf einem Beat von Mastermind Al Majeed geht es im Team mit LockeNumma19 um die üblichen, nicht jugendfreien Themen wie Skifahren in Club, Staffellauf im Stiegenhaus, Scheine und die Liebe. Sportlich wie immer, kein Spaß.

Klitclique – Zu Zweit

„Frauen zu zweit / das geht zu weit“. Das – nach eigener Angabe – letzte weibliche Rapduo der Schweiz, Österreich und Deutschland Klitclique rechnet in „Zu Zweit“ mit dem Patriarchat ab. Auf einem Beat von Mirza Kebo, auch bekannt als Finalcut, preisen sie die weibliche Zweisamkeit und den Fall der „Phallokratie“. Der Sound, sowie der Flow fallen hierbei ein wenig generisch aus, was sich allerdings gut mit dem verwendeten Maß an Autotune verträgt. Das Highlight des Tracks ist mitunter das Video von Anna Spanlang, dass einen zeitgenössischen Flair versprüht. 

Aums – Und Vorbei

Vor einiger Zeit fürs Studium aus Regensburg nach Innsbruck gezogen, wohnt der Rapper Aums mittlerweile in „einer Art Kommune“ auf einem Bauernhof, wie sich seinem Pressetext entnehmen lässt. „Und Vorbei“ ist seine erste Veröffentlichung, wie sein Instagram-Profil verrät dürfte Aums aber bereits einige Songs in der Pipeline haben. Er zeigt sich dabei überraschend tiefgründig, ohne dabei zu sehr in die Traurigkeit abzudriften. Viel mehr offenbart sich der Song als eine kritische Selbstreflektion, das Hinterfragen des eigenen Drogenkonsums.

Acab Jane – say that name

Vor einigen Monaten mit „Not in my name“ erstmals in Erscheinung getreten, knüpft Acab Jane nunt mit „say the name“ quasi nahtlos an. Kritisierte sie mit der Debütsingle die unmenschlichen Zustände in griechischen Flüchtlingslagern, wettert sie nun gegen rassistische Polizeigewalt und zeigt ihre Solidarität mit allen Betroffenen und Hinterbliebenen. Denn nicht erst seit dem Mord an George Floyd ist dieses Problem in den USA ein drastisches. Im Track betont sie zudem, dass rassistische Polizeigewalt in Österreich genauso ein Thema ist – und erinnert an Marcus Omufoma und Essa Touray. Im Video zeigt sich Acab Jane neben einigen Freundinnen und Freunden mit verpixeltem Gesicht. Raptechnisch noch ausbaufähig, an der Message gibt es nichts zu rütteln.  

Mit dem „Blunt Talk“ haben Grandmaster Flow und Taiga vom Linzer Bluntkartell kürzlich ein interessantes neues Podcast-Format gestartet. Bei den bisherigen drei Ausgaben waren Rotten Sensei, US-Rapper Fokis sowie Def Ill vertreten.

Weitere Single-Veröffentlichungen kamen unter anderem von Azman, The Ji oder Carl Roush.

Du möchtest mit deinem Release/Video ebenfalls im Austro Round-up vertreten sein? Schicke uns gerne eine Mail an [email protected]