Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute…
Reza spricht gut Englisch, trägt Sneakers, mag Fußball und HipHop. Und trotzdem unterscheidet er sich doch so sehr von gleichaltrigen Jugendlichen. Denn Reza ist vergangenen Sommer alleine über die Balkanroute von Afghanistan nach Österreich gekommen, unbegleitet, minderjährig und mit der Hoffnung auf ein Leben in Frieden. Gelandet ist er allerdings im völlig überfüllten Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, wo er im Freien schlafen musste. Dort hat Reza den österreichischen Rapper Chrizondamic kennen gelernt, welcher den minderjährigen Flüchtling schließlich in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung in Baden aufgenommen hat. Im Interview erzählen die beiden ihre Geschichte, die voll von Hoffnung, Wut, Gewalt und Hilfsbereitschaft ist.
Unter welchen Umständen habt ihr euch kennen gelernt?
Reza: Das war in Traiskirchen. Zu der Zeit waren so viele Flüchtlinge im Camp, dass ich draußen im Gras schlafen musste. Da gab es Leute, die uns Hilfsgüter gebracht haben, darunter auch Chriz. Ich ging zu ihm und habe um ein Zelt gefragt, aber er hatte schon alles, was er mithatte, hergegeben. Dann kam er aber zurück, hat mich gesucht und mir das Zelt gebracht, weil es nach Regen aussah. Ich hatte so harte Schicksalsschläge in meinem Leben, ich versuchte diese mit jemandem zu teilen und das war dann Chris. Es hat mit einem Zelt begonnen. (lacht)
Chriz: Als ich an diesem Tag am Gehen war, kämpften zwei Frauen um einen Polster. Ich habe so was noch nie so nahe erlebt, Leute, die so verzweifelt sind und sich um Sachen streiten – und du musst entscheiden, wer es bekommt. Dann hat mich auch noch Reza von der Seite angesprochen und mir erzählt, dass er in der Nacht nicht pennen kann, weil es von den Bäumen runtertropft. Am Weg heim habe ich gesehen, dass die Wolken aufziehen und noch schnell ein Zelt gekauft. Die nächsten Wochen war ich immer wieder dort, Reza war mein Mittelsmann im Lager und hat mir geholfen, die Zelte an die Leute zu verteilen, die es wirklich benötigen. Weil natürlich jeder die Hand aufhält, auch die, die welche hatten, um sie dann weiterzutauschen.
Was waren deine Beweggründe, so oft mitzuhelfen und zu spenden?
Chriz: Als Erstes war ich bei der Essensausgabe in der Moschee, da war auch mein Vater. Er meinte: ‚Kommt‘s vorbei, da stehen jeden Tag bis zu 2000 Leute.‘ Das war ein extremer Stress, ein Chaos, es ist drunter- und drübergegangen.
Was waren die schlimmsten Vorkommnisse in Traiskirchen für dich, Reza?
Reza: Das Schlimmste war das Schlafen im Freien, vor allem wenn es geregnet hat. Bei Regen habe ich Plastik gespannt, aber die Regentropfen waren so laut. Und du konntest nichts machen, nur zum großen Gebäude gehen, aber da haben sie niemanden reingelassen, warum auch immer.
Chriz: Im Sommer mussten die Menschen eine Stunde aufs Duschen warten, eine Stunde warten, um das Handy aufzuladen. Das war alles crazy dort.
Haben die privaten Betreiber der ORS das Lager besonders hergerichtet, wenn Politiker ins Camp gekommen sind?
Reza: Oh ja (lacht). Bevor ein Politiker gekommen ist, hat sich alles verändert. Der Koch hatte auf einmal eine Kochmütze auf, das Essen war auf einmal gut. Am nächsten Tag war wieder alles wie zuvor. Das ist zwei, drei Mal so passiert.
Gab es ein Schlüsselerlebnis zwischen euch?
Chriz: Angesprochen auf seine Flucht meinte Reza, dass er Glück hatte, weil er durch sein gutes Englisch vermitteln konnte und eine „wichtigere“ Person für alle Seiten war. Unter anderem hat er dann seine persönliche Geschichte erzählt und ist in Tränen ausgebrochen, weil sein Vater von den Taliban ermordet wurde und seine kleinen Schwestern mit der Mutter noch in Kabul sind und er gerade keinen Kontakt hatte. Ich habe ihm dann gleich ein Smartphone besorgt – so viel zu jeder hat Smartphones – damit er wieder Kontakt zu seiner Familie haben kann. Das war sehr bewegend, als er die ersten Male mit der Familie per Skype telefoniert hat und die Mutter sich bei mir bedankt hat, weil ich mich um ihren Sohn kümmere. Gleichzeitig war das Bürokratische irrsinnig schwierig. Eh ein Wahnsinn, dass es überhaupt geklappt hat.
Du hast auch auf Facebook geschrieben, dass es so große Hürden gibt. Was waren die größten?
Chriz: Eine Behörde hat mich zur anderen verwiesen. Ich wollte Reza aus dieser Akutsituation in Traiskirchen rausholen. Ich bin 27 und wohne in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, ich kann ihn nicht adoptieren, aber ich war bereit, ihm ein Zimmer zur Verfügung zu stellen. Je besser ich ihn kennen lernte, desto inniger ist die Freundschaft geworden und da hat es mich auch nicht kalt gelassen, zu wissen, in welchen Umständen er in Traiskirchen war.
„Dieselbe Regierung, die Reza vier Wochen im Regen liegen hat lassen, hat die Privatwohnung von der Polizei persönlich in weniger als 24 Stunden überprüfen lassen“
Gab es besondere Auflagen, weil Reza noch minderjährig ist?
Chriz: Ja, speziell bei einem minderjährigen Flüchtling ist es noch schwieriger mit den Rahmenbedingungen. Ich war bei einer Beraterin in Mödling, die hatten dort selbst Chaos, keiner hat sich ausgekannt. Die Beraterin war sehr cool, sie meinte, ich soll mir das überlegen, weil ich Reza nicht gut kenne. Das waren im Nachhinein betrachtet berechtigte Fragen, weil es schon ein ziemlicher Einschnitt ist, wenn jemand bei dir wohnt und so einen Background hat. Er ist gekommen mit nichts, einer Tasche mit zwei, drei Shirts.
Wie waren dann die ersten gemeinsamen Tage eures Zusammenlebens?
Chriz: Als ich Reza hier in Baden gemeldet habe, habe ich am nächsten Tag um sieben in der Früh die Polizei bei mir in der Wohnung gehabt, die wie die Gestapo reinmaschiert ist. Reza lacht bis heute, weil das für ihn Kinderscheiße ist. Er ist im Iran so verprügelt worden, dass sein Kreuzband gerissen ist – da hat er jetzt in ein paar Wochen die Operation. Aber für mich, der normalerweise nicht mit so was konfrontiert ist, war’s heftig. Die Polizei hat mich rausgeklopft wie wahnsinnig und wollte wissen, ob Reza bei mir gemeldet ist, sie waren extrem ungut. Nachdem die Landesregierung St. Pölten erfahren hatte, dass Reza in einer Badner Privatwohnung untergebracht ist, hat es keine 24 Stunden gedauert, bis die Polizei da war, um die „Räumlichkeiten zu überprüfen“. Der Typ ist dann durch die Wohnung, hat die Aufnahmekabine hinterfragt, sogar die „Nassräume“ wollte er sehen. Dieselbe Regierung, die Reza vier Wochen im Regen draußen liegen hat lassen, und es nicht geschafft hat, die Umstände zu überprüfen oder Zelte aufzustellen, hat die Badner Privatwohnung von er Polizei persönlich in weniger als 24 Stunden überprüfen lassen. Sie waren aber vor allem extrem ungut, das hat mich am meisten geärgert. Ich nehme als Privatperson irrsinnig viel Arbeit auf mich, für die sonst irgendwer bezahlt wird – nicht zuletzt die Polizei. Der kann nichts Besseres passieren als Leute wie mich, die schauen, dass man sich um Flüchtlinge kümmert. Reza ist ja auch ein absolut positives Beispiel. Ich bin auch froh, dass ich mich nicht getäuscht habe mit meinem Gefühl. Denn jemanden bei dir in der Wohnung zu haben, ist schon sehr einschneidend. Reza hat mich nie enttäuscht.
Wie ging es dann weiter?
Chriz: Nach fünf Monaten hat Reza dann einen Platz in einem Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF, Anm.) in Bad Vöslau bekommen, gleich in meiner Nähe. In einem Privathaus, nur 15 Leute wohnen dort, davon elf Afghanen.
Reza: Am Anfang war es so schlimm. Ich war im Zimmer mit drei Somalis, sie haben nicht aufgeräumt, und ich habe sie nicht verstanden, weil sie in ihrer Muttersprache gesprochen haben. Man musste um zehn schlafen, aber sie haben noch stundenlang geredet. Es waren sogar Mäuse im Zimmer, in der Nacht konntest du sie essen hören. Das habe ich den Betreuern gesagt, aber das hat nichts geholfen. Dann habe ich zwei Monate gewartet, um einen Platz im anderen Zimmer zu bekommen.
Gibt es in dem Heim Spannungen zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen aus Afghanistan?
Reza: Die meisten sind jung und wissen nichts über die Kämpfe zwischen den ethnischen Gruppierungen, die in der Vergangenheit in Afghanistan passiert sind. Die meisten Afghanen im Heim sind so wie ich Hazara (Ethnie in Afghanistan, Anm.), wir hatten noch nie Probleme, jeder ist freundlich zu dem anderen und wir sind alle gleich.
Wolltest du überhaupt nach Österreich oder in ein anderes Land?
Reza: Ich musste plötzlich aus Afghanistan aufbrechen, ich hatte keine Ahnung wohin: Schweden, England, Deutschland. Ich hatte keine Wahlmöglichkeit, hab alles auf mich zukommen lassen. Ich bin hier angekommen, war sicher und bin geblieben.
„Da ist keine Garantie, dass du lebendig wieder am Land ankommst“
Du bist auch über die Balkanroute nach Österreich gekommen. Was sagst du zu den Ausschreitungen im Lager in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze?
Reza: Ich war in einem Camp in Griechenland und es war so schlimm. Die Familien mit Kindern können dort nicht warten, sie müssen wo hin, wo es besser ist. Also versuchen sie irgendwie zu entkommen und weiterzureisen.
Warst du auch am Keleti, dem Bahnhof in Budapest, auf dem vergangenen Sommer so viele Flüchtlinge gestrandet sind?
Reza: Als wir in Serbien waren, wussten wir, dass die Behörden in Ungarn Fingerabdrücke von uns nehmen würden. Deswegen haben wir die Schlepper gefragt, ob sie uns nach Österreich bringen können, ohne in Ungarn aufgehalten zu werden. In einem Van haben sie uns dann nach Wien gebracht.
Was war der gefährlichste Moment deiner Flucht?
Reza: An der Grenze zwischen Pakistan und dem Iran war es so gefährlich. Die iranische Regierung ist gegen Flüchtlinge und hat zugegeben, im Grenzgebiet auf afghanische Flüchtlinge geschossen zu haben. Sie kümmern sich nicht darum, ob man überlebt oder stirbt. Von Pakistan in den Iran mussten wir sehr lange gehen, dreißig Stunden im Gebirge. Und vom Iran in die Türkei war es dasselbe. Die iranischen Grenzen sind so gewalttätig, die schießen einfach. Zum Glück ist nichts passiert. Die Gefahr war auch der Seeweg zwischen der Türkei und Griechenland, weil die meisten Schlepper zu viele Flüchtlinge auf die Boote lassen. Da ist keine Garantie, dass du lebendig wieder am Land ankommst.
Wurdest du auch mit Gewalt konfrontiert?
Reza: Ich bin des Öfteren von Polizisten geschlagen worden. Zum Beispiel in Griechenland, als wir noch am Meer festgenommen wurden. Im Flüchtlingsboot sind wir so eng gesessen, dass ich meine Beine nicht mehr spüren konnte. Wir mussten dann ins Polizeiboot wechseln und ich habe versucht, meine Beine zu entspannen, aber ich konnte nicht. Dann kam der Polizist und hat begonnen, mich auf den Kopf zu schlagen – ohne Grund. Auch bei der Grenze zwischen dem Iran und der Türkei gab es einen Schlepper, der mir mehrmals gegen das Knie geschlagen hat. Wir mussten im Gebirge warten und haben geschlafen, bis ein Schlepper kam, um uns für die Weiterreise aufzuwecken. Als er zu mir gekommen ist, war ich im Tiefschlaf und er hat angefangen mich zu treten. Nach ein paar Stunden hatte ich einen starken Schmerz im Knie und ich konnte sehen, dass mein Knie herumgewandert ist. Bis jetzt spüre ich die Schmerzen.
Als du dann in Österreich angekommen bist, wie haben die Behörden dein Alter festgestellt? Mit den umstrittenen Handwurzelröntgen, der Zahnstandanalyse und einem MRT des Schlüsselbeins?
Reza: Ja, das ganze Programm, weil ich keinen Pass mehr habe. Laut Ergebnis bin ich 17 Jahre und sechs Monate alt. Chriz hat Typen gesehen, die sind fast dreißig Jahre alt, haben einen Vollbart und sie zeigen einen Ausweis, auf dem steht, dass sie 15 Jahre alt sind. Die brauchen nicht zum Doktor gehen, aber ich ohne Pass muss diese ganzen Tests machen. Ich musste mehrere Monate warten, bis sie festgestellt hatten, wie alt ich bin.
Chriz: Das heißt aber auch, dass er in ein paar Monaten wieder aus dem Haus für UMF rausmuss, in dem er jetzt ist. Aber sie haben mir versprochen, ihn nicht auf die Straße zu setzen, sondern in ein Haus für Erwachsene unterzubringen.
Was haltet ihr von dem Vorhaben des Innenministeriums, Asylwerber, die freiwillig nach Afghanistan, Marokko oder Nigeria zurückkehren, mit 500 Euro zu unterstützen?
Reza: Ich habe von Leuten gehört, die zurückgegangen sind und nach deren Ankunft in Kabul wurde nichts wahr, was ihnen versprochen wurde. Die österreichische Regierung hat dann nichts gemacht, die ganzen Versprechungen … Nach diesem österreichischen Vorschlag hat die afghanische Regierung gemeint: ‚Schickt die Flüchtlinge zurück, die Situation in Afghanistan ist sicher!‘ Nur um an das österreichische Geld zu gelangen.
„98 Prozent sind weder der super Gutmensch noch der furchtbare Nazi“
Reza, hast du schon rassistische Erfahrungen machen müssen?
Reza: Nein, gar nicht. In Traiskirchen gab es manchmal Spannungen zwischen der Bevölkerung und den Asylwerbern, aber auch nur weil viel zu viele Menschen an einem Ort waren.
Chriz: Für mich ist klar, woher der Hass gegen Asylwerber kommt. Die Leute werden ja in unserem System schon betrogen. Sie fühlen sich intuitiv verarscht, wenn sie hakeln und zu nichts kommen. Dann wurden medial die Armen gegen die Ärmsten der Armen mit diesem ‚Jetzt kommen die auch noch‘ ausgespielt. Wenn man mit Leuten vernünftig redet, merkt man, dass die wenigsten so wirkliche Rassisten sind. Die helfenden Menschen wissen am besten, was nicht cool ist von Asylwerbern. Wenn man sich den Arsch aufreißt, dass sie in einen Deutschkurs kommen und dann gehen sie nicht hin – das gibt es sehr wohl. Das Allerwichtigste ist aber, nicht in dieses Schwarz-Weiß-Denken, Gutmenschen vs. Nazidenken, links – rechts zu verfallen. 98 Prozent sind weder der super Gutmensch noch der furchtbare Nazi, das spielt sich alles irgendwo dazwischen ab. Medien betrachten halt oft einseitig.
In den Medien ist auch immer wieder zu lesen, dass junge männliche Flüchtlinge Lehrerinnen nicht akzeptieren und ihnen nicht die Hand schütteln …
Reza: Wir kommen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Kulturen. Es ist im Islam nicht erlaubt, dass eine Frau die Hand eines Mannes schüttelt. Es ist also eine religiöse Regel. Ich finde nicht, dass es ein großes Problem ist, ich kann mich auch grüßen, anlächeln und Hallo sagen. Das ist keine Respektlosigkeit, Respekt zeigt man darin, wie man sich verhält und unterhält.
Wie wichtig ist es deiner Meinung nach für die Integration, die hiesigen Traditionen und Regeln zu befolgen?
Reza: Es stimmt, dass wir die Regeln des Landes befolgen sollen, in dem wir leben. Aber dennoch sollte jeder die Freiheit haben, seine religiösen Regeln befolgen zu können. Ich als Moslem versuche mit dieser Gesellschaft zu leben. Wenn es hier üblich ist, Frauen die Hand zu geben, dann versuche ich das auch zu tun. Ich bin nicht so auf die religiösen Regeln fixiert, aber ich respektiere sie und versuche sie zu befolgen. Bei manchen Punkten versuche ich aber, mich der Gesellschaft anzupassen.
Chriz: Es gibt hier eben Leute, die damit ein Problem haben, wenn Flüchtlinge sich nicht an die gesellschaftlichen Normen halten wollen. Stell dir mich vor, wenn ich nach Kabul reisen würde und mich nicht an die kulturellen Regeln halten würde. Die würden mich auf offener Straße umbringen, ernsthaft. Wie eine Frau, die Seiten aus dem Koran gerissen hat und daraufhin gelyncht und verbrannt wurde, am helllichten Tag auf offener Straße.
Reza: Da sind so viele Unterschiede zwischen den beiden Gesellschaften.
Chriz: Die, die eine schulische Grundausbildung haben wie Reza, haben im Regelfall auch keine großen Probleme. Bei denen, die nichts gelernt haben – und da gibt es viele – wird es schwierig. Reza musste mit 13 schon arbeiten, mit seiner Mutter in einer Näherfabrik. Wenn der Strom ausfiel, lag die Fabrik brach und die Mutter verdiente die ganze Woche nichts. Das ist aber so knapp kalkuliert, dass das ein wirkliches Problem ist. Als einziges männliches Mitglied in der Familie war das alles superrough. Für Reza wäre es das Allerhöchste, seine Familie nachzuholen. Ich habe ihm versprochen, alles Mögliche dafür zu tun, aber das ist momentan aussichtslos. Wir werden aber die Hoffnung nicht aufgeben. Manchmal, wenn er depressiv ist, frage ich mich, ob es nicht besser wäre, wenn er wieder nach Afghanistan zurückgeht, um bei seiner Familie zu sein, auch wenn er dort ein Leben ohne Perspektive und im Dreck führen müsste. Aber ich habe mitbekommen, wie schwer es für ihn ist, von seiner Familie getrennt zu sein. Aber wenn Reza wirklich zurückgeht, kommt er ja nie wieder raus. Für uns ist das komplett unvorstellbar, wir haben einen Pass und können in den Urlaub fahren wie es uns passt. Deswegen muss er es auch versuchen, hier Fuß zu fassen. Reza ist auch irrsinnig talentiert und geschickt, sportlich wie sprachlich. Er hat sicherlich sehr viel Potential und man hat es sehr leicht mit ihm, wenn man sich bemüht, dass er Fuß fasst. Es gibt Leute, die sind 17, Analphabeten in ihrer eigenen Sprache, da ist es schwierig, Deutsch zu lernen.
Reza: Das Schulsystem ist in Afghanistan fast nicht existent, es gibt auch Korruption, wie in jedem Bereich. Vor allem am Land gibt es nichts, keine Schulen, keine Lehrer. Die Qualität ist so niedrig. Auch in der Hauptstadt Kabul, verglichen mit anderen Städten.
Könnte dir deutscher Rap helfen, Deutsch zu lernen?
Reza: Definitiv. Noch verstehe ich nicht so viel.
Hast du einen afghanischen Lieblingsrapper?
Reza: Ich wuchs im Iran auf, der Akzent der Iraner klingt für mich cooler. In Afghanistan haben wir auch Rapper, aber ich finde sie nicht so professionell. Ich höre mehr House und Techno, aber ich mag alle Musikrichtungen wie HipHop, Jazz oder klassische Musik – es gibt immer Emotionen in der Musik.
Wie groß war der Kulturschock für dich, als du nach Europa gekommen bist?
Reza: Groß. Aber schockiert war ich nicht, weil ich es in den Filmen gesehen hatte.
Chriz: Wir haben uns immer gefragt, warum Reza nicht mehr von bestimmten Sachen beeindruckt ist. Da meinte Reza, dass die Türkei erstmalig der größte Schock war, weil dort alles grün war und geblüht hat. In Kabul gibt es nur eine asphaltierte Hauptstraße, der Rest ist Chaos. Aber es gibt schlimmere Regionen in Afghanistan, wie Kandahar, die zweitgrößte Stadt.
Reza: Der Großteil der Bevölkerung dort hat Verbindungen zur Taliban. Die Taliban ist von deren Stamm, den Paschtunen. Die haben den Krieg in Afghanistan begonnen. Unter dem Königreich von Abdur Rahman Khan wurden viele andere Stämme ermordet, vor allem das Volk der Hazara. Niemand hier weiß etwas davon. Das war aber dasselbe, was Hitler gemacht hat. Seitdem gibt es Konflikte. Vor ein paar Monaten wurden drei Frauen auf dem Weg nach Kabul gefangen genommen und umgebracht, man hat sie geköpft, auch das 10-jährige Mädchen. Einfach weil sie Hazara nicht mögen. Die Regierung reagiert da überhaupt nicht, die sind zum Großteil Paschtunen. Sie nennen die Feinde, die Kinder töten, Brüder, da ist es offensichtlich, dass die Regierung eine Verbindung zu den Terroristen der Taliban hat.
Was sind deine Erwartungen für dein Leben in Österreich, was sind deine Träume?
Reza: Das Leben geht weiter, bis du einen Job hast und Geld verdienst. In Afghanistan habe ich Kleider genäht und europäische Designer verfolgt. Ich würde gerne Designer werden. Aber es ist ein bisschen zu früh, das zu sagen. Ich weiß nicht, wie es weitergeht, ob ich akzeptiert werde. Wenn ich jetzt schon Träume habe, sind das nur Träume. Aber ich habe Hoffnung.
„Ich glaube auch nicht, dass alle Flüchtlinge die tollsten Menschen der Welt sind“
Chriz, was ist deine Hoffnung? Wessen sollte sich die österreichische Bevölkerung bewusst sein?
Chriz: Ich mache das alles, damit sich die Leute bewusst werden, dass alles in der Welt miteinander verbunden ist. Afghanistan ist seit Jahrzehnten im Krieg. In den 60ern war Kabul eine florierende Stadt. Auch Europa hängt da mit drinnen, denn im Endeffekt geht es immer um wirtschaftliche Ressourcen. Daran sollte man auch denken, wenn man tanken geht, wir haben alle sehr wohl eine Verantwortung. Deswegen sollte man alles, was im Rahmen der Möglichkeiten ist, machen. Man darf es auch nicht übertreiben, das habe ich auch selbst gemerkt. Man kann nicht selbst als Helfer durchs Helfen zugrunde gehen. Weil es auch eine enorme emotionale Belastung ist, gerade wenn es so hautnah ist.
Wie wichtig ist der persönliche Kontakt mit Flüchtlingen zum Vorurteilabbau?
Chriz: Die Leute sollten nach persönlichen Erfahrungen gehen, auch wenn diese negative Aspekte beinhalten. Ich glaube auch nicht, dass alle Flüchtlinge die tollsten Menschen der Welt sind. Aber man darf auch nicht den Fehler machen, alle zu verurteilen, weil drei Idioten dabei sind. Aus meiner Sicht müsste es strenge Richtlinien für die Leute geben, die sich daneben benehmen oder kriminell werden. Deswegen gibt es auch so viel Zuspruch in der Bevölkerung für die FPÖ, weil Leute, die für eine Vergewaltigung verurteilt worden sind, zwei Jahre im Gefängnis sitzen und dann noch immer nicht abgeschoben werden. Wir brauchen Platz für Leute, die es am dringendsten brauchen und annehmen, sich bemühen wie Reza und viele, viele andere. Ich habe in diesem direkten Kontakt zum Glück nur ganz wenige negative Erfahrungen gemacht und weitaus mehr positive. Gefährlich sind die medialen Meldungen, die machen mir auch Angst.
Was kann aus dieser Angst resultieren?
Chriz: Wenn die eigene Bevölkerung nicht mehr mitspielt, wie es im deutschen Osten der Fall ist, dann gibt es eine Situation, von der weder die Flüchtlinge, noch die Bevölkerung was hat. Ich fände es am sinnvollsten, einer Person so richtig zu helfen. Mittlerweile ist Reza wie ein kleiner Bruder für mich, er kann mich jederzeit anrufen, egal welche Probleme er hat. Je mehr Leute das machen, desto besser gelingt auch die Integration und desto besser ist es auch für Österreich.
Premiere von Chrizondamic’s neuem Video
„At the election they pretend to be down with us,
showing up in public, smalltalk, lounge with us,
soon as they back in power they forgot about us,
return to business as usual, clowning us!“
– „WDWT“
In seinem neuen Video zu „WDWT“ thematisiert der niederösterreichische Rapper aus der ADOLESSONZ-Crew Wahlversprechen und trägt seine Ablehnung gegenüber kriegerischen Handlungen vor. Produziert wurde der Song von Demograffics-Mitglied Maniac, mit dem Chrizondamic erst vor Kurzem ein gemeinsames Video veröffentlicht hat. „WDWT“ ist Teil seines zweiten Albums, welches im Spätsommer 2016 erscheinen wird. Es ist das insgesamt dritte Werk des Rappers nach der „Stay On“-EP 2012 und dem Debütalbum „The Monetary“ 2013. „Der Sound wird wie auch am vorigen Album klassischer BoomBap sein, mit Songs verschiedener Produzenten, jedoch nichts allzu Experimentelles oder Newschool-Mäßiges. Straight and Conscious-HipHop„, kündigt Chrizondamic sein Album an.
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Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute verbessert sie, hievt Beistriche wieder auf ihren richtigen Platz und hält die ganze Bande mit liebevoller Strenge zusammen. Nach dem Dienst im KURIER-Newsroom hört sie dann eine Zugezogen-Maskulin-Platte zum Einschlafen.