Gurlitt in Wien
Ein Kunstskandal österreichischen Ausmaßes: Kürzlich tritt der museologische Direktor des Leopoldmuseums, Tobias Natter, zurück. Der Grund: die zu engen Verflechtungen des Museums mit Raubkunst besitzenden Stiftungen. Nicht weit von dort, eigentlich gleich im Café daneben, treffen wir einen Herren, dessen Tätigkeit auch mit „Raub“ von Kunst zu tun hat. Doch ist seine Art die deutlich achtenswertere. Dexter samplet.
Text: Felix Diewald
Mitarbeit: Julia Gschmeidler
Fotos: Jakob Nussbaumer
Als wir Felix, wie Dexters bürgerlicher Name lautet, zum Interview treffen, müssen wir den Schauplatz kurzfristig in das für diese Jahreszeit relativ kalte November-Freie des Museumsquartiers verlegen. Das warme Innere der Konzertlocation, in dem man sich eben noch befand, ständig im Kopf behaltend, beschleunigt sich die Konversation beiderseitig und wird pragmatischer, pointierter. Währenddessen stellt man mehrmals Dexters breit gestreute Begeisterungsfähigkeit fest. „Ich bin jemand, der sich voll mit einem Thema beschäftigt, darüber liest und sich Dokus anschaut. Dann bin ich für eine gewisse Zeit auf einem Film.“ Bestimmt könnte man sich die Zelluloidstreifen – die Dexter auf diese Weise in seinem Gedächtnis angehäuft hat – auf ewig zu Gemüte führen. Wär’s nur nicht so kalt.
The Message: Österreichische Medizinstudenten gehen nach dem abgeschlossenen Studium oft ins Ausland, nach Deutschland oder die Schweiz, weil die Arbeitsbedingungen für Jungärzte dort attraktiver sind. Medien sprechen von einer Ärzteflucht. Dexter: Wenn Ärzte richtig Spaß am Beruf haben und auch vorankommen, sich spezialisieren wollen und dann rumdümpeln und aufgehalten werden, kann ich das verstehen. Die Deutschen wandern in die Schweiz ab, denn dort verdienst du viel mehr. Die Krankenhäuser haben einen viel höheren Standard, die Ausbildung ist viel besser. Das ist in Deutschland auch nicht so optimal. Ich höre von Leuten – die in der Schweiz ihr praktisches Jahr gemacht haben – dass sie in der Mittagspause mit der gesamten Station Skifahren gehen. Die lassen die Station einfach die Station sein und machen was anderes.
Heutzutage wird ein Beruf auch viel seltener als Profession betrachtet. Die Arbeit ist anstrengend, du arbeitest viel am Stück, auch an Wochenenden, wirst dafür zwar bezahlt, aber gemessen an dem Aufwand, dass du dein halbes Leben in der Klinik verbringst, nicht im richtigen Verhältnis. Die Leute, auch die Ärzte sind mittlerweile so drauf, dass sie ihren Beruf als Beruf, nicht mehr als Profession sehen. Die wollen auch ihr Privatleben, mehr Freizeit und das Leben genießen. Menschen sind länger jung, 30 ist das neue 20 – ist einfach so. Ich bin auch eher so drauf, dass ich lieber weniger arbeite, weniger Geld verdiene. Ich hab eh keine Zeit, viel Geld auszugeben. Ich bin auch kein Typ, der auf irgendeinen Scheiß abfährt. Viele Ärzte machen das ja, kaufen sich dicke Autos, wenn sie weit gekommen sind. Darauf steh ich nicht. Ich gebe gern Dienste ab und bin dafür hier in Wien und hab meinen Spaß.
Also du arbeitest nicht 70, 80 Stunden die Woche? Doch! (lacht) Ich muss jedes zweite Wochenende durcharbeiten und arbeite oft zwölf Tage am Stück. Aber nach einer Nachtschicht bekommt man ausgleichsfrei und dann pack ich meinen anderen Scheiß darein. Es ist sauschwierig, aber ich hab halt so Bock auf Mucke machen, dass das irgendwie funktioniert.
Ärztemangel in entlegenen Gebieten ist hingegen ein universelles, EU-weites Problem. Niemand will mehr Landarzt sein. Ich auch nicht. Ich komme aus der Heilbronner Gegend, wohne in Stuttgart. Das ist aber noch nicht richtig Land. Das ist alles richtig gut vernetzt. Alles hat Autobahnanschluss, du bist schnell überall. Aber zum Beispiel in irgendwelchen Käffern in Ostdeutschland ist einfach nichts. Es ist einfach nicht attraktiv für die Leute dort hinzuziehen. Das hat mit der Gesellschaft zu tun, die Leute wollen am Puls der Zeit sein. Das ist ein Zeitphänomen, da kann man nicht so viel machen. Die Anreize, die gewollt werden, befinden sich heute einfach in der Stadt. Abgelegene Kliniken bieten dir mehr Geld, Extra-Urlaub usw., die versuchen ja alles.
Da stellt sich mir die Frage, ob man in diesen Regionen – die immer mehr entsiedelt werden – auf lange Sicht überhaupt noch viele Ärzte braucht? Nicht viele, aber du brauchst welche. Das ist wirklich ein Problem, die Leute dort können nicht versorgt werden. Es müssen ja auch Notdienste gewährleistet werden können. Das klappt dort irgendwie noch, aber es bleibt halt viel an einer Person hängen, die sich dann als Hausarzt voll auslaugt und für tausend Leute zuständig ist. Das sind viel zu viele Einwohner, die dann auf einen Arzt angewiesen sind.
Viele aus dem HipHop Bereich haben haupt- oder nebenberuflich einen sozialen Beruf. Bennett On oder Weekend sind beispielsweise Sozialarbeiter, du bis Kinderarzt. Wie kannst du dir das erklären? Mir ist nicht bewusst, dass soziale Berufe vermehrt im Hip Hop vorkommen. Ich kenne auch KFZ-Lakierer die Beats bauen. Andersrum weiß ich, dass viele Ärzte Musik machen. Es gibt viele Kollegen, die auch bekannter sind und Mucke machen. Den Schluss kann ich ziehen. Das hängt natürlich auch von der jeweiligen Lebenswelt ab, aber ich habe dieses Phänomen nicht wirklich auf dem Schirm.
Chefket erzählte im Interview über seine Platte mit türkischen Psych-Rock Instrumentals. Hast du Interesse an derartigen Konzeptalben? Eigentlich bin ich total der Freund von Konzept-, und genrebezogenen Alben. Aber einmal hab ich Bock auf Jazz, dann wieder auf Library-Platten oder Psych-Rock – Es springt einfach. Wahrscheinlich hätte ich zu wenig Material für ein Konzeptalbum zu einem speziellen Thema. Prinzipiell interessiert mich Musik aus aller Herren Länder. Klar, das ganze türkische Zeug ist mittlerweile auch schon sehr bekannt. Auf vielen Partys wird Barış Manço oder Selda Bağcan gespielt. Das Problem: jeder weiß mittlerweile, dass die Sachen gut sind. Über das Internet und das Label Finders Keepers werden diese ohnehin stark verbreitet. Schon vor Jahren gab es türkische Psych-Rock Sampler. Selbst als Oh No dann mit seinem Album kam war das alles nicht mehr wirklich neu.
Mittlerweile versuche ich Platten zu kaufen, die ich mir zuhause anhören kann
Auch Madlib plant mit Mos Def ein auf Zambischen Rock basierendes Album aufzunehmen. Im Afrobeat gibt es – besonders wenn es sich mit den lokalen Einflüssen vermischt – krasse Sachen, weil es nochmal etwas ganz anderes ergibt. Gerade in Afrika ist das alles noch viel rhythmischer. Ich bin schon immer großer Fela Kuti-Fan gewesen. Fela Kuti ist für mich der James Brown Afrikas. Auch wenn der Einfluss vorhanden ist, ist es doch ganz anders als die Psych-Rock /Funk Sachen, die man aus den USA kennt. Grundsätzlich geht’s mir auch darum die Musik einfach anzuhören. Ich suche nicht immer nur nach Samples. Ich bin auch kein Typ, der in 1-Euro Fächern diggt, nur weil jetzt die eine Snare drauf ist. Ich weiß sowieso nicht mehr, wohin mit all den Platten in meiner Wohnung. Dann hast du nur wegen einer Snare voll viele Platten, die dich eigentlich nerven. Die zu besitzen ist zwar einerseits schon ehrgeizig, aber ich frag mich mittlerweile: Muss das sein? Ich musste früher auch eine Platte haben, nur weil sie ein berühmte Samples drauf hatte. Mittlerweile versuche ich Platten zu kaufen, die ich mir zuhause anhören kann und gleichzeitig noch niemand gesamplt hat. Wenn ich zum Beispiel eine Platte gesehen habe auf der ein geiler Track ist , die aber 40 oder 50 Euro kosten würde, dann bin ich so frei und geh ins Internet und kauf den Track und sample dann die MP3.
Legst du bei den MP3-Samples noch extra Vinylknistern unter? Das mach ich schon oft. Ich mag die Ästhetik von dem Knistern. Wenn mir das Sample zu sauber ist, hau ich noch Dreck und Staub dazu. Du kannst ja auch sauberen Sachen mit guter Soundqualität auf alt trimmen. Dafür benutzte ich auch fast keine analogen Geräte – das muss nicht unbedingt sein. Du kannst mit den richtigen Handgriffen auch nur mit Plugins arbeiten. Ich verwende meistens auch nur die Standardplugins. Für einen Bass brauch ich einen Sinus-Ton und das war’s. Ich hab keine Plugins, in denen Kontrabässe in verschiedenen Anschlagsdynamiken aufgenommen sind.
Im Booklet von The Trip findet sich ein Text von Label-Chef Oliver „Olski“ von Felbert. Bei anderen Melting Pot Music-Releases ist das üblicherweise nicht der Fall. In alten Platten findest du oft Texte, Beschreibungen, biographische Auszüge. Ich wollte, dass man wie früher ein Cover aufschlug und ewig drin rumlesen konnte. Das ist rein dem Design, der Idee geschuldet. Das Betty Ford Boys-Album hat auch ein Klappcover, das haben wir auch nicht so oft gemacht. Früher gab es viele Gatefold-Cover bei Single-LPs. Das wird sich bei uns jetzt auch fortführen. Da zahlst du halt dann 2,3 Euro mehr, weil Gatefold-Cover mit allen Farben gleich viel teurer sind, aber ich denke, es wird ganz gut wertgeschätzt.
Denkst du, dass es – wie Betty Ford – viele alkoholabhängige First Ladys gab? Von einigen sind ja auch diverse Cocktailkreationen überliefert. Hundertprozentig. Wenn man nichts zu tun hat, viel Geld besitzt und unter Stress in der Öffentlichkeit steht. Aber ja gut, solange sie gute Cocktails erfunden haben. (lacht)
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