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Disarstar zwischen Klassenkampf und Kitsch // Review

Disarstar zwischen Klassenkampf und Kitsch // Review

Warner Music Germany // VÖ: 6. März 2020

Jeder, der sich schon einmal mit dem Hamburger Rapper Disarstar auseinandergesetzt hat, weiß, dass er und seine Musik antifaschistisch, antikapitalistisch und feministisch ist. Seine Texte sind anspruchsvoll, haben Tiefgang. Im politischen Spektrum ist der 25-Jährige eindeutig links angesiedelt, oft stützt er sich in seinen Texten auf Marx und Konsorten. Der Titel seines neuen Albums ‘Klassenkampf & Kitsch’ wird durch die marxistische Theorie inspiriert und setzt sich auf knapp 34 Minuten mit ideologischen, ökonomischen und politischen Kämpfen zwischen verschiedenen Gesellschaftsklassen auseinander. Auch das Aufarbeiten zerbrochener Beziehungen und vergangener Tage kommt nicht zu kurz.
Kurz gesagt tänzelt er auf einem schmalen Grat zwischen Melancholie, politischem Output und Trennungssongs.

Musikalisch bewegt sich das Album irgendwo zwischen rockigen bis punkigen Gitarrenriffs, poppigen Spielereien und sanften Techno-Beats.
Das Level der Produktion spielt in der obersten Liga, alles greift trotz extremer Umbrüche harmonisch ineinander, das Artwork des Covers ist unglaublich passend zum Albumtitel.

„Das war immer mehr als ‚Hightrend‘ und ‚Business-Move‘.
Das war immer ich, auch wenn man mich verflucht – bis aufs Blut.“

Disarstar auf Intro

Auf seinem Eröffnungstrack ‘Intro’, produziert von Dasmo & Mania, positioniert sich Disarstar klar auf einem sehr seichten und melancholischen Beat und erklärt uns, dass seine Worte aus tiefstem Herzen kommen, ehrlich sind und nichts mit Hype-Moves oder erzwungenem Vorankommen zu tun haben, für welches man sich verbiegen müsste. Was man dem jungen Mann Mitte 20 aufgrund seiner Authentizität auch sofort glaubt.

Ein ständig wiederkehrendes Motiv, das sich durch fast alle Songs dieses Albums zieht, ist die Depression. Disarstar selbst äußerte sich in einem Interview folgend dazu: „Ich sehe die Welt tendenziell immer grauer und dunkler als sie wahrscheinlich wirklich ist. Aber vielleicht sehe ich sie auch realistischer. Vielleicht ist Depression das realistische Lebensgefühl. Aber mein Ziel war ja auch nicht, mich in die Rolle der Mehrheitsgesellschaft zu versetzen.

Wie gewohnt kommt auch die System- und Gesellschaftskritik nicht zu kurz.
So setzt sich Disarstar im Herzstücks seines Albums, das denselben Titel wie das Album selbst trägt, mit den verschiedenen Klassen der Gesellschaft auseinander und schießt gezielt gegen den Kapitalismus, Schönheitsideale, die oberen 1 Prozent und die Ungerechtigkeit, die auf der Welt herrscht. 
Beginnend auf Techno-Beats, gibt es in der Hook einen plötzlichen und extrem Umbruch auf rockige/punkige Gitarren-Riffs, die bei Konzerten zu Moshpits und zum Mitbrüllen animieren werden. Lyrisch positioniert sich Disarstar in dem Song eindeutig zu Marx und zu den ‘kaputten Kids’, zu denen er sich selbst auch zählt. „Ich hatte schon immer eine politische Komponente in meiner Musik und ich finde, es wird immer relevanter, Haltung zu zeigen„, sagt er dazu in einem Interview. „Marx hat gesagt: Alle Geschichte ist die Geschichte von Klassenkämpfen.‘ Das sehe ich auch so! Ich glaube nicht daran, dass Migration das Grundproblem unserer Zeit ist, sondern die Verteilung zwischen Arm und Reich!

„Keine Party-Mucke! Das ist Raus-auf-die-Straße-Mucke.
Soundtrack of my Life, für n‘ paar kaputte!
Zwischen Hass auf den Staat und nem Bausparvertrag, hol ich dir nen‘ roten Stern vom Himmel, so wie du das magst!
Das ist Klassenkampf & Kitsch! (Klassenkampf & Kitsch)“

Disarstar in Klassenkampf & Kitsch

Der Song ‘Glücksschmied’ kommt mit Featuregast Hanybal um die Ecke. Diejenigen, die dies anfangs musikalisch nicht vereinbaren konnten, werden sofort vom Gegenteil überzeugt werden, da diese zwei Kontroversen auf einmal miteinander verbunden werden können. Zusammen erklären die beiden, warum das Sprichwort ‘Du bist deines Glückes Schmied’ nicht zutreffend ist, da dies aufgrund von heterogenen Chancengleichheiten nicht umsetzbar sei. Das Ganze geschieht auf einem Beat, den man locker auch der 187 Strassenbande zukommen lassen hätte können.

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„Perspektiven unsichtbar, was ist mit der Chancengleichheit?
Für euer Bonzen-Highlife ackern wir hier unten Teilzeit!
Sechs Scheine, zwei Jobs, eins, zwei. Sieben Scheine Miete.
Was bleibt? Fünfhundert Euro!“

Hanybal auf Glücksschmied

Trotz all der ganzen Gesellschaftskritik kommt auch die Kritik an sich selbst nicht zu kurz. Disarstar setzt sich bewusst nicht nur mit den Fehlern der Gesellschaft, sondern auch mit seinen eigenen auseinander. Dies tut er auf eine sehr distanzierte Art, an der man merkt, dass er wohl schon viele selbstkritische Gespräche mit sich selbst geführt haben muss. Der wohl selbstkritischste Songs des Albums trägt den Namen „Situationen“. Obwohl der Beat, ebenfalls produziert von Dasmo & Mania, ein typischer ‘Happy-Pop-Beat’ ist, schafft er es, gezielt diese Stimmung mit einem höchst reumütigen Text zu verbinden.

„Wollt‘ meiner Ex nicht mehr schreiben und stehe dann plötzlich besoffen da, vor ihrer Tür. Rede von Liebe, wir ham‘ was gemeinsam – wir hassen mich beide am Morgen dafür, und ich sag dann, ich trink nie wieder! Bin euphemistisch, wie Kinderlieder, und geh‘ mit Geld um wie’n Achtjähriger.“

Disarstar auf Situationen

Fazit: Für die, die auf der Suche nach einem sozial- und gesellschaftskritischem Album sind, ist die Suche nun beendet. Disarstar liefert mit „Klassenkampf & Kitsch’’ ein unglaublich stimmiges und ehrliches Album, welches – nicht ganz unerwartet – viele Emotionen in einem auslöst. Bis dato ist „Klassenkampf & Kitsch“ jedenfalls Disarstars bester Release, den man unbedingt gehört haben sollte.

4 von 5 Ananas