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iPhone-Notizen, Killerspiele-Kritik & ein perfektes Konzert

iPhone-Notizen, Killerspiele-Kritik & ein perfektes Konzert

© Lichtreflex
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Ich sitze mit Shawn The Savage Kid und eRRdeKa im Backstagebereich des B72. Beide haben sich im Lauf der Zeit einen Namen in der Deutschrapszene gemacht. eRR tourt mit seinem Album Paradies (erschienen am: 24.10.2014) und Shawn hat am Tag des Interviews sein Mixtape Aus Prinzip released. Wir quatschen, lachen und rauchen. Der Aschenbecher quillt schon über, also wird weiter in die leeren Bierflaschen geascht. Beide wirken ruhig und entspannt und nichts deutet darauf hin, dass die Jungs gleich den Auftakt ihrer – in einigen Städten schon ausverkauften – Tour spielen. Wie das Konzert gelungen ist, lest ihr am Ende des Interviews.

Interview: edHardygirl14

TM: Ihr kommt beide aus der jungen Deutschrapszene, der es gerade ziemlich gut geht. Das Haftbefehl-Marteria-Feature zeigt das ganz gut. Habt ihr das Gefühl, dass es einen Aufschwung im deutschen HipHop gibt? eRR: Also ich finde einfach, dass immer mehr Leute versuchen, was Neues zu machen – es fahren einfach nicht mehr alle die gleiche Schiene. Aber vor allem zeigt das neue Haftbefehl Album, dass es funktionieren kann, wenn man einfach sein eigens Ding macht. Ich hab auch das Gefühl, dass die Leute mehr ausprobieren und dass sich musikalisch alles ein wenig vermischt. Ich finde, dass da so viel Neues entsteht. Das ganze Cloud-Rap Zeug wie Yung Lean finde ich überkrass – so atmosphärisch und melancholisch. Ich finde, es ist eine geile Zeit momentan, vor allem für uns.

Shawn: Ich sehe das auf jeden Fall ähnlich. Aber ich habe schon auch das Gefühl, dass es fast zu viel wird und alles wieder so overhyped ist. Die Vielfältigkeit konnte sich eigentlich nur so wirklich gut entwickeln, weil nicht so viel Aufmerksamkeit da war. In Form von Massenmedien und von den Kids. Da konnte man einfach wieder mehr das machen, was man machen wollte – ein bisschen was ausprobieren und experimentieren. Ich bin gespannt, ob das so bleibt oder ob es wieder so überladen wird wie Anfang der 2000er. Und dann geht ein paar Jahre gar nichts mehr.

Dem Spiegel nach, soll Haftbefehl als Reaktion auf den gewaltsamen Tod der jungen Tugce Albayrak gesagt haben: „Ich musste lang nachdenken, ob ich diese Musik so weitermachen kann.“ Eine Woche später wurde „Russisch Roulette“ released. Eure Texte sind nicht unbedingt jugendfrei, aber eure Musik wird von vielen jüngeren Jugendlichen gehört. Macht ihr euch Gedanken darüber? eRR: Also für mich ist es auf jeden Fall so, dass man bei so etwas einfach künstlerische Freiheit behalten sollte. Ich finde, es kommt auch sehr auf den Hörer an. Für mich hat Haftbefehl eher einen Unterhaltungsfaktor – bei mir ruft das keine Nachahmungswünsche hervor. Ich bin natürlich kein junges Kid, das dann alles macht, wie es in den Videos passiert. Man darf das einfach nicht pauschalisieren, wie es oft in den Medien passiert. Ich bin der Meinung, dass einiges mehr dazu gehört als die Musik oder der Künstler. Da spielt vor allem die Erziehung der Eltern eine Rolle. Ich rappe, über was ich Bock hab, was ich fühle und was ich denke. Ich setze mir da keine Grenzen. Natürlich versuche ich manchmal, wenn es ziemlich niveaulos ist, dass ich das anders verpacke. Aber ich nehme da keine Verantwortung auf mich.

Shawn: Die Kritik kommt ja vor allem von der rechtskonservativen Seite – die klassische Killer-Spiele-Kritik. Das sind aber dann auch die, die keine Sexualkunde in den Schulen wollen. Das sind ziemlich verdrehte Ansichten. Ich bin der Meinung, solange man die Texte vor sich selbst rechtfertigen kann, ist alles in Ordnung. Wenn du beispielsweise keine frauenfeindlichen Texte magst, dann schreibst du halt keine. Jeder Hörer, noch so dumm und noch so jung, sollte das reflektieren und einordnen können. Ganz viele Leute unterschätzen da die Kids. Die haben schon ihren eigenen Kopf.

Shawn’s Mixtape Aus Prinzip kam gerade raus und eRRdeka’s Album Paradies ist auch noch jung (24.10.14). Ihr habt beide schon viel gratis released. Wohin, glaub ihr, geht es mit der Musikindustrie in der Zeit von Streaming, Leaks und „illegalen“ Downloads? Muss der Künstler monetäre Abstriche machen? eRR: Einerseits helfen diese ganzen Medien wie Spotify und YouTube, die Musik zu verbreiten. Man kauft sich die Sachen ja teilweise auch erst nachdem man sie gehört hat, weil du sie einfach besitzen willst und nicht nur streamen. Ich mache das oft, um den Künstler zu unterstützen. Natürlich mach ich das nicht bei allen so. Aber ich denke, durch die Musikverkäufe verdient der Künstler schon lange nicht mehr wirklich viel. Das geht ja nur noch über Merch und Konzerteinnahmen. Ich sehe das aber alles gar nicht als so schlecht an. Natürlich könnte es mehr Geld pro Spotify-Klick geben. Aber es ist ja dafür da, dass man bekannter wird, indem man den Leuten vorgeschlagen wird. So kann man die Menschen gut erreichen, die sonst nicht auf deine Musik stoßen würden.

Shawn: Ich finde das ein wenig schwieriger. Es wirkt zur Zeit halt so, als ob die Musik nur die Werbung für den Merch ist. Das finde ich seltsam. Andererseits sind die Kids einfach nicht damit aufgewachsen, dass man für Musik Geld ausgeben muss. Das kann nicht mal ich so richtig. Ich hab da wirklich ein respektloses Musikverhalten.

eRR: Ja man, eMule und KaZaA.

Shawn: Bearshare! Ich bin aber schon gespannt, was da noch passieren wird und wie lang es so weitergehen kann. Im Endeffekt funktioniert das nur, weil es genug Künstler gibt, die einfach darauf hängengeblieben sind, Musik zu machen. Wir machen es ja auch, wenn kein Geld dabei rausspringt.

 

Die Vinyl-Verkäufe sind in Österreich im letzten Jahr um 50 Prozent gestiegen. eRR, du bist ja auch als DJ im Techno unterwegs und Shawn sampled viel selbst. Was sind eure zwei Lieblingsplatten, die ihr daheim habt? eRR: Bei mir ist es nicht mal eine Techno-Platte. Auf jeden Fall aber das Shlohmo Album Bad Vibes. Ich hol mir eigentlich alle Alben, die ich übergeil finde, auf Platte. Teilweise pack ich die dann nicht mal aus. Dann kann ich später meinen Kindern zeigen, was für Mucke ich so gehört hab. Die Crystal Castles Alben hab ich auch alle.

Shawn: Meine Lieblingsplatten sind von meinem Dad. Er hat mir eine riesige 60er und 70er Jahre Roots-Reggae Collection hinterlassen. Ich hab da nicht mal einen richtigen Favorite. Irgendeine Burning Spear Live-Platte ist auf jeden Fall immer richtig geil. Ich hör auf Platte eigentlich nur Reggae.

eRR: Beim Auflegen mach ich aber alles nur mit USB-Stick. Ich bin einfach ein fauler Mensch und zieh mir das Zeug auf den Stick. Dann muss ich keinen dicken Plattenkoffer mitschleppen. Klar ist das was anderes, wenn man nur mit Platten auflegt. Aber heutzutage braucht man ja alles immer ganz schnell. Alles ist so schnelllebig geworden – tausend neue Releases und tausend neue Künstler – da kommt man einfach nicht hinterher mit Platten.

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Zum Ende könnt ihr doch einfach mal noch erzählen, was in nächster Zeit bei euch so geplant ist und was wir erwarten können. Kommt mal ein Track zusammen? eRR: Hatten wir schon geplant. Aber ist dann irgendwie nicht zustande gekommen. Jetzt aber erstmal die Tour. Ich bin schon an ein paar neuen Songs dran. Aber ich weiß noch nicht, ob das ein Mixtape oder ein Album wird. Ich will nach dem inhaltlich anspruchsvolleren Ding mal wieder was Leichteres machen. Vielleicht ja ein eyeslow Mixtape. Man ist da erstmal so richtig leer geräumt. Da hat man einfach mal wieder Bock auf staighten Sound, den man einfach so fließen lassen kann.

Shawn: Kann ich total nachvollziehen. Ich hab ja mein Mixtape „Aus Prinzip“ heute rausgebraucht und will jetzt diese Jahr noch ein zweites fertig machen. Es ist im Endeffekt schon fertig. Ich hab genauso wie eRRde das jetzt vor hat, einfach nur irgendwas gemacht, mit irgendwas gesampled und irgendwas geremixed. Da hatte ich dann auf einmal 36 Nummern.

eRR: Krass, wie am Fließband. (lacht)

Shawn: Jetzt habe ich 15 Tracks rausgebracht und der Rest kommt dann noch. Nach der Tour will ich einfach wieder weiter Musik machen.

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eRR: Bei mir ist es momentan schon auch echt so, dass ich zu Hause sitze und produktiv an etwas schreibe, bevor ich feiern gehe. Aber das klappt halt auf die Dauer nicht. man braucht schon immer wieder Abstand. Da hat man dann wieder einen Beat und schreibt was drauf. Dann hörst du einen viel geileren Beat und schreibst wieder was drauf. Und alles ist nicht fertig und du hast nur so Skizzen rumliegen. Da kommt man zu nichts.

Das heißt, die Ideen kommen manchmal einfach unterwegs oder beim Feiern? Shawn: Die iPhone-Notizen sind das Wichtigste bei mir. Zu Hause konzentriert vor dem Textblatt, bekomme ich eigentlich am wenigsten raus. Das klappt besser, wenn ich mir irgendwo 3-4 Zeilen notiere und am Ende zusammensetze. Kann auch mal anders laufen. Aber am meisten kommt raus, wenn ich nicht an das Texteschreiben denke.

eRR: Ich hab jetzt ne Zeit lang nicht mehr gekifft. Und wenn ich jetzt kiffe, bin ich zwar übelst high, aber wenn das Gefühl abflacht, hat man so ein Gefühl, dass man nicht mehr so high ist, aber man sich trotzdem viele Gedanken machen kann. Da hab ich am meisten Bock was zu schreiben. Ich hab immer das Gefühl, dass ich kreativer bin. Man darf halt nicht weiterkiffen.

Shawn: Das ist wirklich die beste Stimmung.

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Nach dem Interview beginnt Shawn The Savage Kid mit der Show. Nach ein paar kleinen Startschwierigkeiten im Publikum, macht er klar, dass mit seinen Songs nicht zu spaßen ist. Er flowt wie ein König auf die souligen Beats und während er „Aus Prinzip“ raushaut, hat man kurz das Gefühl, als wäre der Mainact schon auf der Bühne. Ich bin mir sicher, dass nach diesem Auftritt jeder im Publikum vom sympathischen „Fast“-Wiener hin und weg ist.

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eRRdeKa lässt nicht lang auf sich warten. Mit der Unterstützung einer krassen Lichtshow, haut er einen Hit nach dem anderen raus. Die Bässe rollen in Richtung Publikum, das jeden der Texte in- und auswendig kennt. Das B72 ist ordentlich gefüllt und die Kids rasten zu den hymnenartigen Hooks aus. Nach einem kurzen Cut, bringen eRR und Big B, sein Eyeslow Homie, zur Geltung, dass auch die älteren Songs live richtigen Druck haben. Von den Lazy Kushbears bis hin zum melancholischen Track „Allein“ haben die Augsburger Jungs, mit Unterstützung von DJ CMYK, die Menge permanent im Griff. Was für ein Tour-Auftakt!

Lieber eRR, lieber Shawn: Natürlich war das Publikum etwas jünger, aber in den Augen der ersten Reihen konnte man sehen, dass ihr ihnen einen der geilsten Abende überhaupt geliefert habt. Da habt ihr euch ein paar Fans auf ewig gesichert. Und sind wir doch einfach alle froh, dass die Teens nicht nur David Guetta hören. Vom ersten Shawn-Track bis zur letzten Zugabe von eRRdeka – ein perfektes Konzert.

eRRdeKa | Shawn The Savage Kid