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„Red Bull ist nicht in den Irak einmarschiert“ // Genetikk Interview

„Red Bull ist nicht in den Irak einmarschiert“ // Genetikk Interview

Farblich abgestimmt: Sikk und Karuzo von Genetikk

Innerhalb weniger Jahre mauserten sich Genetikk vom Internet-Geheimtipp für das BoomBap-affine Straßenrap-Publikum zu einem durchgestylten Kassenschlager, dem auch Campino von den Toten Hosen etwas abgewinnen kann. Doch nicht nur musikalisch zieht die Marke Genetikk: Ein Spaziergang in die Fußgängerzone einer x-beliebigen deutschsprachigen Großstadt belegt, dass die Werbeindustrie längst auf das Saarbrückner Kollektiv aufmerksam wurde. Die Marke Genetikk befindet sich zweifelsfrei auf Expansionskurs. Eine Entwicklung, die nicht nur positiv rezipiert wird. The Message sprach vor ihrem Wien-Konzert mit den beiden Masterminds von Genetikk, Rapper Karuzo und Produzent Sikk, über die Schwierigkeiten eines Mittelweges zwischen Marketing und Glaubwürdigkeit, Kreativität und die Schnittstellen von Architektur und Musik.

Interview:  Catherine Hazotte & Thomas Kiebl
Fotos: Moritz E. Nachtschatt

The Message: Euer aktuelles Album „FUKK GENETIKK“ klingt wie eine künstlerische Rückbesinnung auf das dritte Album „D.N.A.“. Worin bestehen die Anknüpfungspunkte zwischen den beiden Projekten?
Sikk:
Anknüpfungspunkte sind auf jeden Fall vorhanden. „Achter Tag“ hat uns viel gezeigt – auch, was wir zukünftig nicht mehr machen wollen. Wir sind daher noch einmal „Back to the Roots“ gegangen. Aber ohne zu verkopft zu sein. Den Vergleich zu „D.N.A.“ habe ich schon einige Male gelesen. Aber das war nicht unsere Absicht.

Das Favela-Albumcover zu „FUKK GENETIKK“ zog einige kritische Kommentare aus Brasilien an. Wie erklärt ihr euch diese unliebsame Aufmerksamkeit?
Karuzo: Das waren bestimmt alles Exil-Brasilianer und Kunststudenten. Sich über Unbekanntes aufzuregen, ist sowieso fragwürdig. Schon lange, bevor das Album veröffentlicht wurde, gab es Kritik an der Szenerie des Albumcovers, an der Darstellung bewaffneter Kids aus den Favelas. Dabei ist die ganze Szenerie so surreal gehalten: Halb gezeichnet, halb fotografiert, eine richtige Collage eben. Es ist nicht der Fall, dass ich keine Kritik vertragen würde. Im Gegenteil. Aber diese Vorwürfe waren so haltlos – ich weiß gar nicht, wo ich ansetzen soll. Das ist alles nicht zu Ende gedacht und dient nur dem Zweck, uns auf die Eier zu gehen.

„Die ganze Diskussion erinnert an Stammtischgespräche“

Mit dem Vorwurf der „Cultural Appropriation“ habt ihr auch beim Video zu „Peng Peng“ Bekanntschaft gemacht.
Sikk: Die sollen lieber mehr Musik hören und nicht so viel reden.
Karuzo: Als Künstler kann man machen, worauf man Bock hat. Das ist der erste Punkt. Zweitens sitzen wir in dem Video in einem Panzer, wir sind gegen den Indianer. Wir haben uns in diesem Moment getraut, uns als die Bösen zu stilisieren, die auf der falschen Seite stehen. Alle, die uns vorwerfen, dass wir  mit dem moralischen Zeigefinger hantieren, verkennen das. Vielmehr sind wir die Einzigen, die nicht diese Widersprüche aufzeigen und dann sagen: „Guck mal, ihr macht das alles falsch. Wir machen hingegen alles richtig, weil wir kaufen nur selbstgewebte Baumwoll-Klamotten und so weiter.“ Nein, bei uns ist das anders. Wir geben nämlich zu, dass wir auch Teil des Problems sind und beide Seiten in uns tragen. Jeder, der uns deswegen kritisieren will und selbst ein iPhone besitzt, in dem Seltene Erden verarbeitet wurden, soll uns wegen Doppelmoral nicht auf die Eier gehen. Das sind absolut absurde Vorwürfe. Die kann ich mir nur von jemandem anhören, der über die Autorität verfügt, zu urteilen – wenn überhaupt.

Das gilt wohl auch für den Vorwurf, ihr würdet euch auf „FUKK GENETIKK“ unglaubwürdig machen, indem ihr auf der einen Seite Materialismus verteufelt, auf der anderen Seite zelebriert.
Sikk
: Genau. Wir zeigen einfach die Widersprüchlichkeiten der Welt auf.
Karuzo: Die Wertung und die Stellung, die man dazu bezieht, kommt danach. Die muss jeder für sich selbst treffen.
Sikk: Wenn du den Konsum kritisiert, darfst du konsequenterweise niemals etwas konsumieren. Das schafft keiner von uns.
Karuzo: Wir haben uns jetzt einmal aus dem Fenster gelehnt und gesagt, dass wir beides zelebrieren. Alle anderen können sich schön unter dem Deckmantel, sie würden die moralisch richtigen Positionen vertreten, zurückziehen. Die ganze Diskussion erinnert an Stammtischgespräche.

Kann man sich dem alltäglichen Materialismus entziehen?
Karuzo
: Sicherlich. Bei uns selbst ist in dieser Hinsicht einiges besser geworden. Wir sind nicht mehr so gierig. Was nicht heißt, wir hätten jetzt keinen Hunger auf Musik und Erfolg mehr. Doch irgendwann merkt man, dass materielle Dinge weniger wichtig sind. Wir kaufen uns auch Second-Hand-Klamotten, wenn die cool aussehen. Wir sind nicht nur auf Marken fokussiert. Aber auch wenn jemand sagt, er kauft ausschließlich Markenklamotten – glaubst du, die Klamotten werden unter anderen Bedingungen hergestellt? Sicher nicht, da sind die Bedingungen noch schlechter. Die Leute schmeißen mit ihren wenig durchdachten Vorurteilen nur so um sich. Ich verstehe schon, woher die Vorwürfe gegen uns kommen. Aber die sind falsch. Wenn du sagst, du trägst nur teure Markenklamotten, und rappst dann vom Leben der Indianer, ist die Kritik nachvollziehbar. Aber wir sitzen im Panzer – und die Markenklamotten sind nicht am Tod des Indianers schuld. Das läuft bei uns alles auf ganz anderen Ebenen ab.

„Philosophie-Studenten können oft ziemliche Opfer sein“

Ihr verfügt beide über einen Studentenbackground. Gibt es Situationen, in denen ihr die Entscheidung für die Musikkarriere bereut?
Karuzo: Nein, überhaupt nicht. Für die schlechten Seiten des Showbiz haben wir schließlich unsere Masken. Deswegen gibt es nichts zu bereuen.

Sind universitäre Erfahrungen hilfreich im  Musikgeschäft?
Sikk:
Ich habe ehrlich gesagt im Architekturstudium gar nichts gelernt. Das habe ich mir alles selber beigebracht. Obwohl … doch! Eine Sache habe ich gelernt – und zwar ein Konzept zu haben und das bis zum Ende durchzuziehen. Das ist das Einzige, aber zugleich Wichtigste.
Karuzo: Einen juristischen Hintergrund zu haben ist nie verkehrt. Aber es ist nicht mein Alltag. Ich hatte auch nicht viele Freunde an der Uni, die ich dort kennenlernte. Aber die Studienzeit war eine gute Erfahrung, die ich jetzt nicht missen wollen würde. Dennoch bin ich froh, jetzt das machen zu dürfen.

Welche Rolle spielt Philosophie in euren Texten?
Sikk
: Ich schreibe ja keine Texte. Aber bei den Beats kann ich sagen: Das ist alles von Alan Watts inspiriert.
Karuzo
: Wir tauschen uns viel aus. Früher habe ich mich ein bisschen mehr damit beschäftigt. Es gibt schon Sachen, die wir uns mal reinziehen. Sachen von Alan Watts, zum Beispiel. Oder über Zen-Buddhismus.
Sikk: Wir sind keine Hammer-Philosophen, wir sind ganz normale Leute. Wir verbringen unsere Abende nicht zu Hause und rezitieren Kant. Obwohl: Nietzsche hole ich manchmal raus (lacht).
Karuzo: Wir haben schon ein relativ okayes Grundwissen, muss man schon zugeben. Wenn man sich mit bestimmten Themen näher befasst, dann kratzt man hie und da schon an der Oberfläche und streift gewisse Dinge.
Sikk: Mir geht es mehr um das Image von Philosophie-Studenten. Die können oft ziemliche Opfer sein. Gibt natürlich coole, und ich kenne auch ein paar von denen, aber wenn man Philosophie-Studenten hört, denkt man meist an irgendwelche komischen Menschen.

Von der Philosophie zur Kunst: Was ist eure künstlerischer Vision? 
Karuzo: Wir wollen einfach nur coole Rapmusik machen. Irgendwann sollen alle sagen: „Ihr seid der dopeste Shit, den es gerade gibt“.
Sikk: Eigentlich muss die Musik nur uns gefallen. Wenn es ums Geld gehen würde, wären wir an der Börse oder würden mit Immobilien unser Glück versuchen.
Karuzo: Mit Kunst verdiene ich auf schnelle Weise auch gut Geld. Wenn die Kunst erfolgreich ist. Aber die Gefahr des Scheiterns ist relativ groß. Und man investiert, wenn man sein Ego nicht im Griff hat, seine Persönlichkeit in die Kunst. Bei Misserfolg hat man dann für die nächsten zehn Jahre mit Selbstzweifel zu kämpfen und züchtet sich Komplexe an. Allerdings sind wir selbstbewusst genug, dass uns  das nicht passieren wird. Zudem haben wir die Masken als Notfallschirm: Wir haben den Erfolg nie an unsere Person geknüpft, sondern an unsere Werke. Die Gefahr abzuheben ist damit geringer. Für uns hat sich deswegen, im Vergleich zu früher, wenig verändert. Außer dem Erlebnis einer Show: Du bist in einem Raum, stehst auf der Bühne und erlebst dieses geile Gefühl. Das ist aber irgendwann wieder vorbei und danach ist eigentlich alles so wie vor dem Erfolg.

„Wenn uns langweilig ist, machen wir Werbekampagnen“

Vor „Foetus“ agierte GENETIKK als mehrköpfiges Gespann – eine Konstellation, die ihr nach Jahren als Duo wieder aufgegriffen habt. Wie kam es dazu?
Karuzo
: Manche Wege kreuzen sich für einige Zeit und verlaufen sich dann wieder. Angefangen haben wir als Duo. Aber für unsere Kunst brauchen wir einfach ein größeres Team, einen DJ, einen Manager, die uns unterstützen. Wir haben in dieser Hinsicht auch großes Glück – indem wir uns Leute an Bord holen konnten, denen wir vertrauen. Niemand von uns ist gelernt in diesen Berufen, wir haben keine „alten Hasen“ im Team.
Sikk: Wir haben alle kein Musikstudium absolviert.
Karuzo: Oder eine Managementschule besucht.

Wer ist für die Werbekampagnen verantwortlich?
Sikk: Das sind alles wir. Schließlich haben wir so viele Ideen …
Karuzo: Wenn uns langweilig ist, machen wir Werbekampagnen für irgendwelche Unternehmen. Die können sich alle bei uns melden, wir haben noch eine Menge Konzepte. Zum Beispiel für Airlines, da können gerne sofort Anfragen kommen. Was haben wir noch?
Sikk: Für Wurstfabriken, da könnten wir auch etwas machen!
Karuzo: Wir sind selbst HipHop-Fans und haben die Vermarktungswege bei den ganzen US-Rappern seit den 1990er-Jahren verfolgt. Wie eine Kampagne aussehen muss, wie man als Rapper agiert, um ein Produkt erfolgreich zu vermarkten.
Sikk: Das fasziniert uns so an Daft Punk. Bei denen ist alles „Major“. So soll es bei uns auch sein.

Durch die ganzen Nebentätigkeiten kann der Eindruck entstehen, dass die Musik nur noch zum Pushen der Marke dient, die auch in anderen Geschäftsfeldern Erfolg haben soll. Karuzo: Diesen Effekt gibt es auf jeden Fall. Wir machen mit Hi Kids auch unsere eigenen Klamotten, wodurch dieser Eindruck entstehen kann. Aber es geht nicht darum, Genetikk marktwirtschaftlich möglichst in die Breite zu ziehen, damit der Umsatz steigt. Wir machen einfach nur, worauf wir Bock haben. Und auf Klamotten haben wir nun einmal Bock. Es ist natürlich ein großes Glück, alles machen zu können, was wir machen wollen. Wir gehen dabei immer gleich vor: Wir suchen uns die Leute, die wir dazu brauchen, und ziehen die Sache durch. Wenn wir morgen Autohändler werden wollen, würden wir es genauso machen.

Besteht die Gefahr, durch zu viele Deals die Marke zu beschädigen?
Sikk: Könnte passieren. Wenn wir jetzt noch für Haribo-Werbung machen, wäre das schon ein bisschen Scheiße (lacht).
Karuzo: Uns werden sehr viele Deals angeboten, wir wählen schon genau aus, ob das zu uns passt oder nicht. Bis jetzt war es immer so, dass wir die Sachen rausgesucht haben, auf die wir wirklich Bock hatten. Bei denen wir gesagt haben: „Das macht Spaß, bringt Geld und ist nicht schädlich für uns“.
Sikk: Die Vorstellung, dass Marken Sachen kaputtmachen können, ist auch so richtig „deutsch“. Gibt in Deutschland sogar welche, die sich über den Snipes-Deal aufregen. In Amerika ist das total anders, da feiern Leute so etwas.

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„Red Bull ist nicht der Teufel“

Ist nicht zuletzt alles eine Frage der Glaubwürdigkeit?
Sikk: Ja, aber bei uns ist es authentisch. Bei einem Wiz Khalifa ist das anders. Der bekommt seine 400.000 US-Dollar und zieht deswegen das geforderte Werbe-Shirt an.
Karuzo: Wir haben mit dem Marketingverantwortlichen von Snipes bei einer Shisha darüber gequatscht, was wir zusammen machen könnten. Zuvor haben wir mit Converse einen Deal abgeschlossen. Das war zugleich unsere erste Werbeaktion. Converse kam damals zu uns, erzählte von einer Neuauflage des „Chuck II“ und hat angefragt, ob wir zum Release eine Show am Berliner Alexanderplatz spielen wollen. Würdest du da Nein sagen? Du bist Rapper und es kommt eine solch ikonische Schuhmarke, die tief in der Westcoast-HipHop-Szene verwurzelt ist und die du selbst trägst, zu dir und fragt nach einer Zusammenarbeit – natürlich sagst du Ja. Soll mir einer erklären, warum wir den Deal ablehnen hätten sollen.

Hat sich der Deal mit Red Bull ausgezahlt?
Karuzo: Hier verstehe ich die Kritik überhaupt nicht. Red Bull ist ein großer Konzern, und die Leute sind linksrebellisch orientiert, was ich gut finde und womit ich überhaupt kein Problem habe. Aber das ist diese typisch links-intellektuelle Pseudo-Elite, die dann mit viel Unwissen glänzt. Red Bull ist nicht im Irak einmarschiert! Die sponsern nur eine Fußballmannschaft und machen im Sportbusiness und in der Musik Marketing. Aber die sind nicht der Teufel! Man muss auch mit den Realitäten umgehen können. Die, die sich darüber aufregen, gehen trotzdem in die Disco und saufen Wodka-Shots. Und der soll mir dann sagen, ich soll nicht auf einem Festival auftreten, das von Red Bull gesponsert wird. Warum nicht? Wir treten auch auf dem Splash! auf. Wisst ihr, wie viele Sponsoren dort aktiv sind? Es gibt dort sogar eine Monster-Stage. Ohne Sponsoren würde das Festival gar nicht existieren. Wovon sollen die das sonst bezahlen? Nur von den Tickets? Die brauchen Sponsoren, die dort Werbung machen. Das ist die Realität. Ich verstehe schon, woher diese Kritik kommt: Es gibt einen Frust, ein Gefühl der Ohnmacht und von Undurchsichtigkeit. Weil man nicht mehr genau überblickt, wo welche Akteure im Spiel sind, und dann verbinden sich all diese Emotionen miteinander und führen zu solcher Kritik.

Sikk, du hast deine Beats einmal mit Gebäuden verglichen. Das wurde vielerorts nicht verstanden und der Vorwurf kam auf, dass du einfach irgendetwas Intelligentes sagen wolltest. 
Sikk: Echt? Ich versuche oft intelligent zu wirken (lacht). Dann vergleiche ich auch einmal Musik mit Gebäuden.

Warum?
Sikk
: Wann habe ich das denn überhaupt  gesagt? (überlegt) Ach ja, damals, als es um Minimal ging. Das stimmt ja schon. Der minimialistische Ansatz kannst du sowohl in einem Wu-Tang-Track als auch in einem Mies-Van-Der-Rohe-Gebäude finden. Ich sehe da eine Gemeinsamkeit.
Karuzo: Das ist Design. Es gibt ja auch akustisches Design.
Sikk: Es gib Minimal in verschiedensten Formen der Kunst.

Wenn du einen Beat baust, erinnert dich dann ein bestimmter Sound zum Beispiel an das „Empire State Building“?
Sikk
: Nein, das wäre ein bisschen krank. Das war vielleicht damals ein bisschen dumm von mir ausgedrückt. Ich denke beim Musikmachen nicht an ein Haus.
Karuzo: Naja, wenn man Jay Z hört, dann erinnert dich „Empire State of Mind“ schon an das „Empire State Building“. Es gibt schon Musik, wo du sagst, dass die Rooftop-Atmosphäre hat. Die du hören kannst, während du auf dem Dach sitzt und über die Großstadt blickst. Die Akustik hat hier eine dementsprechende visuelle Bedeutung, die man miteinander verbinden kann. Musik kann schließlich nach allem klingen.

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