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J Dillas Diary – Debüt und Finale // Review

J Dillas Diary – Debüt und Finale // Review

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PayJay/Mass Appeal Records / VÖ: 15.4.2016

Zehn Jahre zurück

Im Jahr 2006, genauer gesagt am 10. Februar 2006, verlor James Dewitt Yancey den Kampf gegen eine seltene Krankheit, das sogenannte Moschcowitz-Syndrom. Während seiner mehrmonatigen Leidenszeit im Krankenhaus ließ er sich Erzählungen aus seinem Familien- und Bekanntenkreis zufolge das nötigste Equipment ans Krankenbett bringen und produzierte sein zweites Studio-Album „Donuts“ (insofern man eine SP-303 und einen Plattenspieler in einem Krankenhauszimmer Studio nennen kann).

Das Album erschien drei Tage vor seinem Tod und gilt bis dato als eines der einflussreichsten Instrumental-Alben der HipHop-Geschichte. Wem es bis jetzt noch nicht bewusst ist: es geht um J Dilla – den Produzenten, der ganz nebenbei die Kunstform des Samplings neu definiert hat. Doch J Dilla war und ist mehr als das.

Und zwar?

J Dillas Diskographie als Produzent liest sich wie ein Lexikon-Eintrag zum Begriff ‚HipHop-Größen der 90-00er-Jahre‘. Zu Lebzeiten war Yancey innerhalb der Szene und der Musikindustrie durchaus für seine Produktionen bekannt. Doch um in jenen Zeiten aus dem Schatten des Studios in das Rampenlicht zu gelangen, wagte er sich ans Mic. Im Hinblick auf die heutzutage omnipräsent scheinenden Kanyes und J.Coles, die sowohl produzieren als auch rappen, Klamotten entwerfen und Regie führen, scheint J Dillas künstlerischer Dualismus als Produzent und MC nicht sonderlich bemerkenswert. Jedoch muss man diesen Dualismus im Kontext der damaligen Zeit sehen – es war als Phänomen zwar nicht komplett neu, aber ungewohnt und seltener vertreten allemal. J Dillas Weggefährte Madlib wurde beispielsweise dafür kritisiert, dass er sich grob gesagt nicht wie ein Rapper anhören würde – gerade weil er in erster Linie Produzent sei. Auf eine gewisse Art und Weise ebneten Dualisten wie J Dilla und Madlib den Weg für multidisziplinäre Artists, zumindest was die Akzeptanz anbelangt.

Das verloren geglaubte Album – eine Rückschau

J Dilla unterzeichnete im Jahr 2002 einen Solo-Deal über zwei Alben bei MCA Records. Rund zehn Jahre nach seinem Tod findet sein lange verloren geglaubtes Solo-Album „The Diary“ heute, Freitag, den Weg an die Öffentlichkeit. Dazwischen liegen eine Reihe von posthum veröffentlichten Werken, die aus den mehr oder weniger leicht zu verwertenden Archiven Dillas zusammengestellt wurden. Doch das Soloalbum, das bei MCA Records erscheinen sollte und bereits in Produktion war, schwebte über Jahre hinweg wie ein Mythos über dem Vermächtnis Dillas.

Nachdem MCA Records die ersten Demos und Entwürfe des Albums erreichten, wurde das Projekt auf Eis gelegt. Über die Gründe dieser Entscheidung ranken sich Gerüchte, die von falschen Erwartungen seitens des Labels bis zu personellen Änderungen im A&R-Bereich von MCA reichen. Abermals enttäuscht von der Major-Label-Musikindustrie, produzierte J Dilla daraufhin ‚Ruff Draft‘ und releaste es auf eigene Faust über sein Label Mummy Records – ein Album, welches ähnlich hohe Wellen schlug wie ‚Donuts‘ es einige Jahre später tat. Interessanterweise agierte Groove Attack aus Deutschland als Distributor für die Veröffentlichung.

Die Aufnahmen befanden sich nach Yanceys Umzug nach Los Angeles weiterhin in Detroit, wo sie erst nach seinem Tod wieder aufgefunden wurden. Der Creative Director seines Nachlasses, Eothen ‚Egon‘ Alapatt, bereitete die Fertigstellung im Sinne von J Dillas artistischer Vision vor und überwachte den Prozess. Alapatt war langjähriger General Manager von Stones Throw Records und enger Vertrauter Yanceys. Ein langwieriger Rechtsstreit um den Nachlass Dillas und Leaks einer unfertigen Version des Albums im Jahr 2007 verzögerten die Fertigstellung, ebenso wie auf den ersten Blick simpel erscheinende technische Probleme wie das Entpacken und Katalogisieren der unzähligen Sessions, das Rekonstruieren des Software-Setups, das J Dilla benutzte und ähnliches.

Laut Alapatt ist ‚The Diary‘ „das letzte Album, das J Dilla de facto veröffentlichen wollte“. Er beauftragte Dillas damaligen Toningenieur des Vertrauens, Dave Cooley, damit, beispielsweise aufgefundene 2-inch-tape-Aufnahmen der Tracks abzumischen, zu mastern und gegebenenfalls anhand der vorhandenen Demos zu vollenden. Im Zuge dieses zehnjährigen Prozesses und den damit verbundenen Release-Verschiebungen wurden bereits eine Reihe von Produktionen des Albums in finaler oder abgeänderter Form releast, jedoch soll das Album in seiner Gänze die abschließende, finale Version darstellen.

Neben seinen Eigenproduktionen holte sich Yancey für die Instrumentals einige seiner Lieblingsproduzenten ins Boot, zumal es sein Debüt als MC markieren sollte: darunter Madlib, Pete Rock, Hi-Tek, Supa Dave West und Nottz. Als Feature-Gäste erscheinen letztendlich Snoop Dogg, Bilal, Kokane, Frank and Dank, Nottz und Boogie auf dem Werk.

So weit, so gut – wie ist das Album?

 J Dillas ‚The Diary‘ ist eine Reise mit einer musikalischen Zeitmaschine. Zumal Yancey selbst nur teilweise an der Produktion der Beats beteiligt war, ist die Soundästhetik stellenweise abweichend davon, wie es ein geneigter Fan des Produzenten J Dilla erwarten würde. Doch dieser Umstand tut dem Werk keinen Abbruch – denn so subtil, geschmeidig und zum Teil experimentell seine eigenen Instrumentals waren, so ungestüm und rough ist sein Stil als MC, sei es in seinem eigenen oder fremden Beatkostüm. Yanceys bereits erwähnter Dualismus als Künstler spiegelt sich in diesem Kontrast wider. Stilistisch erinnert beispielsweise der Opening-Track ‚The Introduction‘ eher an Werke aus dem Dipset-Camp, ohne dabei aber unauthentisch zu wirken.

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„The Anthem“, eine von Dillas vier Eigenproduktionen auf dem Album, erinnert mit Guitar-Lick-Samples und eingängigen Gastparts von Frank n Dank an Produktionen aus Yanceys früher Schaffenszeit. Insgesamt fühlt sich ‚The Diary‘ wie eine hörbare Polaroid-Aufnahme des kreativen Kurses Dillas an – wie das fehlende Puzzleteil, um seine Entwicklung nachzuvollziehen.

Als designierter J-Dilla-Fanboy tritt man wohl unausweichlich mit einer gewissen Erwartung an ein solches Release heran, sehnt man sich doch ein weiteres Werk à la ‚Donuts‘ herbei. Sieht man nach erstmaligem Hören von dieser Erwartungshaltung ab und lässt sich darauf ein, was Yancey als MC mit diesem Album transportieren wollte, findet man sich mit jedem Replay letztendlich genauso erfreut kopfnickend wieder. Denn so gegensätzlich wie anfangs gedacht, verhält sich das Album nicht im Vergleich zu Yanceys Gesamtwerk. J Dilla hätte womöglich auch als MC Kultstatus erreichen können, wäre ihm die Zeit nicht auf tragische Art und Weise davongelaufen.

Oftmals haben posthum releaste Werke von Künstlern einen gewissen faden Beigeschmack, der nach finanzieller Verwertung bis hin zu Ausschlachtung des Vermächtnisses riecht. Vermutet man dasselbe bei ‚The Diary‘, wird man spätestens nach dem zweiten Durchhören eines Besseren belehrt, denn man kauft es Eothen Alapatt ab, dass J Dilla dieses Album so veröffentlichen wollte, und nicht seine Vermögensberater.

Fazit: Wer perfekt abgemischte, digital produzierte Trapbeats hören möchte, wird mit diesem Album vielleicht nicht glücklich. Wer aber schmutzige, analoge Beats und einen MC hören möchte, der sich mühelos von Bar zu Bar manövriert, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, wird seine Freude haben.

3,5 von 5 Ananasse