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Beatshizzle (Jänner/21) // Beats & Instrumentals

Beatshizzle (Jänner/21) // Beats & Instrumentals

In dieser Reihe widmen wir uns monatlich den neuen Releases der Beat- und Instrumental-Szene. Das Meer an großartigen Beats wird von Tag zu Tag größer und nur die wenigsten Produzenten erhalten gerechtfertigte Credits. Darüber hinaus gibt es regelmäßige Instrumentalreihen – viele der Projekte gehen allerdings in der Flut an Releases einfach unter und werden nicht mit eigenen Artikeln gewürdigt. Dennoch sind sie relevant genug, um ihnen eine Plattform zu bieten. Wie immer haben wir auch unsere Spotifyplaylist aktualisiert.

Einen Artikel zur „Venom“-EP von Restless Leg Syndrome findet ihr hier.

Text: Simon Huber & Simon Nowak

Madlib – Sound Ancestors

In der vergangenen Beatshizzle-Ausgabe im Duo Jahari Massamba Unit mit Karriem Riggins in Spiritual-Jazz-Gefilden unterwegs, geht es bei Madlib munter weiter. Mit „Sound Ancestors“ veröffentlichte der einflussreiche Beat-Produzent Ende Jänner sein erstes größeres Solo-Instrumentalalbum seit der 2014 erschienenen „Rock Konducta“-Compilation. Stilistisch liefert der Kalifornier mit den 16 Tracks einen kleinen Querschnitt seines Schaffens. Catchiger Boombap-Sound, trippige, verspielte Beats und Jazz-Ausflüge rund um den Globus – etwa mit einem Sample der brasilianischen Band Quartabê. Bekannte Terrains für Madlib, die er erstmals so bewusst auf einem Werk zusammengemixt haben zu scheint – in gewohnt top produzierter Manier, mit vielseitiger Samplewahl, Lockerheit und so viel Detailliertheit im Sound, dass auch beim dritten Durchlauf noch neue Elemente auffallen.

Dass die Tracks insgesamt eine Spur cleaner als von Madlib gewohnt klingen, mag auch an der Zusammenarbeit mit Kieran Hebden liegen. Der Londoner Produzent, im Electronic-Bereich unter dem Namen Four Tet bekannt, übernahm das Arrangement und Sequencing und ist damit mitverantwortlich dafür, dass sich das Album rotz der stetigen Stilwechsel gut durchhören lässt. Es entspricht den hohen Erwartungen und Madlib beweist ein weiteres Mal, dass er nach wie vor zu den herausragenden Produzenten zählt.  

Farhot – Kabul Fire Vol. 2

Während einige Diggingreisen nach Südostasien oder den Vorderen Orient und die damit verbundenen wiederkehrend die dortigen Musiklandschaften porträtieren, ist über Musik aus Afghanistan in unseren Breiten nach wie vor kaum etwas bekannt. Wer keinen familiären Bezug hat, dürfte das gebirgige – und seit Jahrzehnten von Kriegen gebeutelte Land – kulturell und musikalisch kaum am Schirm haben. Farhot, der mit Bazzazian das Produzentenduo Die Achse bildet und mit diversen Rappern zusammenarbeitet, musste im Kindesalter aus Afghanistan fliehen. Mit der Reihe „Kabul Fire“ möchte der Hamburger die dortige Kulturgeschichte in Beatform ins Zentrum rücken – und mit dem Cover auf die maßgefertigten Teppiche sowie die familiäre Teppichhändlertradition hinweisen.

Seit dem 2013 erschienenen ersten Teil hat Farhot seine Recherchen vertieft, diesmal neben alten Tracks von Popstars wie Ahmad Zahir unter anderem paschtunische Volkslieder, Vocal-Samples aus Freiheitskämpfer-Gedichten, YouTube-Clips, Sprachnachrichten der Künstlerin Moshtari Moshtari und Spielfilmen – allen voran jene des berühmten Filemachers Siddiq Barmak, zum Beispiel „Opium War“ – abgegrast und gesampelt. Dabei hat sich Farhot hörbar viel mit dem Feintuning beschäftigt. In den Tracks dringen von Tablatrommeln über Streichorchester, Klavier- und Chorklängen diverse verschiedene Elemente in den Vordergrund. Gepaart mit wohligem und leicht staubigem HipHop-Sound und teils experimentellem Flavour ergibt sich trotz des bunten Mixes ein schöner Mix. Spannendes Projekt, stimmig umgesetzt.  

Gashtla – Flight Mode

Journalistische Texte, Videografie, Fotografie und Klangtüfteleien in Beat-, Instrumental-, Rap- und Gesangsform – für Florian Wörgötter aka Gashtla dürfte es kein leichtes Unterfangen sein, eine präzise Antwort auf die Familienfest-Standardfrage „Du sog amoi, wos mochst du eigentlich?“ zu finden. Das Schaffen des in Wien lebenden Kitzbühlers ist vielfältig, ein roter Faden lässt sich im disziplinären Ramasuri dennoch schnell finden: Der Fokus liegt auf Musik und dem popkulturellen Rundherum.

Wie der Titel andeutet, hat Gashtla sein Debüt-Instrumentalalbum „Flight Mode“ ganz der Flucht vor dem stressigen Alltag gewidmet – die Vocal-Samples unterstreichen den Meditationscharakter. Fad oder eintönig ist das Album deshalb aber noch lange nicht. Mit einigen Instrumenten ausgestattet, pendelt Gasthla zwischen HipHop-, Downbeat- und Jazz-Klängen, baut dabei etwa auch mal Psych-Rock-Gitarren, Rave-Synths oder in humorvoller Manier die musikalischen Weisheiten Irrungen und Wirrungen des Jahrhundertrapidlers Hans Krankl ein.

Noyland – Neues von Damals

Obwohl seines Zeichens einer der Masterminds hinter entbs, war Noyland (aka Noy Riches) nie wirklich im Fokus der Öffentlichkeit. Er produzierte einige Untergrundklassiker, sei es das Dr3ib3einer-Projekt, „Der Anfang vom Anfang“ von Stef der Crashtest, einige der legendären „Sex Sells“-Tapes und vor allem das frühe Schaffen von Retrogott (fma Kurt Hustle).

Nachdem er erst vergangenes Jahr sein Quasi-Rapdebütalbum „Noymanns Feinstes“ veröffentlichte (davor gab es nur die 2005 erschienene nicht minder legendäre „Drauf geschissen!“-EP), blickt er nun mit „Neues von Damals“ in die besagte Ära zurück. 16 Beats, zum Teil bislang unveröffentlicht, zum Teil von diversen entbs-Releases mit unter anderem Retrogott, Sylabil Spill und O-Flow. Knisternd-warme, jazzige Produktionen und zwischendurch schöne Backflashs, wenn Beats wie „Schaumstoffgegner“ kommen und einen an zu unrecht längst vergessene Tracks erinnern.

Dolenz – Electric Fence

Nach eigenen Angaben möchte Dolenz mit der EP „Electric Fence“ seiner verschwendeten Jugend Ausdruck verleihen. Damit meint er vor allem TV-Serien wie „Doogie Howser“ oder „Ron & Stimpy“ – und natürlich reichlich HipHop. Der Londoner gießt auf acht Tracks seine Erinnerungen in schwere, bassbetonte Beats, die die Grenzen zwischen traditionellem HipHop-Gewand und später entstandenen UK-Genres wie Dubstep oder Halftime verfließen lassen. Eine Kunst, die nur wenige Produzenten auf diesem Level beherrschen. Das zeigt sich neben den Instrumentals etwa auch bei „Black Helicopter“, einer Hommage an den gleichnamigen Non-Phixion-Track mit einem Feature des Londoner Rappers Dabbla, über dessen Label Potent Funk die EP digital und als Tape erschienen ist. Black Josh ergänzt die EP mit einem weiteren Rap-Feature – wobei der Beat übers Main-Sample hinaus an „N.Y. State Of Mind“ referenziert.

Robohands – Shapes

„Shapes“ von Robohands ist kein klassisches HipHop-Instrumentalalbum, viel mehr ein Beweis dafür, wie verschiedene Genres sich gegenseitig inspirieren und beeinflussen. Andy Baxter, so sein bürgerlicher Name, ist ein Londoner Multiinstrumentalist, der bereits mit seinem Debüt „Green“ 2018 große Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Spielerisch kombiniert er Einflüsse aus Jazz und Krautrock mit Ambientsounds, eine Kombination, die man in der Form nicht allzu oft hört. Nun erschien das bereits dritte Album „Shapes“. Die Drums, Keys, Gitarre, Flöte und sogar Xaphoon hat er dabei selbst eingespielt, alle Tracks arrangiert und sich für einige Tracks die musikalische Unterstützung anderer Instrumentalist*innen und Sänger*innen geholt.

Dixon Hill – Holodeck Beats: Program 3

Benannt nach einem fiktiven Detektiv im Star-Trek-Universum, ist Dixon Hill seit seinem 2019 erschienenen Album „Actus Reus“ mit dem verdienten Detroiter MC Guilty Simpson auf unserem Radar. Im Jänner ergänzte der US-Produzent seine Reihe „Holodeck Beats“ um einen dritten Teil. Wie Titel und Cover andeuten, dringt sein Faible fürs Kosmische auch auf dem neuen Album durch. Dixon Hill setzt auf den 16 Tracks wie gewohnt auf schweren, aber durchaus nuancierten Boombap-Sound mit wiederkehrenden Sci-Fi-Samples. Mal etwas smoother und jazziger, mal als richtige Headnodder. Ein weiteres sehr ordentliches Release in seiner Diskografie. Fürs laufende Jahr kündigt der Produzent übrigens noch Kollaboalben mit A.G. von D.I.T.C. und Noveliss von den Clear Soul Forces an.

MR. FREED x MF DOOM – Tribute Remixes

Das Jahr 2020 endete für Musik-Liebhaber*innen mit einem Schock – mit „Metal Face“ MF DOOM verstarb einer der außergewöhnlichsten Charaktere der HipHop-Welt. Besonders in Erinnerung bleiben seine herausragenden Alben „Operation: Doomsday“, „Mm.. Food“ sowie sein Opus Magnum „Midvillainy“ mit Madlib. Neben Klassikern wie „Figaro“ hat Chill-Ill unter seinem neuen Alias Mr. Freed für seine Hommage einen etwas tieferen Blick in die Diskografie von MF DOOM gewagt. So hat der in Linz lebende Produzent etwa Remixes zu „My Favorite Ladies“ von „The Prof Meets The SUPER VILLAIN“, „2 Stings“ von „WestSide Doom“ mit Westside Gunn sowie dem Projekt Blend Crafters vereint und nebenbei auch jeweils als Instrumentals zum Free Download veröffentlicht.

Vienna – Shared Space

Ein neuer Produzent aus Wien? Der Name hat uns zunächst aufhorchen lassen, hinter dem Pseudonym Vienna verbirgt sich jedoch ein kanadischer Produzent aus Montreal. Die ungeteilte Aufmerksamkeit war trotzdem da und wenn Radio Juicy involviert ist, kann es schonmal nicht allzu verkehrt sein. Und tatsächlich ist „Shared Space“ ein Album, das aus der Masse herausragt. Wunderschönes Cover und keiner der 14 Beats klingt irgendwie austauschbar oder nach dem anderen. Alle sind in Zeiten der Coronapandemie entstanden und stehen somit sinnbildlich für das vergangene Jahr. Gemastert wurde das ganze vom guten SterilOne in Wien, so schließt sich dann doch irgendwie der Kreis.

Koralle – Fonografie

Coroni hittet uns nach wie vor alle hart, besonders schwierig in Europa war die Situation zu Beginn im italienischen Bologna, der Heimatstadt des italienischen Produzenten Koralle. Aber da in allem Schlechtem auch was Gutes steckt, hat dieser die Zeit gut genutzt und sein zweites Album „Fonografie“ zu produzieren, das über das deutsche Label Melting Pot Music erscheint. Bereits die Singles mit vielen Kollaborationen mit anderen Produzenten (Twit One), zahlreichen Rappern (Anti Lilly, Turt, Isatta Sheriff) und Instrumentalisten waren auf diversen Streamingplattformen große Erfolge und auf Albumlänge ergibt sich ein rundum gelungener Blueprint modernen Jazz-Hops.

Fifth Element (Bloodline Genesis) – New Generation

Der Crew Black Money Boys DeathRow rund um SpaceGhostPurrp entspringt Bloodline Genesis, der seit 2019 Fifth Element genannt werden will. In den vergangenen Jahren trat er vor allem auf Soundcloud mit Florida-Drill-Beats im Zusammenspiel mit Leuten aus diesem Umfeld in Erscheinung. Mit „Next Generation“ veröffentlichte er kürzlich sein zweites Soloalbum nach „Demon nor Angel“, das gewohnt düstere, sphärische Trap-Sounds mit besonderem Augenmerk auf Drum-Pattern und Melodien bietet.

Jay Baez – Flickenteppich

Nachdem bereits im Dezember ein gleichnamiger Track mit Prezident erschienen ist, veröffentlichte Jay Baez mit „Flickenteppich“ eine neue kleine EP in kurzer Zeit. Diese umfasst fünf Tracks, wovon einer das Instrumental zu besagtem Track ist. In den letzten Jahren durften nur wenige Rapper Jay Baez-Produktionen berappen, darunter etwa Prezident oder Vandalismus und auch solo erschien wenig, trotzdem hat er es mit seinen meist atmosphärischen Klängen zu einem der einzigartigsten Produzenten im deutschen Untergrund geschafft. Schön zu sehen, dass es vielleicht in Zukunft eventuell auch ein paar mehr Instrumentalreleases geben könnte.

Dezi-Belle

Natürlich darf wie immer Dezi-Belle nicht fehlen: drei neue Alben kamen im Januar über das Berliner Label. Q-Cut veröffentlicht mit „Frigid“ diesmal zwar „nur“ eine 7″ mit sechs Tracks, die sich thematisch um den Winter und Kälte drehen – wenngleich „frigide“ in seinem eigentlichen Wortsinn nicht unbedingt temperaturbezogen ist und auch in den Tracktitel mit dieser Zweideutigkeit gespielt wird. Unabhängig davon liefert Q-Cut seinen Signaturesound auf kurzweiligen, elektronisch angehauchten Tracks. Oskar Hahn hingegen ist wieder ohne seinen Vater musikalisch unterwegs, mit dem er zuletzt die Alben „Vater & Sohn“ & „Vater & Sohn 2“ veröffentlicht hat und teamt stattdessen mit Roboti Niro, der ebenfalls in Göttingen lebt und die man beide bereits auf Produktionen aus dem Hause Durch Drauf! kennt. Für Johannes Onetake scheint 2021 musikalisch auch gut zu starten. Neben einem neuen Punkt&Komma-Album, bei dem er wie zuletzt vorrangig als Rapper und nur teils als Produzent in Erscheinung tritt, veröffentlichte er mit „About Ambition And How To Overcome It“ sein mittlerweile zweites Instrumentalalbum, deren Tracks aufgrund der Lo-Fi-Ästhetik und Relaxtheit ohnehin schwer zu berappen wären, solo dafür umso besser funktionieren.

Jules Hiero – Bento Box

Kurz und knackig kommt die EP „Bento Box“ des in Wien lebenden Deutsch-Griechen Jules Hiero daher, die in ihrer Kürze dennoch eine große Bandbreite abdeckt. Zu Beginn noch recht funky, endet es mit „Snow Days“ recht entspannt, wenngleich in beiden Fällen vorrangig Blechbläser zum Einsatz kommen. Er hat seine musikalische Heimat beim Berliner Label Krekpek gefunden, wo er zuletzt unter anderem einen Beat zum neuen MC-Rene-Album „Irgendwas stimmt“ beigesteuert hat.

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