Reisen erweitert den Horizont. Ein weiteres, schönes Beispiel dafür, dass diese Lebensweisheit sich bestätigt, ist der Betriebsausflug der Stone Throw Soldiers und befreundeter Turntablisten ins ferne Südamerika, genauer Brasilien. 2002 haben sich Madlib, J.Rocc, Egon, Cut Chemist und DJ Babu auf gemacht, um der Einladung von Bryan Cross zufolgen, und ein musikalisches Experiment anzugehen. Die Hip Hop-Vituosen und Plattenkratzer sollten live ihre Musik mit den traditionellen Brasil-Percussions fusionieren. Das Resultat ist letztes Jahr auf DVD erschienen und dokumentiert wie HipHop, Jazz und Brasil auf einander treffen. Das Ergebnis war keine Symbiose im klassischen Sinn aber spannend alle mal. (Anm. d. Red.: „Brasilintime“ – The Message berichtete ausführlich. Der Film wurde auch auf Initiative von TM im Schikaneder Kino Anfang des Jahres gezeigt.) Einen hat dieses Treffen wohl am Tiefsten berührt. Der kalifornische, freigeistliche Beatbastler Madlib überrascht und versorgt die open-minded Headz seit Jahren mit ausergewöhnlichen Beatkombinationen und Variationen. Madlib ist nicht nur passionierter Plattensammler, sondern er scheint diese auch am fruchtbarsten ausschöpfen zu können. Seine Liebe zu abstraktem, abgespactem Jazz kennt man bereits. Neu ist, dass er eine innige Zuneigung zu dem Sound Brasiliens der 60er und 70er Jahre hegt. Überrascht ist man bei Madlib über nichts mehr – eher neugierig welche neue musikalischen Ergüsse daraus resultieren werden. Obskure wie völlig wahnwitzige bis genialste Einwürfe aus Indien und Afrika hat von man bereits von ihm kennen gelernt. Nun also das fünftgrößte Land der Erde. Die Heimat von Sergio Mendes, Gilberto Gil und Azymuth.
Azymuth, war die Band, die vor allem in den 70er Jahren einflussreiche Releases veröffentlicht. Ivan „Mamão“ Conti ist der legendäre Schlagzeuger und somit Rhythmusgeber der Combo. Beim Zusammentreffen mit Madlib bei dem „Brasilintime“-Projekt waren beide von der kreativen Energie des anderen so beeindruckt, dass man beschloss zusammen zu arbeiten. Otis Jackson Jr. alias Madlib fütterte seine MPC sogleich mit seinen Impressionen vom Urlaub und hat, inspiriert von den Originalen Azymuths etwas Neues geschaffen. Das heisst „Sujinho“ und wird wohl mehr die Fans des Brasil-Altmeisters als die des HipHop begeistern. Wer aber einen mutigen Blick in dieses 15 Track starke Kollobrationsalbum wagt, wird sehen, dass die unterschiedlichen Kulturen sich durchaus ergänzen können. In der Liebe zum Jazz vereint erschaffen sie Jackson Conti, einen Mischling, der nur nochmals aufzeigt, welche Ausnahmestellung Madlib nach dem Tod J.Dillas inzwischen inne hat – und vor allem wie imponierend autark er nur seinen Ideen nachgeht und nicht den Strukturen und Mechanismen der HipHop-Industrie. Diese Unabhängigkeit und einzigartige Kreativität beeinflussen natürlich auch dieses Projekt – nur hat er sich seinen Hang zu verkifft-vertrackten, schweren Brettern etwas verkniffen – wohl auch aus tiefstem Respekt vor der großen Musikerikone Brasiliens. Geschadet hat es nicht. Die Platte ist wirklich gut geworden – vor allem für Menschen die Jazz nicht für einen Softdrink halten.
Peter Hagen
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