Im Rahmen der Vintage Message-Serie stellen wir einige Highlights aus der 13-jährigen Geschichte des Message Magazins vor. Ausgabe eins gehört dem mittlerweile verstorbenen Großmeister Joe Zawinul, der im Jahr 2004 von Geri Schuller interviewt wurde. Und zwar so gut, dass es The Message damals immerhin ein Zitat im Nachrichtenmagazin Profil einbrachte. Es dürfte wohl eines der letzten ausführlichen Interviews mit Zawinul sein, in dem die Musik im Vordergrund steht. Das Interview stand schon geraumer Zeit im Fundus der alten Message-Seite online. Anlässlich der Umgestaltung der Website freuen wir uns, es abgestaubt und lesbarer präsentieren zu können. Viel Vergnügen!
The Messengers
Sie kamen in die USA, als Sie in Österreich bereits ein sehr erfolgreicher und arrivierter Jazzmusiker waren, woher kam aber der Blues- und Gospelbackground? Gab es in Wien Gospelschallplatten oder -konzerte?
Joe Zawinul: Wir hatten mit Fatty George einen Gospelsänger, ich hatte auch gespielt mit einer Sängerin namens Camilla Williams, eine Opernsängerin, die nach Wien gekommen war und Gershwin und Spirituals gesungen hat, das war ein guter Lernprozess. Solche Musiker wie wir damals in Wien gibt es heute nicht mehr, wir haben das Tag und Nacht gelebt, gespielt, Platten angehört, alles. Ich habe Erfahrungen gesammelt, Fatty George hatte eine Superband, überraschend, wenn man sich das heute anhört. Oskar Klein war dabei, sehr erfahren, weil er während dem Krieg in der Schweiz gelebt hatte, wo Jazzmusik zugänglich war, King Oliver, Louis Armstrong, er hatte alles drauf. Wien war eine wunderbare Lehre.
Hat man in Wien z. B. Mahalia Jackson gekannt?
Joe Zawinul: Man hat davon gehört, aber es nicht gehört.
Wo und wann haben Sie den Gospelstil also aufgesogen, der in Ihrer späteren Arbeit zu Tage getreten ist – vielleicht bei Gospelmessen in den Staaten?
Joe Zawinul: Ja, das auch, aber ich habe das alles draufgehabt. Ich habe alles gespielt, das war eine einfache Sache. Ich habe nur mit Schwarzen gelebt, gewohnt und gespielt, eine rasante Assimilation. Ich habe nach zwei, drei Monaten Aufenthalt in Amerika begonnen, mit Dinah Washington zu arbeiten, die Königin des Blues. Wir haben viel im Süden gespielt, mit David „Fathead“ Newman, Ray Charles … Blues- und gospelbeeinflusste Musik.
Hatten Sie nie das Gefühl, zuwenig kulturellen Background für diese Musik zu haben?
Joe Zawinul: Nein. Komisch, denn damals hat ein großer Musikrassismus geherrscht bei den Schwarzen, es hieß, die Weißen könnten nicht spielen. Ich bin da hineingekommen und habe die Barrieren niedergebrochen, ich wurde akzeptiert.
War das für Sie als Europäer leichter? Hatten Sie mehr Respekt vor der schwarzen Musik?
Joe Zawinul: Nein, das hatte eher mit dem Ausdruck der Musik zu tun. Respekt vor der schwarzen Musik hatten all die Weißen, aber sie konnten sie nicht spielen. Ich habe damals auch kopiert und gespielt wie alle anderen, Bebop, aber besonders gut.
Sie haben mal von gemeinsamen Übungssessions mit Barry Harris gesprochen.
Joe Zawinul: Jeden Tag! Das hat sich aufgehört, als ich schon bei Cannonball Adderley spielte, für dessen Band auch Barry gespielt hat. Ich sah ihn eines Tages vor dem New Yorker Birdland aus dem Taxi aussteigen, und er meinte zu mir: „Ich habe gerade was interessantes gehört, ein Cannonball Adderley Stück, und ich hätte schwören können, ich wäre der Pianist gewesen, dabei warst du es. Gratulation!“ Barry war der berühmteste Bebop-Klavierspieler, nachdem Bud Powell bereits am Ende oder gar gestorben war. Ich dachte über Harris’ Worte nach, der selber nur ein Epigone war, bestellte mir sofort ein Taxi, um daheim alle meine Platten wegzuräumen. Ich habe aufgehört, Musik zu hören, bis heute! Ich war noch weitere fünf, sechs Jahre Sideman, aber ich spielte nie wieder so wie vorher. Ich hatte eine kleine Krise. Jede Phrase, die mir einfiel, verwarf ich, um etwas anderes zu spielen. So gegen Ende 1966 fing ich an, unheimlich viel zu schreiben, in meinem eigenen Stil, das hatte ich zuvor nur für die Spielerei getan.
1967 kam dann ja „The Rise And Fall Of The Third Stream“ heraus …
Joe Zawinul: Ist das damals rausgekommen? Ich hatte ja vorher schon Platten aufgenommen, „Money In The Pocket“, das wurde 1963 aufgenommen. Ich fing also in Wien zu schreiben an – „In a Silent Way“ zum Beispiel, das war 1968.
John McLaughlin meinte in einem Interview, Ihre Originalnoten wären relativ kompliziert gewesen und Miles Davis hätte die vielen Harmonien gestrichen und einfach durch E-Dur ersetzt.
Joe Zawinul: Nein, das stimmt nicht. Das waren zwei Teile, eine Einleitung … du kannst es dir anhören, auf dem „Zawinul“-Album von 1970. Ich habe es immer in E-Dur gehabt mit einer Pedalnote. Der erste Teil war eine Einleitung, ich wollte aber nicht, dass Miles sie verwendet.
Eine radikale Entscheidung, einen Teil einer Komposition bei einer wichtigen Aufnahmesession wegzulassen.
Joe Zawinul: Ich wollte, dass es anders war. Tage vorher war ich bei Miles und wir entschieden, was wir davon verwenden würden. Die Band hat einfach nichts davon gewusst.
Also war die Session nicht so spontan, wie oft behauptet wird?
Joe Zawinul: Es war total spontan, aber „In a Silent Way“ war geschrieben. Es gibt keinen großen Unterschied zwischen Miles’ und meiner Version. Mir gefällt meine Version besser, die lange Version von Miles ist mir zu fad.
Die Aufnahmesession zu „In a Silent Way“ resultierte angeblich in zwei Stunden Musik, und wurde dann vom Produzenten Teo Macero auf zweimal 40 Minuten gekürzt, zusammen mit Miles noch einmal auf zweimal neun Minuten, anschließend mussten einzelne Passagen verdoppelt werden, um überhaupt auf die Laufzeit einer LP zu kommen.
Joe Zawinul: Ja ja, kann alles möglich sein, mir hat das ehrlich gesagt sowieso nie gefallen, zu lang.
Bill Laswell hat für das „Panthalassa“ Remix Album ja „In a Silent Way“ neu geschnitten, aus den Originalbändern. Haben Sie das gehört?
Joe Zawinul: Nein, aber ich weiß davon.
Er ist sehr vorsichtig damit umgegangen und hat nicht viel verändert.
Joe Zawinul: Bill ist sehr gut, er macht jetzt eine „Best of Syndicate“.
Wie stehen Sie zu Remixes generell, würden Sie so etwas auch selber machen?
Joe Zawinul: Selber nicht, aber mir gefällt die Idee. Die Musik war super, und einer wie Laswell kann sie somit einem jüngeren Publikum näher bringen. Miles ließ mich nach einer „Bitches Brew“-Session mit der Limousine mitfahren, und ich sprach kein Wort. Er fragte mich, ob ich denn nicht begeistert sei, und ich entgegnete, dass mir alles zu lang sei. Ich war nur in Powerbands, wo alles nicht so rausgezogen wurde. „Pharao’s Dance“, wie lange, 20 Minuten? Des is mir am Orsch gangen. Aber, ich habe alle Basslinien geschrieben und versucht, es damit lebhafter zu machen.
Was? Die sind alle von Ihnen? (singt ein Riff aus „Pharao’s Dance“)
Joe Zawinul: (antwortet mit einem Riff aus „Miles Runs The Voodoo Down“) Ja, und das ist auch von mir. Das interessante an „Bitches Brew“ aber war, dass es mir bei den Aufnahmen überhaupt nicht gefallen hat. Einmal ging ich – es waren bereits die Weather-Report-Zeiten – zu CBS, und ich hörte aus einem Office diese super Musik. Ich ging rein, und da saß die Sekretärin von Teo Macero. Ich fragte sie, was das sei – mein Ding! Mir gefällt das Original aber besser als die Version von Teo, dem Remixer.
Ich gehe zurück zu Ihrem ersten Soloalbum „Money In The Pocket“, wie ist man damals an einen Plattenvertrag gekommen?
Joe Zawinul: Es hat nie einen Vertrag gegeben, nur Handschlag, das ist besser. Wenn die Platte gut läuft, macht man noch eine. Ich wollte nicht gebunden sein.
Wie sah es mit Royalties aus – Beteiligung am Verkauf oder Geld für die Bänder?
Joe Zawinul: Für alle meine Stücke habe ich natürlich Beteiligung bekommen, Tantiemen.
Und die Plattenfirma hat immer brav gezahlt?
Joe Zawinul: So ist es.
Wie kamen Sie zu Atlantic Records?
Joe Zawinul: Ich habe oft gespielt für Atlantic, mit Aretha Franklin, David Newman, und anderen dort unter Vertrag stehenden Künstlern. Ich habe aber nur die Sessions gespielt, die musikalisch für mich interessant waren, denn ich wusste genau, was ich machen wollte. Atlantic hat mir dann einen Vertrag für drei Alben angeboten, aber ich wollte nicht unterschreiben.
Wie ist später der Deal mit CBS abgelaufen?
Joe Zawinul: Ich bin mit Wayne Shorter zu Clive Davis (damaliger Präsident von CBS, Anm.) gegangen, und wir unterschrieben einen Vertrag. Es war leichter, weil ich bereits zwei Platten mit Miles gemacht und meine Sideman-Funktion bei Cannonball beendet hatte. Ich wollte eine eigende Band gründen, hatte drei Kinder, musste etwas weiterbringen. Außerdem wollte ich meine Musik unbeeinflusst selber spielen und sehen, ob es das wert ist. Wenn jemand anderer deine Musik interpretiert, ist es nie dasselbe. Ich war bei Cannonballs Band nur der Musical Director, habe die Kompositionen gebracht und mich um die Arrangements gekümmert und zirka 60 Kompositionen mit dieser Band aufgenommen. Nach den Aufnahmen zu „In a Silent Way“ war Wayne nicht mehr in Miles’ Liveband, wir waren aber sehr gut befreundet und haben gemeinsam bei Maynard Ferguson gespielt, unsere Frauen verstanden sich auch sehr gut. Ich fragte ihn, was er so machte, und er erzählte mir von seiner eben gegründeten Band mit Chick Corea und Roy Haynes, und dass er ihnen immer erklären musste, wie sie seine Musik zu spielen hätten. Komischerweise haben Wayne Shorter und ich unabhängig voneinander die Musik revolutioniert, die Zahl der Takte, ich habe nie einen Mittelteil geschrieben, vielleicht zwei Takte. Ich und Wayne waren bei „In a Silent Way“ dabei, ich brachte zehn oder zwölf Stücke zu Miles, die übrigens bald erscheinen werden. Jetzt ist ein Stück namens „Early Minor“ erschienen, ein super Stück von Miles, weiters „Directions“, das kommt jetzt raus auf „Live from Salvador“, in acht Versionen! Miles hat immer Medleys gespielt, er fing immer an mit „Directions“, das war zehn Jahre lang sein Theme Song. Er rief mich manchmal um vier in der Früh an, ich nahm den Hörer und hörte nur Musik, ich sagte „Hallo?“, und es ging (imitiert Miles’ heisere Stimme): „Eeeey, that’s you!“ Ich beschwerte mich über die nächtliche Störung, er verschwand nur und ließ das Band laufen. Superlustiger Bursch! Gestern sah ich das Video seines letzten Konzerts in Paris, ich spielte bei „In a Silent Way“ mit Wanye Shorter, Richard Patterson am Bass. Super, so leiwand, hat mir wirklich getaugt, also Prost (hebt sein Gläschen Schnaps)!
Haben Sie die Entwicklung von Miles Davis in den Achtzigern mitverfolgt, nach seinem Comeback?
Joe Zawinul: Sehr wenig, wie gesagt, ich höre keine Platten. Live habe ich ihn immer wieder gesehen. Einige Jahre ist er ja zurückgetreten, wann immer ich in New York gespielt habe, bin ich zu „Zabars“ gegangen, ein weltberühmtes Deli, und habe ihm dort etwas zu Essen gekauft, denn er sah erbärmlich aus, nahm Drogen. Seine Kleidung war zerfetzt und dreckig, verwunderlich, denn er war immer ein Weltmeister im Anziehen gewesen. Vor uns, Weather Report, hat er sich gefurchten, sein Ideal war, das schwarze Publikum in Amerika zu fesseln, das konnte er nicht. Später mehr als früher, denn zuerst waren es eher weiße Studenten, die seine Musik hörten – die Band mit Herbie, Wayne und Tony Williams. Wir hatten riesigen Erfolg bei den Schwarzen mit Weather Report, haben die Leute von den Straßen angesprochen mit intelligenter Musik, aber anders. Er hat es nach seiner Rückkehr auch erreicht, aber nicht so sehr wie wir, unsere Hörerschaft war zu 75 Prozent schwarz. Miles war wirklich o. k., einer meiner besten Freunde aller Zeiten. Wir sind zusammen boxen gegangen. Ich kam nach Amerika mit 26, er war 31. Ihm gefiel mein Spiel für Dinah Washington. Obwohl ich zehn Jahre musikalisch nichts gemacht habe, war er immer dort, wo ich war. Einmal war es lustig: „Mercy, Mercy“ war rausgekommen, und ihm hatte mein Spiel auf dem neuen Fender Rhodes Piano so gefallen, dass er uns nach Mexiko City nachreiste, um das Cannonball-Adderley-Konzert in der Oper zu sehen. Ich steckte das Instrument an und es brannte durch, ich konnte es gar nicht verwenden. Er sagte, „Ich kaufte mir einen neuen Anzug, ging zum Frisör und flog nach Mexiko City, um es zu hören … der eigentliche Grund war aber der Anzug.“
Zurück zu den Anfängen von Weather Report: Sie und Wayne Shorter sind zu Clive Davis gegangen und haben gesagt, wir gründen eine neue Band?
Joe Zawinul: Wir hatten einen Manager, Sid Bernstein, der hat die Beatles nach Amerika gebracht. Immer, wenn ich etwas machte, wollte ich es richtig machen. Bei der Zawinul-Platte hatte ich den Picasso angerufen, damit er mir ein Cover malt. Und Ansel Adams, weißt du, wer das war? Der größte SW-Fotograf überhaupt. Die Platte war im Grunde genommen traurig, einige Geschichten, z. B. Abschiednehmen vom Großvater. Ich hatte Adams also angerufen, und er schickte mir sein Portfolio, ich konnte aber nichts davon gebrauchen – tote Bäume im Sumpf und so, zu negativ. Wir haben uns entschlossen für eine Aufnahme im River Park. So habe ich immer gedacht, und Miles war eigentlich genauso. Clive Davis wusste von meiner Arbeit bei Miles, außerdem kannte er meine Hits mit Cannonball Adderley, „Mercy, Mercy“ oder „Country Preacher“, und Wayne hatte auch viel mit Miles geschrieben. Bernstein hatte aber keine Ahnung von uns oder unserer Musik. Wir saßen also bei Clive im Büro mit dem 160-Kilogramm-Manager, der nichts sagen konnte, also redete ich, und wir bekamen einen 90.000-Dollar-Vertrag, viel Geld für uns damals. Die erste Platte war in drei Tagen aufgenommen und gemischt, fertig!
Miroslav Vitous hat Bass gespielt.
Joe Zawinul: Genau, der war damals ein Partner. Wir drei, Alphonse Mouzon, Airto, der aber kein Teil der Band war und nur auf der Platte gespielt hat. Wir haben nicht mal gewusst, was wir machen werden. Jeder hat ein bisschen was gebracht, einige Takte, und wir haben darüber improvisiert, einige Motive. Aber es wurde die Platte des Jahres, Downbeat wählte uns als die beste Band, usw. Sid Bernstein hatte aber keine Ahnung, wie er uns verkaufen sollte, die Gigs flogen uns zu, aber wir mussten ihm immer seine zehn Prozent geben. Eines Tages sagte ich zu Sid, dass es so nicht weitergehen konnte, worauf er sagte, er würde uns gehen lassen, aber dafür wollte er zehn Prozent von unserer Zukunft. Ich verneinte, die Sache machte die Runde, und schließlich standen wir ohne Management da, es war schwierig in diesem Geschäft. Die zweite Platte, „I Sing the Body Electric“, wurde teilweise live in Japan aufgenommen, jede Platte sollte anders sein. Die dritte Platte war die mit dem HipHop-Beat, „Sweetnighter“.
Es fällt auf, dass von der ersten bis vierten Platte eine Entwicklung von einem sehr rauen, gejammten Sound zu immer strengeren kompositorischen Methoden auszumachen ist.
Joe Zawinul: Es gab uns ein Plateau, wir haben die Jam-Kultur erfunden und anfangs nur improvisiert. Wir wollten das Kompositorische auch ein wenig ausweiten.
„Sweetnighter“ ist aber die Platte, auf der der „Weather-Report-Stil“ das erste Mal sichtbar wird.
Joe Zawinul: Genau, der Grund war aber ein neuer Bassist. Miroslav ist ein super Musiker bis heute, aber diese Elemente hat er nicht gehabt, also ließen wir ihn gehen. Dann spielten wir in Philadelphia und hörten Alphonso Johnson, und ich wusste, er war der Richtige.
Ich habe den Eindruck, dass die Bassisten bei all Ihren Bands eine gewisse Sonderstellung einnehmen, haben sie mehr Freiheiten als die anderen Musiker?
Joe Zawinul: Wenig.
Die Bassisten drücken aber einen Stempel auf, man kann beinahe von einer Alphonso Johnson- oder Jaco-Phase sprechen.
Joe Zawinul: Die waren immer meine linke Hand. Wir hatten keinen Gitarristen, mussten alles selber spielen. Wir haben echt völlig gespielt in einem Quartett, wenn du dir das heute anhörst, fehlt dir nichts!
Muss ein ziemlicher Stress gewesen sein.
Joe Zawinul: Überhaupt kein Stress, das war für mich die größte Freiheit.
Aber rein technisch, allein das Wechseln der Soundprogramme?
Joe Zawinul: Das war schwierig! Mit MIDI (Musical Instrument Digital Interface, Anm.) ist ja alles einfacher geworden, aber am Anfang hat das auch nicht funktioniert. Früher trug ich die Kabeln um den Hals, man hat nie relaxed ausgesehen, ständig war etwas zu machen. Ich habe auch die erste Inversion gemacht, die Tastatur umgedreht (sodass der tiefste Ton am rechten Ende der Tastatur zu liegen kommt, Anm.).
Zurück zu Cannonball Adderley, was konnte man von ihm lernen?
Joe Zawinul: Was man eben lernt von einem großen Musiker, ein enorm großer Musiker. Er hat auch, so wie Ellington, mit den Leuten reden können, er hatte einen Schmäh, Weltanschauung, man hat über alles mit ihm reden können. Über die französische Revolution, über Metternich, Napoleon, Politik … solche Gespräche. Wir haben über Indochina geredet, lange vor dem Vietnam Krieg. Er war ein interessanter Typ, total gescheit, hat besser gespielt als alle anderen. Jetzt sollte eine Platte rauskommen, „Cannonball plays Zawinul“, super. Da kannst du hören, wie er wirklich gespielt hat. Gestern sah ich eine Konzertaufnahme von 1963 in Frankfurt mit Yussef Lateef, Wahnsinn. Wenn du mit ihm spieltest, musstest du was draufhaben. Die haben Tempi gespielt, so was gibt es heutzutage gar nicht mehr, heute werden tausend Noten gespielt, das heißt im Grunde nichts. Damals hat es hunderte Talente gegeben, heute sind es vielleicht zwei, drei. Jeder hatte einen eigenen Stil in Amerika. Es gab einige von der Bud Powell Schule, die den gleichen Stil wie ich spielten, aber nicht das volle Konzept hatten. Ich war woanders aufgewachsen und hatte immer schon einen sehr guten Rhythmus, außerdem war ich harmonisch woanders, das gefiel Cannonball, vorher spielte er viel mit Bill Evans.
Bill Evans legte immer viel Wert auf Stimmführung, er hat das Ganze nicht nur vertikal betrachtet, sondern achtete auch auf einen logischen Fluss von einer Note zur nächsten, sehen Sie sich auch so?
Joe Zawinul: Natürlich. Analysieren tut man aber später, meine ganzen Kompositionen sind Improvisationen. Wayne Shorter ist ein super Komponist, der braucht manchmal für einen Takt drei Tage, oder Gil Evans.
Eine Frage zu Cannonball’s Discographie, er hatte diese Besetzung mit Yussef Lateef und Charles Lloyd, das war ausgewachsener, hochenergetischer, modaler Jazz, ab 1965 bemerkt man eine sukzessive Hinwendung zu traditionellen Stilen wie alten Blues und Gospel, in den Siebzigern dann zu Afrika und Lateinamerika. Haben Sie diese Wendung um ‘65 bewusst wahrgenommen, war das politisch motiviert, hatte das mit der Bürgerrechtsbewegung zu tun?
Joe Zawinul: Das hatte schon damit zu tun, ich habe sehr viel gearbeitet in der Bewegung, habe ein Stück für Jesse Jackson geschrieben, aber heute würde ich sowas nicht mehr machen. Ich denke, er hat sehr viel kaputt gemacht mit seiner Philosophie, aber damals war er der Leader eines wirklich positiven Movements – „Operation Breadbasket“ hat das geheißen.
Das war ja auch der Aufhänger für Cannonball’s „Country Preacher“ Album, ein fund-raising-Konzert.
Joe Zawinul: Ja, genau. Und da hat sich natürlich die Musik … als ich mit Dinah spielte im Süden, war das wegen der Rassentrennung auch sehr gefährlich … aber wir könnten jetzt 24 Stunden Minimum darüber reden, schau dir das Zawinul-Buch vom Baumann an, da stehen sehr viele von diesen Geschichten drinnen.
Cannonball hat, nach Ihrem Ausscheiden aus seiner Band, einige Alben mit David Axelrod aufgenommen, haben Sie ihn jemals getroffen?
Joe Zawinul: Ja, sicher, ich habe mit ihm vorige Woche gesprochen, weil ich dachte, er sei gestorben! Er war Produzent für Capitol Records und Komponist. Komponieren ist so eine Geschmackssache, man kann ihn weder als schlechten noch als guten Komponisten bezeichnen, denn das kann niemand beurteilen, entweder es gefällt dir oder es gefällt dir nicht. Mir hat es im Grunde genommen nicht gefallen, ich habe ihn einige Male dirigieren sehen, das konnte er einfach nicht, aber er war ein sehr klasser Bursch, und ich bin froh, dass er lebt. David war Alkoholiker, sein Sohn ist gestorben, hat sich zu Tode getrunken.
David Axelrod ist in HipHop-Zirkeln mittlerweile eine Kultfigur, seine Produktionen wurden sehr oft gesampelt.
Joe Zawinul: Wirklich wahr? Das habe ich gar nicht gewusst.
Was hat ihn qualifiziert, dass er Chefarrangeur für Capitol geworden ist?
Joe Zawinul: Er war kein Chefarrangeur, sondern Produzent. Er hat einmal ein Konzert geschrieben für Quintett und Orchester, das haben wir mal aufgenommen, es war o. k.
Also aus Ihrer Sicht war er einfach nur ein braver Handwerker?
Joe Zawinul: Ja, nicht mehr, bis heute. Nachdem ich von Cannonball weggegangen war, übernahm er die Aufgabe, viele dieser Themen zu schreiben. Wir sprachen vorige Woche, und er meinte, dass ich einmal auf einem seiner Stücke ein Solo gespielt hätte, auf dem Jazzfest Montreux, und es sei für ihn das größte Klaviersolo aller Zeiten. Ich habe ihn in den Siebzigern mehrere Male bei den Boxkämpfen gesehen, er war auch ein Boxfan.
(An dieser Stelle war die zur Verfügung stehende Interviewzeit eigentlich abgelaufen. Auf meine unglückliche Miene und der Bemerkung, dass noch einige Fragen offen wären, antwortete Joe Zawinul schließlich: „Weißt du was, hier hast du meine Nummer. Ruf mich nächste Woche zu Hause an!“ Der zweite Teil des Gesprächs wurde also auf telefonischem Wege geführt.)
Wer sich mit elektronischer Musik beschäftigt, bemerkt oft einen Konflikt zwischen den Aspekten des Sounddesigns und denen der eigentlichen Komposition. Oft verzettelt sich der Musiker im Klanglichen und vergisst darüber den Song. Kennen Sie dieses Problem, und wie gehen Sie damit um?
Joe Zawinul: Überhaupt nicht. Ich komponiere nur, wenn ich einen Sound habe, der mir was gibt, womit ich sprechen kann. Also habe ich auch keinen Konflikt, wenn ich die Frage richtig verstanden habe.
Und im Studio, bei den Overdubs?
Joe Zawinul: Nein, die Overdubs sind nur ein Teil dessen, was ich schon improvisiert habe. Verstehst du, was ich meine, im Grunde genommen spiele ich ja nicht mehr. Wenn die anderen Musiker draufspielen, ist das alles schon fertig. Und ich kann dir ganz ehrlich was sagen: die originalen (Keyboard Tracks, Anm.) sind immer noch besser, als was dann gespielt wird, auch von Leuten wie dem Paco Sery, weil die geben noch ein bissl was eigenes dazu. Wenn zum Beispiel eine neue Komposition ensteht, wo ich mit den Drums anfange, mit einer Drum-Improvisation, dann hat das ganz einen anderen Fluss, verstehst du, was ich meine? Ich hab sehr viel neue Musik, die ich leider nicht spielen kann on stage, weil das zwei Tage später als CD herauskommen würde. Also muss ich ein bisschen vorsichtig sein. Aber jetzt hab ich zum Beispiel eine CD vorbereitet, ungefähr fünzig Stücke aus einer großen, großen Zahl von Improvisationen, und die werden dann narrowed sozusagen, zusammengeschnitten. Aber das ist eigentlich alles fertig. Und wenn ich das selber spiele, hat das so viel mehr mit der Musik zu tun, mit der Komposition. Diesmal wird es schon Gastmusiker geben, aber in der Rhythmusgruppe wahrscheinlich nicht, sodass ich alles selber spiele, um die Komposition noch echter zu machen. Weil im Moment, wenn dann ein Anderer draufspielt, dann kommt immer ein bisserl eine Persönlichkeit dazu, die sehr wichtig ist, wenn wir auf der Bühne sind. Die geben auch etwas anderes, was möglicherweise nicht dort ist, aber was dort ist, hat immer mehr Groove.
Wird das Ganze an das „Dialects“-Album anschließen?
Joe Zawinul: Yeah, aber es ist schon ein großer Fortschritt, weil ich doch manche Patterns verwendet habe, und diesmal verwende ich überhaupt keine Patterns. In meinem Office hab ich auch ein ganz ein kleines Setup, mit einem Laptop, mit einem kleinen Yamaha Piano, mit einem kleinen Korg Vocoder und dann noch einen Digitalrecorder, der total enorm ist. Und jetzt spiele ich viele kleine Instrumente, die ich aus der ganzen Welt zusammengetragen habe, meine Akkordeons und Gitarren und Flöten und Koras (westafrikanische Doppelharfe, Anm.) and all the stuff I have, hundreds of instruments. Und ich setz’ mich da nieder mit einem Mikrofon und nehme auf. Und diese Sachen klingen so super, muss ich ehrlich zugeben, sind total natürlich. Nichts verrüttelt, nichts ausgebessert. Und das ist immer am besten. Nehmen wir einmal die letzte Platte: Alle meine Sachen, die ich gespielt habe waren ein Teil der Improvisation, ich hab da nicht mehr darübergespielt.
Alles „First Takes“?
Joe Zawinul: Yeah.
Wir befinden uns ja in der Revolution der virtuellen Klangerzeuger. Inwiefern ist Joe Zawinul in ein paar Jahren ein „Laptopmusiker“, eventuell auch auf der Bühne?
Joe Zawinul: Noch einmal, ich verstehe das nicht ganz.
Virtuelle Synthesizer, zum Beispiel. Mittlerweile gibt es alle klassischen Keyboards als Software-Emulationen. Es gibt auch den ARP 2600 (Zawinuls erster Synth, Anm.) als Computerprogramm.
Joe Zawinul: Wirklich? Super. Ich habe mich nicht damit beschäftigt, aber was ich mache mit meinen Samplern: Ich nehme mich selber auf. Ich spiele z. B. die Tarako, das ist ein ungarisches Holz-Sopransaxofon, und da nehm ich auf – vier, fünf verschiedene Noten, und kriege einen super Sound. Und auch meine kleinen Drums und meine Kalimbas. Ich habe all die Originalsounds in den Samplern. No big thing. Und jetzt ist es so, diese Piano Samples sind ja awfully gut. Und mir ist es ja wurscht, wie es ausschaut, wichtig ist, wie das klingt. Verstehst du, was ich meine.
Anknüpfend an die Tatsache, dass der Verkaufserlös von DVD’s demnächst den der Audio CD’s übersteigen wird: Wie stehen Sie zur visuellen Seite einer Musikpräsentation? Weather Report war ja eine Band, die sehr viel Wert auf die visuelle Präsentation bei Konzerten gelegt hat. Wird es in Zukunft Musik für sich allein noch geben, oder wird es so sein, dass man die Bilder dazu liefern muss? Und auf welche Art und Weise kann das geschehen?
Joe Zawinul: Das ist eine gute Frage und sehr schwierig zu beantworten, correctly. Es gibt immer solche Zeiten, wo etwas aussieht, als würde es verschwinden, und dann ist es doch nicht so. Ich glaube, dass das Visuelle schon eine große Rolle spielen wird. Und wie du schon erwähnt hast, Weather Report war total auf beiden Seiten – Musik zusammen mit dem Visuellen. Und die Kombination ist einfach sehr wichtig, auch am Markt. Wir kommen jetzt auch mit einer DVD auf den Markt, leider mit zwei Jahren Verzögerung, eine Aufnahme von den Leverkusener Jazztagen. Da spielt die WDR Big Band vier oder fünf Stücke von mir, die wir mit Weather Report bekannt gemacht haben. Eines davon ist „Night Passage“, super gespielt und adaptiert von Vince Mendoza. Das sind alle meine Improvisationen für Big Band arrangiert! „In a Silent Way“, das Duett, das ich und Wayne Shorter in Tokyo gespielt haben in „Live In The Sky“, das selbe Arrangement wurde übernommen und für Big Band geschrieben, für Holzbläser und so weiter. Klingt super.
Und Vince Mendoza hat alle Arrangements geschrieben?
Joe Zawinul: Ja, aber adaptiert, mehr oder weniger. Die selben Arrangements, die ich für Weather Report geschrieben habe. Das war ja Komposition und Arrangements, weißt du, bei mir war das ja immer Eines. Und dann war die Show von meiner Band mit Paco Sery und Etienne Mbappé, sowie mit speziellen Gästen wie Sabine Kapongo und Maria Joao. Es war wirklich ein super, super Abend, denn es hat alle diese Sachen, man spürt, was die Musiker machen, und es ist natürlich.
Gibt es Ideen, Musik abseits von Konzertaufzeichnungen zu visualisieren? Mit Spielfilmszenen, Animationen?
Joe Zawinul: Sure. Ich hätte oft Gelegenheit gehabt, Filmmusik zu schreiben und habe das immer abgelehnt. Aber meine Musik ist glücklicherweise in einigen Filmen genommen worden und hat immer gut gearbeitet mit den Bildern. Zum Beispiel „Finding Forrester“ mit Sean Connery, die haben „In a Silent Way“ drinnen gehabt, über eine lange Strecke, neunzehn Minuten oder so. Die Miles-Aufnahme. Und bei „Mo Better Blues“ von Spike Lee haben sie „Mercy, Mercy, Mercy“ genommen. So in general, here and there some of those songs, ich sprech jetzt englisch, sind in Filmen aufgetaucht.
Sie haben einmal auf die Frage nach Keyboardern, die Sie schätzen oder inspirierend finden, die Namen Isao Tomita und Stevie Wonder genannt. Weil sie einen eher orchestralen Stil, ähnlich dem Ihren, pflegen?
Joe Zawinul: Als allgemeinen Output, verstehst du? Es ist ja nicht nur, wer was spielt. Instrumente sind sekundär. Es ist die Musik, die zählt. Und ich fühle, was der Tomita gemacht hat mit Debussy und anderen Komponisten, das war super. Und Stevie Wonder ist ein genialer Musiker, ob er jetzt Mundharmonika spielt oder Kampl. Darum steh ich auf den. Die anderen sind auch sehr gut, aber mehr mechanisch, verstehst du?
Hätte auf der Liste auch Sun Ra Platz?
Joe Zawinul: Unbedingt. Sun Ra was different. Und ich steh auf das.
Haben Sie ihn jemals getroffen, oder sich mit seiner Arbeit auseinandergesetzt?
Joe Zawinul: Yeah! Der hat sich einmal vis-a-vis von mir niedergesetzt und mir lange in die Augen geschaut, und dann hat er gesagt: „Ich hab dich gesehen. In der vierzehnten Reihe. Am Planeten Sirius. Bei einem Konzert.“ Aber der hat das geglaubt, verstehst du? Das muss man bewundern, nicht?
Das war alles echt?
Joe Zawinul: Yeah, das war echt! Und alle Leute von seinem Arkestra waren gute Freunde von mir. Wie ist das Wetter in Wien?
Grauenhaft.
Joe Zawinul: Na gut, alles Gute.
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Text & Interview: Geri Schuller
Foto: Daniel Shaked
(Wien 2004)
Die Joe Zawinul-Biografie „Zawinul – ein Leben aus Jazz“ von Gunther Baumann ist im Residenz Verlag erschienen.
J.Z. R.I.P.
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