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Kalim am Scheideweg // „Odyssee 579“ Review

Kalim am Scheideweg // „Odyssee 579“ Review

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kalim odyssee 579
Alles Oder Nix Records // VÖ: 28.10.2016

Vor seinem letzten Release „Sechs Kronen“ war Kalim ein Versprechen – und wenn man so will das Küken in Xatars „Alles Oder Nix“-Camp. Stilistisch schlug er wie seine Labelkollegen stets in dieselbe Kerbe, 90’s Beats mit einer Mischung aus East- und Westcoastflavour diktierten das Klangbild.

Knapp drei Monate nach dem Release der EP im August 2014 ereilte Deutschrap die Nachricht über den tragischen Tod des Hamburger Rappers Faruk und Kalim verlor zugleich einen guten Freund und Weggefährten. Auch wenn Kalim für „Odyssee 579“ erneut mit seinem Stammproduzenten David Crates zusammenarbeitete, ist offensichtlich, dass der Tod Faruks nicht spurlos an ihm vorbeiging und so ist der Trauerprozess klar aus dem Debütalbum herauszuhören. Neben einer deutlich verschlechterten Stimmung veränderte sich auch der von David Crates geschaffene Sound. Statt 90’s Flavor gibt es Trap-Banger mit modernen Drums, „Star-Wars-Beats“ eben.

Mit dem Auftaktsong „Plan B“ begrüßt ein melancholisch gestimmter Kalim den Zuhörer, denn „es ist so viel passiert in letzter Zeit“ und jede Zeile „entspricht der Wahrheit und stammt aus finsteren Zeiten“. Auf die zweite Singleauskopplung „Ja, immer“ folgt  „ZahlTag“ und Kalim liefert durch eine so bildlich beschriebene Darstellung der Situation und seiner Gefühlslage einen der düstersten Storyteller seit Langem ab.

Nach „mg“, welche eine gute Brücke zwischen den Klangbildern von „Sechs Kronen“ und „Odyssee 579“ geschlagen hat und als einziges Lied nicht von Crates, sondern von Ghanaian Stallion produziert wurde, bekommt der Hörer mit „PlayList“ eine kurze Verschnaufpause in Form von positiven Klängen. Trettmann, der überraschenderweise als Feature in Erscheinung tritt, schafft es trotz Exotstatus nicht, dem Lied bereichernd zugute zu kommen. Stattdessen gibt es eine substanzlose Hook, die den Leipziger Musiker wie einen Fremdkörper im sehr gefestigten Klanggewand wirken lässt.

Direkt nach „PlayList“ wird die Stimmung erneut beklemmender und auf die depressive Klänge von „RS7“ folgt die pure Aggression, in Rohform auf „8QM“ und „mach’ dich weg“ hörbar. Immer wieder spielt Kalim mit den Gefühlen des Zuhörers und offenbart emotionales Chaos und die Bipolarität, die in ihm herrscht. Das Album lebt vom stetigen Kampf der Emotionen („Tod dem Verräter, lad‘ die Trommel nach“) mit der Vernunft („Eigentlich geht’s uns gut, deshalb kann ich meine Taten nicht begründen“) und Gottesfurcht („Lieber Gott, bitte bewahr‘ mich davor, ich möchte das nicht! Führe mich auf den geraden Weg, denn ich fürchte nur dich“), während die Thematik nicht sonderlich viel Spielraum bietet „Die kleinen Hipster wollten themenreichen Track, doch das Thema heute  wie mischt man Edelweiss mit Flex“.

Da auch das labelinterne Feature nicht fehlen darf, gibt’s auf „Nougapreise“ noch prominenten Besuch von SSIO und Xatar. Während Xatar ein weiteres Mal die labelinternen Qualitätsunterschiede der 16er untermauert, spielt SSIO sein Standardprogramm ab, ohne thematischen Bezug zu schaffen. Schlussendlich bleibt vom Kurzauftritt dann leider nur die Hook von Xatar im Gedächtnis, das Potenzial zu mehr hätte die Kombination auf jeden Fall gehabt.

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Zum Ende des Albums hellt die Stimmung spürbar auf, „Bis spät in die Nacht“ schlägt durch das Sample neue Wege ein, bevor es mit „Odyssee Freestyl’“ zum großen Finale kommt. Der Faruk gewidmete Track ist zugleich Abschied vom Album als auch der musikalische Abschied von Faruk. Die von Chefket gesungene Hook komplettiert das Lied merklich und fügt sich hervorragend in das Gesamtbild ein.

Fazit: Anstatt auf Altbewährtes zu setzen und sich als Künstler stilistisch zu festigen, entschied sich Kalim dafür, neue Wege zu gehen und sich weiterzuentwickeln. „Odyssee 579“ ist der Beweis, dass er auch „modern“ kann. Mit dem Sprung schaffte der Hamburger etwas, an dem schon viele andere scheiterten  nämlich einen eigenen Stil zu entwickeln. Neben dem veränderten Sound blieben die Themen unverändert, inzwischen wirkt Kalim jedoch deutlich verbitterter und zugleich reifer. Aus dem Jungspund mit Potenzial ist ein ernst zu nehmender Künstler geworden, der es verstanden hat, seine Emotionen künstlerisch zu verarbeiten und passend zu verpacken. Kalim hat sich weder neu erfunden, noch als Künstler verraten. „Odyssee 579“ ist die Kehrseite derselben Medaille, wenn man so will die Seite B zu „Sechs Kronen“.

4 von 5 Ananas
4 von 5 Ananas