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Song zweckentfremdet: K’naan im Zentrum einer Realsatire in Kanada

Song zweckentfremdet: K’naan im Zentrum einer Realsatire in Kanada

Musikalisch übt sich der somalisch-kanadische Rapper K’naan seit geraumer Zeit in Zurückhaltung, sein bis dato letzter Release „Country, God or the Girl“ erschien vor fünf Jahren. In Rapmaßstäben also eine halbe Ewigkeit, die K’naan in einer Absenz von Beats und Reimen verbringt. In den Fokus seines künstlerischen Schaffens rückte zwischenzeitlich neben der Literatur das Fernsehen, gemeinsam mit Oscar-Gewinnerin Kathryn Bigelow produziert K’naan gegenwärtig die Drama-Serie „Mogadishu, Minnesota“ für den amerikanischen Sender HBO. Nicht ohne Kontroversen, da viele Stimmen in der somalischen Diaspora eine kritische Einstellung gegenüber den Plänen von K’naan und Bigelow aufweisen. Die Skepsis begründet sich in einer Angst vor einer verstärkten Stereotypisierung somalischer Einwanderer und einer Bekräftigung islamophober Strömungen, die der fiktionale Erzählungsstrang von „Mogadishu, Minnesota“ bedienen würde.

In den Kontext der Islamophobie wurde K’naan aber nicht nur durch sein filmisches Vorhaben gerückt, sondern vor wenigen Tagen auch durch eine Protestaktion von M-103-Gegnern in Toronto. M-103 beziehungsweise „Motion 103“ bezeichnet dabei einen Antrag der „Liberal Party“-Politikerin Iqra Khalid im kanadischen Unterhaus, der seit Wochen für heftige Auseinandersetzungen im Land sorgt. Das Kernstück von Khalids Antrag liegt in einer Aufforderung an die Regierung, sämtliche Formen von religiöser Unterdrückung – einschließlich der namentlich genannten Islamophobie – zu verurteilen sowie eine Studie über Hassverbrechen und Präventionsmaßnahmen, basierend auf Perspektiven der jeweilig betroffenen Gemeinschaften, anzuordnen. Kurz nach Vorstellung des Antrags im Dezember setzte eine  Debatte über den Islam in Kanada ein, die in den Sozialen Medien weiteren Auftrieb erhielt. Iqra Khalid avancierte dort auch zur Zielscheibe eines aufgebrachten Mobs, der ihr nicht nur eine Islamisierung Kanadas und eine angepeilte Einführung der Scharia-Gesetzgebung vorwarf, sondern auch von Morddrohungen und Aufforderungen, das Land zu verlassen, nicht zurückschreckte. Worte, die Iqra Khalid sichtlich trafen. Einen anderen Eindruck konnte man jüngst anhand ihrer parlamentarischen Rede über den erlebten Hass im Netz gar nicht gewinnen.

Gegner von M-103 setzen aber trotz der beschämenden Untergriffe gegen Khalid weiterhin auf das Argument der Redefreiheit, ein heiliges Gut in Kanada. Schließlich sehen sie im Antrag einen ersten Schritt zur Beschneidung dieses fundamentalen Rechts, wie Journalist Lorne Gunter von der konservativen Toronto Sun urteilt: If Khalid has received credible threats, she has every right to expect protection and to turn over the threats to the RCMP. But that doesn’t give her (or her friends in the Liberals and NDP) the right to smother everyone else’s free speech under their blanket of political correctness.“ Redefreiheit war auch das beherrschende Thema bei den Demonstrationen gegen M-103 in vielen kanadischen Städten vor zwei Wochen. Und hier kommt K’naan ins Spiel. Der zwar nicht selbst bei den Demonstrationen in Toronto involviert, trotzdem gewissermaßen anwesend war. Fand doch seine Musik Verwendung – groteskerweise aber bei M-103-Gegnern. Diese benutzten seinen größten Hit, den völkerverbindenden Fußball-WM-Song „Wavin‘ Flag“, als musikalische Untermalung beim Schwenken der Ahornblatt-Flaggen. Allerdings ist K’naan nicht nur somalischer Einwanderer, sondern auch Moslem. Die Freude über die Zweckentfremdung seines Tracks hielt sich daher in Grenzen. „Everyone wants to complain about robots putting humans out of work but what about bigots doing the same to satirists?“ lautet der Wortlaut eines Tweets des Rappers, in dem er zur Causa Stellung bezieht. Dem nicht genug, empfiehlt K’naan den Demonstranten auch die Verwendung eines neuen Chants. Dieser lautet: „We want the work, not the force, we want the knowledge, not the source, we want the fruit, not the tree, let’s sing the song! Oh god, don’t tell me it’s by a Somali refugee“. Ein besseres, pointierteres Statement scheint in dieser Causa schwer vorstellbar. Für K’naan zudem eine Geschichte, die sich auf einem zukünftigen Release vorzüglich thematisieren lässt.