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Lieber Spiegel, „Rap erklären“ geht auch ohne Klischees // Kommentar

Lieber Spiegel, „Rap erklären“ geht auch ohne Klischees // Kommentar

Ungefähr 30 Jahre dürfte es inzwischen her sein, als Straßen- und Gangstarap im deutschsprachigen Raum seine Anfangsstunde fand. Mindestens genauso alt ist die fast schon zur Tradition gewordene Gewohnheit, dass sich traditionelle Medien auf den in ihren Augen „asozialen“ Rap stürzen. Deutscher Gangstarap – die „Schmuddelmusik“, die bestenfalls irgendwo zwischen Haftbefehl als „Dichter der Stunde“ und schlechtestenfalls als Musik derer, die sich nicht einmal vernünftig artikulieren können, eingeordnet wird.

Nach all diesen Jahren immenser Entwicklung der HipHop-Kultur könnte man meinen, dass nicht nur das Interesse, sondern auch das Verständnis für die Musikrichtung gewachsen ist. Dass sich Journalisten und Journalistinnen tatsächlich der Musik annehmen und unnötige Klischees in der Schublade verbannen. In manchen Fällen funktioniert das sogar ganz gut. Nur eben nicht immer. Denn die deutsche Wochenzeitung Der Spiegel legt mit ihrer aktuellen Titelstory mal wieder ein Negativbeispiel in die Hände ihrer Leserschaft.

„Der Spiegel“-Cover vom 25.1.2020

Unter dem Titel „Die Faszination des Gangsta-Rap“ erklären uns die Journalisten des Spiegel unter anderem, wie es „böse Jungs“ und „Clan-Romantik“ in die Kinderzimmer schaffen. Außerdem geht es um hohe Verkaufszahlen, Sprachgebrauch und das allseits beliebte Thema der Nähe zu kriminellen Clans. Wichtig ist ihnen dabei die Frage, warum neuerdings auch die Sabines und Leons aus der gutbürgerlichen Reihenhaus-Familie zur Stammhörerschaft von Rappern wie Capital Bra, Raf Camora, der interessanterweise genauso zu den bösen Rappern dazugehört,  und der 187 Strassenbande gehören. Untermalt wird diese doch waghalsige Ausgangsthese mit einem bösen Gzuz auf dem Cover.

Plumpes Totschlagargument

Wer es nach dieser kurzen Beschreibung nicht schon ahnt: Auf diesen elf Seiten läuft so einiges schief. Bereits im Teaser wird die nach den Autoren und Autorinnen allgegenwärtige Verachtung von Frauen angeprangert. Keine Frage: Es gehört zur bitteren Realität, dass deutscher Rap auch heute noch viel zu oft sexistisch, gewaltverherrlichend oder gar rassistisch ist. Das kann und sollte sogar thematisiert werden. Man hätte dazu auch Frauen wie beispielsweise Salwa Houmsi oder Miriam Davoudvandi, die genau das regelmäßig tun, fragen können. Frauen aus der Szene kommen jedoch nicht zu Wort. Dass das „Protzen mit Waffen“ und „Verachten von Frauen“ Teil des „Geschäftsmodell“ Gangstarap ist, hat nur wenig mit vernünftiger Kritik und viel mehr mit einem plumpen Totschlagargument gegen eine ganze Musikrichtung zu tun.

Zu dieser Realität gehört aber auch die Tatsache, dass Grenzüberschreitungen, Provokation und ein teils derber Sprachgebrauch zum Genre dazugehören. Wie in Ansätzen sogar richtig erkannt wird, ist Rap die Sprache der Marginalisierten. Ein Sprachrohr für Menschen, die sonst nur wenig gehört werden und ihrem Unmut darüber Ausdruck verleihen. Es werden Lebensrealitäten in Reime verpackt, bei denen Gewalt, Armut, Ausgrenzung und Diskriminierung zum Alltag gehören. Darüber steht der Traum einer finanziellen Unabhängigkeit. Rap ist für alle da – auch für die, die nicht mit Goethe und Schiller im Bücherregal aufgewachsen sind.

Verursacht Bauchschmerzen

Und genau dieser Punkt ist es, der den wohl problematischsten Aspekt dieser groß aufgemachten Coverstory hervorbringt: Es ist dieser oft unterschwellige Anflug von Sozialchauvinismus, gepaart mit nur wenig Wissen über die Musik und ihre Hörerschaft, der einem Bauchschmerzen bereitet. In mehreren Passagen wird versucht zu erklären, wieso der 14 Jahre alte Moritz, ein umweltbewusster Schüler aus gutbürgerlichem Haus, und Emma, die vegane Feministin und Psychologie-Studentin, jetzt plötzlich auch diese „Schmuddelmusik“ konsumieren. Weshalb Aylin und Vladislav Rap hören, ist nicht der Rede wert. Das sind ja die Assis – genau wie die Rapper.

Während Gangstarap immer wieder mit Rap gleichgesetzt wird, werden Rapper als die beschrieben, die sich durch protzige Karren, Gewalt- und Drogenverherrlichung sowie der Verbindung zu kriminellen Clans auszeichnen. Verpackt in eine Infografik gibt es sogar den Zusatz, welche Wörter Rapper am meisten benutzen: Darunter Para, Kokain und Bitches. Den Wortschatz einer wortgewaltigen Musikrichtung auf ausgewählte (!) Klischeebegriffe zu reduzieren, zeugt nicht nur von erstaunlich wenig Ahnung, sondern auch von standesgemäßer Überheblichkeit.

See Also

Das „Geprotze der bösen Jungs“ scheint den Autoren ein Dorn im Auge zu sein. Aber was fasziniert Emma und Moritz nun daran? LX und Maxwell würden Moritz davon erzählen, dass man die Schule schwänzen, Dealen und im Gefängnis landen und trotzdem reich werden könne. Auch ohne Schulbildung lebe es sich wie im Königreich, so die Message von Gangstarap. Das Problem daran? Marginalisierte Menschen haben oft keine Wahl. Sie entscheiden sich meist nicht gegen eine vernünftige Schulbildung und für den steinigen Weg. Denn während Emma morgens auf dem Weg zur Uni via Spotify in eine ihr fremde Welt eintaucht und sich kurz mal „Gangsta“ fühlt, ist das darin Gehörte für manche Realität.

Und dann wäre da noch die kapitalistische Selbstverwirklichung, die Streams und Zahlen, die die Erfolgswelle des Rap mit sich bringen. Hier werden interessanterweise nicht nur Millionen-Streams, sondern auch Markendeals mit diversen Rappern aufgegriffen. So hätte beispielsweise A$AP Rocky das „Kunststück fertiggebracht“, einen Vertrag mit Mercedes Benz abzuschließen, während doch in jedem Rap-Video die Karren vorfahren. A$AP Rocky gehört zu den einflussreichsten Personen der heutigen Popkultur. Über Markendeals kann sich in einer kapitalistischen Gesellschaft keiner mehr wundern, den Künstler als „Schmuddeljunge“ abzutun zeugt von wenig Respekt.

Rap hat das nicht verdient

Liebe Autoren und Autorinnen des Spiegel: Rap hat es, genauso wie jede andere Musikrichtung, verdient, dass man ihm eine faire und ausgewogene Berichterstattung abseits von Klischees entgegenbringt. Dazu braucht es keine Ansammlung an Vorurteilen, sondern ehrliches Interesse und ein Bewusstsein darüber, woher Rap und seine Faszination tatsächlich kommen. Das Genre ist inzwischen so divers, dass es nicht notwendig ist, sich auf eine von hundert Definition zu versteifen. Geschweige denn, dieser einen Definition mit einer elitären Position entgegenzutreten. Denn das hinterlässt bei den Lesern leider größtenteils folgendes: Rap ist eben die Musik der Rückständigen und keine ernstzunehmende Kultur. Und Emma und Moritz? Die lassen das jetzt mal lieber bleiben und fischen sich lieber Goethes Lyrik aus Papas Bücherregal.