Manchmal nennt er sich „Misel Quitno“ und wird zu einem polnischen Landschaftsgärtner. Andermal macht er sich zum einzigen Mitglied der Band „The Slapped Eyeballers“. Aber als Dimlite ist er längst kein Unbekannter mehr in der Riege der europäischen Produzenten. Mit seinem ersten Release im Jahr 2003 auf Sonar Kollektiv machte der Schweizer bereits auf sich aufmerksam und enttäuschte seither nie mit seinen vielseitigen Produktionen. Im Frühling 2010 erschien seine neue EP „Prismic Tops“ auf dem amerikanischen Label Now Again. Im Herbst legte er mit der der EP My Human Wears Acedia Shreds“einen weiteren Höhepunkt in seiner Diskografie nach. Anlässlich eines DJ-Gigs in Wien im vergangenen Jahr traf er sich mit Message-Redakteur Majestic Mood.
The Message: Zunächst eine Frage, auf die ein Mitglied der Redaktion bestanden hat: Zu welcher Tageszeit machst du Musik?
Dimlite: Ich habe jahrelang nur nachts Musik machen können. In den frühen, frühen Jahren musste ich tagsüber arbeiten und irgendwann hat es sich so in meinem Kopf eingeprägt, dass es dunkel sein muss, damit ich Musik machen kann. Mittlerweile stehe ich aber morgens auf und mache bis spät nachts Musik und gehe dann pennen, wie alle anderen Leute auch.
Du hast einen Track zur bisher letzten Beat Dimensions-Compilation beigesteuert. Wenn du bei so einem Projekt mitmachst, überlegst du dir dann etwas Spezielles dafür oder entsteht so etwas aus deinem Workflow heraus?
Als ich das für die Compilation gemacht habe, habe ich auch versucht mir vorzustellen, wie sie klingen wird um nicht einen Pflock reinzuhauen, brutal ausgedrückt. Ich arbeite aber am liebsten projektbezogen und konkret für bestimmte Sachen. Es gibt natürlich Leute, die für Remixes schon fertige Sachen benutzen und dann noch etwas vom Originaltrack dazutun und das ist dann der Remix. Ich fang da komplett von vorne an, wenn ich an einem Remix arbeite.
Wirst du eigentlich von dem Label, auf dem du gesigned bist, auch musikalisch beeinflusst?
Ja, der Sound des Labels nimmt schon Einfluss auf die eigene Musik. Now Again macht Lust organischer zu werden. Bei Sonar Kollektiv hatte ich zum Beispiel nie diesen Effekt, sonst hätte ich ja New-Jazz machen müssen damals. Wenn jemand auf Warp genommen wird, hat man den Druck echt gut und schräg sein zu müssen – das ist so eine Vermutung von mir.
Das ist auch das, was Flying Lotus in der Message-Printausgabe 41 gesagt hat. Er meinte, wenn sein erstes Album auf Stones Throw herausgekommen wäre, hätte er einen ganz anderen Sound produziert als auf 1983.
Ja, das muss extrem einprägend sein.
Egon, der Labelbetreiber von Now Again, ist ja bekannt für seine Funk-Reissues. Dein Signing auf dem Label ist eigentlich überraschend aufgrund des Deep Funk, der Live Bands und des organischen Sounds, die dort hauptsächlich vertreten sind. Wie ist es denn dazu gekommen?
Ich habe auch noch andere Projekte, also diese imaginäre Band namens The Slapped Eyeballers, die 2005 entstanden ist. Dabei gibt es keine Samples und keine Progammierung und dann gibt es noch das dritte Alter Ego „Misel Quitno“, wo eigentlich auch alles gespielt ist und wo ich mit ein paar Maschinen so eine abgefuckte retrofuturistische Libraryplatte kreieren wollte. Ich habe ihm dann so einen Riesenmix aus Platten geschickt und er mochte schon immer die organischen Sachen lieber. Es wurde zwar nie ausgesprochen, aber was ich so zwischen den Zeilen verstanden habe, interessiert er sich schon eher für organisches Material. Egon will zum Beispiel, dass ich singe und ich habe auch extrem Lust was zu machen für ihn und komme auch gut voran mit dem richtig neuen Album, weil die EP (Prismic Tops, Anm.) klingt eher noch nach dem alten Dimlite.
Nimmt Egon starken Einfluss auf deinen Arbeitsprozess oder weist dir die musikalische Richtung?
Nein, gar nicht. Er sagt, dass ich machen kann was ich will. Ich glaube bei Stones Throw ist alles erlaubt, es wird dann nur selektiert, was auf das Album kommt und was nicht – das ist ein Verdacht von mir. Bei jemanden wie Mayer oder James Plants, da glaube ich eher, dass sie völlig freie Hand haben. Ich habe eben erst neue Sachen hingeschickt und gefragt ob er eine 10 Inch machen möchte mit den Sachen und er war völlig unvoreingenommen. Auch wie ich ich einmal fragte, ob er das wirklich machen möchte, weil ich ja weiß wie schräg ich klingen kann, meinte er schon x-mal Schrägeres gehört zu haben. Ich mache mir keine Gedanken darüber, denn er wird mir schon sagen, wenn ihm etwas nicht passt. Bis jetzt hatte er zwar noch nie etwas auszusetzen, aber ich vertraue darauf, dass er etwas sagen wird, wenn ihm etwas nicht gefällt.
Du hast vorher von deinem Alter-Ego Misel Quitno gesprochen, wer ist das?
Das ist ein Landschaftsgärtner aus Polen, glaube ich. Ich habe mir für das Album Unterstützung von der Stadt Bern geholt und dafür eine ganze Biografie über ihn geschrieben. Ich musste ihn quasi als Charakter erscheinen lassen, damit ich Geld bekommen habe für das Pressen der Platte. Deswegen habe ich dann eine kleine Biografie geschrieben über ihn.
Dieser Sound von Misel Quitno liegt außerhalb von dem, was du normalerweise machst.
Ja schon, das ist alles etwas reduzierter und anspruchsloser. Also nicht vom Hören her, aber ich hatte viel weniger Ansprüche an mich selbst beim Aufnehmen und ich habe weniger herumgefeilt, gebastelt und geschnitten. Es ist alles sehr roh eigentlich. Bei Misel Quitno könnte ich eigentlich fünf Minuten lang mit einem Stöckchen gegen die Wand hauen und darüber singen und ich hätte ein fertiges Misel Quitno Stück. Das muss keine ausgeschmückte Komposition sein, davon komme ich allmählich weg – meine alten Egos sind am Verschmelzen. Ich orientiere mich dabei an so Leuten wie Raymond Scott, bei dem Stücke daraus bestehen, dass drei Minuten lang eine Synthesizer-Sequenz zart moduliert wird.
Wie wichtig ist dir finanzieller Erfolg in Relation zu deiner Musik? Wärst du bereit deine musikalische Integrität zu opfern um damit Geld zu machen?
Nein, nicht in diesem Sinne. Ich hätte zum Beispiel auch kein Problem damit Musik zu machen, die auch meiner Mutter gefallen könnte. Ich habe mir da keine Regeln auferlegt.
Und wenn ein kommerzieller Artist zu dir kommen würde, um von dir produziert zu werden?
Das kommt schon sehr darauf an. Es würde mir jetzt niemand in den Sinn kommen, bei dem ich das gerne machen würde. Wenn zum Beispiel Madonna kommt und mir eine Million anbietet, dann weiß ich es echt nicht. Ich habe nämlich schon fast seit einem Jahrzehnt immer Geldprobleme, deswegen habe ich mich auch gefragt, ob ich es machen würde. Ich würde jedoch lieber draußen sterben, als Madonna zu produzieren. Aber es kommt wirklich darauf an, wer das ist. Björk sucht auch oft Leute, bei ihr wäre es eine Überlegung wert, aber ansonsten… HudMo will beispielsweise viel Kohle machen und Erfolg haben, der macht dann auch was mit den Crookers oder Rihanna. Es muss halt passen, denn es kommt immer der Punkt, an dem das Gefühl nicht mehr stimmt. Da merkt man dann, dass man die Musik zu Hause oder in einem Club gar nicht mehr hören will. Und dieser Punkt kommt einfach bei mir schneller als bei HudMo.
Die ganze Entwicklung der Musik und der Künstler wie Flying Lotus, Dorian Concept, Burial, Fulgeance und Bullion geht natürlich nicht spurlos an dir vorbei. Wie nimmst du dieses Beat-Movement, zu dem du auf irgendeine Art und Weise auch hinzugezählt wirst, wahr?
Das Ding ist, dass ich nicht so ein riesengroßer Elektronikmusik-Fan bin, auch wenn das absurd klingt.
Catcht dich dann überhaupt jemand wie Flying Lotus?
Ja schon. Ich mochte die ersten drei, vier Platten sehr gerne, mit dem neuen Album tu ich mir aber ein bisschen schwer. Ich habe letztens erst fürs Auflegen das Cosmogramma Album zum dritten Mal durchgehört und bin bei keinem Track wirklich hängen geblieben. Gerade die neue Scheibe von ihm hat mich nicht so gepackt. Das Ding mit Beatmusik und Hip Hop Beats ist so eine Sache. Nur weil sie schleppend und übertrieben Jay Dee – artig programmiert sind, sind sie auch nicht spannender als die Beats, die ich mir mit 16 Jahren angehört habe. Beats sind einfach Beats, irgendwann hast du sie gehört. Das ganze Beat-Movement ist meiner Meinung nach schon vorbei. Es ist zwar etabliert, weil sehr viele junge Leute solche Musik machen, schlussendlich werden die sich aber auch in eine andere Richtung entwickeln.
2003 erschien deine erste EP auf Sonar Kollektiv, da warst du gerade einmal 23 Jahre alt. Wie kann man deinen musikalischen Werdegang am besten beschreiben? Kannst du denn irgendwelche Instrumente zu spielen?
Also ich hatte Klavierlektionen und den Rest habe ich mir selbst autodidaktisch beigebracht. Also Gitarre und Schlagzeug, was ich auch immer gerade brauche für das jeweilige Stück. Aber eigentlich kann ich nicht wirklich spielen, ich kann nicht einmal Noten lesen, obwohl ich es damals lernen musste. Das ist also ziemlich unspektakulär. Ich habe kein Elternhaus mit vielen Platten drinnen, was viele andere Künstler ja gerne als Grund für ihre Musikalität angeben. Meine Schwester hat Popmusik gehört, da habe ich dann mitgehört und irgendwann in meiner Jugend habe ich begonnen Jazz zu hören und gleichzeitig aber auch alles andere, wie das alle so machen, Techno, House, Drum’n’Bass…
Was ist die erste musikalische Entwicklung, an die du dich erinnern kannst?
Die ernst zu nehmen ist? Eine Gruppe oder einen Stil zu sagen ist schwierig. Ich habe als Teenager mit CDs aufgelegt und da war viel dabei, von übelstem House zu Jamiroquai und Hip Hop. Ich kann das also nicht so auf eine Bewegung oder einen Stil eingrenzen. Ich habe dann mehrere Jahre fast nur noch Hip Hop gehört, was zwar sehr prägend war, mittlerweile aber schon wieder vorbei ist.
Das heißt du warst auch einmal DJ?
Ja, aber mehr schlecht als recht.Aber die Liebe zur Musik war immer da und die Interesse zu neuem Sound vorhanden.
Wann hast du den ersten Schritt in Richtung Produktion gemacht?
In der achten Klasse habe ich begonnen mit der Pausetaste eines Kassettendecks Loops zu basteln. Irgendwann habe ich mir dann ein Keyboard ausgeliehen und dann auf diese Loops daraufgelärmt. Das war das Erste, was in die Richtung ging, man konnte hier aber noch nicht von Produzieren oder Musizieren reden. Mit 17 oder 18 habe ich mir dann ein ganz billiges Atari aus den 80ern und einen kleinen Sampler von Emu gekauft. Das war dann der erste richtige Schritt in die Welt der Audiogier.
Das klingt nach einem ziemlich klassischen Hip Hop-Setup. Hast du denn früher auch diese Musikrichtung produziert?
Ich habe ziemlich viele Hip Hop-Beats und Beat-Tapes gemacht. Das war aber alles auf Minidisc, ich glaube, ich würde die nicht mehr finden.
Es ist ein ziemlich langer Prozess von den Anfängen des Produzierens bis man bereit ist, seine eigenen Sachen an die Öffentlichkeit zu bringen. Wie ist das damals mit dir und Sonar entstanden?
Ich habe ganz unbescheiden und unkompliziert Demo-CDs gebrannt und damit ziellos herumgeschmissen und irgendwann kam dann eine davon über einen Freund aus der Schweiz zu Alex (von Sonar) und die haben dann angerufen bei mir. Heute habe ich ein viel verkrampfteres Verhältnis zu meiner Musik als damals, denn da habe ich alles nicht so ernst genommen wie jetzt. Ich dachte nicht an ein Release oder an Labels. Heute ist alles schon sehr bewusst und auf eine gute Art und Weise zu Arbeit geworden. Davor habe ich echt gearbeitet und ein bisschen Beats nebenbei gemacht, aber mittlerweile ist es zu meinem Hauptding geworden.
Interview: Majestic Mood
Transkription: Julia Gschmeidler
Dimlite Site
Now Again Records
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