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Basslines statt Samples // Mo Cess & Testa über “Guss”

Basslines statt Samples // Mo Cess & Testa über “Guss”

Um an neuer Musik zu arbeiten, mussten Mo Cess und Testa einfach mal raus aus der Stadt. „Ich habe einmal gelesen, Paradise ain’t tropical“ heißt es auf dem Interlude von „Guss“. Und wenn das Paradies nicht tropical ist, dann ist es vielleicht irgendwo im Mostviertel. Denn genau dort ist in einem zum Atelier verwandelten Stådl das Album der beiden Tiroler entstanden. Darauf zu hören: basslastige Beats, impulsive Texte und exklusives Audiomaterial, auf dem Mo Cess beim Bier-Ausschütten zu hören ist.

An einem Tag, an dem der Wienfluss dorthin überschwappt, wo normalerweise die U4 fährt, bringt mich die U6 gerade noch in den 16. Bezirk. Dort befindet sich das Studio von Testa, vollgestopft mit Synthesizern und Platten. Zwischen analogen Tonträgern und digitalem Equipment darf ich Platz nehmen, um mit den beiden zu plaudern. Im Interview erzählen sie mir alles über den Entstehungsprozess ihres Albums, wie die niederösterreichischen Rapsfelder ihnen kreative Energie gegeben haben und warum der Ausbruch aus der Stadt so wichtig war.

The Message: Ganz am Anfang vom Album hört man, wie eine Tür aufgemacht wird, auf dem ersten Track “Köpfler” rappst du, wie deine Finger entlang der Maserung vom Holz tanzen – quasi ein szenischer Einstieg in euer Projekt. Könnt ihr ein bisschen von dem Setting erzählen? Wie ist es dazu gekommen, dass ihr das Album in einem Stådl aufgenommen habt?
Testa: Der Stådl gehört dem Leo (Leonhard Kotschy, Anm.), einem befreundeten Künstler und Grafiker, der jetzt über die letzten Jahre so gut wie alle unsere Plattencover gemacht hat. Er wohnt in Kiel und hat dort sein Atelier in einem alten Stådl. Wir haben uns vorgenommen, zu ihm zu fahren und dort Musik zu machen, weil wir das mit Von Seiten der Gemeinde und Da Kessl schon gemacht haben – da hat sich herausgestellt, dass es sehr gut funktioniert, wenn man irgendwo anders hinfährt und Musik macht. Wir haben uns dort eine Woche eingesperrt und waren recht planlos am Anfang, aber dann hat sich alles sehr gut ergeben. Deswegen hat dieser Ort sehr viel Einfluss darauf gehabt, wie es aussieht und klingt.

Also ihr wart zu dritt?
Mo Cess: Original war gedacht, dass nur wir zwei an dem Album arbeiten. Aber Leo, Eys ist sein Künstlername, war auch dort. Er ist auch Musiker, wahrscheinlich mehr als wir zwei sogar (lacht), weil er Instrumente spielen kann. Während wir gearbeitet haben, hat er an einem Betonguss gearbeitet – das ist der, den man am Cover sieht. Aber er war dann manchmal bei den Sessions dabei und hat auf ein paar Songs Gitarre und Synths gespielt.

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Und du hast auch Bass gespielt, oder?
Mo Cess: Genau, ja. Der Leo hat so einen geilen Fender-Bass dastehen gehabt – den habe ich mir geschnappt und angefangen, eine Bassline zu spielen. Dann haben wir Drums dazu gesucht und dazu gespielt, manchmal auch Samples verwendet. Aber es hat immer mit der Bassline angefangen, total untypisch. Also, in meinem oder in unserem Fall starten wir ja meistens mit einem Sample und dann kommen Drums dazu. Das war also diesmal eine ganz andere Herangehensweise.

Wie war das für euch, nicht direkt mit Samples zu starten? Generell ist der ganze Sound vom Album ein bisschen weiter entfernt vom klassischen Hip-Hop-Klangbild.
Testa: Wir sind da hingefahren, ohne irgendwas fix im Kopf zu haben. Ganz am Anfang haben wir schon überlegt, ob wir den Weg gehen, dass du damit anfängst, auf einem Beat von mir zu schreiben. Aber dann haben wir beschlossen, dass wir gleich alles dort machen. Die musikalische Schnittmenge, die uns beide verbindet, ist zurzeit dieser Rock- und Band-Sound. Wir haben uns gedacht, wir probieren, ein bisschen in diese Richtung zu gehen. Da war die Herangehensweise auf jeden Fall anders als bei den meisten Produktionen.

Mo Cess: Ich glaube, es geht manchmal schneller, wenn man in einem Flow drin ist. So wie wir es dort gemacht haben: Das eine Element vom Beat haben wir, passt, weiter geht’s. Es geht wahrscheinlich schneller, wenn man selbst was spielt, als wenn man sich hinsetzt und auf Platten Samples sucht. Das hätte, glaube ich, sehr viel Drive aus dem Ganzen rausgenommen.

Wie lange wart ihr dort? Und wie war euer Tagesablauf?
Mo Cess: Wir waren sechs Tage dort und sind immer relativ früh aufgestanden – immer gegen acht Uhr und der Testa hat dann erstmal Kaffee gekocht. In der Zwischenzeit war ich meistens schon im Atelier, habe mir den Bass geschnappt und mit einer Bassline gestartet. Beim Frühstück haben wir über das geredet, was wir am Vortag gemacht haben. Und dann haben wir mit dem Aktuellen weiter gemacht. In der Nähe vom Atelier gibt es auch so einen wunderschönen Bach, wo man baden kann – da sind wir am Nachmittag oft hingefahren. Ich habe mir immer das, was wir von der Session gehabt haben, aufs Handy geladen, bin im Auto hinten gesessen, habe Kopfhörer rein gemacht und geschrieben. Und dann sind wir meistens am frühen Abend zurückgekommen und haben gegrillt.

Testa: Das war auf jeden Fall eine richtig gute Sommerwoche.

Mo Cess: Und dann haben wir noch bis in den Abend, meistens bis Mitternacht an den Songs gearbeitet und sind dann ins Bett gegangen.

„Wir haben uns einfach ausgelebt und alles gemacht, auf das wir Lust gehabt haben, und das ist dabei herausgekommen.“

Soundtechnisch passiert ja ganz viel auf dem Album: Jeder Track hat eine andere Energie und andere Sound-Einflüsse. Wie ist es dazu gekommen?
Testa: Das ist sehr organisch passiert. Aber ich glaube, das overall Ding war, dass wir die berühmte Komfortzone ein bisschen verlassen wollten. Ich persönlich mag Alben am liebsten, wo jeder Track anders klingt. Ich bin kein Fan von einem durchgehend gleichen Style. Wir haben uns einfach ausgelebt und alles gemacht, auf das wir Lust gehabt haben, und das ist dabei herausgekommen.

Mo Cess: In unserem Fall haben wir ja mit einer Bassgitarre gestartet – das hat einen sehr eigenen Klang und das verlangt dann auch nach gewissen Instrumenten oder Sounds. Es ist nicht so naheliegend, dass man zum Beispiel auf einer sanft gespielten Bassline ein 808-Drum-Pattern drauf hat, sondern man wird eher einen richtigen Schlagzeug-Sound nehmen.

Habt ihr in der Zeit viel Musik gehört? Habt ihr euch von irgendwas inspirieren lassen?
Testa: Gute Frage. Also beim Autofahren schon natürlich. Wenn wir was gehört haben, dann immer etwas in der Richtung, wie man es auf dem Album hört. Es gibt mittlerweile ja einige Artists, die HipHop mit diesem Bandsound vermischen, ohne dass es jetzt ein Crossover ist. Es fühlt sich sehr natürlich an – wie zum Beispiel bei Hak Baker oder Glass Beams. Da gibt es mittlerweile einiges und das ist genau das, was wir beide immer wieder gut finden.

Das ist also die Richtung, in der ihr euch gefunden habt. Und gerade das mit dem Bandsound finde ich extrem gut.
Mo Cess: Ein gutes Beispiel dafür bei uns in Tirol ist die Spilif. Das klingt ja extrem geil. Da kann mir niemand mehr erzählen, dass HipHop nur mit programmierten Sachen funktioniert. 

Mir ist aufgefallen, dass sich nicht nur die Energie von Track zu Track ändert, sondern auch die Stimmung. Hat es mood switches in der Zeit gegeben, wo ihr dort wart?
Mo Cess: Also wir haben es uns auf jeden Fall gut gehen lassen. Aber das stimmt genau so – bei mir hat es auf jeden Fall mood switches gegeben. Ich bin bei den Songs oft nach dem ersten Impuls gegangen. Bei „Höhenflug“ war es eben Party: Ich habe mir gedacht Cool, ich will das mal probieren. Warum muss ich immer so “brav” sein? Da habe ich oft diesen Anspruch an mich selbst. Auch bei „Ellbogenaus“ war es so. Und ich hätte mir zum Beispiel nie gedacht, dass ich einen Track wie „Jungfrau“ schreiben werde – ein Lied über Mutter Erde. Aber gerade deswegen war es interessant, das auszuprobieren.

Ich finde „Jungfrau“ textlich extrem gut geschrieben. „Die Båm schnaufen mit, geht mir mal die Luft aus“ – das ist wirklich extrem schön. Ist das durch das Setting entstanden, dass du diesen Track geschrieben hast? Oder war das ein Thema, das dir schon länger durch den Kopf gegangen ist?
Mo Cess: In der Zeit war ich davor in Wien und habe mich sehr gefreut, dass wir diese Woche am Land sind. Vor Ort habe ich dann wirklich gemerkt, wie gut mir das tut. Ich sag ja im Album „Handy auf Flightmode“ und das war auch so. Wir haben die Handys ausgemacht und waren einfach nur da. Und das hat diesen Track inspiriert.

Könnt ihr etwas übers Sample im Track erzählen?
Mo Cess: Das ist irgendein französischer Chanson. Wir wissen aber nicht, was gesungen wird.

Testa: Ich glaube, wir haben bei dem Track den Text gehabt, aber keinen Refrain. Dann haben wir das Sample einfach als Hook-Ersatz genommen.

Mo Cess: Wir schreiben nicht so gern Vocals.

Dafür ist das Album sehr melodisch.
Mo Cess: Wir wollten uns eben ein bisschen challengen.

Testa: Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke: Es gibt mit dem Bonustrack (der Bonustrack ist nur auf der Vinyl zu hören, Anm.) drei Tracks, auf denen es gar keine richtige Hook gibt, nur eine instrumentale Hook – recht außergewöhnlich eigentlich. Aber das ganze Setting war außergewöhnlich. Wir haben auch keinen Mikrofonständer dabei gehabt. Das Cello oder die Gitarre haben wir mit einem Kondensatormikrofon in der Hand aufgenommen, was man eigentlich nie machen sollte. Aber in dem Kontext hat alles super gepasst. Die Akustik ist in dem Stådl ja eigentlich eine Katastrophe, aber die Aufnahmen klingen voll gut. Es war sehr erfrischend, auf das alles zu scheißen und einfach zu machen.

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(c) Philip Pesic

Es war ja das erste Mal seit der „Lamo„-EP, dass ihr zwei zusammengearbeitet habt. Da war dein Style ganz anders – mehr in Richtung Representer- und In-die-Fresse-Tracks. Wie war eure Zusammenarbeit bei “Guss” im Vergleich dazu?
Testa: Ja, es war komplett unterschiedlich. Es hat bis auf das, dass wir beide es zusammen gemacht haben, nicht viel miteinander zu tun. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, fühlt es sich an wie ein ganz anderes Leben.

Mo Cess: Absolut.

Wie war es für dich, Mo Cess von dieser anderen Seite mitzuerleben?
Testa: Raptechnisch? Ich bin mittlerweile kein Fan mehr von diesen Representer-Tracks, deswegen habe ich das total super gefunden. Aber ich überlass die Texte sehr gern den Vokalisten. Wenn mich irgendwas stört, dann sage ich das auch, aber das passiert eigentlich so gut wie nie. Er weiß, was er tut. Und es ist ja immer sehr spannend. „Höhenflug“ ist zum Beispiel ein Track, der ultra viel Spaß gemacht hat. Wenn ich mir aber einen aussuchen müsste, würde ich sagen, das ist mein least favorite. Aber dann sagen viele Leute, dass genau der ihnen am meisten taugt. Das hat mir wieder einmal gezeigt, dass es total schwer einzuschätzen ist, wie die Sachen ankommen.

Und wie ist es dir beim Schreiben gegangen? Hat sich dein Schreibprozess entwickelt? Ist es routinierter geworden oder wie hast du das empfunden?
Mo Cess: An so etwas schreibe ich ganz anders, als wenn ich länger an einem Album arbeite. Meistens suche ich sehr lange nach einem Thema – dann recherchiere ich und fühle dorthin: Was wurde zu dem Thema schon gesagt? Kann ich eine neue Perspektive bieten? Dann geht manchmal an einem Tag ein Vierzeiler, manchmal ein Sechzehner. Und manchmal dauert ein Song einen ganzen Monat oder verfällt komplett. Bei diesem Projekt bin ich immer nach meinem Instinkt gegangen. Ich wusste, dass ich mich nicht zu lange damit aufhalten darf, ob ein bestimmter Reim jetzt passt oder ob ich eine Zeile noch umformulieren soll. Ich wollte bewusst wieder in diesen Flow kommen.

Du hast im Interview zu „Klåmm“ gesagt, dass du Storytelling im Rap sehr feierst. War es diesmal dein Zugang, dass du das in dem Projekt integrierst?
Mo Cess: Meine liebsten Rap-Songs sind die, in denen eine Geschichte erzählt wird und das habe ich sehr in mir drin. Auf dem Album wollte ich das bei „Passagier“ machen. Das ist für mich so ein Storyteller, obwohl der Track auch sehr abstrakt ist. Es ist wie so ein Hörspiel zusammengebaut und die ganzen Schnipsel im Hintergrund geben immer wieder Hinweise.

Willst du mehr zu dem Track sagen? Oder willst du die Interpretation offen lassen?
Mo Cess: Ja, ich würde sie offen lassen. Das habe ich von „Klåmm“ gelernt, speziell beim Track „Haus“. Da haben immer wieder Leute gefragt: ‚Ah, das Haus steht für das und das oder?‚ Und bei allem, was ich gehört habe, habe ich mir gedacht, das klingt viel geiler als meine eigentliche Idee. Es hat ein bisschen gebraucht, bis ich mir zugetraut habe zu sagen: ‚Nein, ich will das jetzt nicht direkt erklären, sondern ich glaube, deine Interpretation ist die richtige.‘ Weil es ist deine Interpretation und du kannst mit dem Song machen, was du willst. Das ist ja das Coole an Musik.

„Ich glaube, dass dieser Ort wirklich sehr, sehr wichtig war.“

Ich glaube, es ist auch für einen selbst cooler, wenn man das im Ungewissen lässt. Es gibt einem mehr, wenn man persönlich etwas mitnehmen kann, als wenn man die offizielle Erklärung kriegt und sich denkt: ‚Okay, dann habe ich es falsch interpretiert.
Mo Cess: Es gibt einen Song von Atmosphere, der heißt „Became“ – und der ist einer ihrer meist interpretiertesten Songs überhaupt. Da haben Leute die wildesten Theorien darüber gehabt und haben Slug so lange danach gefragt, bis er es aufgelöst hat. Die Erklärung war dann super langweilig. Es war ein Gedicht, das ihm irgendjemand erzählt hat. Er hat dieses Gedicht dann als Inspiration genommen und diesen Song geschrieben. Fertig. Und alle waren so: ‚Ah, okay.‘

Thematisch ist das Album angelehnt an das Setting. Es geht um diese Abschottung und darum, dass die innere Stimme automatisch lauter wird, wenn man nicht so viele Einflüsse von außen hat. Kannst du dazu ein bisschen was erzählen?
Mo Cess: Ja, das finde ich voll schön beschrieben. Es ist darum gegangen, bei den vielen Sachen, die rumschwirren, mal genauer hinzuhören – was ist denn eigentlich gerade da? Wenn man den Space hat, um dem einen Platz zu geben, dann passiert eh eigentlich alles von selbst. Das klingt jetzt ein bisschen esoterisch, aber ich weiß nicht, ob das in der Stadt funktioniert hätte. Ich glaube, dass dieser Ort wirklich sehr, sehr wichtig war.

Mo Cess & Testa könnt ihr live hören:

04.10.2024 – Music House | Graz
15.11.2024 – Rhymetime Bash (B72) | Wien