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„Hits sind wie Fast Food“ // Nik Dean interview

„Hits sind wie Fast Food“ // Nik Dean interview

In der Nähe des Matzleinsdorfer Platzes gelegen, bietet Nik Deans Wohnung einen Blick auf Wiens Süden. Dort wohnt und produziert der Musiker in aller Ruhe und fast unbemerkt von der breiten österreichischen Öffentlichkeit. Seine Arbeit erscheint fast zur Gänze in den USA. Wie einst Falco und Anton Karas hat es Nik Dean aus Österreich heraus an die Spitze der US-Billboard-Charts geschafft. Kürzlich war er an einem zweiten Nummer-Eins-Hit beteiligt: Nach der 2018 erschienenen Single „In The Flesh“ von Kodak Black folgte im Jänner die Single „25k Jacket“ aus dem Gunna-Album „DS4Ever“. Der Wiener ist folglich Platin-Produzent, sein Name scheint immer wieder in den Credits großer US-Rap- und R’n’B-Produktionen auf.

Der sympathische Musiker nimmt uns in seiner Wohnung in Empfang – seine verschmuste Hündin hört zu. Es gibt jede Menge Gesprächsstoff, auch abseits der klassischen Beat- und US-Themen.

Alles im Blick – Nik Dean schaut über die Dächer Wiens.

Hast du von klein auf zuhause viel Musik gehört?
Definitiv. Ich habe serbische Wurzeln. Meine Eltern haben viel Balkanmusik gehört. Es war nicht meins, aber mein Dad hat mir auch früh CDs von Michael Jackson gegeben. Ich habe das gepumpt. Dann sind Boybands wie NSYNC oder die Backstreet Boys gekommen. Es war ein neuer Sound, den ich sehr gefeiert habe. Ich habe das nicht verstanden, nur gemerkt, dass musikalisch was Neues passiert. Bei einem Basketballturnier im Bacherpark, Schule gegen Schule, habe ich mit jemandem vom gegnerischen Team Freundschaft geschlossen. Er hat mir das erste Programm gegeben: Reason 3. Dann war es vorbei. Ich habe Basketball liegen gelassen. Es gab kein YouTube, keine Tutorials, er hat mich ins kalte Wasser geworfen.

Waren bei den Sessions im Park Leute dabei, die heute noch aktiv sind?
Ja, einige. Polat von Stonepark zum Beispiel, er hat mir die CD gegeben. Die Bludzbrüder und Stonepark waren auch aus dem 5. und 12. Bezirk, aus der Gegend. Ich kenne alle aus der Ecke.

Aus welchem Teil von Serbien ist deine Familie?
Pančevo, das ist circa 30 Minuten von Belgrad entfernt. Aber ich habe kaum Bezug hin, bin nie dort. Ich komme aus einer Roma-Familie. Meine Eltern sind ein Jahr vor meiner Geburt nach Wien gezogen.

Hat die Roma-Kultur einen Einfluss auf dich?
Nicht wirklich. Ich distanziere mich davon.

Warum?
Man kennt ja die Klischees. Die sind auch oft erfüllt. Es ist ein Fakt, dass viele Leute keine großen Erwartungen haben und viel gestohlen haben, um zu überleben. Es hat mich schon damals extrem abgeturnt. Ich wollte nie eine schlechte Person sein oder mit diesen Sachen zu tun haben. Ich kenne es aus meiner Familie, wo es auch solche Leute gibt. Heutzutage ist es nicht mehr ganz so schlimm. 

„Immer wenn es um was Kriminelles gegangen ist, war ich weg.“

Aber ist es nicht auch so, weil sie keine andere Wahl hatten?
Es stimmt schon. Aber es ist trotzdem irgendwo eine Entscheidung, man muss nicht so eine Person sein. Gerade wenn du in Österreich lebst, gibt es keinen Grund dafür. Immer wenn es um was Kriminelles gegangen ist, war ich weg.

Bist du so erzogen worden?
Meine Eltern haben mir diese Werte vermittelt. Sie wollten sich selber nicht in diese Schublade stecken lassen. Sie haben mir das mitgegeben und ich habe immer versucht, mich vor Problemen fernzuhalten. Auch das Kiffen ist nicht meins. ‚Es ist eine Droge – Drogen, nein‘, das wurde mir eingetrichtert. Auch wenn es natürlich nicht schlimm ist, einen Joint zu rauchen. Ich wollte nur meine Musik machen und den geraden Weg gehen.

Wann ist dein Traum geboren, als Produzent in großen Ligen mitzuspielen bzw. davon leben zu können?
Ich kann es nicht genau sagen. Am Anfang war es ein Hobby. Ich habe es gemacht, weil es Spaß gemacht hat. Ab 2015 habe ich es ernster genommen. Da hat OZ aus der Schweiz seine ersten krassen Placements gehabt. Er hat zum Beispiel „Life Is Good“ oder „Girls Want Girls“ für Drake produziert. Ich glaube er war der erste Europäer, der in den USA richtig groß als Producer rausgekommen ist. Er hat eine riesige Tür geöffnet und mich damit extrem motiviert. Mit Social Media ist es auch leichter geworden, zu solchen Leuten Kontakt aufzunehmen.

Du warst dann bald in Miami bei Studiosessions. Wie ist es dazu gekommen, was hattest du damals vorzuweisen?
Foreign Teck, der damals für Bryson Tiller produziert hat, hat über Insta einen Beat-Contest gestartet. Ich habe Beats hingeschickt. Er hat es extrem gefeiert. Ich habe ihn dann jede Woche mit Samples und Beats zugespammt. Ich habe zehn Jahre Vorarbeit geleistet und konnte viel liefern. Nach sechs Monaten wollte er mich signen und hat mich nach Miami eingeladen. Ich bin auf eigene Kosten hingeflogen und war zwei Wochen dort. Teck war auf einem anderen Level, er hatte Grammy-Nominierungen und Multi-Platinum. Er hat krasse Leute zu Sessions eingeladen. Wir haben einfach gearbeitet, rumgejammt. Dabei ist mein erstes Placement entstanden. Für „Out of My Mind“ von NBA Youngboy und Stitches. Wir haben mit ihnen im Studio gearbeitet, am nächsten Tag ist der Song direkt rausgekommen, was eher unüblich ist. Wir haben es über die News erfahren.

Wie war das für dich?
Nicht so nice, weil mir der Song nicht gefallen hat. Ich bin perfektionistisch – aber ich hätte nicht gedacht, dass ich mich nicht über so ein Placement freuen kann. Das erste Mal gefreut habe ich mich, als mein Placement für Trey Songz erschienen ist. Das ist auch in Miami entstanden, aber erst Monate später rausgekommen.

Was hast du aus den zwei Wochen in Miami mitgenommen?
Es wird ganz anders gearbeitet. Du sitzt nicht zwei Stunden im Studio und probierst. Die Songwriterin von Trey Songz macht auch für Chris Brown viel. Sie hört den Beat einmal, beim zweiten Mal recordet sie. Nach 20 Minuten steht der Song. Sie freestylt alles: Lyrics, Toplines, die Demo war komplett done. Es war motivierend.

Aber ist es für dich als Perfektionist nicht ein Nachteil, so schnell zu arbeiten?
Nein. Du musst dieses Level erreichen. Es ist wie in der NBA. Wenn du MVP werden willst, musst du hart arbeiten – wie ein Kobe. Ich will in dieser Welt mitspielen. Wenn ich einen Anruf kriege, dass für einen Artist was gebraucht wird, will ich was parat haben. Oder nicht zwei Tage brauchen, wenn ich nichts habe. In zwei Tagen ist der Rapper vielleicht nicht mehr im Studio.

Wie beeinflusst dich der Zeitzonenunterschied?
Der ist eine Katastrophe. In Miami sind es sechs Stunden, in L.A. neun. Aber das Geile ist: Wenn ich um 9 Uhr aufstehe, ist drüben Mitternacht und da passieren Sessions. Wenn ich vorgearbeitet habe und sie noch was brauchen, bin ich wach und kann direkt weiterarbeiten. Ich habe keinen sehr festen Schlaf und mein Handy immer neben mir. Wenn mir um 4 Uhr wer was schickt, stehe ich auf und arbeite.

Paperwork passiert oft erst nach den Releases. Hast du einen Anwalt in den USA?
Ja. Den brauche ich auch, er hat den Draht zu den Anwälten von Rappern. Ich warte teilweise Monate nachdem ein Song draußen ist auf Geld. Mahnungen oder Verzug gibt es dort nicht. Du musst warten, bis die ganze Prozedur fertig ist, alle Unterschriften da sind.

Du hast auch ein Management dort, oder?
Genau, Matt Geffen, er ist noch voll jung. Er ist gerade 23 geworden. Ich habe ihn als Manager genommen, als er 20 war.

Wie bist du zu ihm gekommen?
Das Management heißt The Revels Group. Das sind paar Leute aus L.A. Unter anderem Jamil Davis,  der Tourmanager von Drake und mit Matt Bauerschmidt der Direktmanager von G-Eazy. Ich mache meine Hausaufgaben. Ich google, wer wen vertritt. Ich habe Matt Geffen direkt angeschrieben, als er dazugekommen ist. Er hatte noch keinen Producer unter Vertrag und kaum Erfahrung. Aber er war der direkte Draht zu G-Eazy. Ich wollte Beats bei ihm platzieren, das habe ich mit „The Game“ und „Miguel“ geschafft – und ich habe gleichzeitig einen Manager bekommen. Das Revels-Team ist top und besitzt eine große Liste an Leuten, auf die ich zugreifen kann. Ich habe eh einen Manager gebraucht, der Papierkram hat mein Leben gefickt. Außerdem ist es gut wen zu haben, der sagt: ‚Pass auf, du wirst gerade abgezogen‘.

Was hat dich bisher am meisten in Zusammenarbeit mit Amis geärgert?
Ich versuche, es menschlich zu sehen. Wenn du ein Problem hast, dann mit einem Menschen, aber nicht musikalisch. Industriemäßig nur, dass du manchmal deinem Producer-Credit nachlaufen musst. Aber dafür gibt es den Manager, der mich vertritt. Es gibt Leute, die viel größer als ich sind, aber einen schlechteren Manager haben.

Glaubst du wäre es ein Vorteil, wenn du rüberziehst?
Ja und nein. Es wäre ein Vorteil, wenn ich mehr direkt in Sessions wäre. Aber ich habe so wie es ist einen zusätzlichen Ausländerbonus. Wenn ich dort bin, cancelt mir keiner eine Session. Die wissen, dass ich in 2 Wochen wieder weg bin. Sie kennen meine Credits, was ich mache und wissen, dass ich gut vernetzt bin. Es schadet nicht, ab und zu rüberzufliegen.

„Wenn ich könnte, würde ich eher Sänger als Producer werden – aber ich kann halt nicht singen“

Würde es dich reizen, dort zu wohnen?
Gar nicht. Ich bin ein fauler Typ. Ich will ums Eck gehen und meinen Kebab holen. Dort ist es so: ‚Bro, ich kenn einen nicen Spot in der Nähe.‘ Willst du mich verarschen? Wir sind gerade 40 Minuten zu einem Diner gefahren, um einen Burger zu essen (lacht). Es ist nicht meins – und echt gefährlich. Ich war einen Tag bevor XXXtentacion erschossen worden ist an derselben Stelle. Wir haben es nicht gepackt, als wir am nächsten Tag die News gesehen haben. Was ist da gerade passiert? Ich war viel mit Foreign Teck unterwegs – der würde ohne „Schutz“ rausgehen. Du gehst von einer Luxusstraße ums Eck und bist plötzlich im Ghetto. Du musst genau wissen, wo du hingehst und welche Farbe du trägst.

Wie wichtig ist dir dein soziales Umfeld in Wien?
Mir war es in den letzten zehn Jahren nicht so krass wichtig. Ich habe versucht, meine Karriere voranzutreiben. Meine Jungs haben das verstanden. Ich habe mich vielleicht einmal im Monat mit ihnen getroffen. Jetzt wieder bisschen öfter.

Ist dein Zugang zur Musik entspannter geworden?
Ja. Ich habe mir Stabilität in diesem Geschäft aufgebaut. Die meisten Producer kennen mich. Das hilft mir. Jetzt kann ich es bisschen entspannter angehen, 9-to-5-mäßig. Außer es gibt ein krasses Projekt, an dem gerade alle arbeiten.

Anderes Thema: Du hast auch viel D’Angelo gehört, oder?
Ja. Aber erst sehr spät, vor sechs, sieben Jahren. Du musst dir denken: Ich mache die ganze Zeit Trap und so einen Scheiß – und das ist komplett das Gegenteil. Das höre ich gerne zuhause.

Ist er der Benchmark-Artist?
Nein, das sind Boyz II Men und Brian McKnight.

Was macht sie dazu?
Gesang war mir immer wichtig. Wenn ich könnte, würde ich eher Sänger als Producer werden – aber ich kann halt nicht singen (lacht). Was sie gemacht haben war next level. D’Angelo macht auch richtig gute Musik. „Brown Sugar“ ist krank. Er ist ein guter Sänger, aber nicht vergleichbar mit Boyz II Men oder Brian McKnight. Der ist vielleicht technisch der allerstärkste Sänger, was R’n‘B angeht.

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Wäre diese Richtung für dich produktionstechnisch interessant?
Ich denke da sind andere Leute versierter. Meine Stärken sind eher Pop- und Dark-Sounds. Ab und an mache ich R’n‘B.

„Was ich release sind fette Beats, aber keine gute Musik“

Könntest du dir das antrainieren?
Es ist nicht so, dass ich es nicht kann. Ich müsste mich reinleben. Ich verstehe alles, aber die Akkorde sind bei R’n’B oder Soul schwieriger zu spielen. Es ist eine andere Welt. Ich denke auch, dass so eine Musik von Live-Musikern gemacht werden muss. Sonst klingt das nicht legit. Ich will dieses Genre nicht mit meiner elektronischen Scheiße kaputtmachen. Ich fühle mich da als Musiker verpflichtet (lacht). Es muss jemand mit echtem Bass und Fender Rhodes daherkommen. Sonst ist das Müll.

Würdest du deine Musik als Müll bezeichnen?
Nein, gar nicht. Ich bin top in dem, was ich mache. Man kann es nicht vergleichen. Musik von früher hat viel mehr Qualität. Da ist alles echt, live, ein ganz anderes Mixing mit Tape-Maschinen. Es ist eine andere Prozedur und es klingt viel wärmer.

Würde es dich interessieren, deine Sachen mit Livemusikern umzusetzen?
Fix. ich würde gerne theoretisch was schreiben oder komponieren und es von einem Orchester umsetzen lassen.

Glaubst du wäre das in Österreich möglich?
Österreich ist leider nicht so offen für Neues. Ich fühle mich hier mit Musik sehr eingeschränkt, sage ich ganz ehrlich. Das was in Amerika seit zwei Jahren out ist, kommt jetzt her. Allerdings haben wir hier die Wiener Philharmoniker, eines der besten Orchester der Welt. Mit denen würde ich nur zu gerne mal arbeiten.

Sind reine Instrumentalreleases ein Thema?
Ja, aber erst, wenn ich größer werde. Damit ich meine Musik auch wirklich sharen kann und sie ein Ohr findet. Ich bin noch nicht auf diesem Level.

Was fehlt dir noch? Placements?
Nicht nur Placements, ich will auch als Mensch wachsen, meine innere Ruhe finden. Ich bin noch zu sehr unter Strom. Für mich sollte Instrumentalmusik nicht hektisch sein. Sie sollte viele Facetten haben. Ich will mir dafür Zeit nehmen und den Leuten, die zuhören, was mitgeben, sie auf eine Reise schicken. Noch kann ich mir die Zeit dafür nicht nehmen.

Ist der Anspruch an gute Musik, dass man sich Zeit nimmt?
Ja, schon.

Aber es ist genau das Gegenteil zu deiner aktuellen Arbeitsweise.
Das ist richtig. Für mich persönlich gute Musik ist D’Angelo. Was ich release sind fette Beats. Aber es ist keine gute Musik, sind wir uns ehrlich (lacht). Es können auch sehr simple Sachen sein, aus denen ein Artist mit krassen Toplines oder einem besonderen Schema was rausholt. Aber musikalisch ist etwas für mich erst dann gut, wenn es einen berührt, eine Emotion auslöst.

Wann war das bei dir zuletzt der Fall?
Bei „My Future“ von Billie Eilish. Es ist simpel, hat aber geile Akkorde dazwischen und was sie musikalisch daraus gemacht hat ist next level. Es hat mich wirklich berührt. Adele ist auch krass. Da passiert produktionstechnisch auch nicht immer viel, aber das Piano ist stets perfekt gewählt und hat Qualität, der Mix ist abnormal gut, die Toplines sind krass.

Siehst du Acts, die diesen R’n’B-Flavour mit modernen Produktionen kombinieren?
Ja, safe. Bryson Tiller zum Beispiel. Er hat richtig komplizierte Akkorde dabei und ist sehr perfektionistisch. Für seine Alben löscht und wechselt er volle Songs. Drake macht unfassbar guten R’n’B – ich würde vielleicht sogar sagen, dass das keiner besser macht als er. Aber Hits passieren schnell. Die sind Fast Food. Ein McDonald‘s verdient auch mehr als ein richtiges Restaurant.

Werden solche Hits auch schneller vergessen?
Boyz II Men oder D’Angelo sind heute noch eine relevante Referenz. Es ist schwierig, zu benennen, warum was ein Hit wird oder nicht. Es gibt Hits für die jeweilige Zeit und welche, die für immer bleiben. Ein Hit, der langlebig ist, braucht glaube ich eine Geschichte. Da ist nicht nur der Beat fett, sondern alles. Dann kannst du von einem Evergreen reden.