Sie rappt über Fuckboys und Fickclips, Koks-Taxis und Ketten von Cartier. Nike101 teilt aus, wie sie es schon damals von ihren ersten Deutschrap-Vorbildern gelernt hat. Trap-Instrumentals und melodische Hooks begleiten ihre Lines, die voller Selbstbewusstsein und Offenheit sind. Dabei geht sie ungezwungen mit ihrer Sexualität um, feiert die schönen Seiten des Lebens und verschweigt trotzdem nicht die düsteren.
Die Veröffentlichung ihres Debütalbums “zu viele hobbies” feierte die Wienerin in Thailand. Nach einer nur sehr kurzen Akklimatisierungsphase haben wir die Rapperin getroffen und mit ihr darüber gesprochen, wie sie im Polohemd auf der Polizeistation gelandet ist, warum sie wahrscheinlich materialistischer als andere ist und weshalb sie gerade bei Männern mit ihren Texten immer wieder aneckt.
The Message: Auf „Double Cup“ rappst du: „Alle sind entspannt, in dem Park den ich von früher kenn’“. Welchen Park hattest du vor Augen, als du diese Zeile geschrieben hast?
Nike101: Wenn ich an einen Park denke, dann ist es eigentlich der Burggarten, also total posh. Dort habe ich mit 14, 15 Jahren jede freie Minute verbracht, auch im Winter, wenn es geschneit hat. Da gibt es diese Gitter, wo heiße Luft rauskommt und da sind wir zu fünft als einzige im Park gesessen.
In welchem Bezirk bist du aufgewachsen?
Ich komme aus Hütteldorf und bin früh nach Hietzing gezogen. Ich war dann in so einer Bonzenschule, das hat gar nicht gepasst. Ich musste schnell weiter und bin dann auf die Grafische gewechselt. Dort habe ich dann eigentlich das erste Mal mit HipHop zu tun gehabt und viele Künstler kennengelernt – Graffiti-Sprüher und alles Mögliche in diese Richtung.
Hast du dann selbst auch Graffiti gemacht?
Ja voll, ich habe sicher drei Jahre gemalt und dann bin ich gebustet worden.
Aber richtig gebustet? Warst du alleine?
Ja, auf der Autobahnbrücke, ich war mit einer Freundin. Es war dunkel, aber nicht mitten in der Nacht. Wir waren nicht alt genug, um zu verstehen, dass Dunkelheit noch nicht Sicherheit bedeutet. Ich bin dann in die Vernehmung gegangen mit meinen ganz extrem sauren Eltern, weil ich damals erst 15 war. Die haben mich gezwungen, ein weißes Polo anzuziehen und so eine Fensterglasbrille aufzusetzen. Und ich hatte einen extrem geschmeidigen Polizisten. Der hat gesagt „Ja, also ob die Wand jetzt oder davor schöner war, liegt im Auge des Betrachters.“ Dann haben sie das schnell fallen gelassen, es gab nur die Strafe, die man fürs Putzen und so zahlen musste. Das war einfach das blonde und blauäugige Mädchen, das voll davongekommen ist.
Wie war es konkret, als du zum Rappen angefangen hast?
Im damaligen Freundeskreis haben alle männlichen Freunde und eine weibliche schon gerappt – heute bekannt als Donna Savage, aber mit ihr habe ich nichts mehr zu tun. Natürlich hätte ich das auch gerne gemacht, weil ich Rap höre seitdem ich 10 bin. Aber es hat gedauert, bis ich mich getraut habe. Davor sind wir in unseren Kinderzimmern gesessen, nur Mädels. Es gibt Websites, wo du Freestyle-Wörter bekommst und dann dazu freestylen musst – das haben wir mit 15 gemacht. Aber das hätten wir niemals vor irgendeinem Typen machen können. Mit 19 war es mir dann egal. Ich hatte einen Freund, mit dem die Beziehung langsam zu Ende gegangen ist. Sein größtes Hobby war die Musik. Ich habe gedacht: Ok, vielleicht kann ich das noch retten. Dann war das alles ziemlich zufällig.
Was hast du damals gehört?
Ich habe damals extrem viel Die Sekte gehört, die habe ich sehr gemocht. Kontra K war eines meiner ersten Konzerte 2014, Lance Butters, solche Sachen. Ich habe auch ganz viel VBT und JBB gehört. Morlockk Dilemma auch – ich wurde da voll influenct von den Leuten im Einbaumöbel, die Freestyle Sessions gemacht haben. Ich bin eigentlich erst 2019, 2020 in den Mainstream abgerutscht und höre voll gerne Juju, Loredana und solche Sachen.
Wenn man sich deine Musik anhört und deinen Insta-Account anschaut, weiß man im ersten Moment nicht, wie ernst du es meinst. Wie würdest du deinen Zugang zur Musik beschreiben?
Ich bekomme die Frage sehr oft: Ist das ernst gemeint? Es ist halt irgendwie alles ernst gemeint und auch nichts, was ich mache. Ich habe schon komplett Bock, jetzt Konzerte und sowas zu machen und die meisten Passagen in den Texten stimmen auch. Ja, natürlich ist es ernst gemeint und was ich ernst meine ist, dass man die Dinge nicht so ernst nehmen sollte.
Weißt du, wer in etwa deine Zielgruppe ist, welche Leute dich so hören?
Auf Spotify sind die meisten zwischen 20 und 29. Es gibt auch Leute, die mir auf Insta schreiben: “He ich hör mir das wirklich gerne an.” und die wirken alle recht normal, wo ich mir denke: Ok cool. Andere Leute schreiben mir, glaube ich, weniger wegen meiner Musik, sondern mehr wegen dem Mädchen, das die Musik macht.
Sie sind mehr an dir als Person interessiert, stört dich das?
Nein, das Ding ist: Ich war nicht auf einem Kontra-K-Konzert, weil ich seine Musik so gerne höre, sondern weil er einfach ein cooler Typ ist. Jedes Ticket bringt Geld, es ist mir egal, ob die wegen meinem Aussehen oder wegen meiner Musik kommen. Es freut mich natürlich, wenn sie meine Texte verstehen und sich damit identifizieren können. Aber ich spiele lieber vor 50.000 und 40.000 kommen nur weil sie mich schoaf finden, als vor 100 und die mögen nur meine Texte. Das würde mich weniger stören, eben weil ich selbst auf Instagram Leuten folge, deren Musik mir schnurz ist.
Du hast heuer dein erstes Album “zu viele hobbies” releast. Kannst du ein bisschen davon erzählen?
Ich wurde von Futuresfuture gesignt und das war das einzige, das ich machen musste – ein Album. Ich hatte ein bisschen Stress, weil ich wusste, dass ich nach Thailand fliege. Die letzten drei Songs habe ich in drei Wochen gemacht. Die Songs sind nicht chronologisch angeordnet, aber man hört ganz gut, was vor zwei Jahren entstanden ist und was neu ist. Die Leute, mit denen ich arbeite, haben sich geändert und es ist auch technisch besser geworden. Aber ich hab mir davor nicht überlegt, wie das Album werden sollte. Der Name ist drei Tage bevor ich es hochgeladen habe entstanden. Wenn man mich verfolgt, ist eh klar, was ich damit meine. Ich mache die ganze Zeit irgendwelche Dinge, ich will alles ausprobieren. Und es hat ein bisschen was mit Bonez MC zu tun, weil er gemeint hat, Frauen sollen sich Hobbies suchen.
Gute Antwort darauf. Wie war die Zusammenarbeit mit dem Label – von dir aus hättest du wahrscheinlich kein Album gemacht, oder?
Ja, voll. Ich komme aus einer Generation, wo sich eigentlich niemand ein Album gekauft hat. Ich wüsste nicht, was ich mit einer CD machen kann und ich bin auch keine Platten-Hörerin. Ich hätte, glaube ich, einfach jeden Monat irgendwas auf Spotify releast und experimentiert.
Aber findest du es trotzdem gut, dass du es so gemacht hast?
Ich habe mich schon darüber aufgeregt, aber es hat mich auch ein bisschen auf Trab gehalten. Ich hätte vor eineinhalb Jahren, glaube ich, nicht weitergemacht. Dann habe ich aber schon unterzeichnet. Nein, es war schon cool, ich würde es auch nochmal machen.
Das heißt, ohne das Label hättest du aufgehört?
Ich habe die ersten zwei, drei Songs mit meinem Ex-Freund gemacht, dann ist die Beziehung zu Ende gegangen und dann war ich so: Ok, das war ein cooles Projekt, that’s it. Ich hätte fix aufgehört, aber Gott sei Dank haben sie mich vor meinem dritten Song angeschrieben.
„Ich glaube nicht, dass man denkt, dass ich wirklich nur zuhause sitze und Tee trinke.“
Du rappst über Drogen, Autos und Geld und bedienst dich quasi an diesen klassischen Rap-Klischees. Warum?
Ich bin Halb-Russin und meine Familie ist jetzt nicht protzig, aber wenn ich einen schlechten Tag habe, dann nehme ich halt eine nice Handtasche und dann geht es mir irgendwie besser. Es gibt keinen schlechten Tag, den ein gutes Outfit nicht richtet. Ich bin viel materialistischer als viele andere, glaube ich. Ich muss jetzt keine Rolex tragen, aber ich würde schon gerne ein gutes Auto fahren, wenn ich es mir leisten kann. Und dann eben immer spenden – Tierheim und solche Sachen.
Und mit Drogen ist es ähnlich?
Wie gesagt – es ist nicht alles immer so ernst zu nehmen. Aber natürlich, ich bin eine Wienerin, der man glaube ich ansieht, dass sie in Wien aufgewachsen ist und diese Sachen ergeben sich. Da frage ich mich, ob sich wirklich Leute fragen, ob das echt ist oder nicht.
Aber es ist nicht so abwegig, weil Rap sehr viel von Kunstfiguren lebt. Es gibt ja ganz viele, vor allem Männer, die dann rappen, wie viele Drogen sie sich reinhauen und in Wirklichkeit machen sie es vielleicht gar nicht so arg.
Total, ich finde nur bei mir würde man das nicht denken. Ich glaube nicht, dass man denkt, dass ich jetzt wirklich nur zuhause sitze und Tee trinke.
Es gibt auf dem Album auch Tracks, die ernster sind. Wie suchst du deine Themen aus und wie schreibst du deine Texte?
Ich nehme mir immer vor, dass ich einen Song über ein bestimmtes Thema mache und es hat noch nie funktioniert. Wenn ich anfange zu schreiben, dann schaff ich’s vielleicht, dass eine Strophe perfekt von dem Thema handelt und bei der zweiten bin ich so: Scheiße, ich habe irgendwie alles gesagt, was ich sagen wollte. Dann wird es immer weitläufiger. Grundsätzlich schreibe ich Texte oft, wenn ich abends nach Hause fahre, vom Fortgehen oder so – also wirklich bisschen deppert, so immer einzelne Phrasen ins Handy rein und dann muss ich nüchtern sein, um einen Song zu schreiben. Immer mit einem Beat, den ich mir davor ausgesucht habe, der gibt die Stimmung vor.
Ein Track auf deinem Album, der sehr düster ist, ist „Letzter Schluck“. Es geht um sexualisierte Gewalt. Willst du darüber sprechen?
Es geht eigentlich um mehrere Situationen, die Freundinnen passiert sind. Ich habe mich viel von dem, was die mir gesagt haben, inspirieren lassen. Es geht auch um Victim Blaming. Man muss den Mädels vergeben, dass ihnen das passiert ist und es wird gar nicht thematisiert, welche Typen das eigentlich angerichtet haben.
Hast du das Gefühl, dass der öffentliche Diskurs darüber sich bessert?
Nein, ich glaube das ist phasenweise und zur Zeit sind wir in einer Phase, in der wieder alles ziemlich schlecht wird. Das letzte Jahr, glaube ich, ist das wieder ziemlich runtergegangen mit Andrew Tate und Co. Aber grundsätzlich bin ich sehr positiv gestimmt und glaube schon, dass unsere Kinder noch eine tollere Gesellschaft haben werden.
Die Erlebnisse von deinen Freundinnen, waren das Vorfälle im eigenen Freundeskreis?
Ja, es ist eigentlich genau wie die Statistik es sagt – Leute im Bekanntenkreis.
Eine Sache, die bei dir auch sehr hervorsticht, ist dein Selbstbewusstsein. Einer der Tracks, wo das sehr gut rüberkommt, ist „Hood“. Du rappst zum Beispiel “Sogar Boys werden nass, wenn sie Nike hier sehen.” Was bedeutet es für dich, solche Texte zu schreiben?
Das ist vielmehr das, was ich mit Die Sekte und so verbinde. Man dreht einfach den Spieß um und man kann sich da, finde ich, als Frau extrem viel erlauben. Ich meine, so schlimm ist der Text auch nicht, aber es macht einfach Spaß, dieses Thema mit Leichtigkeit zu behandeln.
Es hört sich an, als wäre es eine direkte Antwort oder Konfrontation mit den Texten, die du wahrscheinlich von früher kennst.
Ja, das ist es auch. Ich versuche jetzt nicht, so einen Song zu machen, um in den Kreis von diesen Rappern aufgenommen zu werden. Ich will einfach damit spielen, darüber lachen und die Sache von einem anderen Blickwinkel betrachten.
„Es sind immer Männer, die sich irgendwie bedroht fühlen. Für ganz viele Typen bin ich, glaube ich, manchmal das Sinnbild des Bösen.“
Hast du das Gefühl, es ist noch immer ein Ding, wenn Frauen so offen über ihre Sexualität sprechen?
Ja, ich bin ja sehr offen. Ich wurde auch schon manchmal von engen Bekannten auf die Seite gezogen und da kommen Dinge wie „Findest du das wirklich ok, wie du das machst? Willst du bestimmte Dinge nicht für dich behalten?”.
Und solche Aussagen kommen eher von männlichen Freuden?
Nein, schon auch von Frauen, aber viel mehr von männlichen Freunden. Es sind immer Männer, die sich irgendwie bedroht fühlen. Für ganz viele Typen bin ich, glaube ich, manchmal das Sinnbild des Bösen, weil ich eben laut bin, eine Frau bin und eigentlich alle Sachen mache, die sie auch machen. Aber halt eben mit der Art, wie ich sie mache. Wenn ich in der HipHop-Szene Probleme bekomme, dann sind es immer Typen, die ein Problem mit dem haben, was ich mache.
Was stört sie genau?
Ich glaube, so wie ich eine Welt haben möchte, wo alle Leute ein bisschen cooler und freier sind, ist deren Ziel, dass alle wieder ein bisschen verschlossener werden. Mit dem was ich mache halte ich sie auf und das stört sie. Aber das bin ich und dass ich das mache ist ein Teil von mir. Ich glaube, dass diese Leute vielleicht kein erfülltes Sexleben haben, vielleicht auch kein erfülltes Leben an sich. Wenn ich selbst Sachen zu tun habe, habe ich keine Zeit, mich über irgendjemand anderen aufzuregen. Aber genau deswegen muss man ja offener werden, damit die vielleicht irgendwann verstehen, dass es an ihnen selbst hapert.
Du bist jetzt wieder zurück in Wien. Was ist als nächstes geplant?
Ich würde im Sommer gerne Konzerte geben, aber auch gerne nach Deutschland fahren. Grundsätzlich würde ich auch gerne mal in Berlin leben, einfach um zu schauen, wie das ist. Ich habe das Gefühl, dass es dort viel mehr Zusammenarbeit zwischen Leuten gibt.
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