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Weißer Ferrari und universelle Gefühle // Paula Hartmann Interview

Weißer Ferrari und universelle Gefühle // Paula Hartmann Interview

Die 23-jährige Berlinerin Paula Hartmann gehört zu den gegenwärtig spannendsten Künstler*innen im deutschsprachigen HipHop-Universum. Wer nach Gründen dafür sucht, wird auf ihrem zweiten Studio-Album „kleine Feuer“ fündig, wo beeindruckende Poesie auf eingängige Melodien trifft. Wir haben Paula Hartmann im Vorfeld ihres ausverkauften Konzerts im Wiener Gasometer getroffen und mit ihr über Star-Rummel, Spiritualität und Österreich-Connections gesprochen.

Paula Hartmann vor schwarzem Hintergrund
Sie will doch nur spiel’n: Paula Hartmann // Alle Fotos: Daniel Shaked

The Message: Vergangenes Jahr bist du zum ersten Mal beim Wiener Donauinselfest aufgetreten, dem weltweit größten Musikfestival mit freiem Eintritt. Wie war das Gefühl, dort aufzutreten?
Paula Hartmann: Vor einem Jahr für mich noch etwas überfordernd. Ich war sehr aufgeregt. Es war trotzdem sehr schön. Ich hatte das Gefühl, dass die Energie der Gruppe, die sich an diesem Tag zusammengefunden hat, sehr sweet war und dass alle mit dem gemeinsamen Schicksal des „Im-Regen-Stehens“ (lacht) sehr gut zueinander waren. Ich habe das Donauinselfest bis auf meinen kleinen Verspieler sehr positiv in Erinnerung. 

Was später noch medial in Österreich thematisiert wurde, war eine Aussage von dir bei deinem Gig, und zwar dein „Fick Till Lindemann“, gerichtet an den Rammstein-Sänger. Was ist dir bei dieser Äußerung durch den Kopf gegangen?
Frust! Ich habe es bei einigen Festivals gesagt und es war immer der Frust darüber, dass Menschen nicht gehört werden – obwohl es so viele sind, die die gleiche Geschichte zu erzählen haben. Dennoch wird denen nicht geglaubt. Es war mir wichtig, meinen Dank an die Opfer dieser Band auszusprechen, dass sie den Mut hatten, sich gegen so eine strukturelle Übermacht zu stellen.

Dein Auftritt beim Donauinselfest ist nicht der einzige Wien-Konnex, den du hast. Wer dein neues Album gehört hat, der hat bemerkt, dass Verifiziert darauf vertreten ist. Wie ist es zu dieser Verbindung gekommen?
Ich habe ihr recht früh geschrieben, weil ich interessant fand, was sie gemacht hat und das Gefühl hatte, wir würden uns verstehen. Das Gefühl hat sich bestätigt und seitdem sind wir Brieffreundinnen. Ich empfinde es als sehr bereichernd jemanden zu haben, der ähnliche Erfahrungen macht. Ich weiß sie sehr zu schätzen. 

„Manchmal blendet man die komischen Seiten viel besser aus“

Du bist großer MF-DOOM-Fan. Dieser hat einmal gemeint, er benutzt die Kunstfigur MF DOOM als Vehikel, um Sachen zu sagen, die er als Daniel Dumile nicht sagen könnte. Wie geht das, wenn man Paula Hartmann ist? Machst du dir bei denen Texten Gedanken, ob du alles so formulieren kannst, wie du es fühlst, weil es dann immer gleich auf dich als Paula Hartmann bezogen werden könnte?
Es ist definitiv anders als bei DOOM. Er hat viel getrennter seine Charaktere gezeichnet und verschiedene erschaffen; es gab nicht nur DOOM. Aber ich habe schon das Gefühl, dass Paula Hartmann für mich ein Ventil ist, mit dem ich Dinge sagen kann, die Paula im Privatleben nicht sagen würde. Es gibt für mich schon eine Trennung zwischen Paula Hartmann und mir. Es ist nur näher dran als bei DOOM. 

War es für dich immer klar, dass du dir keinen Künstler*innen-Namen zulegst, sondern Musik als Paula Hartmann machen wirst?
Ich habe darüber nachgedacht. Ich hatte zwei andere, die ich noch nehmen wollte, aber für das, was ich gemacht habe, hat es sich in dem Moment nur wie die einzige richtige Lösung angefühlt, es mit meinem authentischen Namen zu machen. Ich weiß bis heute nicht, ob das schlau war (lacht) … oder ob man sich nicht noch gerne hinter einem fiktiven Namen verstecken wollen würde. Bereuen tue ich es – Stand jetzt – aber nicht.

Wie gehst du mit dem Rummel um, der auf dich einprasselt? Wann kommen die Gedanken, ob es vielleicht doch besser gewesen wäre, sich hinter einem fiktiven Namen zu verstecken und damit die Trennung Privatperson-Künstlerin klarer zu vollziehen?
Die kommen phasenweise, in Schüben. Manchmal blendet man die komischen Seiten viel besser aus. Manchmal nimmt man schon Kleinigkeiten als total doll war, weil man gerade sensibler dafür ist. Ich habe aber noch nicht das Gefühl, dass es super extrem ist und dass ich mich extrem einschränken müsste. Es ist oft mehr in meinem Kopf, ob man sich an manchen Tagen so fühlt wie ‚Kann ich heute nicht einfach Ich sein?‘ (lacht) Einfach auf diesem Geburtstag, auf dem ich gerade bin, zu sein und nicht über meinen Job reden zu müssen … dieses Gefühl haben aber auch Menschen, die nicht mediale Jobs haben. Momentan fällt es mir sehr leicht, weil eine größere Selbstbestimmtheit darunter liegt, wann ich was sagen kann – und ich kann auch einmal sagen: ‚Ne, ich möchte jetzt kein Foto mit dir in meinem Backstage machen, nachdem ich gerade aufgetreten bin.‘ Das muss man erst einmal lernen. Das Komischste sind daher die Veränderungen. Wenn es größer wird oder überhaupt anfängt und man sich anpassen muss.

Sind das die komischen Seiten, die du vorher gemeint hast? Also das ist dieser Anpassungsdruck, wenn man im medialen Fokus steht?
Mit komisch meine ich, dass Menschen einen auch im privaten Kontext anders behandeln. Sowohl positiv als auch negativ, aber mit einem „Extra“, das einem das Gefühl gibt, man sei nicht ganz normal. Gerade im Kontext von mit Gleichaltrigen irgendwo sitzen oder neue Leute kennenlernen kommen manchmal komische Situationen zustande, in denen man sich so fühlt, als hätte man sich eine Clownsnase aufgesetzt und soll jetzt noch auf der Flöte spielen, obwohl man nur mit seinen Freunden Zeit verbringen möchte.

„Ich bin auf jeden Fall etwas zurückhaltender, reservierter geworden“

Ist es eine Konsequenz davon, dass man in zwischenmenschlichen Beziehungen eher reservierter agiert, weil man unsicher ist, ob das Interesse nur der Kunstfigur oder auch der Person dahinter gilt?
Voll. Ich bin auf jeden Fall etwas zurückhaltender, reservierter geworden. Ich habe das Gefühl –  es hört sich doof an – aber dass ich es mir leisten kann, da ich mich in meinem privaten Umfeld sehr gesettelt (betont) fühle. Wenn man einsam und auf der Suche nach neuen Leuten ist ist es schwieriger, reserviert zu sein. Aber ich fühle mich sehr geborgen in meinem privaten Kreis, weswegen ich neue Menschen nur heran lasse, wenn ich wirklich (betont) angefangen habe, denen zu vertrauen. Das war früher nicht so. Ich weiß gar nicht, ob ich es werten wollen würde. Ich war früher gar nicht reserviert und fand es zeitweilig ein bisschen schade. Ich fand reservierte Menschen immer ein bisschen gruselig (lacht) und habe mich gefragt, warum die sich nicht gleich 100 Prozent auf Leute einlassen können. Heute kann ich das besser verstehen. 

In „DLIT (die Liebe ist tot)“ malst du im Refrain mit „808s und nichts fühl’n, alles was ich kenn’/Jeden Sonntagmorgen in der Kirche verbrenn’n“ ein religiöses Bild. Warum hast du dieses Bild mit dem Verbrennen in einer Kirche gewählt?
Es geht in diesem religiösen Bild um das „In-der-Kirche-Verbrennen“ als Sündiger. Was ist man noch, wenn man nichts fühlt? Wie viel Mensch ist man da noch? Kann man dann noch eine Kirche betreten? Ich hätte gedacht, dass sich viel mehr Leute an dieser Zeile festhängen. Vor dem hatte ich ein bisschen Angst. Ich bin selber evangelisch – es war nicht mein Interesse, Kirche zu schmähen. Aber es war ein Bild, mit dem ich das malen konnte, was ich wollte. Witzigerweise habe ich gar keinen Backlash bekommen. Ich habe das Gefühl, die Leute haben genau verstanden, was das Bild aussagt; nämlich, mit welcher Mächtigkeit man sich hier fühlt. Aber was ich regelmäßig in der Kirche verbrenne, sind Kerzen.

Wie kommt es dazu?
Immer wenn jemand Hilfe braucht, gehe ich in eine Kirche und zünde eine Kerze an. 

Würdest du dich als spirituelle Person beschreiben?
Geht so. In meiner Jugend ja. Aber jetzt denke ich mir: Unabhängig davon, an welchen Gott, Energien oder sonst irgendetwas glaubt: Es ist nie verkehrt, bewusst an jemanden zu denken und dem alles Gute zu wünschen für etwas, das gerade ansteht oder passiert. Das kann in einer Kirche oder zu Hause vor einem Teelicht sein.

Wenn man in den Credits zu deinem Debütalbum „Nie verliebt“ schaut, dann findet man den Namen Gerald Hoffmann, besser bekannt als Gerard. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?
Der hat mir geschrieben (lacht). Der ist auch mein A&R. Bei meiner allerersten Session auf Deutsch saß er dabei. Er hat mich auch mit Biztram zusammengestöpselt – dafür werde ich ihm auf ewig dankbar sein, dass er das Gespür hatte, wir beide könnten miteinander arbeiten.

Gerard hat vergangenes Jahr ein Buch veröffentlicht …
„Ich hasse meine Freunde“, ja (lacht)

Genau. Könntest du dir auch vorstellen, so etwas zu machen? 
Ich habe die letzten Wochen viel darüber nachgedacht. Aktuell traue ich mir das nicht zu. Ich habe das Gefühl, dass ich gerade andere Sachen habe, denen ich mich zu 100 Prozent widmen und dort versuchen sollte, mein Handwerk noch perfekter zu schmirgeln – als jetzt noch einmal etwas von vorne anzufangen. Manchmal denke ich, mir würde die Geduld für ein Buch fehlen (lacht). Weil ich vielleicht fragmentiert auf einem Song besser schreiben kann als bei einem Buch, wo man sich festlegen muss. Gerade würde ich mir das daher nicht zutrauen. Was irgendwann passiert, weiß ich nicht.

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„Verrückt, so einzigartig sind unsere Gefühle alle gar nicht!“

In „Schwarze SUVs“ gibt es die Zeile „Ich tu niemand weh, ich will doch nur spiel’n. Ist das eine Anspielung an Annett Louisans Song „Das Spiel“?
Witzigerweise nicht. Ich kannte den Song leider nicht und habe die Zeile selber mitgebracht. Biztram hat mir dann das gezeigt. Ich freue mich aber sehr, dass die Zeile mit der Zeile von Annett Louisans verwandt ist, weil ich sie doll respektiere. Ich muss auch sagen, dass diese Erfahrung leicht entrüstend war: Man kommt auf so eine Zeile, die sich ganz besonders für einen anfühlt, und merkt dann: ‚Oh, vor einigen Jahren hatte jemand anders schon einmal genau so eine Zeile und das hat auch genau das ausgelöst‘. Verrückt, so einzigartig sind unsere Gefühle alle gar nicht! Mittlerweile ist es ein schönes Gefühl zu denken, dass es ein paar universelle Gefühle und Erlebnisse gibt, die jemand vor 50, vor 40, vor zehn Jahren hätte machen können und so teilweise verwandte Zielen zustande kommen.

Die Aktionskünstlerin Marina Abramović hat einmal in einem Interview mit dem SZ-Magazin gemeint, dass es essenziell sei, als Künstler*in immer wieder zu überraschen, weil wenn man nur noch das macht, was die Gesellschaft von einem erwarte, dann sterbe die Kunst. Würdest du das auch so sehen?
Puh, das ist eine dolle Frage. Angenommen, man macht ein Album und das war überraschend und neu und das gefällt den Leuten und jemand macht noch vier Alben dieser Sorte und das freut Leute, dann möchte ich nicht an der Seite stehen und sagen: ‚Du machst jetzt keine Kunst mehr!‘ Kunst kann ja auch sein, das zu vervielfältigen und anders, noch einmal zu einer anderen Zeit zu rezuproduzieren, was den Leuten auch etwas gibt. Dann besteht die Kunst vielleicht darin, dass es eine Verbindung zwischen den Künstler*innen und den Hörer*innen gibt. Aber eine innere Tendenz hätte ich schon, dem Zitat zuzustimmen – weil das ein Versuch ist, dem ich auch nacheifere. Es ist aber auch ein großer Anspruch.

War für euch beziehungsweise für dich klar, dass das neue Album in eine andere, düsterere Richtung gehen soll?
Düsterer wusste ich nicht, ich wusste nur: Es soll nicht „Nie verliebt 2“ sein. Ich habe mich ja verändert. Ich bin nicht mehr 19 gewesen, als ich es geschrieben habe und habe auch andere Erfahrungen in der Zwischenzeit gemacht und hatte andere Gefühle, deswegen hat sich dieser Weg selbst gebahnt.

„Wenn sich Leute mit meinen Erfahrungen identifizieren, freue ich mich“

Wenn man sich die Kommentare unter deinen Videos durchliest, dann bekommt man das Gefühl, dass du sehr vielen aus der Seele sprichst und quasi ein Sprachrohr bist. Würdest du das auch so sehen?
Das musste ich neulich schon beantworten, weil jemand meinte, dass ganz viele immer sagen sie seien kein Sprachrohr. Das habe ich auch früher gesagt, weil es Verantwortung von einem nimmt und man sich selbst so versucht abzusprechen, dass man für andere sprechen könnte. Es gibt ein paar Erfahrungen, die wir alle teilen. Wenn sich Leute damit identifizieren, freue ich mich, weil man da ein Gefühl von Gemeinsamkeit schaffen kann. Insofern ist jede*r ein bisschen Sprachrohr seiner Generation, weil irgendwo gibt es auf jeden Fall Leute, die das Gleiche fühlen. Das ist eigentlich schön.

Gibt es einen Song, bei dem du dir wünschen würdest, du hättest den geschrieben?
(überlegt)

Das ist zugegebenermaßen keine einfache Frage.
Ich bin der auch schon einmal ausgewichen (lacht). Ich habe die ganze Zeit einen im Kopf, weswegen ich nicht weiterdenken kann. Daher muss ich ihn einfach sagen: „White Ferrari“ von Frank Ocean finde ich krass. Aber auch musikalisch, auf diese Melodien zu kommen. Ich weiß aber nicht, ob das die reflektierteste Antwort ist. Das ist einfach die intuitivste. In erster Linie würde ich mir wünschen, dass ich den einmal live hören darf! Aber das ist wahrscheinlich noch unrealistischer, als dass ich ihn geschrieben hätte.

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