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Denyo-Interview: „Die Flüchtlingswelle ist auch eine Riesenchance“

Denyo-Interview: „Die Flüchtlingswelle ist auch eine Riesenchance“

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Denyo und DJ Mad vor ihrem Auftritt im Wiener Loft

2016 wird ein Beginner-Jahr. Die Füchse Denyo, Jan Delay und DJ Mad haben angekündigt, im kommenden Jahr nach über zehn Jahren Pause wieder ein gemeinsames Album zu veröffentlichen. Aber auch 2015 war produktiv. Denyo zeigte im April sein Soloalbum „Derbe“ – ein zeitgemäßes Rap-Dokument mit Postdubstep, Autotune und Trap-Einflüssen. Nach Wien gekommen sind Denyo und DJ Mad, um im Loft als „Beginner Soundsystem“ HipHop, Funk und Reggae aufzulegen. Erst kurz nach Mitternacht erscheint Denyo im Club – obwohl er bald auf der Bühne stehen muss, nimmt er sich noch Zeit für das Interview. Gemütlich sitzt er auf der großzügigen Couch des Backstagebereichs, dreht sich eine Zigarette und nippt am Cocktail-Glas. Kein Anzeichen von Stress. Äußerst gut gelaunt spricht der Hamburger Musiker über einen möglichen Rechtsstreit mit Zugezogen Maskulin, eine Neuauflage der Brothers Keepers und er erklärt, wofür die Flüchtlingskrise auch eine Chance sein kann.

Interview: Julia Gschmeidler
Fotos: Pascal Riesinger

The Message: Du beantwortest in YouTube-Videos die Fragen deiner Fans. Werden diese in den klassischen Medien nicht ausreichend beantwortet oder warum hast du ein eigenes Format gegründet?
Denyo: Auf jeden Fall. Man hat dann noch eine andere Nähe. Ich finde den Begriff „Fan“ ein wenig doof. Aber Leute, die sich für einen interessieren, die auch wirklich die Platte gehört haben und abfeiern, was man macht, die stellen manchmal geile Fragen. Und dann kann ich mir die Fragen noch aussuchen, ich muss ja nicht jede beantworten. Natürlich sind da noch ein paar idiotische dabei, aber es gibt geile Leute, die voll Interesse an einem haben und das weiß ich zu schätzen. Es hat eben noch eine andere Ebene, wenn es unvoreingenommen ist und dein Gegenüber keine Mega-Punchlines für die Story braucht. Denn ein Magazin muss unterhalten – das merkt man in den Interviews, dass manchmal ein bisschen Kalkül dahintersteckt. Da hast du jemanden vor dir, der hat deine Platte nicht gehört, aber der braucht trotzdem den tollen roten Faden und die Punchline für seinen Artikel. Das ist manchmal nicht so unterhaltsam, wie wenn ein echter Fan eine geile Frage stellt. Und wenn das die Frage ist, wo du deine Socken gekauft hast. Das macht dann mehr Spaß.

Eine Frage, die dir in Interviews oft gestellt wird, ist die nach dem Release des neuen Beginner-Albums. Wie genervt bist du schon davon?
Überhaupt nicht. Ich kann die Leute total gut verstehen. Nervig finde ich eher andere Sachen. Jetzt, wo wir richtig drauf und dran sind, eine geile Platte zu machen, kann ich auch ganz entspannt in die Zukunft schauen. Die letzte Platte haben wir 2004 rausgebracht und ich bin nicht nur wegen meiner neuen Platte hier in Wien, sondern auch wegen meiner alten. Es gibt viele Leute, die uns cool finden und uns immer noch supporten, das weiß ich voll zu schätzen.

Es gibt auch eine Füchse-Version von Zugezogen Maskulin und LGonny. Wie findest du die?
Cool.

Was hat es damit auf sich, dass du meintest, ihr seht euch vor Gericht wieder?
Achso. (lacht) Einfach so, hat Spaß gemacht. Nein, Quatsch. Die haben nicht Bescheid gesagt. Die sind ja bei Buback und es kam einfach so raus, die Leute von Buback wussten auch nichts. Dann haben wir uns einen kleinen Gag erlaubt, weil es gibt ja Leute, die das ein wenig enger sehen. Ist ein cooles Ding, aber ich glaube die Gerichtskosten spar ich mir dann doch. Kommt drauf an, in welcher Stimmung ich bin.

In den sozialen Netzwerken supportest du immer wieder Kollegen von dir. Wen findest du im deutschsprachigen HipHop derzeit besonders interessant?
Du meinst unter der Oberfläche? Keine Ahnung. Ich kann niemanden aus dem Ärmel schütten, den jetzt keiner kennt. Also wo ich sag der ist 12 und in drei Jahren ist der derbe am Start. Ich war gerade mit Jan (Delay, Anm.) im Studio und der hat mir einen Hamburger Typ gezeigt, der ist krass – Scheiße, auf den komm ich jetzt nicht. Es gibt viele krasse Maschinen, die richtig gut rappen können und echt sind. Aber bei denen sich die Frage stellt, ob sie Karriere machen können oder es noch andere Sachen braucht, die man neben dem Rappen können muss? Selbstdisziplin, ein gewisses Gefühl für Musikalisches, sich selber darzustellen … Aber geile Rapper haben wir auf jeden Fall, das ist nicht das Problem. Ansonsten flash ich die altbekannten Leute, ich bin ein großer Orsons-Fan, ich mag Chefket. Ich mag aber auch poppige Sachen wie Namika. Gutes Zeug gibt es in jedem Segment in Deutschland, das find ich schon ganz geil. Aber den einen jungen Rapper, der in drei Jahren derbe am Start ist, den hab ich jetzt nicht.

Ich habe ein Zitat gefunden, das besagt, dass du jeden Tag stundenlang Wortsport übst. Wie kann man das verstehen?
Meine Kernkompetenz sind Texte. Deswegen trainier ich jeden Tag Texte. Und wenn ich nicht gerade dabei bin, einen Song oder eine Strophe zu schreiben, dann recherchier ich oder beschäftige mich mit Sprache. Ich schreibe nebenbei noch an einem Buch, das kommt dann irgendwann raus. Das ist alles Training. Ich guck mir verschiedene Wörter an und was ich neu zusammensetzen kann. Die Leute denken, dass man einfach drauflosschreibt, aber es ist ein ständiges Auseinandersetzen mit Sprache. Ich liebe es, mich mit Sprache zu beschäftigen. Ich bin nicht der Rapper, der einmal im halben Jahr ins Studio geht und in drei Stunden eine Platte aufnimmt – das ist ein langer Prozess. Wenn du einen Tag nicht so inspiriert bist, kannst du trainieren. Das ist wie bei einem Sportler, der auch nicht jeden Tag ein Fußballspiel hat, aber am besten doch mehrmals die Woche trainieren sollte.

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Welche Art von Buch wird das sein? Ein Roman?
Mhm. Ich will überhaupt noch nichts dazu sagen, das ist auch völlig egal. Ich möchte nur sagen, dass ich mich auf verschiedenen Ebenen mit Sprache beschäftige und trainiere.

Du meintest zu Beginn der Crossover-Sendung „Cover my Song“ auf VOX, dass du dich als Moderator dafür zur Verfügung stellst, weil es eine „große Chance für HipHop“ ist. Hat HipHop diese Chance genutzt?
Vielleicht habe ich mich ein bisschen falsch ausgedrückt. Aber es ist eine gute Möglichkeit gewesen – besonders zu der Zeit, wo noch nicht einmal Cro am Start war. Ich hatte versucht, Cro zu bekommen für die Sendung. Der hätte das auch gemacht, dann hatte aber der Fernsehsender keinen Bock drauf, weil Cro noch niemand war, er hatte noch nicht einmal die Maske. Ein halbes Jahr später haben sie sich dann wahrscheinlich in den Arsch gebissen. (lacht) Zu der Zeit war die Fassade des deutschen HipHop ziemlich bröckelig, die Aggro-Phase war gerade abgefeiert, alles war so ein bisschen tot, es kam nicht so richtig was Neues. Aber es gab trotzdem immer Newcomer und viel Bewegung. Ich hatte das Gefühl, dass es eine geile Möglichkeit ist, besonders Newcomern eine fette Plattform zu bieten und Deutschland zu zeigen, was Rapper so machen und wie sie arbeiten. Weil viele das Gefühl hatten, dass Rapper nur Prolls sind, die eine Beschäftigungstherapie suchen. Dass dem nicht so ist und dass Rapper ein ernsthafter Beruf ist, war mir wichtig zu zeigen.

Und wie wurde die Sendung vom Fernsehpublikum aufgenommen?
Es gab ein paar Hater in der Szene, aber insgesamt kam sie gut an. Obwohl es recht cheesy ist, mit großen Fernsehsendern zu arbeiten, ist uns der Spagat ganz gut gelungen. Das Ziel war eine Win-win-Situation, vor allem für die Newcomer. Die Schlageroption war eher da, um einen geilen Aufhänger zu haben und den Leuten das auf eine unterhaltsame Weise näherzubringen. Weil Otto-Normal-Verbraucher hätte sich die Sendung nicht angeguckt, wenn es nur um Rapper gegangen wäre. Insofern ging die Rechnung für mich auf. Ich hatte das Gefühl, die Leute haben es gerne geguckt und fanden es cool.

Glaubst du, dass es wieder einmal so ein Format geben könnte?
Ich glaube nicht. Irgendwas anderes, aber die Idee „Rap gekreuzt mit was anderem“ oder noch einem Twist drinnen, kann ich mir sehr gut vorstellen. Ob das wieder mit mir sein wird, wage ich zu bezweifeln, aber es gibt ja auch andere gute Moderatoren.

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Zum Ruf von HipHop: In einem Interview meintest du, dass wenn du unter Eltern bist, HipHop immer verschrien ist und man beweisen muss, dass man doch intelligent ist …
Ja, in einer gewissen Gesellschaftsschicht habe ich das Gefühl.

Warum ist das Image von HipHop deiner Meinung nach so negativ?
95 Prozent der Leute machen sich einmal im Leben ein Bild von der Welt und hinterfragen das nicht mehr. In Deutschland habe ich das Gefühl, dass HipHop ein Randgruppen-Ding ist, obwohl es so mainstreamig ist. Wenn du in der Erwachsenenwelt lebst – und ich bin 38 und habe drei Kinder, ich bin in der Erwachsenenwelt – da merkst du, dass viele Leute HipHopper unter „Jugendliche“ abgespeichert haben, die Scheiß machen. Das kann man auch nicht verallgemeinern, es gibt überall supercoole Leute, aber es gibt Vorurteile. Wir Menschen haben Vorurteile gegenüber allem. Das ist traurig und schade genug. Die Leute sind ängstlich und fremdeln mit jungen, geilen, erfolgreichen, anders aussehenden Menschen, die Kids haben. Wenn ich mit meinen drei Kindern und meiner Frau mit Cap unterwegs bin und aus dem Auto steig, ist das immer ein Highlight. Es findet nicht jeder Scheiße, aber immer so „Oh, Fremdkörper, was ist denn hier gerade los?“ Diese Internationalität, auch mit Migrationshintergrund, HipHop-Sein, Anders-Sein ist nicht in Deutschland, noch nicht mal in Berlin, richtig angekommen. Global betrachtet ist Deutschland noch ein ganz kleines Dorf.

Du engagierst dich auf Facebook für Organisationen wie Pro Asyl oder Petitionen wie Europa darf nicht wegschauen. Wie können Vorurteile gegenüber diesem von dir angesprochenem Fremden abgebaut werden?
Vorurteile können in erster Linie von Menschen abgebaut werden – das ist auch das große Problem. Wenn man selbst nicht offen ist, wirst du die Vorurteile auch nicht abbauen können. Das Einzige, das man selber machen kann, ist sich in Kommunikation mit Leuten zu begeben, mit Leuten in Kontakt kommen, sich selber zeigen. Deswegen finde ich auch alle Intitiativen wie Pro Asyl super. Es gibt auch superviele Leute, die mithelfen und sich engagieren. Wenn man miteinander kommuniziert, wirkt man diesem Angstbild oder diesem „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ entgegen. Das geht nur, wenn man Möglichkeiten schafft, wie alle miteinander in Berührung kommen.

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Bei den Landtagswahlen in Oberösterreich waren die Rechtspopulisten in den Gemeinden am stärksten, in denen keine Flüchtlinge aufgenommen wurden …
Richtig, genau. Der Kontakt ist das Wichtigste. Deswegen hast du in Berlin-Kreuzberg vielleicht nicht einen, der Rechts wählt. Weil da die Leute alle verstanden haben, dass wir alle Menschen sind und miteinander umgehen und existieren können. Nur weil einer aus einem anderen Land kommt, heißt das nicht, dass seine Charaktereigenschaft so und so ist. Die Leute differenzierter zu betrachten und nicht in Schubladen zu stecken – das lernt man, wenn man irgendwie miteinander koexistieren muss. Dann merkt man auch die Vorteile zu schätzen. Die Flüchtlingswelle ist auch eine Riesenchance. Laut Medien ist es eine Riesen-Herausforderung, aber auch eine Riesenchance. Die Geburtenrate in Deutschland geht den Bach runter, wir brauchen Fachkräfte, wir brauchen Leute, die neue Perspektiven reinbringen und wenn wir in hundert Jahren auch wirtschaftlich betrachtet noch eine starke Nation sein wollen, dann brauchen wir Leute aus dem Ausland, die hier mitmachen.

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Wäre es nicht genau jetzt an der Zeit, dass die Brothers Keepers – von denen du ein Teil warst –  sich wieder zu Wort melden?
Total, hast du vollkommen recht. Jetzt wäre der große Zeitpunkt für die Brothers Keepers. Als riesengeiles Projekt mit Herzblut, mit sogenannten Flüchtlingen, die von ihren eigenen Geschichten erzählen und wie es ihnen hier geht. Gucken, wie die Leute leben; etwas schaffen, mit dem sie sich künstlerisch ausdrücken können. Das wäre eine Riesenchance. Ich weiß nur nicht, ob die Verantwortlichen von Brothers Keepers überhaupt noch in Deutschland sind. (lacht) Und ob die überhaupt noch Bock drauf haben. Ich weiß nur, dass Adé (Bantu, Anm.), der früher bei Weep Not Child war und eine Band namens Bantu hat, kaum noch in Deutschland ist. Ich weiß nicht, ob die Infrastruktur für Brothers Keepers noch da ist. Es müsste wer kommen und sagen: „Ich übernehme den Namen und mach vielleicht alles neu.“ Oder es gibt ein ähnliches Projekt, das sich dann anders nennt. Aber es wäre auf jeden Fall jetzt genau die richtige Zeit.

Du meintest einmal, dass Politik für 18- bis 20-Jährige extrem unsexy sei und man was braucht, das sie aus ihrem Internet-Kreis herauslockt. Was würdest du da vorschlagen?
Vielleicht ist da die Flüchtlingskrise auch eine Riesenchance. Es gibt so viele Kriege, es kommen so viele Leute hierher – warum verlassen sie ihr Land und was haben wir damit zu tun? Man muss sich auf einmal ganz anders Fragen stellen. Und wie geht man damit um, wie kann man den Leuten helfen, wie weit kann man gehen, wie viele Kapazitäten haben wir, Leuten zu helfen? Da muss man sich die Frage nach der eigenen Moral stellen, und wie egoistisch und hilfsbereit man ist. Man muss sich auf einmal doch irgendwie positionieren – dafür ist die Flüchtlingskrise ganz gut und vielleicht politisiert das die Leute auch ein bisschen – auch die Kids.

Du hast selbst drei Kinder. Im Video zu „Papa“ sieht man deine Tochter, im Ikea-Spot ist sie auch dabei. Neulich hat die Polizei der deutschen Stadt Hagen die Eltern dazu aufgerufen, keine Bilder von ihren Kindern online zu stellen, weil diese in falsche Hände geraten können oder weil es später zu Mobbing kommen könnte. Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht?
Ja klar, natürlich. Ich poste nicht viel von meinen Kids. Aber ich finde, das gehört zu meinem Leben dazu und dementsprechend ist das eine kleine Facette, die auch mal vorkommt. Ich finde es ein bisschen merkwürdig, wenn du die Eltern hast, die jeden Tag was über ihre Kinder posten – das würde ich nicht machen wollen. Aber die Diskussion wird – ähnlich wie die Impf-Diskussion – zu hysterisch geführt. Man könnte das ein bisschen ruhiger angehen. Ich find’s völlig normal in der Welt, in der wir jetzt leben. Das gehört dazu und kann man nicht mehr wegignorieren. Deswegen finde ich nicht, dass man über jedes Bild von seinen Kindern einen schwarzen Balken drübermachen muss. Aber ich achte darauf, selbst bei dem Ikea-Spot. Du siehst, dass meine Kinder da sind, aber du erkennst sie nicht. Das mach ich auch nur aus Prinzip, ich glaub nicht, dass meine Kids irgendwann deswegen gemobbt werden. Mein Großer ist jetzt 13 und hat bei dem Video zu „Gegenwind“ richtig mitgemacht. Ich wusste, dass er sich darüber freut und dass er Bock drauf hat. Deswegen habe ich ihn gefragt, das zu machen. Nicht weil ich meine Kinder zeigen will oder beweisen muss, was für ein guter Vater ich bin.

Live kann man die wiedervereinigten Beginner als Headliner beim HipHop Open im Juli in Wiesen sehen.

http://denyo.de