Sokół (deutsch: Falke) ist eine der bekanntesten und einflussreichsten Persönlichkeiten des polnischen Hip Hop. Einerseits machte er sich ab den späten Neunzigern als Rapper in den legendären Straßenrap Formationen Zip Skład und WWO einen Namen. Darüber hinaus gründete er 1999 das Hip Hop Label „Prosto“. Die Label Releases werden zwar kontinuierlich mehr, mittlerweile ist Prosto international aber eher als Kleidungsmarke bekannt und erfolgreich. Wie es dazu kam erzählte Sokół neben Wiener Abenteuern, der Reflexion über slawischen Flavour und die Spezifika Warschaus im Message Interview (Polski oryginał: https://themessagemagazine.at/?p=3386 )…
TM: Als du das Label vor gut zehn Jahren gegründet hast, war es wohl dein Hauptziel Musik herauszugeben. Haben sich die Prioritäten mittlerweile geändert?
Sokół: Die Musik steht nach wie vor natürlich an erster Stelle. Bei der Gründung des Labels dachten wir noch nicht einmal daran Kleidung unter der Marke „Prosto“ zu produzieren. Wir wollten ein stilistisch offenes urbanes Label sein. Außer Hip Hop wollten wir auch Reggae, Dancehall, oder sogar Drum’n’Bass rausbringen. Aber irgendwie ist das nicht zustande gekommen. Uns wurde viel Hip Hop angeboten, aber niemand ist mit seinen Drum’n’Bass-Projekten zu uns gekommen, vielleicht deshalb, weil diese Kultur damals in Polen viel kleiner als die Hip Hop-Kultur war. Das mit der Kleidung war ein Zufall. Wir haben irgendein Leiberl mit der Aufschrift „Prosto“ produziert. Das sollte das Label ein wenig promoten. Auf einmal ist eine Lawine losgetreten: Alle wollten es haben. Also haben wir mit der Zeit begonnen, erste Pullover, Trainingsanzüge und Jacken zu produzieren. Momentan verdienen wir unser Geld hauptsächlich durch den Kleidungsverkauf. Wenn es um Musik geht sind wir im Polen in der schlimmsten Phase angelangt. Es verkaufen sich jetzt schon keine CDs mehr. Der legale Digitalmarkt wird noch schwach genutzt. Das System ist in Polen auch noch sehr schlecht entwickelt.
Wie ist die Einnahmeproportion zwischen Kleidung und Tonträgern?
Die Einnahmen von Musik sind bei uns praktisch gleich 0. Wir investieren viel. Momentan vor allem in junge neue Künstler, da es gerade zu einem Generationswechsel im Hip Hop kommt. Wir bemühen uns aus unterschiedlichen Ecken Künstler zu uns zu holen, um eine möglichst vielseitige größere Gruppe zu bilden. Prosto kann sich ein Dasein ohne dem Veröffentlichen von Musik nicht vorstellen. Aber vom Überlebensstandpunkt aus gesehen, ist die Kleidung für uns das Wichtigste. Man kann an allem verdienen, was man nicht illegal aus dem Internet ziehen kann. So lange man das mit Gewand nicht machen kann, leben wir noch. Ich weiss nicht wie lange (lacht).
Was ist das Spezielle am polnischen Hip Hop?
Bei uns baut Hip Hop auf keinem ethnischen oder migrantischen Hintergrund auf. Hier ist die Situation eine ganz andere. Die Themen sind auch ein wenig anders. Es gibt bei uns nur wenige Rapper, die typisches Braggadacio machen würden. Die stärkste Bewegung im polnischen Hip Hop war, vor allem anfangs, der gegen die Polizei gerichtete Straßenrap. Er hat mit Abstand die meisten Platten verkauft. Ich glaube es ist bis heute so, dass sich dieser Teilbereich von polnischem Rap am Besten hält. Ein weiterer großer Unterschied ist, dass sich die meisten Hörer nur für polnischen Hip Hop und keinen anderen interessieren. Sie haben nicht einmal Lust den amerikanischen näher kennenzulernen.
Hat sich etwas in der Herangehensweise der Hörer geändert?
Erst in den letzten beiden Jahren. Noch vor drei Jahren war es so, dass wenn eine US-Größe hier gespielt hat, sich die Leute mehr für die Vorgruppen, als für den Headliner interessiert haben. Jetzt sind die jungen Hörer bewusster. Sie haben auch begonnen zu suchen. Momentan sprechen in Polen schon alle jungen Menschen Englisch. In meiner Generation war das noch anders.
In der Anfangszeit von Prosto, gab es gerade einen Boom rund um polnischen Hip Hop, der ist den letzten Jahren wohl etwas abgeflaut..
Nach 2002 wurde Hip Hop in Polen dermaßen populär, dass er fast überall gespielt wurde, was einen Massenausschuss von schlechten Künstlern mit schwacher Qualität provoziert hat, die sich nicht auskennen bei dem, was sie machen. Im Endeffekt hatten die Leute genug von diesem Scheiss und vor circa drei Jahren, nach Marktuntersuchungen, hat sich das Interesse der Medien an Hip Hop verringert. Letztens haben sie wieder große Meinungsforschungen durchgeführt, wo überraschend rausgekommen ist, dass Hip Hop unter den Jugendlichen wieder an erster Stelle steht. Die großen Medien beginnen bereits darauf zu reagieren und Hip Hop ist wieder bemerkbar.
Aber die traditionellen Medien haben wahrscheinlich nicht mehr die frühere Relevanz?
Das Label könnte in vielen Fällen komplett ohne Viva, MTV und der Presse auskommen, aber sie liefern nach wie vor Prestige. Das Internet hat heute eine dermaßen große Macht, dass wir theoretisch alle traditionellen Medien wegwerfen könnten. Das hat seine positiven und negativen Seiten. Einerseits kann man uns mit Scheisse überschütten, auf der anderen Seite kontrolliert das niemand. Es kann sich also eigentlich jeder Aufmerksamkeit verschaffen. Es gibt aber nur sehr wenige, die das wirklich ohne größerer Zuhilfenahme von Promotion geschafft haben. Ein gutes Beispiel ist VNM, ein Rapper der seit kurzem bei Prosto dabei ist. Er hat bis jetzt 10 Platten im Untergrund rausgebracht. Im Internet war er sehr bekannt. Und? Es hat sich gezeigt, dass der Massenrezipient ihn eigentlich nicht gekannt hat. Im polnischen Hip Hop gibt es zwischen einem durchschnittlichen Rezipienten und einem Internetrezipienten doch noch einen sehr großen Pufferraum. Ohne der Hilfe des Labels ist es schwer, ihn aufzufüllen.
Dank „Prosto“ wird VNM den Weg zum durchschnittlichen Hörer finden?
Ja, wir geben eine Strategie und Kanäle. Wir werden versuchen ihm auch eine Rotation bei MTV und Viva zu ermöglichen. Unsere große Stärke ist unser YouTube-Kanal: „Prosto TV“. Im letzten Jahr waren wir der dritthäufigst aufgerufene virtuelle Musikkanal Polens. In der letzten Woche waren wir auf Platz eins. Wir sind der am häufigsten abonnierte Internet-Musikkanal des Landes. Vor Kurzem haben wir 100 Millionen Aufrufe überschritten. Innerhalb von drei Jahren. Wenn wir alles chaotisch ins Internet hauen würden, hätte das keinen Sinn. Wir führen diesen Kanal mit einer überdachten Politik.
Ihr bewerbt euch auch stark auf den Straßen durch Graffiti, Aufkleber…
Bei unserem Label gab es schon immer Straßenmarketing. Wir müssen ein Teil der Stadt sein, sonst sind wir nicht glaubwürdig. Manchmal machen wir auch etwas andere Aktionen, um die Öffentlichkeit zu schockieren. Wir haben zum Beispiel eine Werbekampagne auf Billboards durchgezogen. So wurde unter anderem das „Prosto Mixtape“ in ganz Warschau beworben. Die Leute waren sehr verwundert, weil hier bisher niemand Hip Hop auf diese Weise promotet hat. Aber die Billboards sind nichtsdestotrotz ein weniger wertvoller Werbekanal, als normale Aufkleber, die wir seit Jahren machen.
Noch vor zwei, drei Jahren gab es Gerüchte, dass Prosto vor dem Bankrott stehen würde…
Das waren keine Gerüchte. Wir hatten mindestens zwei mal so eine Situation, dass wir einen Teil unserer Mitarbeiter entlassen und den Gürtel viel enger schnallen mussten. Es gab verschiedene Ursachen. Wir haben oft in die falschen Sachen Geld investiert. Das Label wurde von mir und einem Grafiker geführt. Es gab niemanden, keinen Manager, der das koordiniert und organisatorisch zusammengehalten hätte. In einem Jahr haben wir sehr gut verdient und im nächsten waren wir de facto Bankrott. Heute nehmen wir, die Prosto Eigentümer, gar keinen unternehmerischen Anteil mehr im Alltag der Firma. Jetzt gibt es einen Spezialisten, der sich damit beschäftigt. Wir sind jetzt im Aufsichtsrat. In der besten Zeit hatten wir in etwa 20 Mitarbeiter, ich denke das war 2006, 2007. Heute haben wir zehn. Wir sind unabhängig von größeren Kooperationen. Die Label-Eigentümer sind drei private Personen.
Ihr habt letztens auch zwei eigene Geschäfte mit „Prosto“ Kleidung aufgemacht…
Wir liefern unsere Kleidung 200 Geschäften zu. Außerdem beginnen wir eine eigene Geschäftskette aufzubauen. Heuer wollen wir eine größere Expansion vornehmen, weil wir sehen, dass das Zukunft hat. Eine Veränderung der Distributionsweise kann bei diesen Geschäften gewisse Zentren entstehen lassen. Dort wird nicht nur Kleidung verkauft werden, es sollen dort etwa auch Musik-, und Promotionveranstaltungen stattfinden. Das ist für uns eine der Hauptaufgaben für dieses Jahr. Es wird dort natürlich auch Kleidung von anderen Marken geben, die zu unserem Image passen.
Kaufen die gleichen Leute „Prosto“ Kleidung und Tonträger?
Laut unseren Untersuchungen deckt sich das zu 75%.
Wie passt das zusammen: auf der einen Seite Business und Marktuntersuchungen auf der anderen Seite die Aufmerksamkeit auf Straßenauthentizität?
Wir geben dafür keine Reichtümer aus und das alleinige Kennenlernen einer solchen Untersuchung ändert nicht viel in unserer Herangehensweise. Das ist eher eine Beruhigung der eigenen Neugier. Natürlich gab es aber auch Situationen, wo uns die Untersuchungen wirklich geholfen haben. Das hat aber keinerlei Einfluss auf unsere Musik. Nur und ausschließlich auf das Kleidungsgeschäft.
Kommen dafür von anderen Seiten Vorwürfe?
Ich weiss nicht. Das geht uns nicht wirklich etwas an. Wir haben nie solche Sachen gemacht, die wir selbst als bäuerlich betrachten würden. Ich und Pono haben zum Scherz eine Nummer namens „W aucie“ (dt.: „Im Auto“) gemeinsam mit Franek Kimono gemacht. Das ist ein ausgezeichneter polnischer Schauspieler: Piotr Fronczewski, und Franek Kimono ist sein Alter Ego, eine Art musikalischer Scherz, aber man kann sagen, dass Franek Kimono in den Achtzigern der erste polnische Rapper war. Mit ihm einmal eine Nummer aufzunehmen, war mein kindischer Traum. Niemand hätte erwartet, dass das der polnische Internetrekord wird. Heute haben wir bei YouTube über 12 Millionen Aufrufe. Das war irgendein Wahnsinn, das haben alle gesungen, von kleinen Kindern bis zu Politikern. Jędker, der mit mir die Band WWO gebildet hat, war auch als Gast auf diesem Track vertreten. Er hat sich dermaßen in den Erfolg dieser Nummer reingesteigert, dass er vor kurzer Zeit eine Art Disco Pop Band namens „Monopol“ gegründet hat. Er ist in ein ganz anderes Klima abgeflogen. Er ist in die Celebrities-Welt reingefallen. Jędker bringt diese Platten bei Sony Music raus. Aufgrund der vielen Jahre, in denen wir zusammengearbeitet haben, assoziieren ihn viele nach wie vor sehr stark mit uns, also hat uns das auch ein wenig getroffen, weil sie glauben, dass Prosto dahinter steckt.
Ist es für dich wichtig verschiedene Musikstile und Gattungen miteinander zu verbinden?
Die Leute haben diese Stile unterschiedlich benannt, um die Kommunikation zu vereinfachen. Man darf sich aber auch nicht verrückt machen lassen und glauben, dass das irgendwelche Rahmen wären, die uns eingrenzen würden. Niemand hat gesagt, dass sich die Gattungen nicht mischen sollen. Das wäre gegen die Natur. Wie bei Menschen: es muss frische Gene geben, damit es zu keinen Krankheiten kommt, man kann nicht alles in der Familie machen.
Du hast unter anderem mit verschiedenen deutschen Produzenten zusammengearbeitet…
Wir arbeiten noch immer zusammen. Am meisten mit PH7 und Shuko, ich habe aber auch mit den Beathoavenz zusammengearbeitet, jetzt fange ich auch mit Hustle Heart und Drumkidz an. Shuko und PH7 habe ich vor vielen Jahren beim Hip Hop Kemp kennengelernt. Wir sind in irgendeinem Auto gesessen und ich habe ihnen eine WWO Platte vorgespielt. Sie waren sehr vom polnischen Produzentenduo White House (Magiera & L.A.) begeistert. Auf der Grundlage, dass ihnen unsere Produzenten getaugt haben, hat sich dieser Kontakt ergeben. Ich habe zwar mit deutschen Produzenten zusammengearbeitet, aber nie mit deutschen Rappern. Ich verspüre keinen Drang mich mit ihnen künstlich auf Basis von Geld zu verbünden. Wenn wir uns treffen würden, gern hätten und aufnehmen würden, ja dann super. Die Zusammenarbeit mit Rappern aus den slawischen Ländern macht mehr Sinn. Wir kennen unsere Sprachen ein wenig gegenseitig. Wir sind bekannt in Tschechien, der Slowakei, ein wenig in Rußland, der Ukraine und WWO ist ein Klassiker des slawischen Rap. Wir spielen dort Konzerte, haben Features. Am besten sind wir mit den Tschechen bekannt, mit ihnen hatten wir auch die ersten Kontakte außerhalb Polens. Das basiert alles auf persönlichen Bekanntschaften.
Steht dahinter auch ein ideelles Ziel die slawischen Länder zu einen?
Auf unserer Kleidung, steht bei den Etiketten und auf den Aufdrucken auch immer „Straight Slavic Flavour“ drauf. Der Großteil der Kleidungsfirmen, ob das jetzt deutsche oder französische sind, haben amerikanische Namen. Das könnten Firmen aus den Staaten sein, aber in Wirklichkeit auch von nirgendwo her. Wir unterstreichen schon durch unseren Namen, dass wird slawisch sind. Dadurch beschränken wir uns gleichzeitig nicht auf die Distribution in Polen. Serben bestellen zum Beispiel auch unsere Kleidung über´s Internet. Sie sind zum Beispiel Emigranten in Deutschland oder der Schweiz. Sie wollen in einem anderen Land zeigen, dass sie Slawen sind. Ein wenig ist das auch ein Spiel mit der Geschichte. Du fängst an zu begreifen, dass das mal eine Sprache war, die sich hier ein wenig in die linke, dort ein wenig in die rechte Richtung entwickelt hat. Wenn du mit einem anderen Slawen redest, kannst du viele Wörter verstehen. Das hat mich immer ein wenig fasziniert. Wenn ich mehr Zeit hätte und mich nicht mit dem beschäftigen würde, mit dem ich mich jetzt beschäftige, würde ich eben Slawistik studieren.
Du hast in unterschiedlichen Formationen nicht nur in slawischen Ländern, sondern vor allem in England und in den USA Konzerte gegeben…
Die meisten Konzerte habe ich in der Formation gespielt, in der ich auch am längsten war: WWO. Wir waren mehrmals in den USA. In England einige Dutzend Mal. Dort gibt es eine sehr große und junge polnische Emigrationsgemeinde. In den USA ist die polnische Emigrationsgemeinde hingegen alt. Ihnen ist nicht so bewusst, was in Polen vor sich geht. Auf den Inseln sind sie hingegen sehr bewusst. Sie haben Satelliten, polnisches Fernsehen, polnische Bekannte. Wir haben dort viele Konzerte gespielt. Es konnte monatelang so sein, dass wir jeden Freitag für’s Wochenende dorthin geflogen sind.
Hast du irgendein besondere Erinnerung vom Kontakt mit polnischen Emigranten?
Ich habe viele, werde aber auf ein Erlebnis in Wien zurückgreifen, um es lustig zu machen. Ich habe ein Auto von einem Bekannten ausgeborgt, das war ein Maluch: Fiat 126p. Ich wollte mit zwei Freunden eine Prag-Wien-Budapest Tour machen. Ich hatte nicht einmal den Führerschein. Das war glaube ich 1995. Wir haben ein Snowboard mitgenommen, weil wir zunächst auch in die Berge fahren wollten. Wir hatten aber keinen Kofferraum und haben es also mit einem Klebeband am Dach befestigt. Im Endeffekt haben wir dann das Snowboard aber kein einziges mal benutzt. Als wir in Wien angekommen sind, war gerade Wochenende. Das waren noch Zeiten, als man die Złoty Währung noch nicht in Kantoren wechseln konnte, sondern nur in Banken. Wir haben überhaupt nicht gewusst, was wir jetzt machen sollen. Wir sind auf der Straße gestanden und irgendein Typ geht an uns vorbei. Wir schimpfen gerade irgendwas herum: kurwa, wir haben kein Geld, fick das. Als er an uns vorbeizieht, sagt er zu uns: „Schimpft nicht so herum Burschen“. Und wir so zu uns: Ok, Opa, sei ruhig. Auf einmal ist es uns gekommen, dass er mit uns auf Polnisch geredet hat, dass er also ein Pole ist. Wir sind auf ihn zugegangen, um ihn zu fragen, ob er vielleicht weiss, wo man das Geld am Wochenende wechseln könnte. Er hat gemeint, dass das Freitag Nachts aussichtslos wäre. Er hat aber eine interessante Möglichkeit genannt, die ich mein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen werde: dass man am Sonntag Nachmittag „beim Juden auf Mexiko“ wechseln könnte, hat er gemeint. Was auch immer das heissen mag, ich habe nicht die leiseste Ahnung. Ich glaube, dass er selbst uns dann im Endeffekt einen Teil unserer Złotys gewechselt hat, aber diesen Text werde ich bis zu meinem Lebensende nicht vergessen: „beim Juden auf Mexiko“.
Damit war wahrscheinlich der „Mexikoplatz“ gemeint, ein Platz, wo auch in den 90ern das Zentrum des Schwarzhandels in Wien war.
Interessant. Außerdem erinnere ich mich noch, dass wir dann bei irgendeiner House Party waren. Für uns war das seltsam, weil es damals schon den ganzen Boom für Hip Hop-Musik in Polen gab. In Wien konnten wir hingegen keine einzige Hip Hop Party finden. Ich kann mich noch erinnern, dass wir in diesem Klub Haschisch aus einer leeren Red Bull Dose geraucht haben. Die Securities waren in so einem Schock, dass sie auf uns zugekommen sind und entschuldigend gefragt haben, ob wir hier bitte nicht rauchen könnten. In Polen hätten sie uns geschlagen und rausgeworfen. Wir waren jedenfalls sehr verwundert.
Deinen Rap Texten nach zu urteilen bist du stark mit Warschau verbunden. Worin äußert sich die Spezifik der Stadt?
Einen sehr großen Einfluss hatte der zweite Weltkrieg. Im Zuge des Warschauer Aufstandes (Anm.: 1.8.-3.10.1944, 63 Tage anhaltender Volksaufstand gegen das Nazi Regime) haben sie die ganze Stadt zerstört. Seit diesem Zeitpunkt gibt es hier nicht einmal mehr ein Stadtzentrum. Die Kommunisten haben die Hauptstadt nicht so aufgebaut, wie sie vor dem Krieg ausgesehen hat: kleine gemäuerte Wohnhäuser, reich verziert, enge Gässchen… Jetzt gibt es das nicht, weil die Kommunisten beschlossen haben Warschau ganz anders wieder aufzubauen: breite Straßen, leere Plätze und irgendwelche Denkmäler des Sozrealismus. Das Stadtgewebe ist nicht zusammenhaltend. Die Architektur ist nicht zusammenhaltend. Die Spezifik von Warschau ist auch so eine Traurigkeit in den Leuten. Die Leute sind hier schrecklich ernst. Hier gibt es keine Lockerheit. Wenn Leute aus anderen Städten zum ersten Mal nach Warschau kommen, dann fragen sie oft: Wieso schauen mich hier alle so komisch an? Ab einem bestimmten Moment gewöhnst du dich daran und beginnst auch so zu schauen. Es ist auf jeden Fall eine graue Stadt, wobei sich das jetzt auch ein wenig ändert. Noch vor zehn Jahren hat es hier überall so ausgesehen, als ob jemand aus einem gigantischen Kübel graue Farbe über sie geschüttet hätte. Sogar die Graffitis waren nur silber, weiss und schwarz. Andererseits sind wir eigentlich dem Rest Europas sehr ähnlich wenn es um Geschäfte, um Nahrung, um Marken geht… Diesbezüglich unterscheidet Warschau wenig von Berlin oder London. Obwohl diese ganze Globalisierung eingetreten ist, ist es hier dennoch grauer. Das sieht man sogar am Gewand.
Inwiefern?
In ganz Polen ist es so, dass sich eher die traurigen Farben verkaufen, aber in Warschau ist das mit Abstand am stärksten zu sehen. Hier hast du schwarz, weiss, grau und aus. Andere Farben könntest du erst gar nicht produzieren. So als ob sie nicht existieren würden.
Interview&Text: Jan Braula
Fotos: Prosto, Jan Braula
prosto.pl
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