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Tatütata, das ist der Klang der Kiwara // Rapper lesen Rapper #2

Tatütata, das ist der Klang der Kiwara // Rapper lesen Rapper #2

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Alle Fotos von Nedim Husicic | Lichtreflex

Schönen guten Abend, meine Damen und Herren, wir machen Rapmusik, verdammt, wir hören sie auch gern„, tönt Afrob aus den Boxen des Plattenspielers. Der Moderator des Abends, David Scheid aka DJ DWD, klopft wie bei der Premiere Ende Jänner mit der Schere gegen ein Glas, gefüllt mit rotem Tetrapak-Wein, und ruft so das Publikum zur Ruhe auf. Es soll still sein, damit den sechs heimischen HipHop-Musikern größtmögliche Aufmerksamkeit zuteil wird, wenn diese Raptexte von Kollegen neu interpretieren. Bei „Rapper lesen Rapper“ soll die Texthoheit zelebriert und das gezeigt werden, was bei maximaler Lautstärke der Beats-Kopfhörer leicht übertönt wird. „Kurzum: Oh baby, we like it raw„, zitiert der Moderator ODB und fasst damit die Grundidee des Konzepts zusammen. Ein Konzept, das bei der Wiener HipHop-Szene auf großen Zuspruch stößt. Obwohl die Sitzplätze im WERK X-Eldorado im Gegensatz zur letzten Lokalität verdreifacht wurden und auch noch zig Stehplätze zur Verfügung sind, wird es wieder einmal eng. So eng, dass der Moderator sicherheitshalber in Manier eines Stewards die Notausgänge erläutert.

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Auf der Bühne des unterirdischen Theatersaals leuchten Stehlampen aus den 70er-Jahren und Tropfkerzen das eingerichtete Wohnzimmer aus. Als Erster darf Camu in dem rot gepolsterten Fauteuil Platz nehmen, um 50 Cents „Just A Lil Bit“ wiederzugeben. Auf Deutsch, übersetzt durch Google Translate. Der Wiener Rapper, der vergangenen Monat sein Debütalbum „Leere Taschen Volles Herz“ veröffentlicht hat, trägt den deutschen Text zusätzlich im bayerischen Dialekt vor, weil das lyrisch am gehaltvollsten, am derbsten sei. „Oh, da ist sogar ein Reim dabei„, freut sich Camu ob der kunstvollen Übersetzung durch Google. Bitch wird zu Hündin, Beef zu Rindfleisch und Flow zu Fluss. „Mädchen, schüttel das Ding, ja, arbeite das Ding. Lass es mich sehen, es rauf- und runtergehen.“ Wow, wie flach kann HipHop eigentlich sein. Camu präsentiert den Text mit so viel bayerischem Charme und Wortwitz, dass die Zuschauer vor Begeisterung johlen.

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HipHop ist Entertainment und Protestkultur„, kommentiert Grime-Liebhaber Con, der im Mai seine gemeinsame „Rastlos“-EP mit P.tah veröffentlichen wird, sein darauffolgendes Kontrastprogramm. Als Appell gegen die aktuelle europäische Flüchtlingspolitik trägt er bedacht den Text von Zugezogen Maskulins Track „Oranienplatz“ vor. Dieser handelt von Flüchtlingen, die eineinhalb Jahre auf dem Berliner Platz campierten, um gegen den rauen Umgang mit Asylwerbern zu protestieren. Dabei zieht er Parallelen zur Besetzung der Votivkirche und blickt pessimistisch in eine Zukunft abgeriegelter Grenzen. „So, jetzt hab‘ ich die Stimmung zum Nullpunkt gebracht„, sagt Con nach seiner Lesung und erhält dafür den lautesten Applaus des Abends.

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Egal, was sie macht, es wird auf FM4 gespielt„, kündigt DWD die nächste Vortragende an. Gemeint ist Yasmo, deren neues Album mit der Klangkantine gerade in Arbeit ist. Sie hat sich für eine Nummer aus The Streets‘ Konzeptalbum „A Grand Don’t Come for Free“ entschieden und packt dafür ihr feinstes British English aus, mit dem auch schon ihr Alter Ego Miss Lead experimentiert hat. Klingt großartig, ist aber leider nicht so gut zu verstehen, da Yasmo den Text fast in Original-Rapgeschwindigkeit vorträgt. Für jemanden, der den Song „Empty Cans“ nicht kennt, fällt es daher schwer, aufmerksam zu folgen und die Pointe zu verstehen. 

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Nach der anschließenden Pause, in der es dem Moderator egal ist, ob man eine „lustige Zigarette“ raucht oder nicht, kündigt ebendieser „einen der begnadesten Scratch-DJs Wiens“ an. Olinclusive erzählt von seinen derzeit nicht vorhandenen Auftritten, seiner heimatlichen DJ-Hobbyecke und seiner Kreativagentur sowie Café „Wiener Handwerk„, bei dem man für den Toilettengang ins benachbarte Arcotel schleichen muss. Vortragen möchte er einen Song von „KRS eins“: Der Klang der Polizei. Szenenapplaus. Für die Lesung stellt Olinclusive eine „Jot Dilla“-Platte vor sich auf den Tisch, setzt sich eine Polizeikappe auf und spielt vom Handy Sirenengeräusche ab. „Tatütata, das ist der Klang der Kiwara“ – damit hat Olinclusive die Zuschauermenge zweifelsohne überzeugt.

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Neben Yasmo hat sich auch der Linzer Rapper Selbstlaut, der im Herbst eine EP mit Mirac releasen wird, für einen englischen Originaltext entschieden. „For My Upstairs Neighbor“ von Run-the-Jewels-Mitglied El-P thematisiert eine Verhörsituation wegen häuslicher Gewalt. Der Protagonist verrät „Columbo“ nichts über seine Nachbarschaft, flüstert dafür dem Missbrauchsopfer später im Stiegenhaus „do the thing you have to and I swear I’ll tell them nothing“ zu. Und weil das ein internationales Thema sei, hat sich Selbstlaut dazu entschieden, den Text nicht zu übersetzen und im Original vorzutragen.

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Zum Abschluss der zweiten Veranstaltung von „Rapper lesen Rapper“ kommt die „Rude-Boy-Abteilung“ zum Einsatz. „Ich dachte, du wärst der kleine Bruder von Testa?“, erkundigt sich DWD beim letzten Gast, Samurai von der Wienzeile. Der nimmt den Vergleich locker und besteht trotz Bier in der Hand auf den Rotwein, weil dieser im Vertrag stehe. Er präsentiert den Text zweier „Wiener Untergrundlegenden“ – Fick Fang und Schleim. Wie der Name schon erahnen lässt, wird’s tiaf. Samurais Wienzeile-Kollegen Big Bang und Kreiml haben 2010 als Horny Atzen ihre „kranken Gedanken“ als Hörspiel in sechs Akten vertont. Samurai hat die beiden letzten Akte daraus ausgegraben und betätigt sich somit eines zweifelhaften Humors, der zur reinen Provokation dient.

Lichtreflex.NH9992Im vorgelesenen fünften Teil geht es um Sodomie im Schönbrunner Tiergarten und sonstige menschliche Abgründe. „Nächstes Mal Wisdom & Slime!„, ist eine Forderung aus dem Publikum zu hören. Samurais Antwort ist der Mittelfinger, bevor er sich am Ende des Vortrags damit rechtfertigt, den Text nicht geschrieben zu haben. „In der Mitte war ein bisschen Prosa“, versucht DWD die Stimmung nach diesem tiefen Abgang innerhalb der verstörten Zuschauergruppe zu retten. „Wir hatten alles im Repertoire: Fun Faktor, Conscious Rap und Prosa!„, fasst der Moderator den Abend souverän zusammen, holt noch einmal alle vorlesenden Musiker auf die Bühne und verneigt sich. Fortsetzung folgt bestimmt.

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