"The hardest thing to do is something that is close…
Zweimal darf sich der amerikanische Journalist und Poet L. Lamar Wilson für sein jüngstes Interview mit Rapperin Rapsody auf die Schulter klopfen lassen. Einmal, weil er aus dem Interview mit „Queen of Snow Hill“ eine profunde Charakteranalyse der Grammy-nominierten Künstlerin aus North Carolina machte. Ein weiteres Mal, weil Wilson mit der Interview-Frage, ob sich Rapsody als Nachfolgerin der großen afroamerikanischen Künstlerinnen Nina Simone und Roberta Flack fühle, der Rapperin den entscheidenden Impuls für ihr drittes Album „Eve“ gab.
Noch am Tag des Interviews begab sich Rapsody ins Studio, wenig später stand das Konzept für ihr drittes Album fest. Das biblisch benannte „Eve“ soll ihr musikalischer Liebesbrief an „Black Women“ sein. Jeder Song auf dem Album ist nach einer prominenten „Black Woman“ benannt und dieser gewidmet. „Eve“ soll deren Vielfältigkeit, die Rapsody auch in sich erkennt, widerspiegeln. Um die 40 Songs fertigte sie an, 80 bis 90 Prozent sind innerhalb eines Monats, im Dezember 2018, entstanden. Davon landeten 15 Songs und ein Interlude, gesprochen von der Poetin Reyna Biddy, auf „Eve“.
Das Konzept erinnert an „LEGACY! LEGACY!“ (2019) von Jamila Woods, widmete auch die R’n’B-Sängerin jeden Song auf diesem Album einer großen afroamerikanischen Persönlichkeit, darunter natürlich Frauen, deren Leistungen endlich sichtbar gemacht werden sollen. Rapsody verfolgt dieses Vorhaben nicht erst seit „Eve“, befinden sich in ihrer Diskografie einige Vorboten auf ihr Konzeptalbum. Der Track „Tina Turner“, den sie 2016 auf dem Tape „Crown“ veröffentlichte, ist so ein Fall. Der 2014 auf dem Sampler „Jamla Is The Squad“ erschienene Song „Betty Shabazz“ ein weiterer. An Tina Turner oder Betty Shabazz richtet Rapsody auf „Eve“ zwar keine weiteren Songs, dennoch kommen beide direkt oder indirekt auf dem Album immer wieder vor.
Den Einstieg in das Album vollführt Rapsody mit „Nina“, ein Tribute an Nina Simone. Für den Opener webte Mark Byrd elegant ein Sample aus dem Simone-Song „Strange Fruit“ ein, thematisch beleuchtet Rapsody ihre Stellung im Musikgeschäft. Dabei spielt sie immer wieder mit Referenzen an Nina Simone, die auf eine akribische Beschäftigung mit der Biografie der Ausnahmesängerin hinweisen.
In eine ähnliche Richtung geht das nachfolgende „Cleo“, der einzige Song, der keiner realen Person, sondern dem Hauptcharakter aus dem Film „Set It Off“ gewidmet ist. Über einem Phil-Collins-Sample aus „In the Air Tonight“ blickt Rapsody erneut kritisch auf das Musikgeschäft. Der Scharfsinn, mit dem sie Misogynie und Rassismus benennt, lässt über das abgedroschene Phil-Collins-Sample hinwegsehen.
Mit „Nina“ und „Cleo“ untermauert Rapsody gleich zu Beginn ihr Conscious-Image, dem sie in Interviews ambivalent gegenübersteht. „Eve“ bietet noch weitere Songs dieser Art, darunter das mitreißende, emotionale „Myrlie“, benannt nach Bürgeraktivistin Myrlie Evers-Williams. „Myrlie“ richtet sich an afroamerikanische Witwen, deren Ehemänner Opfer von (Polizei-)Gewalt wurden. Ernüchternd stellt Rapsody darin fest: „’Cause I’ma marry black, a hard truth/Think about the widows, that could be us too“. Ein ungeschminkter Blick auf die Lebensrealität vieler afroamerikanischer Frauen.
Doch Rapsody gibt sich auf „Eve“ nicht immer nur nachdenklich und analytisch. Sie kann auch die Lockerheit in ihren Songs vortreten lassen. „Aaliyah“ ist so eine selbstbewusste Tomboy-Hymne, mit reichlich Bezug auf die große R’n’B-Sängerin. Das Michelle-Obama-inspirierte „Michelle“ verbreitet positive Partystimmung; eine Richtung, in die auch „Oprah“ mit einem Rap-Feature von Leikeli47 und einem funky, an Anderson .Paak erinnernden Beat geht. Benannt nach Oprah Winfrey, der ersten afroamerikanische Milliardärin, ist im Song naturgemäß Geld das Thema, „Dollars, dollars, dollars, circulate“ , heißt es in der Hook.
Ihre angriffslustige Seite zeigt Rapsody mit dem Turn-up-Song „Whoopi“. Der Khrysis-Beat klingt nach einer 90er-Jahre-Timbaland-Produktion für Missy Elliott (Khrysis sampelte „Watermelon Man“ von Herbie Hancock), in der Hook wird auf „Sister Act“ angespielt, dem wohl bekanntesten Whoopi-Goldberg-Film. Ein Cardi-B-Feature hätte den Song perfekt ergänzt. Schade, dass daraus nichts wurde.
„Whoopi“ wird mit seinen offensiven Zeilen dem Image der Namensstifterin gerecht. Das gilt ebenso für „Serena“. Der Titel der Motivationshymne weist auf die Ausnahme-Tennisspielerin Serena Williams hin. Neben Rapsodys Flow, der einen zum Staunen bringt wie Serena Williams‘ Vorhand, fällt der Song durch die geschickte Arbeit des Produzenten Eric G auf. Der verblüfft mit einem „Don’t stop, get it, get it“-Sample in der Hook. Schließlich stammt das Sample aus der nicht gerade feministischen Miami-Bass-Nummer „I Wanna Rock (Doo Doo Brown)“ von Uncle Luke. Auf „Serena“ wird dieses in einem anderen, motivierenden Kontext eingesetzt.
Ähnlich unerwartet kommt das Björk-Sample aus „The Gate“, das Eric G für „Tyra“ (benannt nach Model Tyra Banks) flippte. Naheliegender ist 9th Wonders Gebrauch der Erykah-Badu-Nummer „Green Eyes“ für „Maya“, einen Song, den Rapsody an die große Poetin Maya Angelou richtet. Darauf lässt Rapsody nicht zum ersten Mal Werke von Angelou in ihre Musik einfließen, verwendete sie bereits Zeilen aus dem Gedicht „Still I Rise“ für ihren Song „Sassy“ aus dem Album „Laila’s Wisdom“ (2017).
„Maya“ entpuppt sich schließlich als Referenz-Parade mit reichlich Anspielungen auf afroamerikanische Pop-Kultur, manche offensichtlicher, manche, wie jene auf die Rollen des Schauspielers Laurence Fishburne („Some days are Morpheus, other times I’m just like Tre/Which means, some days I need savin‘, other days I wear the cape“), verborgener gehalten. Ihr cineastisches Wissen beweist sie auch auf „Hatshepsut“, benannt nach der altägyptischen Königin. Der Song enthält mit Queen Latifah, dem großen Idol Rapsodys, ein bemerkenswertes Feature, liefert Queen Latifah darauf einen ihrer mittlerweile raren, aber superben Rap-Parts ab.
Queen Latifah ist nicht das einzige Feature mit Seltenheitswert. In diese Kategorie fallen auch GZA und D’Angelo. Beide sind auf dem „Liquid-Swords“-Tribute-Song „Ibtihaj“ vertreten und runden Rapsodys starke Performance ab. Ein weiteres großes Feature auf der Platte ist J. Cole, der in „Soujourner“ (nach Bürgerrechtsaktivistin Soujourner Truth) einen überdurchschnittlichen Part beisteuert. „Soujourner“ ist allerdings auch der einzige Song, der 2018 bereits auf einem anderen Projekt (dem Labelsampler „Jamla Is the Squad II“) veröffentlicht wurde.
Doch unabhängig davon, wie namhaft das Feature ist: Rapsody hat stets die Oberhand. Das beweist sie noch einmal im 2Pac-sampelnden, mit supersmarten Zeilen bestückten Abschlusstrack „Afeni“, den Rapsody an die Männerwelt adressiert und in dem sie für ein Miteinander, für gegenseitiges Verständnis wirbt. Der Song unterstreicht die beeindruckenden Fertigkeiten, die Rapsody auf „Eve“ präsentiert: Auf dem Album zeichnet sie sich durch variantenreiche Flows, smarte Lyrics, kluge Wortspiele und ausgeklügelte Metaphern aus. Rapsody weiß auch genau, wie sie ihre Fähigkeiten für den jeweiligen Song einsetzen muss, damit dieser am besten funktioniert.
Trotz des breiten Stimmungsbogens funktioniert „Eve“ als Gesamtwerk. Dafür sorgt nicht zuletzt die als Erzählerin fungierende Reyna Biddy. Die Beats fallen manchmal bouncig, oft soulig aus, stellen hörbar aber immer eine Wohlfühlzone für Rapsody dar. Das Produzenten-Line-up für „Eve“ ist vertraut, große Überraschungen bleiben daher im Sound aus, sieht man von einigen Samples und Eric Gs 808-Produktionen ab. Ein 9th Wonder macht nichts neu, aber sein Sound bleibt effektiv. Dieses große Album wird dadurch auch nicht kleiner.
Fazit: Rapsody liefert mit „Eve“ einen imposant geratenen musikalischen Liebesbrief an „Black Women“ ab. Sie brilliert als vielseitige Lyrikerin, die mit Wortwitz und Metaphern nur so um sich wirft und weiß, wie sie mit ihren Skills umgehen muss, damit ein großer Song das Ergebnis ist. Passende Features und ansprechende (wenngleich oft konventionelle) Produktionen unterstützen sie dabei. Ein lehrreiches Stück Musik, das bei Roberta Flack und Nina Simone bestimmt Gefallen gefunden hätte. L. Lamar Wilson hat also die richtige Frage gestellt.
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