"The hardest thing to do is something that is close…
Zu den besonders kontrovers diskutierten Persönlichkeiten der Popkultur gehört ohne Zweifel Larry Clark. Die einen halten den 75-jährigen Filmemacher und Fotografen für einen schamlosen Voyeur mit einer verqueren Passion für die Darstellung von Sexualität. Die anderen sehen in Larry Clark stattdessen einen Chronisten verlorener Generationen. Einer, der sich stets darum bemüht, die komplette Härte der Realität in seinem künstlerischen Werk aufzufangen. Egal, auf welche der beiden Seiten man nun steht: Unbestritten ist, dass es Larry Clark mit Filmen wie dem Skater-Sex-Drama „Kids“ (1995) oder seinem Bildband „Tulsa“ (1971) gelingt, das Profane im Schrecklichen hervorzuheben. Die Szenen von ungeschütztem Sex, Missbrauch, Konsum von Drogen in allen Härtegraden und Gewalt in allen Eskalationsstufen sind deswegen so schauderhaft, weil sie für die involvierten Charaktere das sind, was der Amerikaner gerne als „Casualness“ bezeichnet. Beiläufig ablaufende Situationen also, die sich in einem Setting von kompletter Bedeutungslosigkeit einfügen.
Diese visuelle Gewalt Clarks kommt einem in Erinnerung, wenn man sich „Low Life High Kicks“ von den TeppichMesserBois zur Gemüte führt. Auf ihrem Debütalbum, erschienen über das Düsseldorfer Leftfield-HipHop-Label Labil Elite, malen Rapper John F. Enemy und Produzent Mister Nagatomi genau jene Art ungemütlicher Sprachbilder, die Clark sonst auf Zelluloid brennt. Die Perspektive ist nur eine andere, nimmt das Rapper-DJ-Gespann nicht die Rolle eines externen Betrachters ein, sondern sieht sich als Teil einer verlorenen Generation, deren Gedankengänge sich in kompletter Gleichgültigkeit verfangen und die apathisch ihrem Schicksal entgegenläuft. Im Intro, für das eine Imitation des ikonischen Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki herhalten durfte, wird als Hauptziel einer „polemischen und scharfen Analyse“, die das Album bieten soll, der „moderne Mensch“ beschrieben, zu dessen Gattung man schließlich selbst gehört. Wobei die Sache mit der Analyse auf die folgenden elf Tracks einerseits nicht wirklich zutrifft, anderseits doch passt.
An einer fokussierten Abarbeitung üben sich die beiden nämlich nicht, „Low Life High Kicks“ trumpft stattdessen mit der „Casualness“ in den Zeilen auf. Die kommt zum Vorschein, wenn sich John F. Enemy zwischen guten Punchlines (und davon gibt es auf dem Album viele) nebenbei in einem gewaltigen Strudel aus Amphetaminen, Alkohol und Gewalt verfängt und damit tief blicken lässt („John F. Enemy“). Oder in „Blitz“ ganz selbstverständlich davon erzählt, wie er jegliches Vertrauen in die Menschheit verloren hat – und dass er die beste Zeit seines Lebens im Jugendknast in Remscheid verbrachte.
Das wird aber noch getoppt: Im zappendusteren „Alltag am Rande der Sinnlosigkeit“ handeln die Zeilen vom NSU, den „Washington Snipers“ oder Anders Breivik; allesamt mal mehr, mal weniger plakativ eingebaut. Die Ebene des beißenden Sarkasmus wird an diesen Stellen verlassen, der Weg führt in die Richtung des Zynismus. Oder, wie es in „Kobayashimaru („Star Trek“-Referenz) heißt: „Das Orakel hat gelogen, die Welt ist längst am Arsch“. Nein, die Zeit für Optimisten hat auf „Low Life High Kicks“ nicht geschlagen.
Seine Parts trägt John F. Enemy, mit einem großen Faible für Animes (vor allem „Akira“) und einem noch größeren für den Honda Civic ausgestattet, gerne unkonventionell und ohne Technikfetisch vor. Eine konkrete musikalische Vision lässt er dabei stets erkennen. Das trifft in gleicher Weise auf seinen produzierenden Partner mit der „Die Hard“-Referenz im Künstlernamen zu. Mister Nagatomi gibt mit seinen rauen Beats auf souveräne Weise das passende Gegenstück zu den Punchlinesalven von Enemy. Eine leicht erklärte Souveränität, ist Mister Nagatomi kein Newcomer, sondern schon seit Jahren als Hiro MA an der Kreation des musikalischen Kosmos von Degenhardt beteiligt.
Ein Kosmos, dessen Lebensader in wunderbar obskuren Samples, vorzugsweise aus B-Movies und Tracks vergessener Rockbands entnommen, besteht. Es muss nur schmutzig klingen. Sein anderes Pseudonym bedeutet keine große Abkehr von diesem Zugang: Cineasten erkennen ein (zugegebenermaßen bekanntes) Sample aus „Goodfellas“ („Blitz“), die Synthies klingen manchmal nach Hau-drauf-Disko und Billigschnaps („John F. Enemy“, Liverneck“), manchmal verspielt („Aprilia“), manchmal sakral („Blitz“) und manchmal melancholisch („Habicht“).
Regelrechte Popkultursampleorgien, wie bei Degenhardt, gibt es allerdings nicht. Am auffälligsten und daher eine Sonderstellung einnehmend ist der Beat zu „Exitus“, wofür Nagatomi „Almost Cut My Hair“ von der Folk-Truppe Crosby, Stills and Nash zurechtschneidete, um daraus einen BoomBap-Beat zu fabrizieren. Eine nicht minder hörenswerte Abkehr von dem gegebenen Muster. Allen Beats gemein ist eine radikale Lo-Fi-Ästhetik. Das alleine taugt zwar nicht zum Alleinstellungsmerkmal. Nur deckt sich die Rohheit im Klang hier ausgesprochen gut mit der inhaltlichen Ausrichtung. Auf diese Weise dann doch eine Seltenheit.
Das Gemisch, das die beiden auf ihrem Debüt zusammenbrauen, schmeckt also trotz aller Bitterkeit, trotz all der provokanten Zeilen, die dafür sorgen, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. „Low Life High Kicks“ ist zynisch, ist schmerzhaft und moralisch verkommen, wofür exemplarisch die Columbine-Line auf „Zucker über Japan“ („John und Nagatomi, keiner will mehr mit uns chill’n/Treffen flüchtige Bekannte, wir sind Erik und Dylan“) steht. Doch das schmälert nicht den Reiz des Albums. Der einzige wirkliche Schwachpunkt sind die vereinzelt einfallslosen Hooks, deren Stilsitik das Ablaufdatum überschritten hat („Liverneck“). Aber das spielt auf dem Album nur eine Nebenrolle. Es ist die „Casualness“, um die es sich dreht.
Fazit: In Larry Clarks „Bully“ gibt es eine Szene, in der zwei Jungs sich unter dem Einfluss von Acid beim Spielen von „Mortal Kombat“ dem Wahnsinn nähern. Eine Szene, bei der man denken könnte, dass eine ähnliche Geschichte hinter der Entstehung von „Low Life High Kicks“ steckt. Dem tatsächlich jedoch jahrelange Arbeit vorausgeht, „Low Life High Kicks“ wurde nicht in einer Nacht erschaffen. Und das ist gut so. John F. Enemy liefert auf dem Debüt der so kunstvoll betitelten TeppichMesserBois nicht nur eine Reihe wirkungsvoller Punchlines, sondern malt über kantige Produktionen von Mister Nagatomi das Bild einer versinkenden Generation, die sich längst aufgegeben hat. Die keine Bedeutung für ihr Dasein findet. Dass das auf „Low Life High Kicks“ vollkommen normal wirkt, ist ebenso verstörend wie spannend.
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