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Kunst als „perverse Konfrontation“: Destroy Degenhardt

Kunst als „perverse Konfrontation“: Destroy Degenhardt

Alle Fotos: (c) Destroy Degenhardt

Seit knapp zehn Jahren bereichert Degenhardt die Deutschrap-Landschaft. Bereichert ist hier auf jeden Fall der richtige Ausdruck, hebt sich der Düsseldorfer mit ausgesprochener Anti-Haltung stilistisch von so ziemlich allen anderen in der Szene ab. Technik spielt für Degenhardt eine untergeordnete Rolle, seine Version von „Immer wenn ich rhyme“ würde wohl durch ohrenbetäubende Stille glänzen. Wenn sich bei Degenhardt etwas reimt, dann spielt, so der Eindruck, ganz oft der Kollege Zufall mit.

Doch was macht die Musik Degenhardts so faszinierend, wenn er sich schon den traditionell überlieferten Rap-Konventionen knallhart widersetzt? Die Faszination liegt in der einzigartigen Atmosphäre, die Degenhardt mit lockerer Regelmäßigkeit auf seinen Alben schafft. Wenn ein obskures Filmsample ertönt, die Hook im 00er-Jahre-Mixtapestil von Punkbands gesampelt wird und der Text aus einer zunächst oft strukturlosen erscheinenden Aneinanderreihung von Metaphern besteht, dann weiß man: Das ist Degenhardt. „Ich bin abhängig von Atmosphäre, egal ob positiver oder negativer“, so Degenhardt im Gespräch mit The Message. Die textliche Verworrenheit erinnert an Aesop Rock, bei dessen Tracks sich erst nach dem zwanzigsten Mal Hören erschließt, wovon die eigentlich handeln. Die Attitüde weckt  hingegen Erinnerungen an Untergrund-Hustlern der Marke Anti-Pop Consortium oder Busdriver.

Wie Andy Warhols „Electric Chair“

Doch bei Degenhardt kommt als weiterer Faktor eine kindliche Naivität und Unschuld zum Tragen, die dem emotionalen lyrischen Dickicht aus Melancholie, Trauer und Wut einen besonderen Anstrich verleiht. „Schlaflieder, die nicht ehrlich träumen aber kotzen, lautet die treffende Selbstbeschreibung in „Fett & Rosig“. Würde man Degenhardts Musik als Gemälde beschreiben, es käme einem sofort Andy Warhols „Electric Chair“ in den Sinn; jenes Bild, auf dem Warhol einen elektrischen Stuhl mit einer Farbüberlagerung aus knalligem Pink seiner Härte entzieht. Kulturkritiker David Bourdon sprach hierbei von einer „perversen Konfrontation“, die Warhol setzte. Ein Urteil, das Degenhardt auch für seine Kunst wohl so unterschreiben würde.

Sein Faible für die „perverse Konfrontation“ zieht sich dabei durch seine ganze Musiklaufbahn. Exemplarisch dafür der Titel seines ersten Albums, „Harmonie Hurensohn“, 2010 in die Unweiten des Internets platziert. Facebook war damals noch mehr oder weniger Deutschrap-Jungfrau, Twitter ein zu vernachlässigendes Nischenprodukt und an die zukünftige Relevanz von Spofity-Playlisten dachten höchstens die Gründer von Spotify. Blogs spielten zu dieser Zeit eine wichtige Rolle für Deutschrap-Liebhaber, die abseits der üblichen Beef-Geschichten in den großen Magazinen nach Rapinhalten mit Qualität suchten. Eine solche Anlaufstelle war der Blog von Herr Merkt, der Degenhardt als einer der Ersten pushte. Fernab der lobenden Worte des Bloginhabers reagierten große Teile der Leserschaft zunächst allerdings äußerst reserviert auf Degenhardt. Doch für manche kam der schonungslose Eklektizismus in seiner Musik sofort einer regelrechten Offenbarung gleich. Eine eingeschworene Fangemeinde begann sich zu formieren, die sein Angebot, für eine CD ein Kunstwerk oder Ähnliches als Tauschgegenstand einzuschicken, dankend annahm. „Kunst für Kunst als Zeichen der Wertschätzung“, so Degenhardt.

Geld als Tauschmittel zu verlangen, das war Degenhardt lange Zeit fremd. Begründet aus durchaus sympathischen Zweifeln. War er sich zunächst unsicher, ob das Produkt seiner Kreativität überhaupt als Kunst und nicht als „Kann das weg?“ rezipiert werden sollte. Feedbackschleifen existierten schließlich nicht im herkömmlichen Sinne, fanden Kontakte zur Rap-Szene lediglich über Blogs statt. Für die Musik benötigte er nur seinen langjährigen Gefährten und Produzenten Hiro MA, der ähnlich wie Degenhardt ein Eremiten-Dasein möglichen Szeneruhm vorzog. Szenetechnisch war wenig Platz für Rap, Skateboarden und Malen hatten weiterhin oberste Priorität. „Ich hatte mein ganzes Leben lang Defizite. Die versuchte ich mit möglichst extremen Hobbys auszugleichen. Malen und Skateboarden war einfach das Extremste. Aber bei beidem zählt nur deine Leistung. Wenn du etwas kannst, bekommst du Respekt. Egal, woher du kommst. Ich habe mir immer Hobbys gesucht, bei denen ich durch Leistung glänzen konnte“, sagt Degenhardt im Interview.

Die Entscheidung zwischen Dead Kennedys und Nas ist nie gefallen 

Diese Liebe zum Malen und zum Skaten findet zugleich in seiner Musik Eingang, in der aber die polyamoröse Lebenseinstellung in kulturellen Angelegenheiten noch weitere Facetten enthält. Wie anfangs erwähnt, bedient sich Degenhardt gerne beim Punk. Die Entscheidung zwischen Dead Kennedys und Nas ist quasi nie wirklich gefallen. „Ich habe nie das eine gegen das andere getauscht“, so Degenhardt. Weswegen beides in seiner Musik stattfindet. Doch Punk steckt bei Weitem nicht die ganze Sphäre seiner musikalischen Inspirationsquellen ab. Im Gespräch mit The Message fallen Namen wie Udo LindenbergErste Allgemeine Verunsicherung, Hans Albers oder Frank Schöbel. Letzterer ist für seine Schlagerlieder bekannt und lieferte mit „Weihnachten in Familie“ das meistverkaufte Album in der Geschichte der DDR ab. Für Degenhardt ein musikalisches Überbleibsel aus seiner Kindheit.

Damit enthüllt Degenhardt eines der wenigen bekannten Details über die Herkunft des Menschen hinter der Musik. Dass seine Wurzeln in Ostdeutschland liegen und seine Eltern in der DDR politische Inhaftierte waren, erzählte er schon vor Jahren gegenüber Ruhrbarone. Viel mehr Einzelheiten möchte er aber nicht preisgeben. Das umschließt sein Aussehen. In Videos zieht Degenhardt gerne die Mütze tief ins Gesicht rein, womit bis auf die Kopfform wenig vom Rapper zu erkennen ist. Im Interview mit MC Bogy von TV Strassensound kommt ein Schwarm von schwarzen Pixel zum Einsatz, der Degenhardts Gesicht unkenntlich macht. Sorgen, dass irgendjemand die Person hinter der Maske enthüllt, hat er allerdings keine. Seine Musik sei dafür im allgemeinen Popgeschäft zu unbedeutend, dem Großteil der Fans das Aussehen schlichtweg egal.  Zudem ist es sicher kein Nachteil, wenn das engste Umfeld aus Skatern und Writern, die im Regelfall gerne unerkannt bleiben, und nicht aus YouTubern besteht.

In seiner Musik erzählt Degenhardt sowieso schon zur Genüge über sich selbst: „Ich rappe ausschließlich biografische Inhalte. Jedes Wort davon ist wahr. Das war lange Zeit mein einziges Prädikat.“ Kenner seiner Musik wissen deswegen über eine seiner Arbeitsstellen Bescheid. Vor Jahren jobbte Degenhardt in einer Videothek, die in ihrer Hochphase als soziales Biotop diente, wo Vertreter aller Gesellschaftsgruppen zusammenkamen. Der Professor, der „Hartzer“, der Anwalt. Soziologisch eine spannende Angelegenheit. Degenhardt bewog gar nicht die eigene cineastische Leidenschaft zu diesem beruflichen Engagement, sondern die besondere Atmosphäre, die in Räumen wie Videotheken oder Bibliotheken vorherrscht. Der Atmosphäre-Typ eben, der es einfach liebt, „in der Gegenwart von coolen Dingen zu sein“.

Dieser Hang zum Atmosphärischen schlägt sich musikalisch in den Sample-Orgien nieder, charismatisches Mittel jedes Degenhardt-Songs. In Zeiten von YouTube-Strikes und Copyright-Klagen allerdings nicht ganz ungefährlich. YouTube zeigte sich in dieser Hinsicht schon restriktiv, ein Song mit Hans-Albers-Sample bugsierte die Google-Tochter ins Cyber-Nirvana. Filmsamples seien jedoch gar nicht das Problem. Beim Verwenden fremder Musik hört sich stattdessen der Spaß auf.

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Der Höhepunkt des Strudels nach unten

Andererseits konnte Degenhardt, abseits potentiellen YouTube-Ärgers, die meiste Zeit seiner Musikerlaufbahn das Thema Urheberrecht mit nonchalanter Gelassenheit an seiner North-Face-Jacke abperlen lassen. Wer gratis Musik raushaut, der hat nichts zu befürchten. Nach „Harmonie Hurensohn“ etablierte sich Degenhardt mit zwei weiteren Teilen von „Harmonie Hurensohn“ und dem wunderbaren „Donna Klara“, komplettiert mit Gemeinschaftsarbeiten als „Johnny war ein Tänzer“, den „Destroy“-EPs und einem Projekt mit den Kamikazes in seiner Nische. Verwirrungsstiftend dabei sein Hang zur Veränderung seines Künstlernamens, der Snoop-Dogg’sche-Auswüchse annahm: So war Degenhardt bereits als Disko Detlev Degenhardt, Disko Degenhardt, nur Degenhardt oder Destroy Degenhardt unterwegs. Bei Destroy Degenhardt soll es zukünftig bleiben.

Ebenso wie der Schritt, Geld für die eigene Kunst zu verlangen.  Seit „Terror 22“, das über Melting Pot 2016 erschien, die gängige Praxis. Künstlerisch hat sich jedoch nichts verändert, die Musik folgt nach den gleichen Prinzipien wie zur Zeit von „Harmonie Hurensohn“. Weder Melting Pot oder Audiolith, über das Degenhardt vergangenes Jahr „Das Handbuch des Giftmischers“ veröffentlichte, nahmen diesbezüglich Einfluss. Die inhaltliche Weiterentwicklung folgte deswegen ohne Zutun etwaiger Einsager.

Auf „Das Handbuch des Giftmischers“ klingt Degenhardt schließlich trauriger als auf allen Alben zuvor. Doch warum ersetzte die Trauer die Wut? Was war geschehen? „Es ist ein Problem, dass ich mich in dieser Degenhardt-Spirale selbst nach unten bewegt habe. Das Album ist der Höhepunkt des Strudels nach unten.“ Drogen spielen dabei eine Rolle. Wie damals, als Degenhardt „Betty F. & Christiane Ford“ auf „Harmonie Hurensohn“ veröffentlichte. Doch es wäre nicht Degenhardt, wenn das Album auf jene kindlichen Ansätze, die sein ganzes Werk so aus der Menge herausstechen lassen, verzichten würde. „Doch mein Film ist immer bisschen schief, aber warm und dunkel“, heißt es in „Aldi und das Meer“. Die „perverse Konfrontation“ findet weiterhin statt. Daran wird und soll sich in Zukunft nichts ändern.

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