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Neues Blut // The Crispies live

Neues Blut // The Crispies live

Fotos: David Lindengrün

Mit ihrem Debütalbum „Death Row Kids“ mauserten sich The Crispies 2016 zur neuen Lieblingsrockband der FM4-Zielgruppe. Nun gibt es endlich neues Material, am 23. März erschien das zweite Album „Fake Leather“. Die Lederjacke mit der Aufschrift „Retter des Rock’n’Roll“, die den Crispies in den vergangenen Jahren übergestülpt wurde, stellt sich als unecht heraus. Plastik in Form von Autotunefetzen und synthetischen Samples scheint jetzt durch die falsche Haut. Die drei Singles „Easy“, „Lost My Phone“ und „New Blood“ beschreiben die musikalische Häutung sukzessive. Natürlich will der Fortschritt auch gebührend gefeiert werden. Für die Releaseshow hat sich die Wiener Band das „Flex“ ausgesucht.

Als Vorband spielen das transdanubische Quartett Siamese Elephants, eine Band, die für mich der Inbegriff der Wiener Indie-Szene ist. Das unermüdliche Bespielen der Gürtellokale hat sich bezahlt gemacht, das „Flex“ ist bereits bei der Vorband gut gefüllt. Die Siamese Elephants spielen ein abwechslungsreiches, kurzes Set, in dem sie zwischen klassischen Rocknummern wie „Scenes (From An Awful Show)“ und tanzbaren Indiesongs wie „Dancing In The City“ wandern. Nachhören kann man die Titel bisher nur als rohe Akkustikversionen auf Soundcloud. Eine Platte ist aber in Arbeit. Unterstützung bei der Produktion liefert dabei kein Geringerer als Tino, Frontman der Crispies. Live funktioniert der Sound schon einmal hervorragend.

The Crispies kommen gerade erst von einer Frankreichtour mit Findlay und bespielen direkt das „Flex“. Das Reisegepäck trägt Sänger Tino noch mit auf die Bühne (Farid Bang schaut wütend um die Ecke). Mit „New Blood“ eröffnen die Crispies ihre Releaseshow mit einem der stärksten und mutigsten Tracks des neuen Albums. Das Publikum nimmt den neuen Stil gut auf und beginnt ab dem ersten Song mit schwungvollem Kontakttanz. Die nächsten Nummern „Mercy“ und „Chelsea Child“ beruhigen die Konservativen unter den Kritikern. The Crispies machen immer noch laute Gitarrenmusik. Kaum gewinnt man diese Einsicht, wird sie wieder umgeworfen. Mit „Candy“ folgt eine ruhige Autotuneballade. Die Tonhöhenkorrektur erzeugt Tino mit Liveeffekten und einem zweiten Mikrofon. Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, fällt angesichts der unzähligen Playback-Autotune-Hooks bei Liveshows im HipHop- und Trapgenre positiv auf.

Hoffentlich hat Jugo Ürdens sich das für sein nächstes Konzert gemerkt. Das Publikum ist gespickt mit Musikern. Neben Jugo ist auch Voodoo zu sehen. Da mein Klatschpresse-Gen nun schon getriggert ist, hier eine unvollständige Gästeliste: FuturesFuture-Signings EDWIN und M.P. sowie Teile von Naked Cameo, At Pavillion und der Tripolare Hirnparade sind zugegen. Patricia Ziegler aka Bitten By kommt für den Song „Lost My Phone“ sogar auf die Bühne. Die eher ruhige zweite Single kommt live zwar langsam, aber wesentlich härter als auf der Platte daher und bleibt ein Höhepunkt der Show. Die Fans sehen das ähnlich. Es wird auf der Crowd gesurft. „Marry Me“-Schilder sind zu sehen. Irgendjemand wirft ein Büschel abgeschnittener Haare auf die Bühne. Womöglich eine Morddrohung an Tinos Zöpfchen? Mit den Zugaben „Bad Blood“ (das von FM4) und „Easy“ (das nur aus dem Refrain besteht) holen The Crispies noch einmal die Hits aus der Kiste. Das Publikum dankt mit Schweiß und Applaus.

 

Fazit: The Crispies befinden sich auf einer Reise. Das zweite Album „Fake Leather“ experimentiert mit Trap-Elementen, ist im Endeffekt aber immer noch Punkrock. Dass sie auf dem richtigen Weg sind, beweist die rohe Energie, die bei der Releaseshow von der Bühne direkt ins Publikum schwappt.

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